Inhalt

VGH München, Urteil v. 08.11.2022 – 2 N 20.77
Titel:

Unwirksamer Bebauungsplan wegen fehlender städtebaulicher Erforderlichkeit der Festsetzung eines allgemeinen Wohngebiets und Abwägungsmängeln

Normenketten:
VwGO § 47 Abs. 2 S. 1
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1
BauGB § 1 Abs. 3 S. 1, Abs. 7, § 2 Abs. 3, § 9 Abs. 1 Nr. 16d, Nr. 20, § 34
BauNVO § 4
BNatSchG § 30 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, § 67
WHG § 55 Abs. 2
Leitsätze:
1. Das Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit (§ 1 Abs. 3 S. 1 BauGB) gilt nicht nur für den Anlass, sondern auch für den Inhalt des Plans und damit für jede seiner Festsetzungen (hier verneint für die Festsetzung eines allgemeinen Wohngebiets). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten eines Grundstücks muss als ein wichtiger Belang privater Eigentümerinteressen in der Abwägung beachtet werden. Dementsprechend sind die bisherige Baulandqualität und die Nutzungsmöglichkeiten des Grundeigentums sowie die zu erwartenden Beschränkungen zu ermitteln. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Will der Plangeber Flächen zum Zweck der natürlichen Versickerung von Niederschlagswasser von Bebauung freihalten, bedarf es zunächst einer vertieften Darlegung, dass Niederschlagswasser auch versickern und gespeichert werden kann, also der Boden wasserdurchlässig ist und das Grundwasser auch große Mengen von Niederschlagswasser kurzfristig aufnehmen kann. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bebauungsplan, Biotop, Innenbereich Erforderlichkeit allgemeines Wohngebiet, Abwägung Baurecht wasserwirtschaftliche Belange, Normenkontrolle, städtebauliche Erforderlichkeit, vorhandene Nutzungen, Abwägung, Beschränkung von Nutzungsmöglichkeiten, Eigentümerinteressen, Reichweite des Innenbereichs, naturschutzrechtliche Befreiung, wasserwirtschaftliche Belange, Orts- und Landschaftsbild
Fundstelle:
BeckRS 2022, 51765

Tenor

I. Der Bebauungsplan Nr. 76 „W.-/K.-straße“ des Antragsgegners, bekannt gemacht am 19. Juni 2019, wird für unwirksam erklärt.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Antragsgegner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Antragsteller vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Der Antragsteller wendet sich gegen den Bebauungsplan Nr. 76 „W.-/K.-straße“ des Antragsgegners. Er ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. …, Gemarkung … Auf dem Grundstück befindet sich ein Wohnhaus mit Garage.
Die restliche Fläche ist unbebaut. Das Grundstück hat eine Fläche von etwa 5.370 m².
2
Der Bebauungsplan trifft Festsetzungen zu Art und Maß der baulichen Nutzungen sowie zur Bauweise und zu den überbaubaren Grundstücksflächen. Ebenso enthält er Festsetzungen zur baulichen Gestaltung und Zulässigkeit von Garagen, Stellplätzen und Nebenanlagen. Als Art der Nutzung wird ein allgemeines Wohngebiet festgesetzt. Ziel des Bebauungsplans ist es, die bestehenden Strukturen und die Kulturlandschaft zu schützen und zu sichern und gleichzeitig eine ortsverträgliche Nachverdichtung zu entwickeln. Das städtebauliche Konzept beinhaltet, die Bestandsgebäude im nördlichen Teil zu sichern sowie eine moderate, dem Ortsrand verträgliche Nachverdichtung zu ermöglichen. Im südlichen Gebiet soll der auslaufende Ortsrand arrondiert werden. Eine Geländemulde soll für Belange der Wasserwirtschaft, Natur und des Artenschutzes gesichert werden.
3
Im südöstlichen Bereich des Grundstücks des Antragstellers sieht der Bebauungsplan eine Fläche für Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Natur und Landschaft vor. Die Fläche ist im Bebauungsplan als „Teilfläche B Geländemulde“ festgesetzt. Diese Fläche nimmt mehr als die Hälfte der Grundstücksfläche ein.
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Dem Antragsteller zufolge leidet der Bebauungsplan an Abwägungsmängeln, weil seine Eigentumsbelange ohne ausreichende städtebauliche Gründe im Vergleich zu den Belangen der übrigen Grundstückseigentümer ungleich behandelt worden seien. Der Antragsgegner habe den mit der Festsetzung von Teilfläche B einhergehenden Eingriff in das Eigentumsrecht damit gerechtfertigt, dass diese Festsetzung aufgrund der wasserrechtlichen und naturschutzrechtlichen Belange erforderlich gewesen sei. Die gesamte Fläche des Grundstücks FlNr. … sei vor Aufstellung des Bebauungsplans dem unbeplanten Innenbereich zuzuordnen gewesen. Der Antragsteller habe somit auf der gesamten Grundstücksfläche im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben des § 34 Abs. 1 BauGB grundsätzlich ein Baurecht gehabt. Der Entzug des Baurechts durch die Festsetzung der Teilfläche B und der privaten Grünfläche auf den Teilflächen des Grundstücks FlNr. … sei unverhältnismäßig und im Verhältnis zu sonstigen Festsetzungen im Planumgriff willkürlich. Die wasserrechtlichen Belange seien im Vorfeld weder ausreichend ermittelt und bewertet, noch im Verhältnis zu den privaten Belangen des Antragstellers richtig gewichtet worden. Es sei von einem falschen Sachverhalt hinsichtlich der Wasseransammlung in der Mulde ausgegangen worden mit der Folge einer Fehlgewichtung der wasserrechtlichen Belange. Der Antragsgegner gehe davon aus, dass es sich um Oberflächenwasser handle, das vom angrenzenden Steilhang zur Brecherspitz auf das Grundstück des Antragstellers hinablaufe und sich historisch belegt seit der bayerischen Uraufnahme vom 18. August 1864 in der Mulde sammle. Aufgrund des Bodenaufbaus sei keine oder nur eine mäßige Versickerung gegeben. Der Antragsteller habe Herrn … vom Büro …, … und … beauftragt, das Grundstück im Hinblick auf die Hydrogeologie zu untersuchen. Nach seinen Untersuchungen sei es ausgeschlossen, dass Oberflächenwasser von dem gesamten Nord-Ost-Hang (Dürnbachluss) auf das Grundstück des Antragstellers fließe. Er begründe dies mit klar wahrnehmbaren und bestehenden Rinnenstrukturen, die von Süd-Ost nach Nord-West quer zu Hangrichtung verliefen. Dies bedeute, dass das Oberflächenwasser auf dem Grundstück allenfalls vom unteren, kurzen Hangteil und vom Grundstück selbst komme. Die Wasserzufuhr und die Durchfeuchtung dieses Bereichs resultierten daraus, dass es sich um den tiefsten Punkt in der Landschaft handle. Der Retentionsraum sei verkleinert worden. Eine defizitäre Oberflächenwasserentsorgung der Straßen sei gegeben. Eine Höhendifferenz von ca. 1,5 m bestehe zwischen dem tiefsten Punkt auf dem Grundstück des Antragstellers und der Straße. Eine Seetonschicht von ca. 2,0 m sei vorhanden, unter welcher mindestens 12 m Kies zu finden sei. Die Oberflächenwasserentsorgung von den Nachbargrundstücken im Südosten sei defizitär. Wohl auch während der Winterzeit werde der Schnee mit Splitt und Straßenkehricht auf das Grundstück des Antragstellers geschoben und dort gelagert. Unter Berücksichtigung dieser Punkte hätte die Abwägung zugunsten des Antragstellers erfolgen müssen. Auch die naturschutzrechtlichen Belange seien im Vorfeld weder ausreichend ermittelt und bewertet noch im Verhältnis zu den privaten Belangen des Antragstellers richtig gewichtet worden. Vom Naturschutz sei ausgeführt worden, dass das vorliegende Biotop durch Oberflächenwasser (Dürnbachluss) gespeist werde. Dies sei aufgrund der fehlenden Ermittlung als falsch anzusehen. Das Biotop stamme nicht vom Oberflächenwasser (Dürnbachluss). Bei Unterbindung der illegalen Zuflüsse würde das Biotop nicht mehr in der Form weiter existieren. Vielmehr müsste eine Verlegung aufgrund vieler positiver Effekte für das Biotop zugestimmt werden.
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Der Antragsteller beantragt,
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Der Bebauungsplan Nr. 76 „W.-/K.-straße“ der Gemeinde S., bekannt gemacht mittels Anschlag an der Amtstafel der Gemeinde S. am 19. Juni 2019, ist unwirksam.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Der Bebauungsplan weise keine Fehler auf. Der Antragsgegner habe sich ausführlich mit der bauplanungsrechtlichen Qualität des Grundstücks des Antragstellers auseinandergesetzt. Nachdem für den Antragsgegner die Zuordnung des Grundstücks zum Innen- und Außenbereich nicht ganz eindeutig gewesen sei, habe er diesbezüglich Erkundigungen beim Landratsamt … eingeholt. Das Landratsamt sei zu der Einschätzung gekommen, dass das gesamte Grundstück FlNr. … im Außenbereich gemäß § 35 BauGB liege. Der Antragsgegner habe sich dieser Einschätzung zunächst angeschlossen, habe aber in der Folge die Auffassung vertreten, dass die nördlichen Grundstücksteile, auch aufgrund des dort bestehenden Gebäudes, noch dem Innenbereich zuzurechnen seien. Unrichtig sei in jedem Fall die Ansicht des Antragstellers, dass die gesamte Fläche des Grundstücks FlNr. … im Innenbereich liege. Der Antragsgegner habe die wasserrechtlichen Belange im Zusammenhang mit der Festsetzung der Teilfläche B hinreichend berücksichtigt und zutreffend mit den Eigentümerbelangen des Antragstellers abgewogen. Tatsache sei, dass sich im südlichen Bereich des Grundstücks FlNr. … in der dort bestehenden Geländesenke Oberflächenwasser sammle. Das Wasserwirtschaftsamt habe in seiner Stellungnahme vom 22. März 2018 diesbezüglich ausgeführt, dass es im südlichen Bereich des Bebauungsplans durch wild abfließendes Hangwasser zu Überflutungen der unbebauten Geländesenke komme und diese Flächen, so wie im Bebauungsplan festgesetzt, von Bebauung freigehalten werden sollten. In seinen Abwägungen am 20. November 2018 und 21. Mai 2019 habe sich der Antragsgegner ausführlich mit den wasserrechtlichen Themen im Bereich der Geländesenke befasst. Der Antragsgegner habe sich im Rahmen seiner Abwägung auch damit auseinandergesetzt, ob Maßnahmen der Hangverbauung zur Sammlung von Niederschlagswasser möglich wären und sei dabei zu dem Ergebnis gelangt, dass unter Berücksichtigung der Georisiken (Steinschlag, Hangrutschungen) eine Änderung des Wasserregimes einen unter Umständen unkalkulierbaren Eingriff in das Gefüge des Berghangs darstellen würde und nicht im Verhältnis zur geforderten Bebauung stehe. Der Antragsteller habe selbst ausgeführt, dass es sich bei der Geländemulde um den tiefsten Punkt in der Landschaft handle. Auch die naturschutzrechtlichen Belange seien im Bebauungsplanverfahren hinreichend berücksichtigt und gewichtet worden. Die untere Naturschutzbehörde habe mit Schreiben vom 20. März 2018 mitgeteilt, dass Teile der feuchten Mulde den besonderen Biotopschutz nach § 30 BNatSchG unterlägen. Selbst wenn im hinteren Bereich der Teilfläche B kein Biotop bestünde, würde dies die Ausweisung einer Bebauung im Bebauungsplan nicht rechtfertigen. Dieser Teil liege eindeutig im Außenbereich gemäß § 35 BauGB. Teile des Grundstücks des Antragstellers seien als Innenbereichsflächen erachtet und auf diesen Baurecht ausgewiesen worden.
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Der Senat hat am 1. September 2022 das Grundstück des Antragstellers und die nähere Umgebung in Augenschein genommen.
11
Mit Schriftsatz vom 21. September 2022 äußerte der Antragsteller unter anderem die Ansicht, dass die Festsetzung eines allgemeinen Wohngebiets rechtswidrig sei, da im Planungsumgriff ausschließlich Wohnnutzung vorhanden sei. Dies habe der Augenschein ergeben. Ein von der Bestandserfassung abweichendes Gebiet könne nur dann festgesetzt werden, wenn dies in der Begründung oder auch in der Abwägung zum Bebauungsplan dargelegt werde. Es sei ein Fehler im Abwägungsergebnis gegeben. Der Antragsgegner habe außerdem den Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt, weil trotz Überlassung der Stellungnahmen des Büros …, … und … an den Antragsgegner und den Ausführungen von Herrn … vom Wasserwirtschaftsamt in seiner E-Mail vom 23. Juli 2022, dass eine weitergehende hydraulische Untersuchung der Abflussverhältnisse, möglicher Beeinträchtigungen der Nachbarbebauung und die Klärung von Möglichkeiten zur schadlosen Niederschlagswasserbeseitigung durch ein fachkundiges Büro für erforderlich gehalten werde, keine darüber hinausgehenden Ermittlungen stattgefunden hätten.
12
Der Antragsgegner erwiderte, dass die Festsetzung eines allgemeinen Wohngebiets gemäß § 4 BauNVO für das Bebauungsplangebiet rechtlich nicht zu beanstanden sei.
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Hinsichtlich der übrigen Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der dem Senat vorliegenden Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Der zulässige Normenkontrollantrag ist auch begründet.
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1. Der Normenkontrollantrag ist zulässig, denn der Antragsteller ist antragsbefugt. Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann jede natürliche oder juristische Person einen Normenkontrollantrag stellen, die geltend macht, durch die angegriffene Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Für Eigentümer eines Grundstücks im Plangebiet folgt die Antragsbefugnis schon aus deren Interesse an der Nutzung ihres Grundeigentums.
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2. Der Normenkontrollantrag hat auch Erfolg, denn der Bebauungsplan leidet an Mängeln, die zu seiner Unwirksamkeit führen.
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a) Der angegriffene Bebauungsplan ist nicht erforderlich im Sinn des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB. Nach dieser Vorschrift haben die Gemeinden Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Die Gemeinde ist planungsbefugt, wenn sie hierfür hinreichend gewichtige städtebauliche Allgemeinbelange ins Feld führen kann. Welche städtebaulichen Ziele sie sich setzt, liegt in ihrem planerischen Ermessen, d.h. sie ist ermächtigt, eine „Städtebaupolitik“ entsprechend ihren städtebaulichen Ordnungsvorstellungen zu betreiben (vgl. BVerwG, B.v. 11.5.1999 – 4 BN 15.99 – BayVBl 2000, 23). Das Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit gilt nicht nur für den Anlass, sondern auch für den Inhalt des Plans und damit für jede seiner Festsetzungen.
18
Vor diesem Hintergrund war die Festsetzung eines allgemeinen Wohngebiets (WA) nach § 4 BauNVO nicht erforderlich. Denn ausweislich der Begründung des Bebauungsplans sollte die Art der baulichen Nutzung gemäß der derzeitigen Nutzung festgesetzt werden (Begründung S. 13). Diese städtebauliche Zielsetzung hat sich die Antragsgegnerin selbst gegeben. Der Augenschein hat ergeben, dass die derzeitige Nutzung ein reines Wohngebiet ist. Es wurde festgestellt, dass die als Bestand dargestellten Baulichkeiten auf den im Geltungsbereich des Bebauungsplans gelegenen Grundstücken als Wohnhäuser genutzt werden. Andere Nutzungen waren nicht vorhanden. Die Aussage des Antragsgegners, dass die Wohnhäuser in seltenen Fällen als „Wochenendhäuser“ genutzt werden (Protokoll über den Augenschein vom 1.9.2022, S. 2), versteht der Senat nicht so, dass damit eine Nutzung als Wochenendhaus im Sinn der Baunutzungsverordnung gemeint ist. Die unzutreffende Zuordnung des Baugebietstyps hat hier Auswirkungen auf die Erforderlichkeit der Bauleitplanung. Die Festsetzung eines allgemeinen Wohngebiets ist nämlich nicht geeignet, die städtebauliche Zielsetzung des Antragsgegners zu erreichen. Denn das allgemeine Wohngebiet ist nach seiner Zweckbestimmung offen für bestimmte, das Wohnen ergänzende Nutzungen. Im Unterschied zu den reinen Wohngebieten, die neben Wohngebäuden nur eine einzige allgemein zulässige Nutzung kennen, ist der Nutzungsfächer in § 4 Abs. 2 BauNVO relativ breit angelegt. So sind in einem allgemeinen Wohngebiet gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO auch die der Versorgung des Gebiets dienenden Läden, Schank- und Speisewirtschaften sowie nicht störende Handwerksbetriebe sowie gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO auch Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke zulässig. Diese in einem allgemeinen Wohngebiet zulässigen Nutzungen wären gemäß § 3 Abs. 3 BauNVO in dem tatsächlich vorhandenen reinen Wohngebiet überwiegend nur ausnahmsweise zulässig, wobei z.B. Schank- und Speisewirtschaften in einem reinen Wohngebiet überhaupt nicht zulässig sind. Wenn sich der Antragsgegner selbst die städtebauliche Zielsetzung gibt, den Baugebietstypus gemäß der derzeitigen Nutzung festzusetzen, kann er nicht durch die Festsetzung eines allgemeinen Wohngebiets die dort zulässigen Nutzungen ermöglichen und z. B. Schank- und Speisewirtschaften zulassen. Unbehelflich ist in diesem Zusammenhang, dass die nach § 4 Abs. 3 BauNVO ausnahmsweise zulässigen Nutzungen, wie z.B. Betriebe des Beherbergungsgewerbes ausgeschlossen wurden.
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b) Die privaten Interessen des Antragstellers als Grundstückseigentümer sind gegenüber den öffentlichen Interessen nicht ordnungsgemäß abgewogen worden.
20
Gemäß § 2 Abs. 3 BauGB sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne die Belange, die für die Abwägung von Bedeutung sind (Abwägungsmaterial), zu ermitteln und zu bewerten. Nach § 1 Abs. 7 BauGB sind die öffentlichen und privaten Belange dann gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen.
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aa) Im vorliegenden Fall ist der private Belang der möglichen Grundstücksnutzung durch den Antragsteller nicht fehlerfrei ermittelt und bewertet worden, denn sein Interesse, das bestehende Baurecht so weit als möglich zu erhalten, wurde nicht hinreichend berücksichtigt. Zu den abwägungsbeachtlichen privaten Belangen gehören die aus dem Grundeigentum und seiner Nutzung resultierenden Interessen (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand 1. April 2022, § 1 Rn. 195). Die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten eines Grundstücks muss als ein wichtiger Belang privater Eigentümerinteressen in der Abwägung beachtet werden (BVerfG, B.v. 19.12.2002 – 1 BvR 1402.01 – NVwZ 2003, 727; BVerwG, B.v. 16.1.1996 – 4 NB 1.96 – BeckRS 9998, 30181). Dementsprechend sind die bisherige Baulandqualität und Nutzungsmöglichkeiten des Grundeigentums sowie die zu erwartenden Beschränkungen zu ermitteln (BVerwG, B.v. 13.3.2017 – 4 BN 25.16 – ZfBR 2017, 589).
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Besteht ein Recht zur Bebauung, kommt der normativen Entziehung desselben erhebliches Gewicht zu, das sich im Rahmen der Abwägung auswirken muss. Die Frage, ob das betreffende Grundstück insgesamt Baulandqualität besitzt, darf deshalb nicht offen bleiben (BVerwG, B.v. 13.3.2017 – 4 BN 25/16 – juris; BVerfG, Kammer B.v. 19.12.2002 – 1 BvR 1402-01 – juris).
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(1) Die Fläche des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung … war – jedenfalls bis zu einer gedachten Linie zwischen der Bebauung auf dem Grundstück FlNr. … sowie der Bebauung auf dem Grundstück FlNr. … – vor Aufstellung des Bebauungsplans dem unbeplanten Innenbereich zuzuordnen. Der Antragsteller hatte somit auf dieser Grundstücksfläche im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben des § 34 Abs. 1 BauGB grundsätzlich ein Baurecht. Der Antragsgegner hat das Grundstück fehlerhafterweise zumindest teilweise dem Außenbereich zugeordnet.
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Die Kriterien für die Abgrenzung des Bebauungszusammenhangs im Sinn von § 34 Abs. 1 BauGB zum Außenbereich (§ 35 BauGB) sind obergerichtlich geklärt. Danach ist ausschlaggebend für das Bestehen eines Bebauungszusammenhangs, inwieweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsauffassung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört. Der Bebauungszusammenhang endet regelmäßig am letzten Baukörper. Örtliche Besonderheiten können es im Einzelfall aber ausnahmsweise rechtfertigen, ihm noch bis zu einem Geländehindernis, einer Erhebung oder einem Einschnitt ein oder mehrere unbebaute Grundstücke zuzuordnen, die unbebaut sind oder trotz des Vorhandenseins von Baulichkeiten sonst nicht zur Prägung der Siedlungsstruktur beitragen. Maßgeblich ist dabei, ob diese besonderen topografischen oder geografischen Umstände den Eindruck der Geschlossenheit bzw. Zugehörigkeit einer Fläche zum Bebauungszusammenhang vermitteln. Ebenso wie ein Bebauungszusammenhang nicht unmittelbar mit dem letzten Baukörper zu enden braucht, verbietet sich umgekehrt die Annahme, dass notwendigerweise jedes Grundstück in seinem gesamten Umfang vom Zusammenhang erfasst wird. Wie weit der Bebauungszusammenhang im Einzelfall reicht, kann stets nur das Ergebnis einer Bewertung des konkreten Sachverhalts sein (vgl. BVerwG, B.v. 8.12.2015 – 4 B 28.15 – ZfBR 2016, 67 m.w.N.). Maßgeblich ist grundsätzlich die tatsächlich vorhandene Bebauung.
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Wesentliche Kriterien sind zunächst neben der absoluten Größe des Grundstücks der Grundstückszuschnitt und die Struktur der Umgebungsbebauung. Dabei hat die absolute Größe der zwischen angrenzender Bebauung liegenden Fläche allenfalls eine indizielle Aussage bezüglich der Zugehörigkeit unbebauter Grundstücke zum nicht überplanten Innenbereich. Es kommt wesentlich darauf an, wie sich die in Rede stehende Freifläche im Verhältnis zu den umliegenden Bauplätzen darstellt (vgl. Mitschang/Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 15. Aufl. 2022, § 34 Rn. 9). Zwar ist das Grundstück des Antragstellers mit über 5.000 m² relativ groß, es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die in Frage stehende Freifläche nach Abzug der dem Bestandgebäude zuzurechnenden Fläche viel kleiner ist. Denn das auf dem Grundstück befindliche Bestandsgebäude ist nicht dem Außenbereich zuzuordnen, sondern Bestandteil der Bebauung entlang der …straße.
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Die Struktur der Umgebungsbebauung weist im Plangebiet im Wesentlichen Einfamilienhäuser auf, die auf Grundstücken liegen, die teilweise weit über 1.000 m² groß sind (z.B. FlNr. …, …). Legt man diese Struktur der Umgebungsbebauung zugrunde, und berücksichtigt man überdies die außerhalb des Plangebiets liegenden, jedoch unmittelbar an das Grundstück des Antragstellers angrenzenden Grundstücke FlNr. … und …, auf denen sich Doppelhäuser befinden, die ebenfalls über 1.000 m² groß sind, so ließe sich auf dem Grundstück der Teilfläche B allenfalls zwei bis drei weitere Wohngebäude verwirklichen. Insofern ist nach der Struktur der Umgebungsbebauung die Planersatzfunktion des § 34 Abs. 1 BauGB gewährleistet (zur Frage einer „Faustformel“, ob eine unbebaute Fläche von zwei bis drei Bauplätzen als Baulücke angesehen werden kann vgl. BVerwG, B.v. 30.8.2019 – 4 B 8/19 – juris).
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Legt man zudem den Grundstückszuschnitt der Beurteilung zugrunde, so ist festzustellen, dass der bislang unbebaut gebliebene Bereich tief (ca. 70 m) in den Bereich hineinragt, der von Bebauung umgeben ist. Bei dem bislang unbebaut gebliebenen Bereich des Grundstücks FlNr. … handelt es sich dabei nicht um einen Außenbereichsfinger, der sich nach Nordosten verengt, was vielleicht eher eine Zugehörigkeit zum Außenbereich begründen könnte. Vielmehr öffnet sich der Freibereich nach Nordosten sogar etwas, während das vorhandene Bestandsgebäude auf dem Grundstück FlNr. … verengend wirkt. So beträgt der Abstand zwischen der als abzubrechend gekennzeichneten Bebauung auf dem Grundstück FlNr. … und der nächstgelegenen Bebauung im Südosten auf dem Grundstück FlNr. … nur ca. 52 m. Angesichts der auch sonst vorhandenen großzügigen Abstände zwischen den Gebäuden in dem Gebiet (z.B. ca. 41 m zwischen …straße 1 und …straße 3) ist dieser Abstand nicht so groß, als dass er im Augenschein den Eindruck vermittelt hat, dass die „Teilfläche B Geländemulde“ Teil des sich im Südwesten des Plangebiets anschließenden Außenbereichs wäre.
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Weiter ist festzuhalten, dass die auf dem Grundstück des Antragstellers befindliche Freifläche der „Teilfläche B Geländemulde“ von drei Seiten von Bebauung umgeben ist und bereits von daher die Annahme einer Baulücke naheliegt. Insgesamt ist die Freifläche im Zusammenspiel mit den oben dargelegten Kriterien zu klein, um einen „Außenbereich im Innenbereich“ darstellen zu können.
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Zudem hat der Senat beim Augenschein keine topografischen Besonderheiten festgestellt, die es rechtfertigen könnten, den freigehaltenen Bereich insgesamt als Außenbereich zu qualifizieren. Der im Bebauungsplan als „Teilfläche B Geländemulde“ dargestellte Grundstücksteil ist teilweise mit Seggen- und binsenarten Pflanzen bewachsen. Im östlichen Bereich finden sich u.a. kleine Weidenschößlinge. Der Geländehöhenunterschied der vorhandenen Mulde bis zur …straße beträgt augenscheinlich maximal 3 m. Teilbereiche der Mulde sind leicht morastig (Protokoll über den Augenschein vom 1.9.2022 S. 2). Vor diesem Hintergrund sind weder der Bewuchs noch das Relief so markant, dass sich der im Südwesten außerhalb des Plangebiets befindliche Außenbereich insbesondere in die Teilfläche B des Plangebiets fortsetzen würde.
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bb) Gemäß § 1 Abs. 7 BauGB sind die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Das Abwägungsgebot ist verletzt, wenn eine Abwägung überhaupt nicht stattfindet oder in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss, oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Belangen in einer Weise vorgenommen wird, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens wird das Abwägungsgebot jedoch nicht verletzt, wenn sich die Gemeinde in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung eines anderen entscheidet (vgl. BVerwG, U.v. 5.5.2015 – 4 CN 4.14 – NVwZ 2015, 1537; B.v. 15.5.2013 – 4 BN 1.13 – ZfBR 2013, 573; B.v. 10.11.1998 – 4 BN 44.98 – NVwZ-RR 1999, 423). Die Gemeinde darf durch ihre Bauleitplanung die (bauliche) Nutzbarkeit von Grundstücken verändern und dabei auch die privaten Nutzungsmöglichkeiten einschränken oder gar aufheben. Allerdings setzt eine wirksame städtebauliche Planung voraus, dass hinreichend gewichtige, städtebaulich beachtliche Allgemeinbelange für sie bestehen. Diese städtebaulich beachtlichen Allgemeinbelange müssen umso gewichtiger sein, je stärker die Festsetzungen eines Bebauungsplans die Befugnisse des Eigentümers einschränken oder Grundstücke von einer Bebauung ganz ausschließen, denn das durch Art. 14 GG gewährleistete Eigentumsrecht gehört in hervorgehobener Weise zu den von der Bauleitplanung zu berücksichtigenden Belangen. Der Satzungsgeber muss ebenso wie der Gesetzgeber bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums die schutzwürdigen Interessen des Eigentümers und die Belange des Gemeinwohls in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis bringen. Insbesondere ist er an den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebunden (vgl. BVerfG, B.v. 19.12.2002 – 1 BvR 1402/01 – NVwZ 2003, 727). Die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten eines Grundstücks muss daher von der Gemeinde als ein wichtiger Belang privater Eigentümerinteressen in der nach § 1 Abs. 7 BauGB gebotenen Abwägung der öffentlichen und privaten Belange beachtet werden (vgl. BVerwG, B.v. 15.5.2013 – 4 BN 1.13 – a.a.O.; B.v. 16.1.1996 – 4 NB 1.96 – ZfBR 1996, 223).
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Nach § 9 Abs. 1 Nr. 20 BauGB können im Bebauungsplan aus städtebaulichen Gründen die Flächen oder Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Boden, Natur und Landschaft festgesetzt werden. In A Festsetzungen 10.2 wurde die „Teilfläche B Geländemulde“ als eine Fläche für Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Natur und Landschaft festgesetzt. Durch den Einfluss von Niederschlags,- Oberflächen-, Hang- oder Schichtenwasser seien zusätzlich zu den Festsetzungen zur Teilfläche A wasserwirtschaftliche Belange zu berücksichtigen. Die oberflächliche Sammlung und Versickerung des entstehenden Oberflächenwassers sei ungestört zu belassen. Eingriffe in die Bodenschichten oder die Topografie seien nicht zulässig. Änderungen am natürlichen Gelände durch Aufschüttungen, Abgrabungen oder Stützmauern seien nicht zulässig.
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Der Antragsgegner hat selbst für den Fall, dass eine Innenbereichslage nach § 34 BauGB vorläge, an seinen Planungszielen festgehalten (Begründung S. 7). Es sei zu berücksichtigen, dass neben dem ortsplanerischen Belang, dass er die bestehende lockere Bebauung der näheren Umgebung erhalten wolle, naturschutzfachliche (Biotopeigenschaften), wasserwirtschaftliche (nachweisliche Sammlung von oberflächlichen zusammenlaufendem Wasser seit Uraufnahme) und auch Gründe des Baugrundes (kaum erreichbare tragfähige Schichten) gegen eine Bebauung sprächen. Dies würde eine Einschränkung der Eigentümerbefugnis ohne weiteres rechtfertigen.
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aa) Hinsichtlich der wasserwirtschaftlichen Belange lag dem Antragsgegner eine Stellungnahme des Landratsamts Fachbereich Wasserrecht (LRA … v. 3.4.2018) vor. Danach sollten grundsätzliche Überlegungen zur naturnahen Regenwasserbewirtschaftung bereits im Rahmen der Bauleitplanung beginnen. Niederschlagswasser sei grundsätzlich vor Ort über die sog. belebte Oberbodenzone wie begrünte Flächen, Mulden oder Sickerbecken zu versickern (§ 55 Abs. 2 WHG). Die Stellungnahme der unteren Naturschutzbehörde vom 20. März 2018 brachte zum Ausdruck, dass bei einer Bebauung die wasserwirtschaftliche Funktion der Geländemulde erheblich eingeschränkt werden würde. Das Wasserwirtschaftsamt äußerte sich am 22. März 2018 dahingehend, dass, auch wenn im Bereich des Bebauungsplans kein Oberflächenwasser vorhanden sei, die Erfahrungen und Situation vor Ort zeigten, dass es im südlichen Bereich des Bebauungsplans durch wild abfließendes Hangwasser zu Überflutungen der unbebauten Geländesenke komme. Wie im Bebauungsplan festgesetzt, sollte diese Fläche von Bebauung freigehalten werden. Zudem könne es durch lokal begrenzte Sturzfluten und wild abfließendes Wasser aus den westlichen Hangbereichen immer wieder zu Überflutungen und großen Schäden an Gebäuden im gesamten Bebauungsplangebiet kommen.
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Bereits im Bebauungsplanverfahren wurde geltend gemacht, dass der „südwestlich angrenzende Hang“ tatsächlich eine „Kuppe“ sei, hinter der das Gelände abfalle. Es wurde eingewendet, dass sich die Beteiligten des Scoping-Termins vom 11. Oktober 2017 offensichtlich keinen Überblick über die topografische Lage südwestlich des Grundstücks gemacht hätten. Das Wasser oberhalb der Kuppe könne tatsächlich überhaupt nicht über die Kuppe hinweg auf das Grundstück FlNr. … fließen (Abwägung vom 20.11.2018 Nr. 2 dd)). Dieser Vortrag wurde durch das Gutachten … des Antragstellers vom 29. Juli 2019 dahingehend ergänzt, dass ein größeres Auftreten von Hangschichtwasser nicht zu erkennen sei und auch aufgrund der am Hang vorhandenen Rinnenstrukturen nicht möglich sei. Bei dem Wasser, welches den Morsakweiher speise, handle es sich hauptsächlich um Niederschlagswasser, welches im Umgriff um das Grundstück … … nicht versickern könne und somit zwangsläufig, dem Gefälle nach, in den Morsakweiher laufe.
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In der Abwägung vom 20. November 2018 führte der Antragsgegner aus, bei der Prüfung der Geländeverhältnisse, z.B. mittels einer Geländereliefkarte, lasse sich nachvollziehen, dass die Einkerbungen des im Nordosten exponierten Hangs der Brecherspitz geeignet seien, sich dort oberflächig sammelndes Wasser (Niederschlag, Hangquellwasser, Schichtaustrittswasser etc.) genau in die Geländemulde auf FlNr. … zuzuleiten. Dies decke sich mit Informationen, die von Gemeindeangestellten zum Sachverhalt beigetragen worden seien. Nach Niederschlagsereignissen sei mit einstauendem Wasser in der Geländemulde zu rechnen. Bei Starkregenereignissen seien Einsätze der freiwilligen Feuerwehr zum Leerpumpen angrenzender Kellergeschosse häufig (Sitzung vom 20.11.2018 Abwägung zu Nr. 2 dd)). Welcher Anteil vom Hang und welcher aus anderen Quellen, z.B. aus benachbarten Grundstücken, stamme, sei kaum zu ermitteln. Inwieweit weiteres Oberflächenwasser von „oberhalb“, zum Beispiel entlang des Fußes der Brecherspitze zulaufe, könne nicht abschließend quantitativ ermittelt werden. Wasserwirtschaftliche Belange erforderten den Erhalt und Schutz der Geländemulde.
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Damit wurden die wirtschaftlichen Belange weder ausreichend ermittelt und bewertet noch im Verhältnis zu den privaten Belangen des Antragstellers richtig gewichtet. Dabei kann offen bleiben, ob man die Festsetzung unter § 9 Abs. 1 Nr. 20 BauGB oder unter § 9 Abs. 1 Nr. 16d BauGB subsumiert (letzteres unter dem Gesichtspunkt, dass § 9 Abs. 1 Nr. 16d lex spezialis zu § 9 Abs. 1 Nr. 20 BauGB ist; Schrödter/Möller in Schrödter, BauGB, 9. Auflage 2019, § 9 Rn. 132). Denn wie sich aus dem oben dargestellten Verfahrensverlauf ergibt, geht die wasserrechtliche Problematik in erster Linie von Niederschlagswasser aus. Dies haben die Beteiligten auch in der mündlichen Verhandlung des Senats bestätigt (Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 27.10.2022 S. 2). Will der Antragsgegner Flächen zum Zweck der natürlichen Versickerung von Niederschlagswasser von Bebauung freihalten, bedarf es zunächst einer vertieften Darlegung, dass Niederschlagswasser auch versickern und gespeichert werden kann, also der Boden wasserdurchlässig ist und das Grundwasser auch große Mengen von Niederschlagswasser kurzfristig aufnehmen kann. Im Übrigen hat auch das Wasserwirtschaftsamt in seiner Stellungnahme vom 22. Juli 2021 selbst ausgeführt, dass in dem Fall, wenn auf dem Grundstück eine, über das im Bebauungsplan festgelegte Maß hinausgehende Bebauung geplant sein sollte, eine hydraulische Untersuchung der Abflussverhältnisse, möglicher Beeinträchtigungen der Nachbarbebauung und die Klärung von Möglichkeiten zur schadlosen Niederschlagswasserbeseitigung erforderlich ist, um die Auswirkungen beurteilen zu können. Dies müsste durch ein fachkundiges Büro erfolgen. Unter Zugrundelegung dieser fachkundigen Stellungnahme ist eine Bebauung des Grundstücks des Antragstellers nicht von vornherein ausgeschlossen. Es ist für den Senat offensichtlich, dass diese Untersuchungen absolut zwingend sind, wenn man das Eigentumsrecht des Antragstellers einschränkt. Diese Untersuchungen obliegen dem Antragsgegner, fehlen aber.
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bb) Hinsichtlich der naturschutzfachlichen Gesichtspunkte legte der Antragsgegner die Stellungnahme des Landratsamts – untere Naturschutzbehörde vom 20. März 2018 – zugrunde. Dieser zufolge dürften Teile der feuchten Mulde im Nordosten des Grundstücks dem besonderen Biotopschutz nach § 30 BNatSchG unterliegen. Um das definitiv beurteilen zu können, sei eine Kartierung des Gebiets erforderlich. Dies betreffe auch mögliche Vorkommen von schützenswerten Tierarten im Bereich der Mulde. Eine definitive Aussage dazu, ob ein Biotop vorliegt, enthält die Stellungnahme nicht. In seiner Sitzung am 20. November 2018 hat der Antragsgegner ausgeführt, dass eine Kartierung aus Sicht der Gemeinde zur Zeit keinen Sinn ergebe, weil durch Eingriffe die Standortbedingungen massiv verändert worden seien. Eine Artenliste der fachlich von der Naturschutzbehörde anerkannten Biologin Frau … würde den Biotopcharakter stützen.
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Damit hat der Antragsgegner die naturschutzfachlichen Belange nicht hinreichend ermittelt. Es liegt diesbezüglich ein Defizit vor. Denn unabhängig davon, wie die Artenliste von Frau … zu gewichten ist, stand im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Bebauungsplan nicht fest, ob objektiv ein Biotop gegeben ist.
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Selbst wenn man dies anders sehen wollte, wurde nicht hinreichend ermittelt, ob die gesamte Fläche Biotopqualität hat oder nur der vordere tiefere Bereich. Denn aus der Stellungnahme U-Plan vom 25. Juli 2019 wurde im südöstlichen Bereich des Flurstücks Nr. … ein nach § 30 BNatSchG geschütztes Biotop festgestellt. Dabei soll die Biotopfläche ca. 336 m² umfassen. Der Antragsgegner hat für den Fall, dass man überhaupt zu dem Ergebnis des Vorliegens eines Biotops kommt, die Größe des Biotops nicht hinreichend ermittelt. Mithin kam er auch diesbezüglich zu einer Fehlbewertung.
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Schließlich muss im Zusammenhang mit dem Biotopschutz bei der Abwägung auch ermittelt werden, ob eine Ausnahme oder Befreiung in Betracht kommt. Dies ist insbesondere bei dem hier gegebenen Innenbereichsgrundstück geboten. Nach § 30 Abs. 3 BNatSchG kann von den Verboten des § 30 Abs. 2 BNatSchG auf Antrag eine Ausnahme zugelassen werden, wenn die Beeinträchtigungen ausgeglichen werden können. Dabei kommt insbesondere auch eine Verlagerung des Biotops in Betracht (vgl. Kellermann in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: April 2022, § 30 NatSchG Rn. 28 ff.). Der Antragsteller hat dazu eine fachkundige Stellungnahme eingeholt. Sein von ihm beigezogener Sachverständiger hat in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass der jetzige Standort des Biotops nicht ideal sei, weil dort u.a. Streusalz und Granulat einwirken würden. Man könne das Biotop an den Hangfuß verlegen. Es handle sich dort um den gleichen Naturraum (Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 27.10.2022 S. 3). In einer solchen Situation darf der Antragsgegner seiner Abwägung nicht eine offen formulierte Stellungnahme des Landratsamts zugrunde legen.
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Kann die Beeinträchtigung des geschützten Biotops nicht bzw. nicht in der von rechts wegen gebotenen Weise ausgeglichen werden, wäre weiter zu prüfen gewesen, ob gegebenenfalls eine Befreiung gemäß § 67 BNatSchG erteilt werden könnte. Denn das Auftreten gesetzlich geschützter Biotope im bauplanungsrechtlichen Innenbereich könnte als atypischer Fall angesehen werden. Ein anderes Ergebnis führte auf einen Wertungswiderspruch zu der u.a. in § 18 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 34 BauGB sowie in § 13a BauGB zum Ausdruck kommenden Forcierung der Innenentwicklung (vgl. Lau in Frenz/Müggenborg, BNatSchG, 3. Auflage 2021, § 67 Rn. 4). Auch hierzu fehlen in den behördlichen Stellungnahmen jegliche Ausführungen.
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cc) Hinsichtlich des in der Begründung des Bebauungsplans ebenfalls angeführten Baugrundes ist nicht erkennbar, wieso dieser Gesichtspunkt gegen eine Bebaubarkeit des Grundstücks sprechen sollte. Grundsätzlich ist es Sache des Bauherrn, die Standsicherheit seines Gebäudes zu gewährleisten (Art. 10 BayBO; Standsicherheitsnachweis nach Art. 62 BayBO). Ein geotechnischer Bericht vom 31. Mai 2016 lässt erkennen, dass eine Bebaubarkeit des Grundstücks bei einer „Plattengründung“ jedenfalls nicht ausgeschlossen ist.
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dd) Schließlich wurde vom Antragsgegner der Gesichtspunkt des schützenswerten Orts- und Landschaftsbildes angeführt, der eine Bebauung ausschließen würde. Dieser Gesichtspunkt taucht in der Abwägung vom 20. November 2018 auf. Beim Augenscheintermin wurde deutlich, dass entsprechend den vorliegenden Lageplänen die umliegenden Grundstücke bebaut sind. Dem Senat erschließt sich nicht, wieso gerade das eine Baulücke darstellende Grundstück des Antragstellers aus Gründen des Orts- und Landschaftsbildes nicht bebaut werden könnte. Einen Weiher als prägendes Element an dieser Stelle hat der Senat nicht wahrgenommen. Auch ein besonderes Charakteristikum im Orts- und Landschaftsbild des Antragsgegners, das gerade auf der Fläche des Antragstellers wahrzunehmen ist und diese infolgedessen von Bebauung freizuhalten ist, hat der Senat nicht gesehen. Zwar mag das Grundstück des Antragstellers an einem Wanderweg liegen. Dies rechtfertigt jedoch in diesem Zusammenhang nicht den Ausschluss der Bebauung im Innenbereich.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 1 und 8 GKG.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
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Gemäß § 47 Abs. 5 Halbsatz 2 VwGO ist die Ziffer I der Entscheidungsformel des Urteils allgemeinverbindlich und muss vom Antragsgegner nach Eintritt der Rechtskraft des Normenkontrollurteils in derselben Weise veröffentlicht werden, wie die angefochtene Satzung (§ 10 Abs. 3 BauGB). Dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof ist die Bekanntmachung vorzulegen.