Titel:
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, Außerordentliche Kündigung, Anhörung des Personalrats, Verhaltensbedingte Kündigung, Kündigungsschutzverfahren, Fristlose Kündigung, Zeitpunkt der Kündigung, Außerordentliche fristlose Kündigung, Kündigungsrechtsstreit, Ablauf der Kündigungsfrist, Ordentliche Kündigung, weitere Kündigung, Kündigungsgründe, Kündigungsabsicht, Pflichtverletzung, Weiterbeschäftigungsantrag, Vorlage der Bescheinigung, Anhörungstermin, Verdachtskündigung, Mitgliedschaft
Schlagworte:
Kündigung, Unwirksamkeit, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, Anhörungspflicht, Personalrat, Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, Beschäftigungsanspruch
Rechtsmittelinstanz:
LArbG Nürnberg, Urteil vom 18.04.2023 – 7 Sa 348/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 51775
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 17.02.2022 nicht beendet wird.
2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht.
3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Abteilungsleiter weiterzubeschäftigen.
4. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
5. Der Streitwert wird auf 22.500,56 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses zwischen ihnen, um dessen weiteren Fortbestand und hilfsweise um den Anspruch des Klägers auf tatsächliche Weiterbeschäftigung.
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Der am ... 1969 geborene Kläger ist seit dem 01.09.2005 bei der Beklagten beschäftigt. Einschließlich aller Entgeltbestandteile bezog er im Jahr 2021 ein Jahresgehalt in Höhe von 67.501,71 € und damit monatlich 5.625,14 € brutto. Die Beklagte hat eine Tochtergesellschaft, die BA-Stadt mbH, an die der Kläger im Rahmen eines Gestellungsvertrages gestellt ist und als Abteilungsleiter beschäftigt wird. Der Kläger ist Mitglied im Betriebsrat der BA-Stadt mbH. Bei der Beklagten selbst besteht ein Personalrat. Die Beklagte betreibt in A-Stadt Krankenhäuser. Am 03.01.2022 forderte die Beklagte auf Grund des Bevorstehens der Einführung einer einrichtungsbezogenen Impfpflicht gegen den Coronavirus SARS-Cov2 im Gesundheitswesen von ihren Mitarbeitern bis zum 15.03.2022 die Vorlage eines Impfnachweises, eines Genesenennachweises oder eines ärztlichen Zeugnisses über eine medizinische Kontraindikation gegen die betreffende Impfung. Am 22.01.2022 forderte auch die BA-Stadt mbH einen entsprechenden Nachweis von den bei ihr beschäftigten Arbeitnehmern und erinnerte per E-Mail vom 26.01.2022 nochmals die Erledigung. Der Kläger legte am 28.01.2022 eine Immunitätsbescheinigung der Dr. ... aus F-Stadt vom 10.01.2022 vor (Bl. 54 d. A.). Dort wurde bescheinigt, dass aufgrund eines am 16.11.2021 erhobenen Antikörperstatus beim Kläger eine Immunität gegen die SARS-Cov2-Erreger aufgrund einer durchgemachten Infektion besteht. Der Kläger hatte einen vom MVZ vom 16.11.2021 erstellten Laborwert (Bl. 118 d. A.) an die Ärztin zuvor übersandt. Mit Schreiben vom 04.02.2022 (Bl. 104 – 106 d. A.) warf die Beklagte dem Kläger vor, dass die von ihm vorgelegte Immunitätsbescheinigung ein vorgefertigtes Schreiben sei, welches durch das Einsetzen der persönlichen Daten und Abhaken einer vorgefertigten Begründung den Eindruck erwecken sollte, dass es sich um ein individuell erstelltes Gutachten handele. Der Kläger habe durch die Vorlage des Schreibens versucht, eine nichtbestehende medizinische Kontraindikation bezüglich einer Impfung vorzutäuschen. Die Beklagte setzte zur Anhörung hinsichtlich einer beabsichtigten ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung einen Termin auf den 8.02.2022, 8 Uhr fest und stellte es dem Kläger gleichzeitig frei, bis zum 9.02.2022 eine schriftliche Stellungnahme abzugeben. Mit E-Mail vom 05.02.2022 (Bl. 113 d. A.) bat der Kläger wegen Urlaubs um Terminverschiebung ab dem 18.02.2021. Gleichzeitig teilte er der Beklagten, um damit vielleicht die Sachlage zu klären und die Anhörung überflüssig zu machen, mit, dass es sich bei der Bescheinigung um eine Immunitätsbescheinigung und nicht um einen Impfunfähigkeitsnachweis handele und die Beklagte Kontakt mit der Ärztin aufnehmen könne. Er, der Kläger verhalte sich im Unternehmen wie ein Ungeimpfter, um ein Höchstmaß an Sicherheit zu erreichen. Mit Schreiben vom 14.02.2022 hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden Personalrat zur beabsichtigten außerordentlichen und fristlosen Kündigung des Klägers an und erklärte zum Grund der beabsichtigten Kündigung, dass der Kläger durch die Vorlage der Bescheinigung eine nichtbestehende medizinische Kontraindikation bezüglich einer Impfung gegen das Coronavirus SARS-Cov2 versucht habe, vorzutäuschen (Bl. 115 d. A.). Der Personalrat teilte am 16.02.2022 mit, sich nicht zu dem Vorgang zu äußern. Mit Schreiben vom 17.02.2022 erklärte die Beklagte gegenüber dem Kläger die außerordentliche und fristlose verhaltensbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien.
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Mit seiner Klage vom 03.03.2022, bei Gericht per Telefax am 09.03.2022 eingegangen, der Beklagten am 18.03.2022 zugestellt, hält der Kläger die außerordentliche Kündigung für unwirksam. Ein wichtiger Grund zu deren Rechtfertigung liege nicht vor. Der Kläger habe nicht versucht, die Beklagte zu täuschen. Vielmehr habe er eine ordnungsgemäße Bescheinigung über seinen Immunstatus im Hinblick auf den Erreger SARS-Cov2 vorgelegt. Dieser sei durch eine approbierte und zugelassene Ärztin auch ordnungsgemäß ausgestellt worden. Der Kläger habe auf die Korrektheit und Ordnungsgemäßheit der Bescheinigung vertrauen dürfen. Zudem habe der Kläger gegenüber der Beklagten keine Täuschung begangen, denn sämtliche der Bescheinigung zugrundeliegenden Daten seien der Beklagten vorgelegt worden. Insbesondere sie aus der Bescheinigung ersichtlich, dass diese auf einem Antikörperlaborwert vom 16.11.2021 beruhe, der der Beklagten ebenfalls vorgelegen habe. Dass auf dem Formular hinsichtlich des Laborwerts das Entnahmedatum der Blutprobe nicht vermerkt gewesen sei, sei dem Kläger nicht aufgefallen. Die Bescheinigung betreffe darüber hinaus nicht eine bestehende Impfunfähigkeit des Klägers, sondern vielmehr dessen Immunstatus. Die Kündigung sei als Tatkündigung auch verfristet, denn der Sachverhalt sei der Beklagten mit Vorlage der Bescheinigung am 28.01.2022 vollständig bekannt gewesen. Soweit die Beklagte im Hinblick auf eine beabsichtigte Verdachtskündigung dem Kläger einen Anhörungstermin angeboten habe, habe dieser nicht stattgefunden, so dass die Kündigung auch nicht auf den Verdacht einer Pflichtverletzung durch den Kläger gestützt werden könne. Die Beklagte habe den bei ihr bestehenden Personalrat nicht ordnungsgemäß zur der Kündigungsabsicht angehört. Schließlich habe die Beklagte keine Zustimmung des Betriebsrats der Servicegesellschaft Sozialstiftung A-Stadt mbH zu der Kündigung herbeigeführt, obwohl der Kläger dessen Mitglied sei. Die Kündigung sei deshalb unwirksam. Deshalb müsse wegen zu befürchtender weiterer Kündigungen auch der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses festgestellt und die Beklagte zur Weiterbeschäftigung des Klägers verurteilt werden.
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 17.02.2022 nicht beendet wird.
2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht.
3. Im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1 und/oder zu 2 wird die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Abteilungsleiter weiterzubeschäftigen.
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Die Beklagte beantragt demgegenüber:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
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Die Beklagte begründet die Kündigung mit verhaltensbedingten Gründen. Der Kläger habe die Beklagte durch Vorlage des Immunitätsnachweises der Dr. ... versucht, über seinen Immunitätsstatus zu täuschen. Dr. ... betreibe eine Internetseite „Evidenz der Vernunft“. Dort äußere sie sich kritisch gegenüber Impfungen gegen Covid-19 und warne vor Nebenwirkungen. Die Internetseite www.apotheke-adhoc.de warne deshalb vor von Dr. ... ausgestellten „Querdenker-Immunnachweisen“ und halte diese für ungültig. Der Kläger habe deshalb einen ungültigen Immunitätsnachweis vorgelegt und versucht, die Beklagte insoweit zu täuschen. Die Beklagte habe den Sachverhalt umfassend aufgeklärt und den Kläger am 04.02.2022 angehört. Dieser habe sich, wie angeboten, per E-Mail vom 05.02.2022 geäußert. Der Personalrat sei unter Vorlage der Immunitätsbescheinigung zur geplanten außerordentlichen fristlosen Tat-, hilfsweise Verdachtskündigung aus verhaltensbedingten Gründen mit Schriftsatz vom 14.02.2022 angehört worden. Der vom Kläger am 16.02.2022 übersandte Laborbefund enthalte kein Entnahmedatum der Blutprobe und weise einen Wert von „163,0 +“ aus. Der Laborbefund sei deshalb nicht datierbar und für die Ausstellung der Immunitätsbescheinigung untauglich. Der Betriebsrat B-A-Stadt mbH sei für die Kündigung nicht zuständig, denn der Kläger sei Arbeitnehmer der Beklagten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig. Dies gilt auch für den Antrag zu Ziffer 2) der Anträge auf allgemeine Feststellung des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses gemäß § 256 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte ist dem Vortrag des Klägers nicht entgegengetreten, mit dem Ausspruch weiterer Kündigung durch die Beklagte zu rechnen, wogegen er geschützt werden müsse. Bewirkt der allgemeine Feststellungsantrag, dass der Kläger eine Klage gegen weitere Kündigungen auch außerhalb der Frist des § 4 KSchG in den Prozess einführen kann, so kann dem Antrag das Rechtsschutzbedürfnis nicht abgesprochen werden.
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Die auch im Übrigen zulässige Klage ist vollumfänglich begründet. Die Kündigung ist aus einer Mehrzahl von Gründen unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund gemäß § 626 Abs. 1 BGB, die Kündigung wurde als Tatkündigung nicht rechtzeitig innerhalb der Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB ausgesprochen, zu einer Verdachtskündigung wurde der Kläger vor deren Ausspruch nicht ordnungsgemäß angehört, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des Kündigungsrechts wurde nicht beachtet und die Beklagte hat den bei ihr bestehenden Personalrat nicht gemäß Artikel 77 Abs. 3 Bayerisches Personalvertretungsgesetz zu der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung angehört. Dahinstehen, ob die Beklagte auch den Betriebsrat der BA-Stadt mbH aufgrund der Mitgliedschaft des Klägers hätte beteiligen und dessen Zustimmung herbeiführen oder gerichtlich ersetzen lassen müssen.
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1. Der Kündigung fehlt zur Wirksamkeit ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB. Danach kann ein Arbeitsverhältnis außerordentlich gekündigt werden, wenn aus wichtigem Grund dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zu dessen vertraglichen Ende oder bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
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Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Beklagte beruft sich zu Unrecht auf eine Täuschung durch die Vorlage der Immunitätsbescheinigung der Dr. ....
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a) Soweit sich der Kläger darauf beruft, § 20a IfSG sei vorliegend (noch) nicht anwendbar, kann dies dahinstehen, denn allenfalls wäre der Kläger ggf. berechtigt, die Vorlage einer Bescheinigung zu verweigern, aber nicht eine falsche Bescheinigung vorzulegen.
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Anhaltspunkte für eine „Ungültigkeit“ der Bescheinigung liegen jedoch nicht vor. Unstreitig handelt es sich bei Dr. ... um eine approbierte und zugelassene Ärztin, die in F-Stadt eine Praxis betreibt. Allein der Umstand, dass sich Dr. ... öffentlich insbesondere im Internet kritisch zu den Impfungen gegen den Covid-19-Erreger äußert, macht von ihr ausgestellte Bescheinigungen nicht per se ungültig oder unzulässig (vgl. auch BayObstLG vom 27. 7. 2022, 203 StRR 179/22). Erst recht ergibt sich dieses Ergebnis nicht daraus, dass auf einer Homepage namens www. apotheke-adhoc.de diese Meinung vertreten wird. Bei der Bescheinigung handelt es sich auch nicht um eine aus dem Internet durch die einfache Eingabe persönlicher Daten herunterladbare vorgefertigte Bescheinigung. Vielmehr hat der Kläger unbestritten den Laborwert vom 16.11.2021 der Ärztin übersandt und aufgrund des dort bescheinigten Antikörperstatus die betreffende Immunitätsbescheinigung erhalten. Er durfte deshalb diese Bescheinigung im Vertrauen auf deren Richtigkeit der Beklagten zum Nachweis der Immunität vorlegen.
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b) Der Kläger hat die Beklagte nicht über die Grundlagen der Bescheinigung getäuscht. Vielmehr lagen sämtliche Daten in der Bescheinigung selbst bzw. in Form des Laborwerts zum Zeitpunkt der Kündigung der Beklagten offen zu Tage. Die Bescheinigung bildet das gefundene Ergebnis im Laborbefund vom 16.11.2021 ab. Dieser Befund wurde im von der Beklagten betriebenen MVZ in A-Stadt genommen. Hält die Beklagte den Zeitpunkt des Befundes für zu weit zurückliegend, weil sich inzwischen der Immunstatus des Klägers geändert haben könnte, oder den festgestellten Antikörperwert nicht für ausreichend, um eine Immunität des Klägers gegen den SARS-Cov-2-Erreger zu bejahen, hätte die Beklagte aufgrund dieser offensichtlichen und bekannten Tatsachen die Bescheinigung zurückweisen und eine anderweite Bescheinigung vom Kläger verlangen können, zumal bis zum Inkrafttreten der einrichtungsbezogenen Impfpflicht des § 20a Infektionsschutzgesetz am 15.03.2022 noch ausreichend Zeit zur Verfügung stand. Eine Täuschung durch den Kläger ist nicht ersichtlich.
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2. Soweit die Beklagte die Kündigung auf den Vorwurf einer begangenen Täuschung stütz, ist die Kündigung gemäß § 626 Abs. 2 BGB verfristet. Die Beklagte kann sich insoweit nicht darauf berufen, durch eine noch beabsichtigte Anhörung des Klägers den Sachverhalt weiter aufgeklärt haben zu wollen. Eine Anhörung des Arbeitnehmers ist vor einer beabsichtigten Tatkündigung nicht erforderlich. Welche Aufklärungsmaßnahmen die Beklagte außer der Ankündigung des Anhörungstermins mit Schreiben vom 04.02.2022 noch ergriffen haben will, hat sie nicht vorgetragen. Vielmehr war die aus Sicht der Beklagten begangene Tat bereits mit Vorlage der Bescheinigung am 28.01.2022 bekannt. Die Kündigung ist demgegenüber erst am 17.02.2022 und damit außerhalb des Frist des § 626 Abs. 2 BGB dem Kläger zugegangen. Sie ist deshalb aus diesem Grund unwirksam.
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3. Soweit die Beklagte die Kündigung auf den Verdacht der vorgeworfenen Täuschung stützt, ist sie zwar nicht gehindert, den Verdacht im Hinblick auf die gebotene Anhörung des Klägers zur Begründung der am 17.02.2022 ausgesprochenen Kündigung im Kündigungsrechtstreit vorzutragen, doch ist die vorherige Anhörung des Arbeitsnehmers Wirksamkeitsvoraussetzung der Verdachtskündigung (zuletzt BAG, NZA 2014, S. 1015).
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Eine Anhörung des Klägers hat jedoch nicht stattgefunden. Die Beklagte hat zwar dem Kläger einen Anhörungstermin für den 08.02.2022 angeboten, diesen konnte der Kläger jedoch urlaubsbedingt nicht wahrnehmen und hat um Verschiebung gebeten. Dass der Kläger dem Angebot der Beklagten sich im Rahmen seines Verlegungsantrages hinsichtlich des Anhörungstermins per E-Mail zu den erhobenen Vorwürfen geäußert hat, ersetzt die Anhörung nicht. Vielmehr wollte der Kläger lediglich durch eine Klärung der Sachlage die Anhörung „überflüssig“ machen“. Dies zielt eindeutig darauf ab, dass der Kläger sich im Rahmen seines Anhörungstermins nach seinem Urlaub zu den Vorwürfen äußern wollte, es sei denn die Beklagte akzeptiert die per E-Mail gegebene Einlassung und sieht von ihrer Kündigungsabsicht ab. Eine abschließende Äußerung zu den erhobenen Vorwürfen ist in der E-Mail vom 05.02.2022 deshalb nicht zu sehen. Dass die Beklagte jedoch auf diese Äußerung hin ohne dem Kläger einen weiteren Anhörungstermin anzubieten, sogleich die Kündigung ausgesprochen hat, lässt diese an der fehlenden Anhörung scheitern, soweit sie auf den Verdacht einer Pflichtverletzung durch den Kläger gestützt wird.
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4. Die Kündigung scheitert auch an dem das Kündigungsrecht beherrschenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die Kündigung ist keine Strafe für eine vom Arbeitnehmer begangene Pflichtverletzung, sondern dient der Vermeidung künftiger Störungen im Arbeitsverhältnis zwischen den Arbeitsvertragsparteien. Sie kommt deshalb nur als letztes Mittel in Betracht, wenn alle anderen Möglichkeiten, künftig gleichgelagerte Störungen zu vermeiden, ausscheiden. In der Regel ist deshalb vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung eine erfolglose Abmahnung des Arbeitnehmers erforderlich. Eine solche ist nur dann ausnahmeweise entbehrlich, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach der Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich auch für den Arbeitnehmer erkennbar ausgeschlossen ist (BAG, NJW 2019, S. 1161). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Es ist nicht erkennbar, dass der Kläger sich eine Abmahnung, mit der sein Arbeitsverhältnis zur Disposition gestellt worden wäre, nicht hätte zur Warnung dienen lassen. Wenn man eine Pflichtverletzung durch den Kläger entgegen dem Vorstehenden annehmen wollte, so ist diese jedenfalls nicht so schwerwiegend, dass der Beklagten eine Abmahnung unzumutbar gewesen wäre.
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5. Die Beklagte hat den bei ihr bestehenden Personalrat nicht gemäß Artikel 77 Abs. 3 Bayerisches Personalvertretungsgesetz ordnungsgemäß zur Kündigungsabsicht angehört. Vielmehr hat sie den Personalrat falsch informiert, indem sie ihm gegenüber die Kündigung darauf gestützt hat, der Kläger habe eine aus dem Internet heruntergeladene Impfunfähigkeitsbescheinigung ohne entsprechende Untersuchung oder Datengrundlage vorgelegt. Hintergrund dieser Falschinformation des Personalrats mag der Umstand sein, dass bei der Beklagten eine Mehrzahl von Fällen aufgetreten ist, in denen die Arbeitnehmer Impfunfähigkeitsbescheinigungen aus dem Internet vorgelegt haben, die durch die bloße Eingabe von persönlichen Daten in ein entsprechendes Formular einer Ärztin und die Erklärung erstellt werden konnte, nicht ausschließen zu können gegen Inhaltsstoffe des Impfstoffes möglicherweise allergisch zu reagieren.
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Um eine solche Bescheinigung handelt es sich vorliegend nicht. Vielmehr hat der Kläger unbestritten die betreffende Bescheinigung durch Vorlage des Laborwertes vom 16.11.2021 bei der Ärztin Dr. ... erwirkt. Zur Unrichtigkeit des Laborwerts hat die Beklagte den Personalrat ebenfalls nicht informiert. Hat die Beklagte deshalb den Personalrat über die Kündigungsabsicht und den zugrundeliegenden Kündigungsgrund falsch und unvollständig informiert, so erweist sich die Kündigung auch aus diesem Grund als unwirksam.
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6. Auf eine Umdeutung in eine ordentliche Kündigung hat sich keine der Parteien berufen, zumal sich die Anhörung des Personalrats am 14.02.2022 auch lediglich auf eine außerordentliche fristlose Kündigung bezieht.
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7. Dahinstehen kann nach allem, ob der Betriebsrat der BA-Stadt mbH der Kündigung analog § 103 BetrVG im Hinblick auf die Mitgliedschaft des Klägers in dem Gremium hätte zustimmen müssen.
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8. Erweist sich die Kündigung danach als unwirksam, sind weitere Beendigungstatbestände hinsichtlich des Arbeitsverhältnisses nicht ersichtlich und war deshalb der weitere Fortbestand zwischen den Parteien antragsgemäß festzustellen.
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9. Ist die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung gerichtlich festgestellt, so rechtfertigt die Unsicherheit über den weiteren Fortbestand des Arbeitsverhältnisses die Nichtbeschäftigung des Klägers nicht mehr. Die Beklagte war deshalb antragsgemäß zur Weiterbeschäftigung des Klägers zu verurteilen (BAG, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungsanspruch).
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Nach allem war zu entscheiden wie geschehen.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.
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Der Streitwert wurde gemäß §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 3 ff. ZPO, 42 Abs. 3 GKG in Höhe von drei Bruttomonatsentgelten des Klägers im Hinblick auf die Bestandstreitigkeit und eines weiteren Bruttomonatsentgelts im Hinblick auf den Weiterbeschäftigungsantrag festgesetzt.