Titel:
Gutgläubiger Erwerb, Zuwendungen, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Erbvertrag, Elektronischer Rechtsverkehr, Elektronisches Dokument, Herausgabeanspruch, Nacherbfolge, Nacherbenanwartschaft, Unentgeltlichkeit, Streitwert, Ersatznacherben, Verjährung zum Jahresende, Wert des Beschwerdegegenstandes, Kostenentscheidung, Anderweitige Erledigung, Unentgeltlicher Erwerb, Übereignung, Pflichtteil, Erbschein
Schlagworte:
Nacherbfolge, Unwirksamkeit der Geldübereignung, Anspruch auf Herausgabe, Gutgläubiger Erwerb, Verjährung, Kostenentscheidung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Vertragliche Regelungen, Nichtigkeit des Nacherbschaftsverzichts
Rechtsmittelinstanz:
OLG Nürnberg, Endurteil vom 01.09.2023 – 1 U 676/22 Erb
Fundstelle:
BeckRS 2022, 52078
Tenor
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 150.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 16.09.2020 zu zahlen.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 150.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über Ansprüche in der Folge eines Erbfalles.
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Die Klägerin ist die Tochter der am … (Erblasserin), …
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Mit Erbvertrag vom … (Anlage K 1), errichtet im Notarial …, hatten sich der … gegenseitig als Vorerben eingesetzt. Der Vorerbe war von allen gesetzlichen Beschränkungen befreit, Ausnahme davon war die Verfügung über Grundstücke, die der Zustimmung der Nacherben bedurfte. Zu Nacherben des Erstversterbenden und Erben des Längstlebenden wurden zu gleichen Teilen … bestimmt. Ersatzerben sollten wiederum die Abkömmlinge der … nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge sein.
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Da …, nach dem Tod des … ihren Pflichtteil geltend gemacht hatte, schied sie gemäß § 4 des Erbvertrages samt ihrem Stamm von allen Zuwendungen des Erbvertrages aus und sollte auch auf den Tod des Längstlebenden, also der … nur den Pflichtteil erhalten.
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Die weitere … heiratete und übernahm den …. Aus der Ehe gingen die ….
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Am … wurde durch die … ein notarieller Vertrag beurkundet (Anlage B 1), in dem unter l. folgende Vereinbarung getroffen wurde:
„… verzichten auf ihre Nacherbenstellung aus dem Erbvertrag vom … Übertragungsurkunde vom … in Bezug auf den Nachlass des am … verstorbenen … mit der Folge, dass … nunmehr Vollerbin nach ihrem … ist. … nimmt diesen Verzicht an.“
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Mindestens während der letzten fünf Jahre vor ihrem Tod nahme … eine Reihe von Schenkungen in signifikanter Höhe vor. Am … übergab ….
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Auf Antrag der für … durch das Amtsgericht … zur … wurde vom Amtsgericht – Nachlassgericht – …, am … ein Erbschein erlassen. Nach dem Erbschein vom … wurde … zu jeweils 1/4 von den Abkömmlingen …, beerbt und zu 1/2 von der ….
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Die Klägerin meint, sie habe Anspruch auf Herausgabe von 1/2 des dem Beklagten zugewende ten Betrages, also … aus § 2287 i.V.m. § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB sowie aus § 2113 BGB.
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Die Klageforderung ist zunächst in einem Mahnbescheidserfahren vor dem Amtsgericht Wedding geltend gemacht worden. Der Mahnbescheid ist am 15.09.2020 zugestellt worden. Nach Einlegung des Widerspruchs ist das Verfahren ans Landgericht Regensurg abgegeben worden.
12
Die Klägerin beantragt:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 150.000,00 € nebst Zinsen in Höhe vor 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
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Der Beklagte beruft sich darauf, dass, soweit das Geld aus dem Vermögen des … stammt, das der Vor/Nacherbenschaft unterlag, ein Herausgabeanspruch des Nacherben nui . unter Berufung auf § 2113 BGB geltend gemacht werden könne.
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Insofern beruft der Beklagte sich aber auf Gutgläubigkeit. Er habe im Jahr 2012 weder irgende, was von einer Vor/Nacherbenfolge noch irgendetwas davon gewusst, dass es im Erbvertrag seiner Großeltern irgendwelche Vereinbarungen über weitere Erben gab. Zudem stehe dem entgegen, dass es mit der Verfügung der Großmutter zu keiner Beeinträchtigung der Rechtsstellung der Nacherben gekommen sei, weil die Nacherben vorher ausdrücklich notariell auf ihre Rechtsstellung verzichtet hatten und damit erklärt hätten, dass sie damit einverstanden sind, dass die Großmutter über den Nachlass des … in vollem Umfange zu ihren Lebzeiten verfügt. Ein Anspruch der Klägerin bestehe auch nicht aus § 816 BGB; einerseits sei die Klägerin als Nacherbin nicht beeinträchtigt, weil sie ihre Nacherben-Anwartschaft bereits vor der Schenkung auf die Mutter übertragen habe; andererseits beruft sich der Beklagte insoweit auf Verjährung.
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Die Klägerin entgegnet, der Beklagte habe spätestens seit der Übertragung des seinerzeit von … bewohnten Grundstücks … auf die Schwester des Beklagten, … durch den Überlassungs- und Abtretungsvertrag vom … (Anlage K 12) von dem Erbvertrag und seinen Regelungen Kenntnis gehabt; darin wurde die Nacherbenfolge ausdrücklich aufgeführt und angegeben, dass sie mit dem Tod der Vorerbin … eintrete. Die Kenntnis von der Bindung der … an den Erbvertrag ergebe sich auch aus dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Schreiben vom ….
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Der Beklagte habe sich unmittelbar nach der Übertragung des Grundstücks an die Großmuttei gewandt, um einen wertmäßigen Ausgleich zu erhalten. Dabei habe er vorgegeben, ein bebautes Grundstück auf … erwerben zu wollen, was er nach der streitgegenständlichen Zuwendung dann jedoch unterlassen habe. Der Beklagte habe also in Kenntnis des Inhalts des Überlas sungs- und Abtretungsvertrages gleichfalls „einen Teil des Kuchens“ erhalten wollen und von se ner Großmutter gefordert, eine Zuwendung von … in bar zu erhalten.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Rechtsstreits wird auf die Schriftsätze der Parteier und das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 28.09.2021, insbesondere auf das dort besprc chene und als Anlage zum Protokoll übergebene Schreiben vom 14.01.2013, verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist begründet.
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Ein Anspruch besteht entweder aus § 2113 Abs. 2 oder aus § 816 Abs. 1 S. 2 BGB.
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1. Nach dem Streitstand zum Ende der mündlichen Verhandlung erfolgte die Zuwendung den … an den Beklagten unstreitig aus dem Vermögen, das sie ihrerseits in Vorerbschaft nach … erhalten hatte. Damit kommen als Anspruchsgrundlage sowohl § 2113 Abs. 2 BGB, wie auch § 2287 Abs. 1 BGB in Frage. Da hier vertraglich die Nacherbfolge angeordne wurde, sind beide Anspruchsgrundlagen nebeneinander anwendbar (vgl. Palandt-Weidlich, BGB § 2287 RdNr. 1 und § 2113 RdNr. 9).
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2. Ein Anspruch folgt entweder aus der Unwirksamkeit der Geldübereignung nach § 2113 Abs. 2 BGB oder aus § 816 Abs. 1 S. 2 BGB, so dass es auf eventuelle Ansprüche aus § 2287 Abs. 1 BGB nicht ankommt.
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a) Die Voraussetzungen des § 2113 Abs. 2 BGB sind an sich gegeben.
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Voraussetzung ist, dass … über einen Erbschaftsgegenstand unentgeltlich verfügte; in diesem Fall ist mit Eintritt nach Nacherbfolge, also mit ihrem Tod, die Verfügung unwirksam geworden. Tatsächlich liegt eine solche Verfügung über einen Erbschaftsgegenstand, nämlich die Übereignung von 300.000,- Euro Bargeld aus dem Erbschaftsvermögen, an den Beklagten vor. Diese erfolgte auch unentgeltlich.
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b) Die Nacherbfolge und die daraus folgenden Ansprüche sind auch nicht durch den Vertrag vom 27.11.2005 entfallen. Dieser war ohne die Beteiligung der Ersatznacherben schon seinem Inhalt nach ungeeignet, das damit verfolgte Ziel zu erreichen, und kann wegen seiner inneren Widersprüchlichkeit keine Wirkung haben: Wegen der im Erbvertrag vorgesehenen Ersatz-Nacherbfolge hätte der Verzicht der Nacherben nicht die Aufhebung der Nacherbschaft insgesamt (wie beabsichtigt), sondern deren Anfall bei den Ersatz-Nacherben zur Folge gehabt. Es liegt eine innere Widersprüchlichkeit vor, die zur Nichtigkeit des Nacherbschaftverzichts führt.
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c) Rechtsfolge des § 2113 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 BGB ist die Unwirksamkeit der Übereignung des Bargelds zwischen den Parteien, sodass der Kläger den begehrten Herausgabeanspruch hat.
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d) Für den Fall, dass sich der Beklagte (erfolgreich) auf gutgläubigen Erwerb i.S.v. § 2113 Abs. 3 i.V.m. § 932 BGB berufen kann, ergibt sich der im Ergebnis identische Anspruch aus § 816 Abs. 1 S. 2 BGB, so dass letztlich offen bleiben kann, ob ein gutgläubiger Erwerb stattgefunden hat.
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Der gutgläubige unentgeltliche Erwerb des Beklagten führt in diesem Fall nämlich zu einem Anspruch aus § 816 Abs. 1 S. 2 BGB auf Herausgabe des Erlangten (vgl. Grüneberg-Weidlich, BGB, § 2113 Rn. 16), hier also der in bar übergebenen … bzw. des entsprechenden Werts (§ 818 Abs. 2 BGB) –, und zwar an die Klägerin in Höhe ihres Erbteils. Der gutgläubige Erwerb bewirkt in diesem Fall zwar, dass entgegen § 2113 Abs. 1, 2 BGB die Verfügung (Übereignung des Geldes) wirksam ist; nach § 816 Abs. 1 S. 2 BGB kann aber schuldrechtlich das Erlangte zurückgefordert werden (Durchbrechung der Kondiktionsfestigkeit des gutgläubigen Erwerbs, vgl. Grüneberg-Sprau, BGB, § 816 Rn. 12).
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Dieser Anspruch ist auch nicht verjährt. Anspruchauslösend ist – ebenso wie im andernfalls vorliegenden Anspruch aus § 2113 Abs. 2 BGB – der Todesfall der Erblasserin im Jahr 2017. Die Klage wurde im Jahr 2020, also vor Ablauf der dreijährigen Verjährung zum Jahresende, eingereicht.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 S. 1, 2 ZPO.