Titel:
Geschäftswert für die Beurkundung eines Pflichtteilsverzichtsvertrags
Normenkette:
GNotKG § 86 Abs. 1, § 102 Abs. 1, Abs. 4, § 109 Abs. 1
Leitsatz:
Der Geschäftswert für die Beurkundung eines Pflichtteilsverzichtsvertrages gegenüber dem Erstversterbenden von zwei Erblassern bemisst sich nach dem Wert des höheren Vermögen eines der Erblasser. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Geschäftswert, Pflichtteilsverzichtsvertrag, Beurkundungsgegenstand
Vorinstanz:
LG München I, Beschluss vom 10.08.2022 – 13 OH 8799/21
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 11.10.2023 – IV ZB 26/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 52133
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts München I vom 10.08.2022, Az. 13 OH 8799/21, aufgehoben. Die Kostenrechnung des Antragstellers Nr. A …/x/x-2017 vom 10.05.2017 über 437,09 € bleibt unverändert bestehen.
II. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
III. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
1
Der Antragsteller veranlasst auf Weisung der Präsidentin des Landgerichts München I die Überprüfung einer Kostenrechnung vom 10.05.2017 über einen Betrag von 437,09 €, die dieser für die Beurkundung eines Pflichtteilsverzichts ausstellte.
2
1. Mit Urkunde Nr. ... vom 10.05.2017 beurkundete der Antragsteller einen Pflichteilsverzicht der Kinder des Ehepaars P. und S. …. Diese verzichteten gegenüber dem Erstversterbenden ihrer Eltern auf ihr gesetzliches Pflichtteilsrecht einschließlich Pflichtteilsergänzungsansprüchen.
3
Am 10.05.2017 stellte der Antragsteller für seine Tätigkeit eine Rechnung über 437,09 € aus, wobei er bei dem Gegenstandswert nur auf das Vermögen eines Elternteils abstellte.
4
Es bestehen unterschiedliche Auffassungen zwischen dem Antragsteller und der Notarkasse über die Behandlung der Kostenfrage. Die Notarkasse vertritt die Meinung, dass der Pflichtteilsverzicht gegenüber dem Erstversterbenden der Eltern mit dem Wert des Vermögens beider Elternteile zu bewerten ist. Mit Schreiben vom 14.06.2021 wies die Präsidentin des Landgerichts München I auf Anregung der Notarkasse den Antragsteller gemäß § 130 Abs. 2 GNotKG an, zur Klärung der unterschiedlichen Auffassungen zu den Bewertungsansätzen eine Entscheidung des Landgerichts München I herbeizuführen sowie die Beschwerde zu beantragen.
5
Den entsprechenden Antrag reichte der Antragsteller bei dem Landgericht München I mit den Schreiben vom 24.06.2021 ein. Er ist der Auffassung, dass es sich nicht um den Verzicht gegenüber beiden Eltern, sondern nur gegenüber dem Erstversterbenden handelt. Wenn die Erklärungen in einer Urkunde erklärt werden, könne nach der Natur der Sache auch nur einer der Verzichte wirksam werden. Daher sei eine Addition der Werte nicht angezeigt, da der Umfang des Pflichtteilsrechts nicht die Summe der Pflichtteilsansprüche sein könne. Es sei der aktuelle Wert des Pflichtteilsanspruchs maßgeblich, auf den verzichtet werde. Selbst wenn man zwei Verzichte annähme, greife der Grundsatz nicht, dass Bedingungen unberücksichtigt bleiben müssten. Denn die beiden Rechtsgeschäfte seien derart durch eine Bedingung verknüpft, dass entweder nur das eine oder das andere wirksam werden könne. Die Konstellation sei vergleichbar mit einer Wahlschuld oder einer Ersetzungsbefugnis.
6
Der Antragsteller beantragte, dass der Pflichtteilsverzicht gegenüber dem erstversterbenden Elternteil nur abgeleitet aus dem Vermögen eines Elternteils – ggf. desjenigen mit dem höheren Vermögen – zu bewerten ist.
7
2. Das Landgericht München I hat mit Beschluss vom 10.08.2022 die Kostenrechnung dahingehend abgeändert, dass sich der Rechnungsbetrag auf 657,24 € beläuft. Das Landgericht geht davon aus, dass als Bewertungsgrundlage auf die Reinvermögen beider Elternteile abzustellen ist.
8
Das Landgericht hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass nach dem Regelungsmodell zwei Verzichtserklärungen erforderlich seien. Damit lägen zwei Rechtsverhältnisse im Sinne des § 86 Abs. 1 GNotKG vor. Bei den beiden bedingten Pflichtteilsverzichten handele es sich nicht um denselben Beurkundungsgegenstand im Sinne von § 109 Abs. 1 GNotKG.
9
3. Gegen den am 18.08.2022 zugestellten Beschluss wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde vom 11.09.2022 (eingegangen am 13.09.2022), welcher das Landgericht München I nicht abgeholfen hat (Beschluss vom 20.09.2022).
10
Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, dass Beurkundungsgegenstand nach § 86 Abs. 1 GNotKG das Rechtsverhältnis sei, auf das sich die Erklärungen bezögen. Dabei sei die Gesamtheit der Erklärungen zu sehen, die der Gestaltung eines Gegenstands dienten, und nicht die einzelnen auf den rechtlichen Erfolg gerichteten Willenserklärungen. Der Annahme eines einheitlichen Rechtsgeschäfts im Sinne eines einzelnen Rechtsgeschäfts stehe nicht entgegen, dass das Rechtsverhältnis mehrere Gläubiger oder Schuldner habe oder eine Mehrheit potentieller Leistungsgegenstände vorliege. Es müsse gefragt werden, wie hoch der Wert des Pflichtteils sei, auf den verzichtet werde. Der Verzichtende verlöre beim Verzicht gegenüber dem Erstversterbenden nicht beide Pflichtteilsrechte, sondern nur eines davon.
11
Es werde daher beantragt, den Beschluss aufzuheben und im Sinne des Antragstellers (und letztlich der Rechtssuchenden) zu entscheiden.
12
Die zulässige Beschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
13
1. Die Beschwerde ist zulässig.
14
Die Statthaftigkeit der Beschwerde ergibt sich aus § 129 Abs. 1 GNotKG. Die Beschwerde findet ohne Rücksicht auf den Wert des Beschwerdegegenstands statt. Die Beschwerdefrist von einem Monat (§ 130 Abs. 3 GNotKG i.V.m. § 63 Abs. 1 FamFG) wurde gewahrt.
15
2. Die Beschwerde ist begründet. Der Senat geht davon aus, dass sich der Geschäftswert bei einem Pflichtteilverzicht gegenüber dem erstversterbenden Elternteil nach dem Reinvermögen eines Elternteils bestimmt. Bei unterschiedlichen Vermögen ist der höhere Vermögenswert maßgeblich.
16
a) In der Literatur und Rechtsprechung ist umstritten, wie der Geschäftswert zu bestimmen ist, wenn Kinder gegenüber beiden Eltern bezogen auf den erstversterbenden Elternteil auf ihren Pflichtteil verzichten.
17
Nach der einen Auffassung sind die Vermögenswerte der Eltern zusammenzurechnen. Es handele sich materiell-rechtlich um zwei (bedingte) Verzichte gegenüber jedem Elternteil. Zwar sei der Verzicht gegenüber dem letztversterbenden Elternteil auflösend bedingt, jedoch bleibe diese Bedingung auf die Wertbestimmung ohne Einfluss. Der Wert eines derartigen Verzichtes, obwohl inhaltlich auf den erstversterbenden Elternteil beschränkt, sei somit nicht anders zu berechnen, als wenn er gegenüber beiden Elternteilen abgegeben würde. Der Verzicht könne nur dadurch bewirkt werden, dass er mit beiden Elternteilen vereinbart werde (OLG Düsseldorf JurBüro 2019, 35; Tiedtke in Korintenberg, Gerichts- und Notarkostengesetz: GNotKG, 22. Auflage 2022, § 102 GNotKG Rn. 82; Uhl in Toussaint, Kostenrecht, 52. Auflage 2022, § 102 GNotKG Rn. 15; Krause in Fackelmann/Heinemann, GNotKG, 1. Auflage 2013 § 102 GNotKG Rn. 39; Hoppe/ Krause in Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Auflage 2021, § 102 GNotKG Rn. 32; Streifzug durch das GNotKG, 13. Auflage 2021, Rn. 998 f.).
18
Nach der Gegenauffassung ist der Verzicht am Nachlass des Elternteils mit dem höheren Vermögen zu bewerten. Es sei ein einheitlicher Verzicht anzunehmen. Da nur ein Elternteil der Erstversterbende sein könne (denn für den Fall des gleichzeitigen Versterbens gelte der Verzicht nicht), könne auch nur einer der Verzichte wirksam werden, was eine Addition der Werte ausschließe (Pfeiffer in Bormann/Diehn/Sommerfeldt, GNotKG, 4. Auflage 2021, § 102 GNotKG Rn. 35; Waldner in Rohs/Wedewer, GNotKG, Stand August 2022, § 102 GNotKG Rn. 25; Zimmer/Otto in Leipziger Gerichts- & Notarkosten-Kommentar, 3. Auflage 2021, § 102 GNotKG Rn. 26; Otto, Anmerkung zu OLG Düsseldorf Beschluss vom 14.06.2018- 10 W 29/18, NotBZ 2019, 219).
19
b) Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an.
20
Beurkundungsgegenstand ist gemäß § 86 Abs. 1 GNotKG das Rechtsverhältnis, auf das sich die Erklärungen der Urkundsbeteiligten beziehen. Unter einem Rechtsverhältnis sind dabei allerdings nicht die einzelnen auf einen rechtlichen Erfolg gerichteten Willenserklärungen zu verstehen, sondern die Gesamtheit der Erklärungen, die der Gestaltung eines Gegenstandes dienen (Bormann in Korintenberg, Gerichts- und Notarkostengesetz: GNotKG, 22. Auflage 2022, § 86 GNotKG Rn. 8). Mit dem Begriff des Rechtsverhältnisses soll nach den Vorstellungen des Gesetzgebers eine trennscharfe Abgrenzung zwischen dem Beurkundungsgegenstand im Sinne des Rechtsverhältnisses und dem Gegenstand des Rechtsverhältnisses im Sinne des betroffenen Wirtschaftsgutes erreicht werden (Bormann in Korintenberg, Gerichts- und Notarkostengesetz: GNotKG, 22. Auflage 2022, § 86 GNotKG Rn.9). Die Verwendung des Begriffs „Beurkundungsgegenstand“ anstelle von „Gegenstand“ soll verdeutlichen, dass diesem eine kostenrechtliche, nicht eine wirtschaftliche Betrachtungsweise zu Grunde liegt (BeckOK KostR/Bachmayer, 38. Ed. 1.7.2022, GNotKG § 86 Rn. 7). Der Begriff des Rechtsverhältnisses ist nicht identisch mit dem Begriff des Zivilprozessrechts.
21
Damit schließt die Beteiligung mehrerer Personen oder die Zusammenfassung mehrere Erklärungen die Annahme eines einheitlichen Beurkundungsgegenstands nicht aus. Vorliegend ist Beurkundungsgegenstand die Erklärung des Pflichtteilsverzichts der Kinder, der nur im Verhältnis zum erstversterbenden Elternteil Wirksamkeit erlangen soll. Im Falle des gleichzeitigen Versterbens der Eltern soll der Verzicht nicht zum Tragen kommen. Der Verzicht kann nur wirksam vereinbart und gestaltet werden, wenn er gegenüber beiden Eltern erklärt wird und die Verzichtserklärungen in einem Bedingungsverhältnis stehen. Selbst wenn man nach materiellem Recht von zwei bedingten Verzichten ausgeht, soll jedoch letztlich nur einer der beiden Verzichte wirksam werden. Es ist denknotwendig ausgeschlossen, dass der Verzicht gegenüber beiden Elternteilen wirkt. Zwar steht grundsätzlich eine bedingte Erklärung einem Gebührenanfall nicht entgegen. Dies kann jedoch nicht in gleicher Weise gelten, wenn das zukünftige Ereignis – wie hier – mit Gewissheit eintreten wird. Die Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Erbfalls und damit das Entstehen des Anspruchs kann für die Wertberechnung nicht unerheblich bleiben. Die beiden Rechtsgeschäfte sind auch derart durch eine Bedingung verknüpft, dass entweder nur das eine oder das andere wirksam werden könne. Letztlich verzichten die Kinder nur auf ein Pflichtteilsrecht. Dies rechtfertigt sowohl in wirtschaftlicher wie in kostenrechtlicher Hinsicht, eine Einzelbetrachtung der Reinvermögen anzustellen. Das Regelungsziel „Verzicht gegenüber dem erstversterbenden Elternteil“ verknüpft die dazu erforderlichen Willenserklärungen zu einem einheitlichen Rechtsverhältnis. Die Verzichtserklärungen stellen die Gesamtheit der Erklärungen dar, die der Gestaltung des Beurkundungsgegenstands dienen sollen. Damit ist die Annahme eines einheitlichen Geschäftes gerechtfertigt.
22
Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst. Gerichtskosten hat der Notar in den Anweisungsverfahren nicht zu tragen (§ 130 Abs. 2 S. 3 GNotkG). Außergerichtliche Kosten anderer Beteiligter, die der Landeskasse auferlegt werden müssten (§ 130 Abs. 2 S. 4 GNotKG), sind nicht angefallen.
23
Die Rechtsbeschwerde war nach § 130 Abs. 3 GNotKG i.V.m. § 70 Abs. 1 FamFG zuzulassen. Die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 70 Abs. 2 FamFG). Es handelt sich um eine Vertragskonstellation mit erheblicher praktischer Bedeutung. Die Behandlung der Kostenfrage ist in der Literatur und der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte umstritten und daher einer höchstrichterlichen Klärung zuzuführen.