Inhalt

OLG München, Beschluss v. 29.03.2022 – 26 UF 1145/21
Titel:

Widerruf eines prozessualen Anerkenntnis im Kindesunterhaltsprozess

Normenketten:
BGB § 1601, § 1602, § 1603, § 1610
ZPO § 307, § 580
Leitsätze:
1. Nach § 1610 BGB bestimmt sich das Maß des zu gewährenden Unterhalts nach der Lebensstellung des Bedürftigen. Die Lebensstellung minderjähriger Kinder richtet sich angesichts ihrer wirtschaftlichen Unselbstständigkeit nach der Lebensstellung beider Eltern. Dabei ist die Unterhaltspflicht aber auf den Betrag begrenzt, den der barunterhaltspflichtige Elternteil aufgrund des von ihm erzielten Einkommens zahlen muss.  (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Bemessung des Unterhaltsbedarfs eines minderjährigen Kindes darf gegenüber dem in gehobenen Vermögensverhältnissen lebenden Elternteil nicht dazu führen, die Lebensstellung des Elternteils anzuheben, bei dem das Kind lebt. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für die Wirksamkeit eines Anerkenntnisses gem. § 307 ZPO bedarf es keiner mündlichen Verhandlung. Es kann somit auch schriftlich abgegeben werden. In zeitlicher Hinsicht kann das Anerkenntnis ab Rechtshängigkeit bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens erklärt werden. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein prozessuales Anerkenntnis kann grundsätzlich weder angefochten noch widerrufen werden. Eine Ausnahme besteht dann, wenn ein Restitutionsgrund iSd § 580 ZPO vorliegt. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
5. Die fehlende Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle ist kein Restitutionsgrund iSd § 580 ZPO (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kindesunterhalt, Düsseldorfer Tabelle, Abänderungsgrund, Anerkenntnis, Restitutionsgrund, Bedarfsermittlung, Unterhaltsbedarf, Wohnkostenanteil, Urlaubsbedarf, Mehrbedarf, Hortkosten, Reitkosten, Darlegungslast
Vorinstanz:
AG München vom 12.10.2021 – 533 F 11011/18
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 20.09.2023 – XII ZB 177/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 52227

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird Ziffer 1. des Schlussbeschlusses des Amtsgerichts München vom 12.10.2021 wie folgt abgeändert:
Der Antragsgegner wird unter Abänderung der am 08.11.2018 vor dem Notar Dr. S. in M. errichteten notariellen Unterhaltsverpflichtung verpflichtet, an die Antragstellerin zu Händen der gesetzlichen Vertreterin ab dem 01.04.2022 einen monatlichen, jeweils monatlich im Voraus fälligen Kindesunterhalt in Höhe von 1.808,37 € zu bezahlen.
2. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird Ziffer 2. des vorgenannten Schlussbeschlusses dahingehend abgeändert, dass die Antragstellerin auf den Widerantrag des Antragsgegners hin verpflichtet wird, an den Antragsgegner einen im Zeitraum vom 01.07.2019 bis einschließlich März 2022 überzahlten Kindesunterhalt in Höhe von insgesamt 18.076,54 € zu bezahlen.
3. Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen.
4. Die Beschwerde der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
5. Von den Kosten erster Instanz trägt die Antragstellerin 2/3 und der Antragsgegner 1/3.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
6. Der Verfahrenswert wird für das Beschwerdeverfahren auf 26.283,24 € festgesetzt.
7. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.
1
Hinsichtlich der Sachverhaltsdarstellung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf Buchstabe A der Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.
2
Ergänzend wird Folgendes ausgeführt:
3
Die Antragstellerin hatte mit Schriftsatz vom 10.03.2021 beantragt, den Antragsgegner zur Zahlung eines monatlichen Kindesunterhalts in Höhe von 4.500 € seit dem 01.07.2019 zu verpflichten.
4
In seiner Antragserwiderung vom 19.04.2021 hatte der Antragsgegner Antragsabweisung beantragt, soweit mehr als 272% des Mindestunterhalts der Düsseldorfer Tabelle verlangt würden. Darüber hinaus hat er beantragt, die Antragstellerin zur Rückzahlung des Unterhaltsbetrages zu verpflichten, den er seit dem 01.07.2019 über einen Betrag von 272% des Mindestunterhalts hinaus bezahlt hatte; hilfsweise hat er Rückzahlung des Betrages begehrt, der über den im vorliegenden Verfahren rechtskräftig festgestellten Unterhaltsbetrag hinausgeht.
5
Mit Schriftsatz vom 23.06.2021 hat der Antragsgegner den Widerruf seines Anerkenntnisses erklärt, soweit das Anerkenntnis einen Betrag von 200% der Düsseldorfer Tabelle übersteige, und diesen Prozentsatz auch auf sein Rückzahlungsverlangen bezogen.
6
Der Antragsgegner hat seit Juli 2019 bis einschließlich März 2022 unstreitig einen Kindesunterhaltsbetrag von insgesamt 87.253,99 € bezahlt.
7
Das Amtsgericht München hat den Antragsgegner durch Schlussbeschluss vom 12.10.2021 in Ziffer 1. unter Abänderung der am 08.11.2018 vor dem Notar Dr. S. in M. errichteten notariellen Unterhaltsverpflichtung verpflichtet, an die Antragstellerin zu Händen der gesetzlichen Vertreterin ab dem 01.07.2019 einen monatlichen Kindesunterhalt in Höhe von 2.259,49 € zu bezahlen, und im Übrigen den Antrag der Antragstellerin abgewiesen.
8
Auf den Widerantrag des Antragsgegners hin hat das Amtsgericht die Antragstellerin unter Ziffer 2. des Schlussbeschlusses verpflichtet, an den Antragsgegner 6.095,94 € zu bezahlen, und im Übrigen den Widerantrag abgewiesen.
9
Hiergegen haben sowohl Antragstellerin als auch Antragsgegner Beschwerde erhoben.
10
Die Antragstellerin beantragt, Ziffer 1. des Schlussbeschlusses des Amtsgerichts dahingehend abzuändern, dass der Antragsgegner in Abänderung der notariellen Unterhaltsverpflichtung vom 08.11.2018 verpflichtet wird, an die Antragstellerin ab dem 01.07.2019 bis einschließlich 30.08.2021 einen monatlich im Voraus fälligen Kindesunterhalt in Höhe von monatlich 2.900,27 € zu zahlen sowie ab dem 01.09.2021 einen monatlichen Kindesunterhalt in Höhe von 3.134,42 €, abzüglich Zahlungen des Antragsgegners in Höhe von jeweils 2.741,20 € für Juli 2019 bis einschließlich April 2021, von jeweils 2.151,49 € für Mai 2021 bis einschließlich Oktober 2021 und von jeweils 2.259,49 € für November 2021 und Dezember 2021.
11
Ferner beantragt die Antragstellerin, Ziffer 4. des Schlussbeschlusses des Amtsgerichts dahingehend abzuändern, dass der Widerantrag abgewiesen wird.
12
Der Antragsgegner beantragt, den Schlussbeschluss des Amtsgerichts abzuändern, soweit der Antragsgegner in Abänderung der notariellen Urkunde vom 08.11.2018 verpflichtet wurde, an die Antragstellerin einen monatlichen Betrag zu bezahlen, der über 200% der Düsseldorfer Tabelle hinausgeht.
13
Darüber hinaus beantragt der Antragsgegner im Wege eines Widerantrags, die Antragstellerin in Abänderung von Ziffer 4. des Schlussbeschlusses des Amtsgerichts zu verpflichten, den seit dem 01.07.2019 vom Antragsgegner gezahlten Kindesunterhalt zurückzuzahlen, soweit er über 200% der Düsseldorfer Tabelle hinausgeht, hilfsweise, soweit er den in diesem Verfahren rechtskräftig festgestellten Betrag übersteigt.
14
Die Antragstellerin rügt, das Amtsgericht habe den Wohnbedarf des Kindes zu niedrig angesetzt, ebenso den Bedarf des Kindes für Bekleidung und für Reitkosten. Die Reitkosten hätten sich seit September 2021 erhöht, da das Kind vermehrt Reitunterricht in Anspruch nehme.
15
Der Antragsgegner ist der Auffassung, der Bedarf des Kindes sei mit einem Betrag von 200% des Mindestunterhalts gemäß Düsseldorfer Tabelle vollständig abgedeckt. Im Übrigen habe der Antragsgegner der Aufnahme des Reitsports durch die Antragstellerin nie zugestimmt.
16
Hortkosten stellten keinen Mehrbedarf des Kindes dar. Im Übrigen sei Mehrbedarf von beiden Elternteilen anteilig nach ihrem Einkommen zu tragen. Auch ein höherer Bedarf für Urlaubsreisen sei nicht anzusetzen, da die Antragstellerin in der Lage gewesen wäre, zusammen mit ihrer Mutter in Urlaubsunterkünften kostenfrei unterzukommen.
17
Der Senat hat die Beteiligten mit Hinweisbeschluss vom 03.03.2022 auf die Sach- und Rechtslage hingewiesen sowie einen Vergleichsvorschlag unterbreitet.
18
Ein Vergleich ist nicht zustande gekommen.
II.
19
Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist teilweise begründet, die der Antragstellerin hat keinen Erfolg.
20
1. Der Anspruch der Antragstellerin auf Zahlung von Kindesunterhalt ergibt sich aus §§ 1601, 1602, 1603, 1610 BGB.
21
Nach § 1610 BGB bestimmt sich das Maß des zu gewährenden Unterhalts nach der Lebensstellung des Bedürftigen. Die Lebensstellung minderjähriger Kinder richtet sich angesichts ihrer wirtschaftlichen Unselbstständigkeit nach der Lebensstellung beider Eltern (BGH FamRZ 2021, 28). Dabei ist die Unterhaltspflicht aber auf den Betrag begrenzt, den der barunterhaltspflichtige Elternteil aufgrund des von ihm erzielten Einkommens zahlen muss (BGH a. a. O.). In der Fallgestaltung eines Residenzmodells kann der geschuldete Kindesunterhalt in der Regel aufgrund des vom Barunterhaltspflichtigen erzielten Einkommens ermittelt werden (BGH FamRZ 2021, 28). In den Fällen, in denen das maßgebende Elterneinkommen den Höchstsatz der Düsseldorfer Tabelle übersteigt, muss sichergestellt bleiben, dass Kinder in einer ihrem Alter entsprechenden Weise an einer Lebensführung teilhaben können, die der besonders günstigen wirtschaftlichen Situation ihrer Eltern entspricht. Daher bestehen gegen eine begrenzte Fortschreibung der in der Düsseldorfer Tabelle enthaltenen Bedarfssätze bis zur Höhe des doppelten des höchsten darin ausgewiesenen Einkommensbetrages keine Bedenken (BGH a. a. O.). Demgemäß wurde die Düsseldorfer Tabelle für das Jahr 2022 bis zu einem Bedarf von 200% des Mindestunterhalts fortgeschrieben. Dem Kind bleibt es aber unbenommen, einen höheren Bedarf konkret darzulegen (BGH a. a. O).
22
Zu beachten ist, dass das Kind am durch das Einkommen des barunterhaltspflichtigen Elternteils geprägten Lebensstandard nicht tatsächlich teilgenommen haben muss. Allerdings ist insbesondere beim Unterhalt minderjähriger Kinder zu berücksichtigen, dass dieser keine bloße Teilhabe am Luxus der Eltern beinhaltet und nicht der Vermögensbildung des unterhaltsberechtigten Kindes dient. Das Maß des den Kindern zu gewährenden Unterhalts ist nämlich maßgeblich durch ihr „Kindsein“ geprägt und berechtigt nicht zu einer gleichen Teilhabe am Elterneinkommen (BGH a. a. O.). Welche Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten auf dieser Grundlage zu befriedigen sind und welche Wünsche als bloße Teilhabe am Luxus nicht erfüllt werden müssen, muss unter Würdigung der besonderen Umstände der Betroffenen festgestellt werden (BGH FamRZ 2001, 1603). Die Bemessung des Unterhaltsbedarfs eines minderjährigen Kindes darf gegenüber dem in gehobenen Vermögensverhältnissen lebenden Elternteil nicht dazu führen, die Lebensstellung des Elternteils anzuheben, bei dem das Kind lebt (OLG Schleswig FamRZ 2012, 990; OLG Düsseldorf MDR 2016, 1270).
23
Der Unterhaltsberechtigte muss grundsätzlich seinen Bedarf substantiiert darlegen und beweisen. An die Darlegungslast dürfen keine übertrieben hohen Anforderungen gestellt werden. Das Gericht ist aber nicht gehindert, den zur Deckung erforderlichen Betrag unter Heranziehung des Mehrbetrags zu berechnen, der sich aus der Gegenüberstellung der geltend gemachten besonderen Bedürfnisse mit bereits von den Richtwerten der Düsseldorfer Tabelle erfassten Grundbedürfnissen ergibt, und unter Zuhilfenahme allgemeinen Erfahrungswissens nach Maßgabe des § 287 ZPO zu bestimmen (OLG Schleswig, a.a.O.; OLG Düsseldorf a.a.O.; OLG München, Endbeschluss vom 20.01.2016, 12 UF 948/15). Einen erhöhten Bedarf für solche Positionen, die ihrer Art nach bereits in der Struktur der Düsseldorfer Tabelle enthalten sind, hat der barunterhaltspflichtige Elternteil alleine zu tragen. Hiervon abzugrenzen ist ein Mehrbedarf, der seiner Art nach nicht in den Tabellenbedarf einkalkuliert ist. An diesem hat sich der betreuende Elternteil grundsätzlich zu beteiligen, weil insoweit eine Befreiung vom Barunterhalt nach § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB nicht eingreift (BGH FamRZ 2021, 28).
24
Darauf hinzuweisen ist, dass es für die konkrete Bedarfsbemessung nicht allein darauf ankommt, welche Positionen die Antragstellerin anhand von Belegen konkret darlegt. Auch wenn die vorgelegten Belege die tatsächlichen Ausgaben für ein Kind zutreffend wiedergeben, kann dies allein für die Bedarfsberechnung nicht maßgeblich sein. Vielmehr hat das Gericht zu überprüfen, inwieweit der geltend gemachte Bedarf für ein Kind dieses Alters auch unter Berücksichtigung der Einkommensverhältnisse des barunterhaltspflichtigen Elternteils angemessen ist, denn geschuldet wird nach § 1610 Abs. 1 BGB nur der angemessene Unterhalt, der nach den Umständen des Einzelfalles – ggfs. nach § 287 ZPO – zu ermitteln ist (BGH FamRZ 2001, 1603).
25
2. Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 19.04.2021 eine Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Antragstellerin in Höhe von 272% des Mindestunterhalts der jeweiligen Altersstufe der jeweils gültigen Düsseldorfer Tabelle anerkannt. Er hat in diesem Schriftsatz eine Abweisung des Unterhaltsantrags der Antragstellerin lediglich insoweit beantragt, als ein über den Betrag von 272% der Düsseldorfer Tabelle hinausgehender Kindesunterhalt gefordert wird. Der Antragsgegner hat damit zum Ausdruck gebracht, dass er einen von der Antragstellerin begehrten Unterhalt in Höhe von 272% der Düsseldorfer Tabelle für berechtigt hält, sich diesem Anspruch unterwerfen und den Rechtsstreit wegen eines Unterhaltsbetrages in dieser Höhe nicht fortsetzen will (Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl., Rn. 3 zu § 307 ZPO). Damit hat er ein (Teil-)Anerkenntnis abgegeben. Unerheblich ist dabei, dass der Antragsgegner nach seiner Auffassung der Meinung war, mit diesem Anerkenntnis sei der Gesamtbedarf der Antragstellerin gedeckt. Denn es ist gerade das Wesen des Anerkenntnisses, dass es regelmäßig nur in der Höhe abgegeben wird, in der der Anerkennende den Anspruch für begründet hält.
26
Das Anerkenntnis wurde wirksam erklärt. Für die Wirksamkeit eines Anerkenntnisses gemäß § 307 ZPO bedarf es keiner mündlichen Verhandlung. Es kann somit auch schriftlich abgegeben werden. In zeitlicher Hinsicht kann das Anerkenntnis ab Rechtshängigkeit bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens erklärt werden (Feskorn in: Zöller, ZPO, 34. Aufl, Rn. 3 zu § 307 ZPO; Rensen in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl, Rn. 14, 15 zu § 307 ZPO).
27
Die Abgabe des Anerkenntnisses ist jedenfalls im schriftlichen Vorverfahren möglich (Musielak in: Münchner Kommentar zur ZPO, 6. Aufl., Rn. 14 zu § 307 ZPO; Greger in: Zöller, ZPO, 34. Aufl., Rn. 16 zu § 276 ZPO), das das Amtsgericht vorliegend mit Verfügung vom 01.04.2021 angeordnet hatte und das Grundlage für den Schriftsatz des Antragsgegners vom 19.04.2021 gewesen ist.
28
Die Wirksamkeit des Anerkenntnisses ist auch unabhängig davon, ob ein (Teil-) Anerkenntnisbeschluss ergangen ist (BGH FamRZ 2002, 88).
29
Der Antragsgegner ist an dieses Anerkenntnis gebunden. Ein prozessuales Anerkenntnis kann grundsätzlich weder angefochten noch widerrufen werden. Eine Ausnahme besteht dann, wenn ein Restitutionsgrund im Sinne des § 580 ZPO vorliegt, für den vorliegend aber nichts ersichtlich ist (BGH a. a. O.).
30
Eine weitere Ausnahme ist bei Dauerschuldverhältnissen dann zuzulassen, wenn ein nachträglich entstandener Abänderungsgrund im Sinne des § 323 ZPO bzw. § 238 FamFG eingetreten ist (BGH a. a. O.).
31
Aber auch diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Ein Abänderungsgrund liegt lediglich dann vor, wenn eine tatsächliche oder rechtliche wesentliche Veränderung der für Grund, Betrag oder Dauer der Leistung des abzuändernden Titels maßgebend gewesenen Verhältnisse eintritt (Vollkommer in: Zöller, ZPO, 34. Aufl., Rn. 36 zu § 323 ZPO). Hierzu zählt auch eine Änderung der Rechtslage oder der höchstrichterlichen Rechtsprechung (Vollkommer a. a. O., Rn. 37 zu § 323 ZPO).
32
Vorliegend liegt eine derartige Änderung der Verhältnisse der notariellen Unterhaltsverpflichtung vom 08.11.2018 nicht vor. Zwar hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung FamRZ 2021, 28, ausgeführt, dass keine Bedenken dagegen bestehen, die Düsseldorfer Tabelle bis zum doppelten des in der bis dahin geltenden Düsseldorfer Tabelle ausgewiesenen Höchstbetrages fortzuschreiben. Der Bundesgerichtshof hat aber keine Ausführungen dazu gemacht, bis zu welchem Prozentsatz der Düsseldorfer Tabelle die Fortschreibung vorgenommen werden soll. Infolge der Entscheidung des Bundesgerichtshofs wurde in der Literatur diskutiert, dass eine Fortschreibung bis zur Höhe von 272% des Mindestunterhalts erfolgen soll. Eine tatsächliche Fortschreibung in dieser Höhe ist allerdings nicht eingetreten. Vielmehr wurde die Düsseldorfer Tabelle letztlich bis zu einem Betrag von 200% des Mindestunterhalts fortgeführt. Das Anerkenntnis des Antragsgegners beruhte allein auf der Erwartung, dass die Fortschreibung bis zur Höhe von 272% des Mindestunterhalts erfolgen wird. Die Änderung einer Tatsache liegt nicht darin, dass sich die Erwartung des Antragsgegners nicht erfüllt hat. Fehlgeschlagene einseitige Erwartungen genügen als Abänderungsgrund nicht (OLG Bamberg, Beschluss vom 8. Dezember 1983, 7 WF 74/83; Vollkommer a. a. O., Rn. 12 zu § 323 a ZPO). Eine gefestigte Rechtsauffassung bzw. Rechtsprechung, dass die Düsseldorfer Tabelle bis zu einem Betrag von 272% des Mindestbedarfs fortgeschrieben werden wird, gab es nicht. Daher ist auch keine Rechtsänderung dahingehend eingetreten, dass in der Düsseldorfer Tabelle eine Fortschreibung nur bis zur Höhe von 200% des Mindestbedarfs erfolgt ist.
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Der Widerruf des Anerkenntnisses durch den Antragsgegner im Schriftsatz vom 23.06.2021 ist daher ohne Wirkung. Der Antragsgegner ist an sein Anerkenntnis in Höhe von 272% des Mindestunterhalts gebunden.
34
Der Antragsgegner schuldet der Antragstellerin daher bereits aus seinem Anerkenntnis folgende Unterhaltsbeträge: 2019: monatlich 1.105 € (406 € = 100% x 2,72) 2020: monatlich 1.154 € (424 € = 100% x 2,72) 2021: monatlich 1.227 € (451 € = 100% x 2,72) 2022: monatlich 1.238 € (455 € = 100% x 2,72).
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3. Ausgangspunkt für die Bemessung des Wohnbedarfs der Antragstellerin ist der Umstand, dass die Mutter der Antragstellerin unterhaltsrechtlich nicht daran gehindert war, ihre jetzige Wohnung zu beziehen. Sie musste sich nicht auf einen Umzug in eine billigere Wohnung verweisen lassen. Ihr Wohnbedarf entsprach nämlich dem, was sie als Mieterin für eine dem Standard der Ehewohnung entsprechende und angemessen große Wohnung aufzubringen hatte. Sie durfte sich eine Wohnung nehmen, die ihrem bisherigen ehelichen Lebensstandard entsprach (BGH FamRZ 2021, 1965). Da sich die frühere Ehewohnung in Sch. befunden hat, ist es nicht zu beanstanden, dass sich die Mutter der Antragstellerin wiederum in Sch. eine Wohnung gesucht hat. Daher ist auch der Wohnbedarf der Antragstellerin nach der derzeit bewohnten Wohnung zu bemessen.
36
Der Wohnbedarf der Antragstellerin kann allerdings nicht mit einem Drittel der Wohnkosten angesetzt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Wohnbedarf eines Kindes mit 20% des aus dem zusammengerechneten Einkommen beider Elternteile ermittelten Unterhaltsbedarfs anzusetzen (BGH a. a. O.). Allerdings geht das zusammengerechnete Einkommen beider Eltern hier deutlich über den nunmehr fortgeschriebenen Höchstsatz der Düsseldorfer Tabelle hinaus, sodass der vorgenannte Ansatz kein taugliches Kriterium für die Bemessung des Wohnbedarfs der Antragstellerin ist.
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Die Berechnung des Wohnbedarfs kann vielmehr wie folgt erfolgen (vgl. Knatz FF 2020, 396):
38
Nach dem 12. und 13. Existenzminimumbericht der Bundesregierung für die Jahre 2019-2022, dort jeweils unter 5.1.3, wird der Wohnflächenbedarf eines Kindes auf 12 m² festgesetzt. Dieser Bedarf gilt als Mindestbedarf, bezieht sich daher auf den Mindestunterhalt von 100%. Da der Antragsgegner hier 272% des Mindestunterhalts anerkannt hat, erhöht sich der Wohnflächenbedarf der Antragstellerin auf (12 m² x 2,72 =) 32,64 m². Bei einem Quadratmeterpreis von (2.070,66 €/90 m², nachgewiesen durch Mietvertrag =) 23 € errechnet sich somit ein konkreter Wohnbedarf der Antragstellerin von (32,64 m² x 23 € =) 750,72 €.
39
In dem anerkannten Tabellenbetrag von 272% des Mindestunterhalts ist bereits ein Wohnkostenanteil von 20% enthalten (BGH, Beschluss vom 11.01.2017, XII ZB 565/15), wobei allerdings darauf hinzuweisen ist, dass unter Zugrundelegung des jeweiligen Existenzminimumberichts der Bundesregierung der dort ausgewiesene Wohnbedarf des Kindes sowie der Bedarf für Heizkosten zusammen einen Wohnkostenanteil von mehr als 24% des Tabellenbetrags der Düsseldorfer Tabelle ausmachen. Da der Wohnkostenanteil nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs insoweit allerdings mit 20% zu veranschlagen ist, geht der Senat von diesem Betrag aus.
40
Dies ergibt für die Jahre 2019-2022 folgende Beträge: 2019: 272% des Mindestunterhalts der 2. Altersstufe (100% = 406 €) entsprechen einem Betrag von 1.104,32 €, aufgerundet 1.105 €, hiervon 20% = 221 €
2020: 272% des Mindestunterhalts der 2. Altersstufe (100% = 424 €) entsprechen einem Betrag von 1.153,28 €, aufgerundet 1.154 €, hiervon 20% = 230,80 €
2021: 272% des Mindestunterhalts der 2. Altersstufe (100% = 451 €) entsprechen einem Betrag von 1.226,72 €, aufgerundet 1.227 €, hiervon 20% = 245,40 €
2022: 272% des Mindestunterhalts der 2. Altersstufe (100% = 455 €) entsprechen einem Betrag von 1.237,60 €, aufgerundet 1.238 €, hiervon 20% = 247,60 € Es bleiben daher folgende noch ungedeckte Beträge, die vom Antragsgegner zu leisten sind: 2019: 750,72 € – 221 € = 529,72 €
2020: 750,72 € – 230,80 € = 519,92 €
2021: 750,72 € – 245,40 € = 505,32 €
2022: 750,72 € – 247,60 € = 503,12 €.
41
4. Bezüglich des geltend gemachten erhöhten Bedarfs für Urlaubsreisen sind folgende Anmerkungen veranlasst:
42
Der Senat folgt hinsichtlich der zu berücksichtigenden Urlaubskosten den Überlegungen des Amtsgerichts.
43
Grundsätzlich ist es Sache der Antragstellerin, wo sie Urlaub macht. Angesichts der sehr guten wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragsgegners ist sie nicht gehalten, Urlaub in einer Unterkunft zu wählen, in der Kinder kostenfrei mitwohnen dürfen. Lediglich wenn dadurch unangemessen hohe Kosten verursacht würden, könnte dies der Antragstellerin entgegengehalten werden. Hiervon kann vorliegend aber keine Rede sein. Die Erwägungen des Amtsgerichts sind insoweit zutreffend. Der Senat nimmt auf diese Bezug.
44
Allerdings sind Kosten für Urlaube teilweise bereits von Positionen abgedeckt, die in die Düsseldorfer Tabelle eingeflossen sind, nämlich von den Positionen Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen (Abteilung 11 RBEG) sowie Verkehr (Abteilung 7 RBEG), Freizeit, Unterhaltung und Kultur (Abteilung 9 RBEG, vgl. OLG Schleswig NJOZ 2012, 1345).
45
Diese Positionen sind jedoch nicht ausschließlich für Urlaube gedacht, sodass nur ein Teil der auf diese Abteilungen fallenden Beträge für die Bildung von Urlaubsrücklagen angesetzt werden kann.
46
Der Senat geht davon aus, dass bei 272% des Mindestunterhalts aus den vorgenannten Positionen jährlich etwa 550 € für Urlaub angespart werden können.
47
Das Amtsgericht hat den jährlichen Urlaubsbedarf der Antragstellerin zurecht auf insgesamt 1.153,56 € angesetzt. Bringt man hiervon einen Betrag von 550 € in Abzug, der bereits in 272% des Mindestunterhalts enthalten ist, verbleibt ein Betrag von rund 600 € oder monatsdurchschnittlich 50 €, der insoweit zusätzlich als konkreter Bedarf geschuldet ist.
48
5. Hinsichtlich der geltend gemachten Kosten für Bekleidung, Brille und Medikamente sowie Versicherung folgt der Senat den Ausführungen des Amtsgerichts und schließt sich ihnen an.
49
6. Hortkosten sind regelmäßig Mehrbedarf des Kindes, da der Hortbesuch in der Regel pädagogisch veranlasst ist (BGH NZFam 2017, 171; BGH NZFam 2017, 1101). Für die Annahme eines Ausnahmefalles bestehen hier keine Anhaltspunkte.
50
Die Hortkosten in Höhe von monatlich 98 € sind vollständig vom Antragsgegner zu leisten. Zwar tragen grundsätzlich sowohl barunterhaltspflichtiger Elternteil als auch betreuender Elternteil die Kosten für Mehrbedarf des Kindes anteilig nach ihren Einkommensverhältnissen. Allerdings sind die Einkommensverhältnisse zwischen Antragsgegner und Mutter der Antragstellerin so unterschiedlich gelagert, dass es gerechtfertigt ist, dem Antragsgegner die Mehrbedarfskosten allein aufzuerlegen.
51
Die Verteilung der Kosten des Mehrbedarfs zwischen den Elternteilen erfolgt dergestalt, dass vor der Gegenüberstellung der jeweiligen Einkommen bei jedem Elternteil grundsätzlich ein Sockelbetrag in Höhe des angemessenen Selbstbehalts abzuziehen ist. Erst danach sind die verbleibenden Einkommensbeträge ins Verhältnis zu setzen (BGH, Beschluss vom 11.01.2017, XII ZB 565/15; BGH FamRZ 2009, 962). Der angemessene Selbstbehalt belief sich für das Jahr 2019 auf 1.300 € und ab dem Jahr 2020 auf 1.400 € je Elternteil (vgl. jeweils Ziffer 13.3 SüdL 2019-2022).
52
Da die Mutter der Antragstellerin in den Jahren 2019-2022 höchstens rund 2.000 € netto im Monat verdient hat, verbleibt allenfalls ein bei ihr zu berücksichtigendes Einkommen zwischen 600 und 700 €. Legt man für den vorgenannten Zeitraum zugunsten des Antragsgegners ein Einkommen von rund 18.300 € netto monatlich zugrunde – obwohl sein Einkommen jedenfalls im Jahr 2019 deutlich höher war – verbleibt ein einzusetzendes Einkommen von rund 16.900 bis 17.000 EUR. Der Anteil des Einkommens der Mutter der Antragstellerin am Gesamteinkommen der Eltern beläuft sich auf gerade einmal ca. 4% (Haftungsanteil bei Hortkosten von 98 € monatlich damit weniger als 4 EUR) und spielt daher eine völlig untergeordnete Rolle. Selbst wenn man der Mutter der Antragstellerin ein fiktives Einkommen von monatlich netto 2.500 € zurechnen würde, würde sich der Anteil auf gerade einmal rund 6% erhöhen und wäre immer noch nicht nennenswert. Dies rechtfertigt es, den Antragsgegner die Kosten des Mehrbedarfs im Ganzen tragen zu lassen.
53
7. Mehrbedarf für Reitkosten ist nicht anzuerkennen.
54
Beide Elternteile haben das gemeinsame Sorgerecht. Der Antragsgegner hat sich mit der Ausübung des Reitsports durch die Antragstellerin nicht einverstanden erklärt. Die Mutter der Antragstellerin hat im Termin am 09.08.2021 angegeben, mit dem Antragsgegner habe es zum Reiten keine Absprachen gegeben. Dies wird vom Antragsgegner bestätigt, der vorträgt, er habe der Aufnahme des Reitsports nicht zugestimmt und sei darüber auch nicht informiert worden. Daher sind auch die von der Antragstellerin zitierten Entscheidungen des OLG Frankfurt und des OLG Naumburg nicht einschlägig, da sich in beiden Fällen der unterhaltspflichtige Elternteil mit der Aufnahme des Reitsports einverstanden erklärt hatte.
55
Eine Vereinbarung der Kindeseltern darüber, dass der Antragsgegner über zustimmungspflichtige Angelegenheiten des Kindes nicht informiert werden wolle und die Kindesmutter insoweit freie Hand habe, vermag der Senat in der notariellen Trennungs- und Scheidungsvereinbarung vom 24.06.2013 nicht zu erkennen. Darüber hinausgehende anderweitige Vereinbarungen sind nicht substantiiert vorgetragen und belegt. Insbesondere ergibt sich eine solche Vereinbarung nicht aus dem von der Antragstellerin vorgelegten Schreiben der früheren Bevollmächtigten des Antragsgegners vom 16.09.2014. Zum einen handelt es sich dabei nur um einen Vorschlag für den Abschluss einer Vereinbarung. Zum anderen ist in diesem Schreiben unter Ziffer 2. ausdrücklich ausgeführt, dass der Antragsgegner über wesentliche Entscheidungen des Kindes unterrichtet werden wollte und solche Entscheidungen mit ihm abzustimmen waren. Dies bedeutet, dass der Antragsgegner für alle Angelegenheiten, für die bei gemeinsamem Sorgerecht ein Einvernehmen der Eltern erforderlich ist, eine gemeinsame Entscheidung der Eltern gewünscht hat. Die in dem Schreiben ausdrücklich angeführten Angelegenheiten sind lediglich Beispiele, die dort nicht abschließend aufgezählt sind. Das ergibt sich bereits aus der gewählten Formulierung „…wie ärztliche Eingriffe…“. Vorliegend geht es bei dem Reitsport aber gerade um eine Angelegenheit, die einer gemeinsamen Entscheidung durch die Eltern bedurft hätte, wie nachfolgend aufgezeigt wird.
56
Werden bei gemeinsamer elterlicher Sorge Mehrkosten dadurch verursacht, dass der betreuende Elternteil in Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung für das Kind ohne Absprache mit dem anderen Elternteil handelt, kann dem barunterhaltspflichtigen Elternteil die Kostenlast auch nicht teilweise auferlegt werden (OLG Koblenz, Beschluss vom 1. September 2020, 13 WF 540/20; Staudinger/Klinkhammer, BGB (2018), Rn. 283 zu § 1610 BGB), es sei denn, die Zustimmungsverweigerung des mitsorgeberechtigten Elternteils erweist sich als rechtsmissbräuchlich (Staudinger/Klinkhammer a. a. O.).
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Die Ausübung des Reitsports durch die Antragstellerin ist vorliegend eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind und unterliegt nach § 1687 Abs. 1 Satz 1 BGB der gemeinsamen elterlichen Sorge und nicht der Alltagssorge nach § 1687 Abs. 1 Satz 3 BGB. Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung für das Kind liegen vor, wenn Elternentscheidungen entweder rechtlich gefordert sind oder wenn zu erwarten ist, dass sie die kindliche Entwicklung maßgebend und dauerhaft beeinflussen (Staudinger/Lettmaier, BGB (2020), Rn. 42 zu § 1628 BGB).
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Zum einen ist zu beachten, dass es sich bei Reiten um eine vergleichsweise gefährliche Sportart handelt (vgl. Informationsschreiben der Stiftung Kindergesundheit vom 14.09.2016 unter Bezugnahme auf Statistiken der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin:
Jedes Jahr ereignen sich zwischen 30.000 und 93.000 Unfälle mit Pferden;
Reiten gehört zu den drei unfallträchtigsten Sportarten bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland;
Pressemitteilung der Deutschen Wirbelsäulengesellschaft vom 04.08.2016: Wirbelsäulenverletzungen stellen bei einem Sturz vom Pferd ein hohes Risiko dar;
trotz aller Präventionskampagnen ist das Reiten ein gefährlicher Sport geblieben;
MDR.de Wissen, Stand 17.10.2021:
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Gemessen an der Dauer der Ausübung verursacht Reiten viel mehr Krankenhauseinweisungen als andere risikoreiche Sportarten).
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Bereits dieser Umstand rechtfertigt es, die Aufnahme des Reitsports als Entscheidung von erheblicher Bedeutung für das Kind anzusehen.
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Zudem spricht auch der Umfang des von der Antragstellerin ausgeübten Reitsports dafür, eine gemeinsame Entscheidung der Eltern für erforderlich zu halten. Die Antragstellerin trägt selbst vor, dass sie dreimal wöchentlich Reitunterricht erhält und zusätzlich einmal im Monat weiteren Unterricht. Zusätzlich nimmt sie an Reitturnieren teil. Bei diesem Umfang der Reittätigkeit wird die Entwicklung des Kindes erheblich beeinflusst, insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt, dass ausreichend Zeit für schulische Belange des Kindes verbleiben muss. Bei dem Reiten handelt es sich nicht nur um eine Freizeitbeschäftigung, die von der Antragstellerin im Rahmen des Üblichen ausgeübt wird. Vielmehr wird es entgegen der Auffassung der Antragstellerin in einem Ausmaß betrieben, das den Rahmen einer normalen Freizeitgestaltung übersteigt.
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Die Verweigerung der Zustimmung des Antragsgegners zum Betreiben des Reitsports ist nicht rechtsmissbräuchlich. Der Antragsgegner begründet seine Verweigerung ausdrücklich auch mit den Gefahren des Reitens und dem Umfang des ausgeübten Reitsports. Insoweit ist der Umstand, dass der Antragsgegner nach dem Vortrag der Antragstellerin bei einer anderen Tochter den Reitsport gestattet und selbst den Reitsport ausgeübt hat, ohne Belang. Denn zum einen wird bereits nicht dargelegt, in welchem Alter der anderen Tochter die Aufnahme des Reitsports gestattet wurde. Zum anderen ist es durchaus plausibel, wenn der Antragsgegner das Reitsportrisiko für sich in Kauf nehmen will, für seine noch relativ junge Tochter aber nicht. Zudem äußert der Antragsgegner insoweit auch die Befürchtung, dass angesichts der Lernschwäche der Antragstellerin nicht genügend Zeit für eine schulische Förderung bleibt. Diese Bedenken sind nachvollziehbar und gerade der Grund dafür, dass eine gemeinsame Entscheidung der Eltern zu fordern ist.
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8. Der Antragsgegner hat daher an die Antragstellerin folgende monatliche Kindesunterhaltsbeträge zu leisten:
2019: 1.105 € (272% Mindestunterhalt) + 529,72 € (erhöhter Wohnbedarf) + 50 € (Urlaub) + 18,75 € (Brille, Medikamente) + 10 € (Versicherung) + 98 € (Mehrbedarf Hortkosten) – 102 € (hälftiges Kindergeld) = 1.709,47 €
2020: 1.154 € (272% Mindestunterhalt) + 519,92 € (erhöhter Wohnbedarf) + 50 € (Urlaub) + 18,75 € (Brille, Medikamente) + 10 € (Versicherung) + 98 € (Mehrbedarf Hortkosten) – 102 € (hälftiges Kindergeld) = 1.748,67 €
2021: 1.227 € (272% Mindestunterhalt) + 505,32 € (erhöhter Wohnbedarf) + 50 € (Urlaub) + 18,75 € (Brille, Medikamente) + 10 € (Versicherung) + 98 € (Mehrbedarf Hortkosten) – 109,50 € (hälftiges Kindergeld) = 1.799,57 €
2022: 1.238 € (272% Mindestunterhalt) + 503,12 € (erhöhter Wohnbedarf) + 50 € (Urlaub) + 18,75 € (Brille, Medikamente) + 10 € (Versicherung) + 98 € (Mehrbedarf Hortkosten) – 109,50 € (hälftiges Kindergeld) = 1.808,37 €.
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9. Der Antragsgegner schuldet der Antragstellerin somit von Juli 2019 bis einschließlich März 2022 folgenden Unterhaltsbetrag:
2019: 1.709,47 € x 6 Monate = 10.256,82 €
2020: 1.748,67 € x 12 Monate = 20.984,04 €
2021: 1.799,57 € x 12 Monate = 21.594,84 €
2022: Januar-März 1.808,37 € x 3 Monate = 5.425,11 €
Juli 2019-März 2022 insgesamt: 58.260,81 €
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Hierauf hat der Antragsgegner folgende Zahlungen geleistet:
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Nach den Feststellungen des Amtsgerichts von Juli 2019 bis einschließlich Februar 2020 jeweils 2.741,20 €, also insgesamt 24.670,80 € sowie von März 2020 bis einschließlich Oktober 2021 einen Betrag von 51.285,74 €.
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Ferner hat der Antragsgegner im Zeitraum von November 2021 bis einschließlich März 2022 unstreitig monatlich 2.259,49 €, also insgesamt 11.297,45 €, geleistet.
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Dies ergibt einen Gesamtbetrag von 87.253,99 €.
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Hieraus ergibt sich, dass keine zu Lasten des Antragsgegners anzusetzenden Unterhaltsrückstände bestehen, vielmehr eine Überzahlung vorliegt.
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10. Nach den zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts hat die Antragstellerin aufgrund des Widerantrags des Antragsgegners ab März 2020 zu viel bezahlten Unterhalt zurückzuzahlen.
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Der überzahlte Unterhalt errechnet sich wie folgt:
„März 2020 bis einschließlich Dezember 2020: (gezahlter Unterhalt 2.741,20 € x 10 Monate =) 27.412 € – (geschuldeter Unterhalt 1.748,67 € x 10 Monate =) 17.486,70 € = 9.925,30 €
Januar 2021 bis einschließlich April 2021: (gezahlter Unterhalt 2.741,20 € x 4 Monate =) 10.964,80 € – (geschuldeter Unterhalt 1.799,57 € x 4 Monate =) 7.198,28 € = 3.766,52 €
Mai 2021 bis einschließlich Dezember 2021: (gezahlter Unterhalt 2.151,49 € x 6 Monate =) 12.908,94 € + (gezahlter Unterhalt 2.259,49 € x 2 Monate =) 4.518,98 € -
(geschuldeter Unterhalt 1.799,57 € x 8 Monate =) 14.396,56 € = 3.031,36 €
Januar bis März 2022: (gezahlter Unterhalt 2.259,49 € x 3 Monate =) 6.778,47 € – (geschuldeter Unterhalt 1.808,37 € x 3 Monate =) 5.425,11 € = 1.353,36 €
Insgesamt beträgt der überzahlte Unterhalt 18.076,54 €. Diesen hat die Antragstellerin nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB dem Antragsgegner zu erstatten.“
III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 243 FamFG.
IV.
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Die Festsetzung des Verfahrenswertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 51 FamGKG.
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Auszugehen ist hierbei zum einen von den Anträgen in erster Instanz und zum anderen von den Unterhaltsbeträgen, die das Amtsgericht ausgesprochen hat.
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Im Beschwerdeverfahren hat die Antragstellerin einen Unterhaltsbetrag von zunächst 2.900,27 € monatlich weiterverfolgt. Tituliert wurde durch das Amtsgericht ein Betrag von 2.259,49 €. Die Differenz beläuft sich auf monatlich 640,78 €. Ausgehend von den Anträgen erster Instanz ist somit der Differenzbetrag für 12 Monate maßgeblich, also ein Betrag von 7.689,36 €.
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Der Antragsgegner erkennt lediglich einen Unterhaltsbetrag von 710 € monatlich (Zahlbetrag Düsseldorfer Tabelle ab Juli 2019) an. Die Differenz zur Entscheidung des Amtsgerichts beläuft sich daher auf monatlich 1.549,49 € und in 12 Monaten auf 18.593,88 €.
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Begehren von Antragstellerin und Antragsgegner summieren sich daher auf einen Betrag von 26.283,24 €.
V.
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Die Rechtsbeschwerde war nach § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG zuzulassen, da sich im vorliegenden Fall insbesondere grundsätzliche Fragen zur Ermittlung des Wohnbedarfs des Kindes sowie der Zustimmungspflicht des Antragsgegners hinsichtlich des Reitsports ergeben.