Titel:
Eigentümerversammlung, Wohnungseigentümergemeinschaft, Einzelner Wohnungseigentümer, Beschlüsse der Wohnungseigentümer, Wohnungseigentümerversammlung, Angefochtener Beschluss, Mitgliedschaftsrechte, Elektronisches Dokument, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Kostenentscheidung, Streitwertfestsetzung, Vergleichsangebote, Elektronischer Rechtsverkehr, Sonderumlagenbeschluß, Erbbaurechtsvertrag, Elektronische Kommunikation, Erbbauberechtigter, Sanierungsbeschluss, Rubrumberichtigung, Wohnungserbbaurecht
Leitsatz:
Im Hinblick auf die Tatsache, dass die Corona-Pandemie im November 2021 mit der damaligen Inzidenz auf einem Höhepunkt war, ist von einer Unzumutbarkeit der Teilnahme auszugehen, so dass die Versammlung hätte abgesagt oder zumindest anderweitig verschoben werden müssen. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Wohnungseigentümerversammlung
Fundstellen:
LSK 2022, 51719
ZMR 2024, 84
BeckRS 2022, 51719
Tenor
1. Die in der ordentlichen Eigentümerversammlung der Wohnungserbbauberechtigungsgemeinschaft U… , vom 16.11.2021 zu TOP 2, TOP 3 und TOP 6 gefassten Beschlüsse werden für ungültig erklärt.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Kläger zu 2) und zu 4) tragen diese selbst.
3. Das Urteil ist für die Kläger hinsichtlich der Kostenentscheidung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 74.401,02 € festgesetzt.
Tatbestand
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Die Parteien streiten um die Gültigkeit von drei Beschlüssen betreffend die Erneuerung eines Zuwegs, die Finanzierung dieser Sanierungsmaßnahme sowie die Neuwahl des Verwalters.
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Mit Erbbaurechtsvertrag vom 14.07.1974 wurde für das streitgegenständliche Grundstück für die Firma I.-S.-Baugesellschaft für Planungs- und Wohnungswesen das Erbbaurecht auf die Dauer von 99 Jahren bestellt. Die Isar-Süd-Baugesellschaft teilte ihr Erbbaurecht in insg. 14 Mitberechtigungsanteile gem. §§ 8, 30 WEG auf, verbunden mit dem Sondereigentum an Räumen der im Aufteilungsplan mit den Nr. 1 bis 14 bezeichneten Reihen(eck)häusern samt Garage. Nach der Teilungserklärung und Gemeinschaftsordnung vom 12.05.1975 hat jedes Wohnungserbbaurecht in der Versammlung eine Stimme.
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Die Kläger zu 1), 3) und 5) sind Miterbbauberechtigte in der Wohnungserbbauberechtigungsgemeinschaft U... . Die Kläger zu 2), H. Z., und zu 4), H. D., sind keine Wohnungserbbauberechtigte.
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Das Anwesen wird verwaltet vom Miteigentümer Herrn Dr. J. von S., der zuletzt mit Beschluss vom 09.01.2020 bis zum 31.12.2021 als Venwalter bestellt wurde.
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In der Versammlung vom 22.07.2021 wurde bestandskräftig unter TOP 8 beschlossen, dass eine Teilnahme an den künftigen Versammlungen im Wege der elektronischen Kommunikation möglich ist.
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In der ordentlichen Eigentümerversammlung vom 16.11.2021 fassten die Miterbbauberechtigten u.a. die angefochtene Beschlüsse zu TOP 2 (Instandsetzung der Zuwegung), TOP 3 (Finanzierung dieser Maßnahme) und TOP 6 (Neuwahl des Verwalters), bzgl. deren Wortlauts und Inhalts auf das Protokoll Bezug genommen wird (Anlage K1).
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Ab dem 16.11.2020 galt ausweislich § 17 der 14. BayInfSMV in Bayern die 2 G-Regelung für Eigentümerversammlungen, soweit diese in einer Gaststätte stattfinden.
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Einige der Eigentümer hatten im Vorfeld der Versammlung deshalb dem Verwalter gegenüber Bedenken bzgl. der Einberufung der Eigentümerversammlung kundgetan.
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Die Verhandlung fand im Gasthof Ha. in Bu. statt. Am Tag der Versammlung hatte der Gashof Ruhetag und seine Räume nach entsprechender vorheriger Rücksprache mit dem Verwalter lediglich für die Versammlungsteilnehmer geöffnet.
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Die Kläger tragen vor, am 16.11.2021 hätte wegen Pandemie keine Eigentümerversammlung einberufen werden dürfen, da die 2G-Regelung in Gaststätten galt; die gefassten Beschlüsse seien daher nichtig. Mindestens fünf Eigentümer hatten deshalb vorher Bedenken angemeldet. Die Kläger seien teils sehr alt, teils vorerkrankt, weshalb ihnen eine Teilnahme an der Versammlung nicht zumutbar gewesen sei. Die Kläger sind daher der Auffassung, dass die Beschlüsse daher schon nichtig seien.
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Der angefochtene Beschluss TOP 2 sei darüber hinaus völlig unbestimmt, schon deshalb, weil den Eigentümern ein konkretes Angebot nicht vorgelegen habe; einen Tag vor der Versammlung sei diesen lediglich per Mail eine Seite mit einer Kostenübersicht übersandt worden. Drei Vergleichsangebote seien nicht eingeholt worden. Der Beschluss enthalte auch keinerlei Einzelheiten der auszuführenden Arbeiten, der Vertragsgrundlage mit dem Ausführenden oder dem Preis der Arbeiten. Ein günstigeres Angebot der Firma Holzer sei nicht berücksichtigt worden.
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Sie sind der Auffassung, dass deshalb auch TOP 3 für ungültig zu erklären sei gem. § 139 BGB, weil der TOP 2 für ungültig zu erklären sei. Zudem tragen sie vor, dass der Sonderumlagebeschluss nicht den richtigen Verteilerschlüssel zugrundelege.
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Die Kläger sind weiter der Auffassung, der angefochtene TOP 6 sei auf die Beschlussklage hin aufzuheben, da der bestellte Verwalter Herrn von S. kein zertifizierter Verwalter sei.
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Mit Schriftsatz vom 25.03.2022 (Bl. 70 d.A.) haben die Kläger zu 2) und zu 4) die Klage zurückgenommen.
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Die Kläger zu 1), 3) und 5) beantragen zuletzt:
Die in der ordentlichen Eigentümerversammlung der WEG U… vom 16.11.2021 zu
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TOP 2 („Instandsetzung der Zuwegung der C-Reihe, B-Reihe und Garagenvorplatz“ betreffend die Pflasterung der Zuwege)
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TOP 3 („Finanzierung vorstehender Maßnahme“ betreffend die Finanzierung, Auflösung der Instandhaltungsrücklage und Erhebung einer Sonderumlage) und
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TOP 6 („Bestellung eines Verwalters für die Eigentümerschaft“ betreffend die Neuwahl des Verwalters)
gefassten Beschlüsse werden für ungültig erklärt, hilfsweise wird festgestellt, dass die vorgenannten Beschlüsse nichtig sind.
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Die Beklagte beantragt
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Die Beklagte trägt vor, die Klage sei innerhalb der Anfechtungsfrist gegen die falsche Beklagte gerichtet gewesen, denn eine „Wohnungseigentümergemeinschaft“ existiere nicht. Der Antrag sei der Auslegung auch nicht zugänglich und die Klage daher bereits unzulässig.
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§ 17 der BayInfSchMNV sei nicht einschlägig. Denn die Versammlung habe nicht in einer „Gaststätte“ im eigentlichen Sinn, sondern nur in den kulanter Weise vom Wirt privat zur Verfügung gestellten Räumen einer Gaststätte an deren Ruhetag stattgefunden; das sei den Beteiligten in der Einladung mitgeteilt worden. Die Teilnehmer hätten den Raum für sich allein gehabt, der Wirt habe die Einhaltung der Hygiene-Vorschriften kontrolliert und Getränke bereitgestellt, sei dann aber nicht mehr anwesend gewesen. Trotz der mit Beschluss vom 22.07.2021 geschaffenen Möglichkeit habe auch keiner der Betroffenen vor der Versammlung beim Verwalter angekündigt, im Wege der elektronischen Kommunikation teilnehmen zu wollen. Die Vorschriften des § 8 der INfSchMNV hinsichtlich Teilnehmerzahl und Mindestabständen bei Versammlungen in geschlossenen Räumen seien bei der Versammlung eingehalten worden. Die vom Wirt kontrollierten Personen seien alle geimpft, getestet oder genesen gewesen.
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Zudem sei nicht vorgetragen, dass bei einer Teilnahme derjenigen Berechtigten, die aufgrund von Alter bzw. Vorerkrankungen nicht erschienen seien, ein anderes Beschlussergebnis erzielt worden wäre.
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Dass keine Vergleichsangebote vorgelegt worden seien, sei unschädlich, weil sämtliche mit Erbbauberechtigte genau wüssten, welche Sanierungsarbeiten in den einzelnen Bereichen durchgeführt werden sollten. Zudem existiere kein unbedingtes Erfordernis, drei Vergleichsangebote vorzulegen.
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Der Klage fehle bzgl. TOP 6 bereits das Rechtsschutzbedürfnis, da der zuletzt bestellte Verwalter gem. Art. 2 § 6 Abs. 2 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie ohnehin im Amt bleibe. Der Einwand, dass Herr von S. kein zertifizierter Verwalter sei, trage nicht, weil §§ 19 Abs. 2 Nr. 6, 26 a WEG gem. § 48 Abs. 4 S. 1 WEG erst ab dem 01.12.2022 anwendbar sei.
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Das Gericht hat am 28.03.2022 mündlich verhandelt (Bl. 73/76 d.A.). Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 28.03.2022 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Beschlussklage erwies sich auch als begründet.
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I. Die Klage ist zulässig.
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1. Das Amtsgericht Starnberg ist sachlich und örtlich ausschließlich gemäß § 23 Nr. 2 c GVG, § 43 Abs. 2 Nr. 4, 44 WEG für die Beschlussklage zuständig.
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2. Die Klage ist nicht deshalb unzulässig, weil sie gegen die falsche Partei gerichtet gewesen wäre; der Klageantrag war dahingehend auszulegen, dass die Wohnungserbbauberechtigungsgemeinschaft Beklagte sein sollte.
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Die mit der Klage vom 14.12.2021 vorgelegten Klageanträge sind nach Auffassung des Gerichts hinsichtlich der beklagten Partei der Auslegung zugänglich (vgl. Bärmann/Pick/Dötsch, 20. Aufl. 2020, WEG § 46 Rn. 62-67). Bei der Auslegung der Parteibezeichnung ist der gesamte Inhalt der Klageschrift einschließlich der Anlagen zu berücksichtigen. Sofern daraus unzweifelhaft deutlich wird, wer Partei des Rechtsstreits sein soll, steht der Auslegung auch eine irrtümliche Falschbezeichnung nicht entgegen (BGH NJW-RR 2008, 582).
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Bei der Beklagten handelt es sich um eine Wohnungserbbauberechtigungsgemeinschaft, auf die gem. § 30 Abs. 2 S. 3 WEG die Regelungen des WEG anwendbar sind.
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Das Gericht ist der Auffassung, dass eine ungenaue/versehentlich unrichtige Parteibezeichnung vorliegt, die für die Frage der Zulässigkeit der (fristgerechten) Klage unschädlich ist und auf Antrag des Klägervertreters im Wege der Rubrumsberichtigung berichtigt werden konnte, da die Identität der Partei trotz der Berichtigung gewahrt bleibt. Vorliegend existiert gar keine Wohnungseigentümergemeinschaft, jedoch eine Wohnungserbbauberechtigungsgemeinschaft, § 30 Abs. 2 S. 3 WEG. Im Klageschriftsatz, der sich auf das vorgelegte Protokoll vom 16.11.2021 Bezug nimmt, ist von „WEG“ und „ordentlicher Eigentümerversammlung“ die Rede, ebenso spricht auch das Protokoll vom 16.11.2021 von „Eigentümerversammlung“ und „Eigentümergemeinschaft“ (Anlage K1). In der Klagebegründung vom 07.01.2022 ist dann zwar von „Wohnungseigentümergemeinschaft“ die Rede. Der Verweis auf die Grundsätze und Vorschriften des WEG sind dabei zutreffend, da dieses auf die Beteiligten und den vorliegenden Rechtsstreit anzuwenden ist.
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Gestützt wird diese Auffassung durch die Überlegung, dass im vorliegenden Fall auch keine irrtümlich beklagte, tatsächlich existierende Beklagte vorhanden ist, die in den willkürlichen Parteiwechsel einwilligen könnte.
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II. Die Klage ist begründet. Die drei angefochtenen Beschlüsse waren aus formellen und materiellen Gründen für ungültig zu erklären.
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1. Die angefochtenen Beschlüsse zu TOP 2, TOP 3 und TOP 6 sind bereits in formeller Hinsicht zu beanstanden. Sie sind nicht nichtig, weil wegen der Corona-Pandemie ein Anspruch auf Absage der Versammlung bestanden und daher ein Eingriff in den Kernbereich der Mitgliedschaftsrechte der Wohnungseigentümer anzunehmen wäre; jedoch sind sie auf die Anfechtung hin für ungültig zu erklären.
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a) Zum elementaren Kernbereich der Mitgliedschaftsrechte der Wohnungseigentümer gehört die Ausübung ihrer Teilnahme- und Stimmrechte in einer Präsenz-Eigentümerversammlung, § 23 Abs. 1 WEG; die Wohnungseigentümerversammlung ist als zentrales Willensbildungsorgan der Wohnungseigentümergemeinschaft ausgestaltet, in der die Eigentümer ihr Verwaltungs-, Teilnahme und Stimmrecht ausüben (Bärmann, WEG, § 23 Rn. 2).
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Auch mit den aus der Corona-Pandemie folgenden Schwierigkeiten für die Einberufung von Versammlungen dürfen diese elementaren Rechte der Wohnungseigentümer nicht ausgehebelt werden, unabhängig davon, ob das etwaige Unterbinden einer Beteiligungsmöglichkeit der Eigentümer durch den Verwalter bewusst oder in dem guten Bestreben erfolgt, die Angelegenheiten der WEG trotz der Pandemie durch ein „praktikables“ Vorgehen fortlaufend und sachgerecht zu bearbeiten.
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b) Ein bewusster Ausschluss von Wohnungseigentümer mit der Folge, dass ein Eingriff in den Kernbereich der Mitgliedschaftsrechte und die Nichtigkeit der Beschlüsse anzunehmen wäre, liegt im Hinblick auf die konkrete Fallgestaltung nicht vor.
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In der Einladung zur ETV hatte der Verwalter Herr von S. bereits darauf hingewiesen, dass die Gaststätte am Tag der Versammlung eigentlich Ruhetag hat und nur für die Versammlung öffnen würde (Anlage B8). Die Kläger haben den Vortrag der Beklagten bestritten, dass es sich bei der Gaststätte am Tag der ETV um einen „privaten Raum“ gehandelt habe, allerdings nur mit dem Argument, dass Getränke gegen Bezahlung bereitgestellt worden seien. Dieses Argument ist nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht geeignet, Zweifel daran zu begründen, dass das Lokal Ruhetag hatte und ansonsten nicht besucht war, so dass der von der Beklagten angebotene Zeuge nicht vernommen werden musste. Die aufgrund der Corona-Pandemie zu beachtenden Hygiene-Vorschriften wurden – unbestritten – eingehalten und durch den Wirt vor der Versammlung kontrolliert.
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Der Beschluss TOP 8 aus der ETV vom 22.07.2021, mit dem über die Möglichkeit einer virtuellen Teilnahme an Versammlungen beschlossen worden ist – und der nicht fristgerecht angefochten worden ist – bot den Wohnungseigentümern ungeachtet der Frage nach den rechtlichen Details des Beschlusses die Möglichkeit, eine virtuelle Teilnahme beim Verwalter anzumelden.
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c) Es entspricht dabei jedoch allgemeiner Auffassung, dass das Erscheinen zur Eigentümerversammlung den Eigentümern zumutbar sein muss. Diese Frage wird bislang nur im Hinblick auf die Wahl von Ort und Zeit der Versammlung erörtert, lässt sich aber auf die hier relevante Frage der Durchführung der Versammlung übertragen. Ist es den Eigentümern nicht mehr zumutbar, zur Versammlung zu erscheinen, ist sie abzusagen (Zschieschack, Eigentümerversammlung in Zeiten des Coronavirus, NZM 2020, 297; ebenso AG München, Urteil vom 25.02.2021, Az. 1291 C 2946/21 EVWEG, beck.online). Aus dem als Anlage K1 zur Akte vorgelegten Protokoll der ETV vom 16.11.2021 sowie den Anlagen K3, K4 und K5 ergibt sich, dass nach den Feststellungen des Versammlungsleiters vier Parteien ihre Teilnahme wegen der Pandemie und Bedenken hinsichtlich der Ansteckungsrisiken in einer Präsenz-Versammlung abgesagt haben (Anlage K1 TOP 1). Unbestritten sind einige der Wohnungseigentümer alt oder erheblich vorerkrankt; aus demselben Grund dürfte des den genannten Eigentümern wie von den Klägern unbestritten vorgetragen auch erschwert sein, über eine virtuelle Kommunikation an der ETV teilzunehmen. Im Hinblick auf die Tatsache, dass die Corona-Pandemie im November 2021 mit der damaligen Inzidenz auf einem Höhepunkt war, ist nach Auffassung des Gerichts unter Abwägung der Gesamtumstände von einer Unzumutbarkeit im o.g. Sinne auszugehen, so dass die Versammlung hätte abgesagt oder zumindest anderweitig verschoben werden müssen.
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2. Die angefochtenen Beschlüsse TOP 2 und TOP 3 entsprechen zudem auch in materieller Hinsicht nicht ordnungsgemäßer Verwaltung.
a) TOP 2 (Erneuerung der Zuwegung)
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1) Der angefochtene Beschluss TOP 2 leidet auch an einem materiellen Fehler, weil er unbestimmt ist.
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Nach der Rspr. des BGH sind Beschlüsse der Wohnungseigentümer stets objektiv-normativ wie Grundbucheintragungen auszulegen. Maßgebend sind dabei der sich aus dem Protokoll der Eigentümerversammlung ergebende Wortlaut des Beschlusses sowie der sonstige Protokollinhalt und der Sinn, wie er sich aus unbefangener Sicht als nächstliegende Bedeutung des Wortlauts ergibt; Umstände außerhalb des protokollierten Beschlusses dürfen nur herangezogen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls für jedermann ohne Weiteres erkennbar sind (vgl. Spielbauer/Then, WEG, § 23 Rn. 26), sich also etwa aus dem übrigen Protokollinhalt ergeben (Bärmann, WEG, § 10 Nr. 187). Auf die subjektiven Vorstellungen der Abstimmenden kommt es dabei nicht an (Bärmann-Merle, WEG, § 23 Rn. 62).
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Bei einem Sanierungsbeschluss muss in der Regel genau erkennbar sein, welches konkrete Angebot hinsichtlich einer Sanierungsmaßnahme angenommen werden soll (LG Hamburg Urt. v. 2.3.2011 – 318 S 193/10).
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Aus dem Beschlusswortlaut TOP 2 (Anlage K1) ergibt sich nicht, auf welches konkrete Angebot Bezug genommen wird bzw. welchen finanziellen Umfang der Sanierungsauftrag für die Wohnungseigentümer nach sich zieht und welche Arbeiten im Einzelnen ausgeführt werden sollen. Es handelt sich nach Auffassung des Gerichts aber auch nicht um einen bloßen Grundlagenbeschluss, da nach dem Wortlaut eine Auftragsvergabe für die Sanierung an die Firma Richard Schulz für die Sanierung beschlossen wurde. Der Verwalter hat diesen Beschluss zu vollziehen; in welchem Umfang zu welchem Preis Sanierungsarbeiten beauftragt werden, bleibt i.R.d. objektiv-normativen Auslegung jedoch unklar, insbesondere bezogen auf die C-Reihe, für die noch alternative Sanierungskonzepte im Beschluss angesprochen und offen geblieben sind.
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2) Zudem lagen den Eigentümern keine Vergleichsangebote bzw. keine konkreten Angebote vor der ETV vor. Es ist seitens der Beklagten nicht bestritten worden, dass am Tag vor der Versammlung (15.11.2021) nur eine Kostenübersicht an die Eigentümer ausgegeben wurde (Anlage K8, K11). Diese Aufstellung ist unvollständig, jedenfalls bzgl. des Angebots der Firma Schernthaler. Die unterschiedlichen Endbeträge im Fall der beiden Varianten für die C-Reihe lassen sich nicht entnehmen. In der begleitenden Email des Verwalters ist vermerkt, dass Summen mangels Vergleichbarkeit nicht ausgewiesen werden konnten (Anlage K11). Relevante Unterlagen müssen den Wohnungseigentümern aber so rechtzeitig bekannt gegeben werden, dass diese sich auf die ETV und die konkrete Beschlussfassung ausreichend vorbereiten können. Im Hinblick auf den beträchtlichen Kostenumfang der Maßnahme ist diesen Anforderungen hier nicht Genüge getan.
b) TOP 3 (Finanzierung der Maßnahme aus TOP 2)
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1) Der angefochtene TOP 3 war daher ebenfalls für ungültig zu erklären. Denn der Beschluss über die Finanzierung der Sanierungsmaßnahmen ist unbestimmt. Grundsätzlich ist in einem Beschluss über eine Sonderumlage deren Höhe, der Verteilungsschlüssel und die Fälligkeit anzugeben; für jeden Wohnungseigentümer muss die Belastungsfolge des Beschlusses erkennbar sein und zumindest überschlagen werden können (Jennißen, WEG, 7. Aufl. 2022, § 28 Rn. 83). An diesen Voraussetzungen fehlt es hier. Dabei genügt es aber nach der Rechtsprechung, dass sich der vom einzelnen Wohnungseigentümer zu zahlende Betrag ohne weiteres errechnen lässt (BayObLG WE 1999, 234/235). Davon konnte hier jedoch nicht ausgegangen werden. Das Sanierungsangebot war nicht konkret beziffert, auch wenn die ME-Anteile der einzelnen WE bekannt gewesen sind. Eine Fälligkeit lässt sich dem Beschluss nicht entnehmen.
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2) Zudem bildet der Sonderumlagebeschluss eine Einheit mit dem Sanierungsbeschluss, auf den er sich bezieht. Nach dem Rechtsgedanken des § 139 BGB fehlt dem Finanzierungsbeschluss mit der Ungültigerklärung des Sanierungsbeschlusses die Grundlage (vgl. zum Ganzen LG München I Endurteil v. 31.1.2019 – 36 S 13241/17, BeckRS 2019, 25061).
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c) Über die bereits dargestellte formelle Unwirksamkeit hinaus leidet der angefochtene TOP 6 (Neuwahl des Verwalters) nicht auch an einem materiellen Beschlussfehler.
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1) Der klägerische Einwand, dass Herr von S. kein zertifizierter Verwalter sei, trägt – wie zutreffend von der Beklagten eingewandt – nicht, weil §§ 19 Abs. 2 Nr. 6, 26 a WEG gem. § 48 Abs. 4 S. 1 WEG erst ab dem 01.12.2022 anwendbar sind. Eine Person, die am 01.12.2020 Verwalter war, gilt gegenüber den Wohnungseigentümern bis zum 01.06.2024 als zertifizierter Verwalter, § 48 Abs. 4 S. 2 WEG. Über den 01.12.2022 hinaus darf ein Verwalter ohne Zertifikat nur wiedergewählt werden, wenn er bereits am 01.12.2020 im Amt war, § 48 Abs. 4 WEG (Jennißen, WEG, 7. Aufl. 2022, § 26 a Rn. 9). Der Verwalter Herrn von S. wurde – unbestritten – in der Eigentümerversammlung vom 09.01.2020 mit bestandskräftigem Beschluss TOP 5 zum Verwalter bis 31.12.2021 bestellt.
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2) Der aktuell bestellte Verwalter bleibt gem. Art. 2 § 6 Abs. 2 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Amt.
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3. Dahinstehen konnte, ob die Beschlüsse auf die Anfechtung hin schon deshalb für ungültig zu erklären sind, weil ein Unbeteiligter teilgenommen bzw. abgestimmt hat (Jennißen, WEG, 7. Aufl. 2022, § 24 Rn. 110, § 23 Rn. 204).
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Die Kläger zu 2) Ziemes und zu 4) Dehlinger sind, wie von den Klägern selbst zuletzt vorgetragen – weshalb die Kläger zu 2) und zu 4) die Klage auch zurückgenommen haben –, nicht (mehr) Wohnungserbbauberechtigte und waren daher nicht stimmberechtigt. Ausweislich der Ausführungen unter TOP 1 des Protokolls (Anlage K1) hat der Versammlungsleiter jedoch bei der Abstimmung zu TOP 2 und TOP 6 gemäß der schriftlichen Abstimmung des Klägers zu 4) Dehlinger für diesen abgestimmt, nachdem er die schriftlichen Weisungen als Vollmacht für eine Abstimmung interpretiert hat. Auch aus diesem Grund waren die Beschlüsse daher nach Auffassung des Gerichts bereits unwirksam, wobei diese für die getroffene Entscheidung nicht mehr erheblich ist.
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III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO und § 269 Abs. 3 ZPO, soweit die Klage von den Klägern zu 2) und zu 4) zurückgenommen worden ist.
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IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1, S. 2 ZPO.
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V. Die Streitwertfestsetzung erfolgt für die vorliegende Beschlussklage gem. § 49 S. 1, S. 2 GKG, § 44 Abs. 1 WEG.
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Bei der Anfechtung von TOP 2 und TOP 3 handelt es sich wirtschaftlich um den gleichen Gegenstand bzw. um eine Maßnahme und die Finanzierung derselben, sodass ein einheitlicher Wert festgesetzt wurde, § 45 Abs. 1 S. 3 GKG.
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Hinsichtlich der Anfechtung des TOP 6 wurde auf die Verwaltervergütung für den Bestellungszeitraum (12,50 EUR pro Einheit und Monat, Laufzeit von 01.01.2022 bis 31.12.2024 mithin 36 Monate bei 14 Einheiten) abgestellt (Gesamtinteresse, unterhalb des siebeneinhalbfachen Werts des Interesses der Kläger) und mithin 6.300,00 EUR angesetzt.