Inhalt

OLG München, Beschluss v. 30.11.2022 – 25 U 418/21
Titel:

Verjährung des Anspruchs auf Invaliditätsleistung

Normenketten:
VVG § 187
BGB § 195, § 199
AUB 2008 § 11, § 15
Leitsatz:
Eine Kommunikation zwischen dem Unfallversicherer und dem Versicherungsnehmer während des Neubemessungsverfahrens führt zu keiner Hemmung der Verjährung des auf die Erstbemessung der Invalidität gestützten Anspruchs auf Invaliditätsleistung, wenn kein Wille des Versicherers zum Ausdruck kommt, nochmals in Verhandlungen über die lange abgeschlossene Erstbemessung der Invalidität einzutreten. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
private Unfallversicherung, Invaliditätsleistung, Verjährung, Hemmung, Fälligkeit, Erstbemessung, Neubemessung
Vorinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 18.10.2022 – 25 U 418/21
LG München I, Urteil vom 22.12.2020 – 23 O 16885/19
Fundstelle:
BeckRS 2022, 51766

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 22.12.2020, Aktenzeichen 23 O 16885/19, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 202.950,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Klägerin unterhält bei der Beklagten eine private Unfallversicherung gemäß Versicherungsschein vom 14. Januar 2015 (Anlage K 1). Vereinbart sind insbesondere die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Unfallversicherung (AUB 2008 Fassung DEVK Stand 2008-01-01; fortan: AUB 2008; Anlage K 2 unter B).
2
Bei einem Sturz am 26. Juli 2014 erlitt die Klägerin unter anderem eine Fersen-Trümmerfraktur, einen Meniskusriss, Bänderrisse, Zerrungen und Hämatome. Den Unfall meldete sie der Beklagten am 4. August 2014 telefonisch und im Dezember 2014 schriftlich. Der behandelnde Arzt bestätigte am 30. Juni 2015 schriftlich einen unfallbedingten Dauerschaden (Anlagen K 5, K 6).
3
Nach Einholung eines Gutachtens (Anlage K 10) rechnete die Beklagte mit Schreiben vom 13. Oktober 2015 (Anlage K 9) auf der Grundlage eines Invaliditätsgrades von 24,5% ab. Die Klägerin erhob im November 2015 Einwände, welche die Beklagte im Januar 2016 zurückwies. Dabei wies die Beklagte auf die Möglichkeit hin, eine fachärztliche Stellungnahme einzureichen, wenn die Klägerin an der Richtigkeit des Gutachtens zweifle, sowie auf die Möglichkeit einer jährlichen Neufestsetzung der Invalidität. Auf der Grundlage eines Privatgutachtens (Anlage K 12) verlangte die Klägerin im August 2016 die Anerkennung eines Invaliditätsgrades von mindestens 75%. Ein Vergleichsangebot der Beklagten vom 15. September 2016 (Anlage K 14) lehnte die Klägerin am 17. November 2016 ab. Im Juni 2017 beantragte sie eine Neubemessung der Invalidität gemäß § 188 Abs. 1 VVG. Auf der Grundlage eines neues Gutachtens (Anlage K 15) bemaß die Beklagte mit Schreiben vom 3. November 2017 (Anlage K 16) den Invaliditätsgrad wiederum mit 24,5%. Im November 2018 zahlte sie dem entsprechend 22.050 € aus.
4
Die Klägerin hat behauptet, unfallbedingt sei ein Morbus Sudeck und ein Schmerzsyndrom Typ 2 (CRPS II) eingetreten, die Invalidität betrage mindestens 75%. Sie hat Zahlung von 202.950 € nebst Zinsen und Rechtsverfolgungskosten verlangt. Die Beklagte hat unter anderem die Einrede der Verjährung erhoben. Das Landgericht hat die am 4. Dezember 2019 eingereichte Klage abgewiesen. Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
5
Die Klägerin beantragt,
Das Urteil des Landgericht München I, Aktenzeichen 23 O 16885, vom 22.12.2020 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Euro 202.950,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.12.2018, sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von Euro 3831,21 nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
6
Die Beklagte beantragt,
die gegnerische Berufung zurückzuweisen.
7
Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens im Berufungsverfahren wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
II.
8
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 22.12.2020, Aktenzeichen 23 O 16885/19, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
9
1. Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 18. Oktober 2022 (Bl. 137/146 d. A.) Bezug genommen. Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung vom 25. November 2022 (Bl. 148/155 d. A.) geben zu einer Änderung keinen Anlass.
10
Die Ausführungen zu einer verspäteten Information der Klägerin über die Fachrichtung der Begutachtung (vgl. Gegenerklärung, S. 2 unter 1) führen nicht zu einer anderen Beurteilung der Verjährungsfrage.
11
Der Senat ist nicht der Auffassung, dass nach einem Antrag auf Neubemessung gar nicht mehr über die Erstbemessung verhandelt werden könne (vgl. Gegenerklärung, S. 3 f). Im vorliegenden Fall ist aber unter Berücksichtigung aller Umstände, zu denen auch das laufende Neubemessungsverfahren gehört, die Kommunikation der Parteien nicht als Verhandlung über die Erstbemessung zu verstehen.
12
Der Austausch im April einschließlich des Telefongesprächs vom 12. April 2018 hat schon deshalb keine Hemmung der Verjährung bewirkt, weil in dieser Kommunikation während des Neubemessungsverfahrens kein Wille der Beklagten zum Ausdruck gekommen ist, nochmals in Verhandlungen über die lange abgeschlossene Erstbemessung einzutreten (vgl. Hinweis, S. 7 f). Auch der Vortrag in der Gegenerklärung (S. 2 ff unter 2) zeigt keine Tatsachen auf, die eine Willensäußerung der Beklagten im vorgenannten Sinn belegen würden; mangels Entscheidungserheblichkeit ist kein Beweis zu erheben.
13
Bei dem Vorbringen, in der Folgezeit sei die Beklagte „in Verhandlungen“ eingetreten oder habe „Verhandlungen geführt“ (vgl. Gegenerklärung, S. 2-4), handelt es sich um eine Rechtsbehauptung (vgl. § 203 Satz 1 BGB). Diese hat die Beklagte auch nicht etwa pauschal unbestritten gelassen, wie die Gegenerklärung (S. 3 Mitte) meint. Vielmehr ergibt sich aus dem Tatbestand des landgerichtlichen Urteils (S. 3, letzter Absatz) mit der Beweiskraft des § 314 ZPO, dass die klägerische Behauptung, die Parteien hätten erneut zwischen dem 9. April 2018 bis zum 22. März 2019 zum Anspruchsgrund verhandelt, streitig war.
14
Der unter Zeugenbeweis gestellte klägerische Vortrag zum Inhalt des Telefonats vom 12. April 2018 (vgl. Gegenerklärung, S. 5 oben) bedarf keiner Beweisaufnahme, weil sich auch aus dem behaupteten Inhalt nicht ergibt, dass die Beklagte zu weiteren Verhandlungen über die Erstbemessung bereit gewesen wäre. Dass die Beklagte mit dem vorangegangenen Schreiben vom 9. April 2018 aufgefordert wurde, wieder in die ursprüngliche Leistungsprüfung einzutreten, bedeutet nicht, dass sie sich hierzu bereit erklärt hätte. Wenn der Sachbearbeiter der Beklagten sich auf Verfristung berief, ergibt sich daraus gerade nicht, dass er zu Verhandlungen über die Erstbemessung bereit war. Solches ergibt sich auch nicht aus der Äußerung, im Hinblick auf aufgezeigte Rechtsprechung die eigene Rechtsauffassung noch zu überdenken. Die Vereinbarung, dem neuen anwaltlichen Vertreter der Klägerin die bisherige Korrespondenz zu übersenden, ist keine inhaltliche Äußerung zu den geltend gemachten Ansprüchen und kündigt eine solche auch nicht an. Die Äußerung des Sachbearbeiters der Beklagten, dass diese sich einer vergleichsweisen Regelung nicht verschließen würde, und die Wiederholung des früher abgegebenen Vergleichsangebots bezogen sich während des laufenden Neubemessungsverfahrens auf dieses. Bei verständiger Betrachtung unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen beider Seiten konnte eine gütliche Einigung ihren Zweck nicht dadurch erfüllen, dass eine Verständigung über die Erstbemessung der Invalidität gefunden wird, während das Neubemessungsverfahren weiter läuft und möglicherweise neuen Streit und Ungewissheit über die Höhe der Invaliditätsleistung mit sich bringt. Abschließend hat die Klägerin behauptet: „Inhalt des Gesprächs war somit die von der Klägerin angegriffene Erstbemessung der Beklagten, wobei hier beiderseits Vergleichsbereitschaft signalisiert wurde.“ Diese Behauptung (ebenso Gegenerklärung, S. 7) ist eine Bewertung der Klägerin, die weder durch das erörterte sonstige Vorbringen gedeckt noch selbständig einer Beweiserhebung zugänglich ist. Soweit die Beklagte sich überhaupt zur Erstbemessung geäußert hat und diese mithin „Inhalt des Gesprächs“ geworden ist, sind keine Tatsachen vorgetragen, aus denen sich eine Bereitschaft der Beklagten zu weiteren Verhandlungen über die Erstbemessung ergeben würde.
15
Zum Schreiben der Beklagten vom 12. Juni 2018 (vgl. Gegenerklärung, S. 5 f) wird Bezug genommen auf den Hinweis des Senats (S. 8 Abs. 2). Wenn die Beklagte sich noch im März 2019 auf Verfristung berufen – und einen Anspruch weiterhin abgelehnt – hat (vgl. Gegenerklärung, S. 3 Abs. 3), ergibt sich daraus gerade nicht, dass sie zu Verhandlungen über die Erstbemessung bereit war. Solches ergibt sich auch nicht aus dem vorangegangenen Ablauf (vgl. Gegenerklärung, S. 6 oben).
16
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 Satz 2, § 709 Satz 2, § 711 ZPO.
17
Die Festsetzung des Berufungsstreitwerts beruht auf §§ 47, 48 GKG, § 3 ZPO.