Inhalt

VG München, Beschluss v. 31.10.2022 – M 24 E 22.3550
Titel:

Wohnsitzverpflichtung für ausreisepflichtige Ausländer 

Normenkette:
AufenthG § 61 Abs. 1d
Leitsatz:
Für vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer entsteht die Wohnsitzverpflichtung automatisch kraft Gesetzes, wenn der Lebensunterhalt nicht gesichert ist. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstweiliger Rechtsschutz, Vorwegnahme der Hauptsache, Wohnsitzauflage, Änderung einer Wohnsitzauflage, Vollziehbar ausreisepflichtige Geduldete, deren Lebensunterhalt nicht gesichert ist
Fundstelle:
BeckRS 2022, 51849

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 10.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
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Die Antragsteller sind peruanische Staatsangehörige. Die Antragsteller zu 1 und zu 2 sind ein Ehepaar und die Antragsteller zu 3 (geb. …) und 4 (geb. …) ihre Söhne. Die Antragsteller reisten (zuletzt) im Dezember 2019 visumsfrei zu Besuchszwecken in das Bundesgebiet ein.
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Die Antragsteller hielten sich zunächst bei in … im Breisgau lebenden Verwandten (Eltern der Antragstellerin zu 1, Geschwister der Antragstellerin zu 1, weiterer, volljähriger Sohn … … … … der Antragsteller zu 1 und 2) auf.
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Die Antragsteller stellten am 25. März 2021 einen Asylantrag. Mit jeweiligen Bescheiden des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 24. September 2021 bezüglich der Antragsteller zu 1 bis 3 (BamF-Az. …) und bezüglich des Antragstellers zu 4 (BamF-Az. …) wurden die Asylanträge jeweils als offensichtlich unbegründet abgelehnt und festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht bestehen. Die Bescheide sind bestandskräftig.
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Mit jeweiligen bestandskräftigen Bescheiden vom 15. September 2021 der Regierung von Oberbayern bezüglich der Antragsteller zu 1 bis 3 und bezüglich des Antragstellers zu 4 wurden die Antragsteller ab dem 23. September 2021 dem Landkreis Freising zugewiesen (Nr. 1), ihnen als Wohnsitz die Gemeinschaftsunterkunft GU … (B), … … … und … … … … zugewiesen (Nr. 2) und sie wurden ab dem 23. September 2021 zur Wohnsitznahme in der ihnen zugewiesenen Unterkunft verpflichtet (Nr. 3).
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Die vollziehbar ausreisepflichtigen Antragsteller werden seit dem 21. Dezember 2020 bzw. 25. Januar 2021 (fortlaufend) geduldet (mit der auflösenden Bedingung, dass die Duldung mit Bekanntgabe des Abschiebetermins erlischt). Zuletzt wurden die Duldungen am 19. Oktober 2022 bis 30. November 2022 verlängert. Die Antragsteller beziehen Sozialleistungen nach dem AsylbLG; sie sichern ihren Lebensunterhalt nicht eigenständig.
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Die Antragsteller wollen ihren Wohnsitz in … im Breisgau nehmen und beantragten beim Landratsamt Freising am 18. Oktober 2021 „die Erteilung einer Erlaubnis, nach … im Breisgau umzuziehen“.
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Mit Eingang am 20. Dezember 2021 ließen die Antragsteller durch ihren Bevollmächtigten beim Verwaltungsgericht München im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO beantragen, – neben weiteren Anträgen -
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den Antragsgegner zu verpflichten, die für die Antragsteller bestehende Wohnsitzverpflichtung nach § 61 Abs. 1d AufenthG zu streichen (Nr. 3 der Antragsschrift vom 20.12.2021).
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Der vorliegend streitgegenständliche Antrag wurde mit Beschluss vom 12. Juli 2022 vom Verfahren M 27 E 21.6551 abgetrennt und an die nach der Gerichtsgeschäftsverteilung für das Jahr 2022 zuständige Kammer abgegeben; der streitgegenständliche Antrag wird unter dem Aktenzeichen M 24 E 22.3550 geführt.
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In der Antragsbegründung vom 20. Dezember 2021 wurde hinsichtlich des vorliegend streitgegenständlichen Antrags ausgeführt, der Anspruch auf Streichung der Wohnsitzauflage ergebe sich aus § 61 Abs. 1d AufenthG, Art. 6 GG, Art. 4 GrCh. Die Antragsteller seien geduldet. § 61 Abs. 1d Satz 3 AufenthG, wonach die Ausländerbehörde die Wohnsitzauflage von Amts wegen oder auf Antrag des Ausländers ändern könne und hierbei die Haushaltsgemeinschaft von Familienangehörigen oder sonstige humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht zu berücksichtigen habe, regle die Möglichkeit und die maßgebenden Gründe für die Änderung einer Wohnsitzauflage. Im vorliegenden Fall sei die Wohnsitzauflage aufzuheben, um den Antragstellern die Wiederherstellung der familiären Lebensgemeinschaft mit ihren Familienangehörigen in … zu ermöglichen. Weiterhin habe die Antragstellerin zu 1 bereits seit längerer Zeit ein Arbeitsangebot ab dem 1. November 2021 bei einer evangelischen Sozialstation in … als Alltagsbegleiterin in der Pflege in Vollzeit. Ein Anordnungsgrund liege vor. Durch die Aushändigung einer Grenzübertrittsbescheinigung seinerzeit bei der persönlichen Vorsprache am 22. November 2021 (vor nachfolgend fortlaufend erteilter Duldungen) habe der Antragsgegner die Absicht zu erkennen gegeben, die Antragsteller zeitnah nach Peru abzuschieben.
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In der Antragsbegründung vom 14. Februar 2022 wurde ausgeführt, zumindest sei hilfsweise die Wohnsitzverpflichtung nur für die Antragstellerin zu 1 aufzuheben. Sie könne jederzeit eine Erwerbstätigkeit bei der evangelischen Sozialstation in … aufnehmen. Sie könne bei einem ihrer Geschwister in Freiburg wohnen. Ihr Lebensunterhalt gelte somit als gesichert, weil sie dann nicht mehr mit den weiteren Antragstellern in einer Bedarfsgemeinschaft lebe. Auf die Antragsbegründung wird im Übrigen verwiesen.
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Der Antragsgegner legte die Behördenakten vor und beantragte
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Antragsablehnung.
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Hinsichtlich des vorliegend gegenständlichen Antrags wurde in der Antragserwiderung vom 20. Januar 2022 unter 2.3. ausgeführt, die Antragsteller sicherten nicht eigenständig ihren Lebensunterhalt in ihrer Gesamtheit und könnten ihn auch nicht vollumfänglich unter Berücksichtigung des dem Antragsgegner bereits vorliegenden Teilzeit-Arbeitsplatz-Angebots als Putzhilfe und Kinderbetreuung und des nunmehr vorgelegten Vollzeitarbeitsplatz-Angebots sichern. Die vorgetragene Wohnsituation sei ungenau. Die Antragsteller seien nach § 61 Abs. 1d Satz 1 und 2 AufenthG verpflichtet, in der ihnen zugewiesenen Unterkunft ihren gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen. Eine Änderung der (gesetzlichen) Wohnsitzauflage komme nicht in Betracht, da der Aufenthalt zu beenden sei (§ 58 Abs. 1 AufenthG). Auf die Antragserwiderung wird im Übrigen verwiesen.
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Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte verwiesen.
II.
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Der Antrag nach § 123 VwGO auf einstweilige Anordnung bleibt ohne Erfolg.
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1. Das Verwaltungsgericht München ist als Gericht der Hauptsache zuständig gemäß § 123 Abs. 2 i.V.m. § 52 Nr. 3 Satz 1, 5 VwGO. Eine Klage wurde bislang nicht erhoben.
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2. Nach § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragspartei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dabei hat die Antragspartei sowohl die Dringlichkeit einer Regelung (Anordnungsgrund) als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) zu bezeichnen und glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 1 und 2, 294 Zivilprozessordnung – ZPO). Der Antrag kann nur Erfolg haben, wenn und soweit sich sowohl Anordnungsanspruch als auch -grund aufgrund der Bezeichnung und Glaubhaftmachung als überwiegend wahrscheinlich erweisen (BayVGH, B.v. 16.8.2010 – 11 CE 10.262 – juris Rn. 20 m.w.N.). Maßgeblich sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts. § 123 Abs. 1 bis 3 VwGO gelten nicht für Fälle der §§ 80 und 80a VwGO (§ 123 Abs. 5 VwGO).
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Liegt eine Fallgestaltung vor, in der im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO die Hauptsache teilweise oder ganz vorweggenommen werden würde, darf eine vorläufige Regelung nach § 123 VwGO nur ergehen, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache spricht und die ohne einstweilige Anordnung zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar wären (vgl. BayVGH, B.v. 16.9.2011 – 22 CE 11.2174 – juris Rn. 3 m.w.N.).
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3. Dies zugrunde gelegt, bleibt vorliegend dahingestellt, ob ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht wurde. Für den Antrag, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO zu verpflichten, die für die Antragsteller bestehende Wohnsitzverpflichtung nach § 61 Abs. 1d AufenthG zu streichen, ist ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht worden. Die begehrte einstweilige Anordnung würde eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache darstellen.
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3.1. Für die Entscheidung des Rechtsstreits ist § 60 AsylG nicht maßgeblich. Vielmehr ist streitgegenständlich eine Wohnsitzauflage nach § 61 Abs. 1d AufenthG, deren Aufhebung (Änderung) die Antragsteller begehren.
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3.2. Nach § 61 Abs. 1d Satz 3 AufenthG kann die Ausländerbehörde die Wohnsitzauflage von Amts wegen oder auf Antrag des Ausländers ändern. Für die Änderung (ebenso Aufhebung) einer Wohnsitzauflage nach § 61 Abs. 1d Satz 3 AufenthG ist der Beklagte zuständig und deshalb passivlegitimiert. Die Abänderungsbefugnis des § 61 Abs. 1d Satz 3 AufenthG steht der Ausländerbehörde des bisherigen Wohnorts und nicht der Zuzugsbehörde zu (OVG SA, B.v. 22.1.2015 – 2 O 1/15 – juris Rn. 8f.; OVG SH, B.v. 30.7.2020 – 4 MB 23/20, 4 O 20/20 – juris Rn. 24; offen gelassen: OVG Saarland, B.v. 20.5.2016 – 2 B 46/16 – juris Rn. 12 im Nachgang zur vorgängigen Bejahung durch VG Saarland, B.v. 1.2.2016 – 6 L 1103/15 – juris Rn. 30). Insofern unterscheidet sich die Regelung von der des § 60 Abs. 3 Satz 5 AsylG. Der Gesetzeswortlaut des § 61 Abs. 1d AufenthG ist in Bezug auf die Frage der Zuständigkeit vielmehr offen. Auch die Gesetzesbegründung zu § 61 Abs. 1d Satz 3 AufenthG enthält keine klare Aussage (vgl. BT-Drs. 18/3144 S. 10, 13: eine Änderung der Wohnsitzauflage erfolgt durch die zuständige Behörde). Da aber der Bundesrat gerade deshalb eine ergänzende Regelung vorschlug, wonach über eine Änderung der Wohnsitzauflage zur Ermöglichung eines den Zuständigkeitsbereich der Ausländerbehörde überschreitenden Wohnortwechsels die für den Zuzugsort zuständige Ausländerbehörde entscheidet (BT-Drs. 18/3160, Anlage 3 – Stellungnahme des Bundesrats –, S. 11), diese Änderung sich aber nicht durchsetzte, da die Bundesregierung im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung der Regelung noch Prüfbedarf sah (BT-Drs. 18/3160 S. 12), wurde der Gesetzesentwurf zu § 61 Abs. 1d AufenthG in Kenntnis der aufgeworfenen Zuständigkeitsfrage unverändert als Gesetz verabschiedet (siehe OVG SH, B.v. 30.7.2020 – 4 MB 23/20, 4 O 20/20 – juris Rn. 24).
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Die Zuständigkeit am bisherigen Wohnort gilt auch bei einem begehrten länderübergreifenden Wohnsitzwechsel. Mangels anderslautender Regelungen im Aufenthaltsgesetz ist die Zuständigkeit bei länderübergreifendem Sachverhalt nach allgemeinem Verfahrensrecht in zwei Schritten zu ermitteln, nämlich zunächst in Bezug auf die Verbandskompetenz des Landes und sodann auf die örtliche Zuständigkeit innerhalb des Landes.
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Das Landratsamt Freising ist die sachlich und örtlich zuständige Behörde, da die Kläger aufgrund der Zuweisung und Wohnsitznahmeverpflichtung durch die Regierung von Oberbayern vom 15. September 2021 im Bezirk der Ausländerbehörde Freising ihren Wohnsitz zu nehmen haben (§ 2, § 3 Abs. 1 Nr. 3, § 7 Abs. 1 Zuständigkeitsverordnung Ausländerrecht – ZustVAuslR [n.F.; in Kraft ab 1.8.2018 [GVBl. 2018, 714]; i.d. F.v. 18.8.2022, GVBl. 22, 588]; so schon BayVGH, B.v. 2.11.2016 – 10 ZB 16.1134 – juris Rn. 8 zur ZustVAuslR a.F.)
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3.3. Die Antragsteller haben keinen Anspruch auf die begehrte Aufhebung (Streichung) der Wohnsitzauflage. Unbeachtlich ist insoweit im vorliegenden Fall, ob in den an die Antragsteller herausgereichten Duldungsbescheinigungen die Wohnsitzauflage mit Benennung des Wohnsitzes aufgrund behördlicher Verfügung aufgenommen wurde oder nicht.
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Die Antragsteller als vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer, die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln sichern, unterliegen einer bereits kraft Gesetzes wirksamen Wohnsitzauflage; sie bedarf keiner behördlichen Anordnung (§ 61 Abs. 1d Satz 1 AufenthG). Die den Antragstellern erteilten, gegenwärtig bis 30. November 2022 befristeten Duldungen lassen deren vollziehbare Ausreisepflichtigkeit unberührt (vgl. § 60a Abs. 3, § 58 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AufenthG). Die Sicherung des Lebensunterhalts bestimmt sich nach Maßgabe des § 2 Abs. 3 AufenthG.
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Dies folgt aus dem seit dem 1. Januar 2015 geltenden § 61 Abs. 1d AufenthG. Nach dessen Satz 1 gilt, dass ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer, dessen Lebensunterhalt nicht gesichert ist, verpflichtet ist, an einem bestimmten Ort seinen gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen (Wohnsitzauflage). Satz 2 der Regelung bestimmt, dass, soweit die Ausländerbehörde nichts Anderes angeordnet hat, dies der Wohnort ist, an dem der Ausländer zum Zeitpunkt der Entscheidung über die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung gewohnt hat.
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Für vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer, wie die Antragsteller, entsteht die Wohnsitzverpflichtung automatisch kraft Gesetzes, wenn der Lebensunterhalt nicht gesichert ist. Die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts ist die einzige Tatbestandsvoraussetzung. Die Wohnsitzauflage für vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer erlischt ebenso automatisch, ohne Beteiligung oder Zustimmung einer Ausländerbehörde, wenn der Lebensunterhalt des Ausländers gesichert ist. Da die Wohnsitzauflage der gerechten Verteilung der Sozialkosten zwischen den Ländern dienen soll, ist sie nur erforderlich, wenn der Lebensunterhalt nicht gesichert ist. Andernfalls, also bei Eigen-Sicherung des Lebensunterhalts (selbständig oder mit Hilfe Dritter – jeweils auf rechtlich gesicherter Grundlage – was vorliegend bei den Antragstellern nicht der Fall ist), könnte der Ausländer seinen Wohnsitz im Bundesgebiet frei wählen, wenn der Ausländer nicht durch eine kraft Gesetzes bestehende oder angeordnete räumliche Beschränkung seines Aufenthalts (nach § 61 Abs. 1 bis Abs. 1c AufenthG) räumlich auf ein Bundesland oder kleinräumiger auf z.B. den Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde beschränkt ist. Die Erfüllung der Lebensunterhaltssicherung bemisst sich nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 3 AufenthG (vgl. BT-Drs. 18/3144 – Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsstellung von asylsuchenden und geduldeten Ausländern – Art. 1 Nr. 2 c) – S. 5, Begründung S. 10; OVG NW, B.v. 27.7.2017 – 18 B 543/17 – juris Rn. 24ff.; Bergmann/Dienelt/Dollinger, 13. Aufl. 2020, AufenthG, § 61 Rn. 19 -24; ebenso die übrige einschlägige Kommentarliteratur, allerdings Funke-Kaiser, GK zum AufenthG, Stand 12/2015, § 61 Rn. 45 mit Bedenken zum Maßstab unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung: Sinn und Zweck der Wohnsitzauflage nach § 61 Abs. 1d Satz 1 AufenthG ist die Gewährleistung einer gerechten Verteilung der Sozialkosten zwischen den Ländern, da Sozialleistungen lediglich an dem Wohnort erbracht werden, auf den sich die Wohnsitzauflage bezieht. Insbesondere sollen Asylbewerber und geduldete Ausländer, die unter – weder straf- noch bußgeldbewährtem – Verstoß gegen eine Wohnsitzauflage in ein anderes Bundesland umziehen, dort keine Ansprüche nach dem Asylbewerberleistungsgesetz geltend machen können, so ausdrücklich BT-Drucks. 18/3144, S. 10: „Bezieht der geduldete Ausländer Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, gilt § 10a AsylbLG“). Nach § 2 Abs. 3 AufenthG umfasst die Sicherung des Lebensunterhalts u.a. auch, dass der Ausländer über ausreichenden Krankenversicherungsschutz verfügt.
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Aufgrund der im Präsens formulierten Regelung des § 61 Abs. 1d Satz 1 AufenthG kommt es allein darauf an, ob der Ausländer gegenwärtig, d.h. im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung bzw. im Zeitpunkt einer (sich anschließenden) gerichtlichen Entscheidung seinen Lebensunterhalt sichert (vgl. OVG NW, B.v. 27.7.2017 – 18 B 543/17 – juris Rn. 28).
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Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist der Lebensunterhalt der Antragsteller, auch der Antragstellerin zu 1 isoliert betrachtet, nicht gesichert. Die Antragsteller unterliegen der kraft Gesetzes bestehenden Wohnsitzauflage.
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3.4. Die Antragsteller haben auch keinen Anspruch auf Abänderung der kraft Gesetzes bestehende Wohnsitzauflage nach § 61 Abs. 1d Satz 3 AufenthG dergestalt, dass eine Wohnsitzauflage mit dem Wohnort Freiburg im Breisgau „entstehen“ könnte. Auf der Grundlage des § 61 Abs. 1d Satz 3 AufenthG besteht kein Anspruch im Wege der Ermessensreduzierung auf Null. Die Antragsteller sind unter Wahrung der Haushaltsgemeinschaft von Familienangehörigen ab dem 23. September 2021 zur Wohnsitznahme in der Gemeinschaftsunterkunft GU … (B), … … … und … in … … verpflichtet. Der insoweit auch unter Maßgabe des Art. 6 GG beachtlichen, zu wahrenden Haushaltsgemeinschaft von Familienangehörigen gehören Eltern und ihre minderjährigen ledigen Kinder an; die derzeit bestehende Wohnsitzauflage in der Gemeinschaftsunterkunft GU … (B), … … … und … in 8. Z. erfüllt diese Anforderung; mithin haben die Antragsteller unter Bezugnahme darauf, dass ein volljähriger Sohn der Antragsteller zu 1 und zu 2, sowie weitere Verwandte in … leben, materiell-rechtlich keinen Anspruch auf eine Abänderung der Wohnsitzauflage mit dem Wohnort … im Breisgau, ungeachtet dessen, ob hierzu die Ausländerbehörde Freising formell-rechtlich für eine derartige Änderung der Wohnsitzauflage zuständig wäre (vgl. die unter 3.2. zitierte Rechtsprechung).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 8.3 des Streitwertkatalogs unter Berücksichtigung der Anzahl der Antragsteller. Da der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache abzielte, ist der Streitwert für das Eilverfahren nicht nach den Empfehlungen in Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu verringern.