Titel:
Sittenwidrigkeit, Klärungsbedürftigkeit, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Abschalteinrichtung, Revisionszulassung, Kosten des Berufungsverfahrens, Berufungszurückweisung, Sekundäre Darlegungslast, Berichtigung Beschlüsse, OLG Naumburg, Feststellungen des Berufungsgerichts, Hinweisbeschluss, Tatrichterliche Würdigung, Kostenentscheidung, Sicherheitsleistung, Klärungsfähige Rechtsfrage, Streitwert, mündlich Verhandlung, Zurückweisung der Berufung, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
Schlagworte:
Dieselskandal, Schadensersatzansprüche, Abgasnorm EU 6, SCR-Katalysator, Thermofenster, Berufungszurückweisung, Sittenwidrigkeit
Vorinstanz:
LG Traunstein, Endurteil vom 09.02.2022 – 6 O 2783/21
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 09.10.2023 – VIa ZR 922/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 51985
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Traunstein vom 09.02.2022, Aktenzeichen 6 O 2783/21, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Traunstein ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des insgesamt vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 30.000,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Der Kläger macht Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem sog. Dieselskandal geltend.
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Der Kläger erwarb am 17.07.2017 das neue Fahrzeug … In dem Fahrzeug ist ein Motor des Typs EA288 mit einem SCR-Katalysator verbaut. Das Fahrzeug unterfällt der Abgasnorm EU 6. Die Beklagte ist die Herstellerin des Motors. Die Abgasreinigung erfolgt bei dem streitgegenständlichen Motor über den SCR-Katalysator, der zum Betrieb AdBlue benötigt und die Abgasrückführung. Bis heute kam es weder zu einem Rückruf des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch das Kraftfahrtbundesamt (KBA) noch wurde die EG-Typgenehmigung entzogen. Der Motor weist ein sog. Thermofenster auf.
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Der Kläger verlangt von der Beklagten unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes die Rückabwicklung des Kaufvertrags.
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Wegen aller weitere Einzelheiten des Sach- und Streitstandes einschließlich der erstinstanzlichen Anträge wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Traunstein vom 09.02.2022 Bezug genommen.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Kläger die Verwendung einer unzulässigen Umschaltlogik nicht substantiiert vorgetragen habe. Eine Beweisaufnahme sei aufgrund seiner Angaben nicht veranlasst.
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Gegen das ihm am 09.02.2022 zugestellte Urteil hat der Kläger am 08.03.2022 Berufung eingelegt und diese mit am Montag, 11.04.2022 eingegangenem Schriftsatz begründet. Er führt aus, er habe substantiiert und detailliert zur Überschreitung von Grenzwerten durch das streitgegenständliche Fahrzeug mit dem dort verbauten Motor EA 288 vorgetragen. Insbesondere sei der behauptete Einsatz eines sogenannten Thermofensters unstreitig geblieben. Neben dem Thermofenster seien in dem streitgegenständlichen Fahrzeug weitere unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut. Dies habe er durch ein Dokument der Beklagten, die sogenannte „Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien und Freigabevorgaben EA 288“ belegt. Daher sei nicht haltbar, dass das Erstgericht seinen Vortrag als ins Blaue hinein bezeichnet habe. Vielmehr hätte das Landgericht Beweis erheben müssen. Das Landgericht habe ferner übersehen, dass unstreitig geblieben sei, dass das KBA im Rahmen seiner Überprüfungen sich nicht auf eigene Messergebnisse stütze, sondern Informationen der Beklagten übernommen habe. Zwischen den Parteien sei außerdem unstreitig geblieben, dass das Fahrzeug lediglich auf dem Prüfstand, nicht jedoch im realen Straßenbetrieb die Emissionswerte einhalte. Er, der Kläger, habe auch ausreichend zum subjektiven Element des § 826 BGB vorgetragen. Beim Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Verhalten bestehe eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten zur Implementierung in subjektiver Hinsicht.
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Im Berufungsverfahren beantragt der Kläger,
unter Abänderung des am 09.02.2022 verkündeten Urteils des Landgerichts Traunstein, 6 O 2783/21,
die Beklagte wird verurteilt, 29.508,47 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.08.2015, Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs der Marke … und des Typs … mit der FIN … an die Klagepartei zu zahlen.
Der Kläger beantragt außerdem,
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Mit Beschluss vom 28.04.2022 hat der Senat darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung mangels Erfolgsaussichten gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Dem ist der Kläger mit Schriftsatz vom 31.05.2022 entgegengetreten. Eine Berufungszurückweisung durch Beschluss sei unzulässig, weil das OLG Naumburg zu dem streitgegenständlichen Motor im Sinne des Klägers entschieden hätten. Auch stelle die Implementierung einer unzulässigen Abschalteinrichtung einen Sachmangel dar und sei nachteilig und schadensbegründend. Das OLG Stuttgart habe entgegen der Auffassung des Senats eine sekundäre Darlegungslast des Herstellers in Bezug auf eine Kenntnis oder eine billigende Inkaufnahme der Unzulässigkeit einer Abschalteinrichtung angenommen, wenn staatsanwaltschaftliche Ermittlungen in diesem Zusammenhang geführt würden. Auch deshalb sei jedenfalls mündliche Verhandlung und Revisionszulassung veranlasst. Überdies finde am 30.06.2022 eine mündliche Verhandlung zu dem genannten Motor vor dem Bundesgerichtshof statt. Voraussetzungen für eine Berufungszurückweisung durch Beschluss seien daher nicht gegeben.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Ersturteil, die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und den Senatsbeschluss vom 28.04.2022 Bezug genommen.
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Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 09.02.2022, Aktenzeichen 6 O O 2783/21, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
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Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweisbeschluss des Senats vom 28.04.2022 Bezug genommen. Die Ausführungen in der Replik des Klägers geben zu einer Änderung keinen Anlass.
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1. Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Zurückweisung der Berufung nicht nach § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO ausgeschlossen. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. Heßler in Zöller, ZPO, 34. Auflage 2022, § 543 Rn. 11). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann, wenn sie zweifelhaft ist, also über Umfang und Bedeutung einer Rechtsvorschrift Unklarheiten bestehen. Derartige Unklarheiten bestehen u.a. dann, wenn die Rechtsfrage vom BGH nicht entschieden ist und von einigen Oberlandesgerichten unterschiedlich beantwortet wird, oder wenn in der Literatur unterschiedliche Meinungen vertreten werden (vgl. BGH, Beschluss vom 22.09.2015 – II ZR 310/14 – Rn. 3, juris). Relevant sind in diesen Zusammenhang einerseits die in § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO als selbständiger Zulassungsgrund definierten Kriterien der Fortbildung des Rechts und der Wahrung der Rechtseinheit, andererseits die Praxis der Instanzgerichte oder nachhaltige Bedenken im Schrifttum gegen höchstrichterliche Rechtsprechung (vgl. Heßler in Zöller aaO).
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Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die aufgeworfenen Rechtsfragen lassen sich vielmehr auf Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des BGH beantworten, wie im Hinweisbeschluss ausgeführt. Die Voraussetzungen einer Haftung gemäß § 826 BGB sind höchstrichterlich abstrakt seit langem geklärt und durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020 – VI ZR 252/129, BGHZ 225,316 hinsichtlich der Entwicklung und des Einsatzes einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Rahmen der Abgasreinigung konkretisiert worden. Ob die Voraussetzungen für eine Haftung der Beklagten gemäß § 826 BGB wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung vorliegen, hängt von den in tatrichterlicher Würdigung des jeweiligen Sachvortrags zu treffenden Feststellungen des Berufungsgerichts ab und kann nicht Gegenstand einer grundsätzlichen Klärung durch den Bundesgerichtshof sein (vgl. BGH, Beschluss vom 10.11.2021 – VII ZR 280/21 – Rn. 9, juris). Auch eine Divergenz ist nicht ersichtlich. Divergenz ist nur anzunehmen, wenn der Senat ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Vergleichsentscheidung eines höher- oder gleichrangigen Gerichts (vgl. Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 42. Auflage, Rn. 4b zu § 543). Soweit sich der Kläger auf angeblich divergierende Urteile anderer Oberlandesgerichte (insbesondere des OLG Naumburg) beruft, hat sie zum einen nicht dargelegt, dass der Senat mit der angekündigten Zurückweisung von einem Obersatz abweichen würde, den eines der anderen Oberlandesgerichte aufgestellt hat. Die unterschiedliche Subsumption bzw. Beurteilung eines Sachverhalts durch zwei Gerichte begründet noch keine Divergenz (vgl. Thomas/Putzo/Seiler aaO). Zum anderen hat das OLG Naumburg die von dem Kläger zitierte Rechtsprechung ausdrücklich aufgegeben (Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 10.12.2021, 8 U 63/21, Rn. 11, juris). Nur ergänzend sei erwähnt, dass der Bundesgerichtshof die Revision gegen das genannte Urteil des OLG Naumburg (vom 09.04.2021 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 21.06.2021 – 8 U 68/20) zugelassen hat. Diese ist auch Gegenstand der von dem Kläger genannten mündlichen Verhandlung vom 30.06.2022, VII ZR 412/21 (vgl. BGH, PM 049/2022).
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2. Soweit der Kläger weiterhin behauptet, die Emissionen im realen Fahrbetrieb auf der Straße lägen höher als die auf dem Prüfstand und überschritten sogar die Grenzwerte, verkennt er, dass es hierauf letztlich nicht ankommt. Entscheidend ist vielmehr allein, dass die Grenzwerte im Prüfverfahren eingehalten werden, da unstreitig erst ab 01.09.2017 aufgrund einer Änderung der Rechtslage in Europa neue Regelungen für Real Driving Emissions-Tests für neue Typgenehmigungsverfahren in Kraft getreten sind, die die Prüfstandsmessungen ergänzen. Aus einer Überschreitung der NEFZ-Werte im Straßenbetrieb kann, wie auch bereits im Beschluss vom 14.03.2022 ausgeführt, nicht auf eine Manipulation des Emissionskontrollsystems geschlossen werden.
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Im übrigen trifft seine beleglose Behauptung nicht zu, denn nach intensiver Überprüfung exakt der im PKW der Klägerin verbauten Motorsteuerungssoftware für den Motortyp EA 288 … 110kW SCR Euro 6 hat das KBA festgestellt, dass bei einer Betrachtung des gesamten Emissionskontrollsystems die Schadstoffemissionen unterhalb der Grenzwerte blieben. Dies erfolgte nicht nur über die Fahrkurve im Testzyklus, sondern auch unter realen Betriebsbedingungen auf der Straße (vgl. Anl. BE 28).
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3. Ferner kann dahingestellt bleiben, ob die in der Motorsteuerung hinterlegte Fahrkurvenerkennung als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren ist, da der Kläger jedenfalls sittenwidriges Handeln der verantwortlichen Personen der Beklagten nicht ausreichend dargelegt hat, insbesondere auch vor dem Hintergrund der eindeutigen Positionierung des KBA in einer Vielzahl von amtlichen Auskünften, wonach es sich nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele.
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Grundlage des Vorwurfs der Sittenwidrigkeit ist, dass über die Einhaltung der Grenzwerte getäuscht wird, so dass das Fahrzeug eine Typgenehmigung erhält, die es anderenfalls nicht erhalten hätte, und der Käufer im Fall der Entdeckung das Fahrzeug möglicherweise nicht benutzen darf, weil es nicht genehmigungsfähig ist (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 16, juris). So ging der BGH in seiner grundlegenden Entscheidung davon aus, dass im Fall des EA 189 die Stickoxidgrenzwerte der EU5-Norm „nur auf dem Prüfstand“ eingehalten“ wurden (BGH, a.a.O.).
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Da im übrigen, wie im Hinweisbeschluss vom 28.04.2022 ausgeführt, das KBA zur Beurteilung, ob es sich bei einer verbauten Funktion um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt, ausweislich der von Beklagtenseite vorgelegten amtlichen Auskünfte, stets auf die sog. Grenzwertrelevanz der verbauten Softwaretools abstellt, ist ein sittenwidriges Handeln der Beklagten, die dieselbe Rechtsauffassung vertritt, auch vor diesem Hintergrund nicht erkennbar.
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Hinzu kommt im vorliegenden Fall, dass der Kläger das streitgegenständliche Fahrzeug erst im Juli 2017 erwarb. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Beklagte die von der Klagepartei beanstandeten Funktionen gegenüber dem KBA bereits offengelegt (Thermofenster: im Januar 2016 und die Fahrkurve im November 2015, vgl. Anl. BE 31). Da die Beurteilung eines schädigenden Verhaltens als sittenwidrig eine Gesamtwürdigung des Verhaltens des Schädigers voraussetzt, ist spätestens mit diesen Angaben gegenüber dem KBA, durch welche dieses in die Lage versetzt wurde, gezielte eigene Überprüfungen durchzuführen, der Vorwurf der Sittenwidrigkeit entfallen (hierzu grundlegend BGH, Urteil vom 08.12.2020, VI ZR 244/20, juris). Nicht erforderlich ist in diesem Zusammenhang, dass die Beklagte jegliche ihr mögliche Aufklärung geleistet hätte (vgl. BGH, Urteil vom 08.12.2020, VI ZR 244/20, Rn. 16, juris).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.