Titel:
Abschalteinrichtung, Klagepartei, Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, Unzulässigkeit, Amtliche Auskunft, Hinreichende Erfolgsaussicht, Sittenwidrigkeit, Oberlandesgerichtsurteile, Nutzungsentschädigung, Betriebsuntersagung, Berufungsinstanz, Landgerichtsurteil, Schluss der mündlichen Verhandlung, Nach Rechtshängigkeit, Berufungserwiderung, Annahmeverzug, Gelegenheit zur Stellungnahme, Gerichtsgebühren, Erstinstanzlicher Vortrag, Kostenverzeichnis
Schlagworte:
unzulässige Abschalteinrichtung, Schadensersatzanspruch, Thermofenster, Kaltheizstrategie, Manipulationssoftware, Berufungsangriffe, Streitwertfestsetzung, Schadensersatz, OBD-Manipulation, Berufung, KBA-Untersuchung, vorsätzliche sittenwidrige Schädigung
Vorinstanz:
LG Aschaffenburg, Endurteil vom 29.10.2021 – 32 O 361/20
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Bamberg, Beschluss vom 25.04.2022 – 3 U 414/21
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 31.08.2023 – VIa ZR 713/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 51393
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klagepartei gegen das Endurteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 29.10.2021, Az. 32 O 361/20, durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis 07.04.2022.
Entscheidungsgründe
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Wegen des Sach- und Streitstands wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen. Lediglich ergänzend oder erläuternd ist noch auszuführen:
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1. Die Klagepartei nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin auf Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.
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Die Klagepartei erwarb am 10.08.2015 zu einem Kaufpreis von 27.860,00 € ein Neufahrzeug der Marke S. 2.0 TDI von einer nicht am Rechtsstreit beteiligten Dritten. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA 288 der Abgasnorm EU 6 mit einem NOx-Speicherkatalysator („NSK“) ausgestattet, der über einen Hubraum von 2.0 l und eine Leistung von 110 kW verfügt. Zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung in erster Instanz betrug die Laufleistung des Fahrzeugs 85.176 km. Das Fahrzeug verfügt zudem über ein sogenanntes „Thermofenster“, ein Rückrufbescheid des KBA existiert nicht.
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Die Klagepartei hat in erster Instanz vorgetragen, das Fahrzeug über mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen, namentlich über eine Zykluserkennung und über die Fahrkurve verfüge. Den Beweis hierfür liefere die „Applikationsrichtlinie“ der Beklagten. Auch das „Thermofenster“ stelle eine unzulässige Abschalteinrichtung dar. Zudem habe die Beklagte das „Onboard-Diagnose-System“ („OBD“) manipuliert. Die Klagepartei hat deshalb erstinstanzlich in der Hauptsache Schadensersatz in Höhe von 22.898,83 € (Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung) verlangt. Die Beklagte hat sich hiergegen mit dem Vortrag gewandt, dass keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut und der Einsatz eines Thermofensters nicht sittenwidrig sei.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils und die dort gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
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2. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Klagepartei habe die Voraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nicht hinreichend substantiiert vorgetragen. Es fehle an einem hinreichenden Vortrag zu einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Ein Rückruf des KBA liege nicht vor. Das Vorhandensein des Thermofensters stelle keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung dar.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.
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3. Hiergegen wendet sich die zulässige Berufung der Klagepartei, die unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens ihre Sachanträge vollumfänglich weiterverfolgt. Sie behauptet weiter das Vorhandensein verschiedener unzulässiger Abschalteinrichtungen, insbesondere einer „Kaltheizstrategie“. Der NSK sei erst funktionsfähig, wenn er die Betriebstemperatur von 200 Grad Celsius erreiche. Diese Warmlaufphase könne durch mehrere Maßnahmen wie zusätzliches Nachspritzen von Kraftstoff verkürzt und so die Schadstoffausstoß deutlich verringert werden. Diese Funktion werde bei Temperaturen von weniger als 2 Grad Celsius nicht aktiviert, so dass bis dahin der Emissionsausstoß erhöht sei, ohne dass hierfür eine technische Notwendigkeit bestünde. Dies ergebe sich aus einem Gutachten des Sachverständigen A. vom 29.07.2021, das für ein Fahrzeug EA 288 Euro 6 erstellt worden und auf das streitgegenständliche Fahrzeug übertragbar sei. Daneben beruft sich die Klagepartei weiter auf eine Fahrkurvenerkennung und ein „Thermofenster“.
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Die Klagepartei beantragt,
Unter Abänderung des am 29.10.2021 verkündeten und am 29.10.2021 zugestellten Urteils Az.: 32 O 361/20 des Landgerichts Aschaffenburg, beantragen wir:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 22.899,54 EUR sowie Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs S. mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer ….
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs S. mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer … zwei Wochen nach Rechtshängigkeit in Annahmeverzug befindet.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Der „Kaltheizstartbetrieb“ stehe in keinem Zusammenhang mit dem NSK. Dieses sei auch bei einem Kaltstart unmittelbar betriebsbereit.
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Hinsichtlich des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die Berufungsbegründung vom 31.01.2022 und die Berufungserwiderung vom 02.02.2022 Bezug genommen.
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Nach der einstimmigen Auffassung des Senats ist die Berufung offensichtlich unbegründet, so dass das Rechtsmittel keine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinn des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO bietet. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil die Klagepartei einen Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB nicht hinreichend dargelegt hat (zum von Senat insoweit zugrunde gelegten Maßstab vgl. BGH, Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, juris Rn. 21 ff. m.w.N.).
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1. Einem Anspruch der Klagepartei stehen die von der Beklagten vorgetragenen und von der Klagepartei nicht substantiiert in Frage gestellten Feststellungen des KBA entgegen.
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a) Das BMVI hat nach Bekanntwerden des Dieselskandals Untersuchungen auch in Bezug auf die Motoren des Typs EA 288 in Auftrag gegeben und das KBA angewiesen, spezifische Nachprüfungen durch unabhängige Gutachter zu veranlassen. Diese
„KBA-Felduntersuchungen“ umfassten insgesamt 56 Messungen an 53 Fahrzeugmodellen, von denen mehrere mit dem Motortyp EA 288 ausgestattet waren. Ziel der Untersuchung war u.a., die Motorvarianten des Typs EA 288 dahingehend zu überprüfen, ob sie unzulässige Abschalteinrichtungen oder unzulässige Systematiken und Randbedingungen von Prüfstands- und Zykluserkennungen wie die in den EA 189-Fahrzeugen verbaute Umschaltlogik enthielten.
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Bei diesen Untersuchungen sind keine unzulässigen Vorrichtungen bei Fahrzeugen mit dem Motortyp EA 288 der Emissionsklassen EU 5 und EU 6 festgestellt worden (OLG Dresden, Urteil vom 04. Dezember 2020 – 9a U 2074/19 –, Rn. 30, juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 07. Oktober 2020 – 4 U 171/18 –, Rn. 45, juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 24. September 2020 – 5 U 47/19 –, Rn. 37, juris).
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b) Dies wird bestätigt durch die von der Beklagten vorgelegten amtliche Auskunft des KBA an das LG Bayreuth vom 15.12.2020 betreffend den Motor EA 288 2.0l TDI 110 kW EU 6, in der ausgeführt wird (Anlage BE15):
„…Das KBA führte insgesamt sehr umfassende Untersuchungen an Fahrzeugen mit Motoren der Reihe des EA 288 durch, so z.B. im Rahmen der „Untersuchungskommission Volkswagen“, der freizugebenden Software-Updates für das nationale Forum Diesel sowie im Rahmen spezifischer Feldüberwachungstätigkeit… Ich weise darauf hin, dass der bloße Verbau einer Prüfstandserkennung nicht unzulässig ist, solange die Funktion nicht als Abschalteinrichtung gem. Art. 3 Abs. 10 der Verordnung (EG) 715/2007 genutzt wird. Prüfungen des KBA zeigen, dass auch bei Deaktivierung der Funktion die Grenzwerte in den Prüfverfahren zur Untersuchung der Auspuffemissionen nicht überschritten werden, sodass es sich nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt. Es wurde bei keinem Fahrzeug, welches ein Aggregat des EA 288 aufweist und durch das KBA untersucht wurde, eine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt… Das streitgegenständliche Fahrzeug T. 2.0l Diesel 110 kw Euro 6 … weist nach diesseitigem Kenntnisstand keine unzulässige Abschalteinrichtung hinsichtlich des Emissionsverhaltens auf.“
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c) Daneben hat das KBA in einer an das LG Freiburg gerichteten amtliche Auskunft vom 12.10.2020 für ein Verifikationsfahrzeug mit identischer Motorspezifikation wie das streitgegenständliche Fahrzeug mitgeteilt (Anlage B16), dass bei durch das KBA vorgenommenen Untersuchungen keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt worden sei.
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d) Dem in den amtlichen Auskünften mitgeteilten eindeutigen Befund der Untersuchungen des KBA – hat der Vortrag der Klagepartei in beiden Instanzen, den der Senat zur Kenntnis genommen und erwogen hat, nichts Substantielles entgegenzusetzen. Die Klagepartei setzt sich insbesondere nicht hinreichend mit der bereits in erster Instanz unstreitigen Tatsache auseinander, dass das KBA keinen Rückruf angeordnet hat, was bei der Feststellung einer unzulässigen Abschalteinrichtung der Fall gewesen wäre.
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e) Selbst wenn der Auffassung des KBA nicht beizutreten und die Implementierung der Abschalteinrichtungen als unzulässig einzuordnen wäre, zeigt dies exemplarisch, dass es sich nicht um eine willkürliche Bewertung handelte und jedenfalls nach der vertretbaren subjektiven Einschätzung der Beklagten die Gefahr einer Betriebsuntersagung und damit einer eingeschränkten Nutzbarkeit des Fahrzeugs nicht inmitten stand und steht. Deshalb kann aus der Beklagten ein Handeln, das gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkender verstoßen würde, auch nicht zum Vorwurf gemacht werden.
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2. Einen Schadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 31 BGB bzw. §§ 826, 831 BGB insbesondere mit Blick auf die von ihr behauptete unzulässigen Abschalteinrichtung in Form einer Zykluserkennung hat die Klagepartei nicht in beachtlicher Weise dargelegt, weil sie keine greifbaren Anhaltspunkte für das Vorhandensein der behaupteten Abschalteinrichtung vorträgt (zum Prüfungsmaßstab vgl. BGH, Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, juris Rn. 21 m.w.N.; Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, juris Rn. 23).
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Die Beklagte hat eine amtliche Auskunft des Kraftfahrtbundesamts vom 13.11.2020 an das Oberlandesgericht Stuttgart vorgelegt, die den Motor EA 288 EU 6 2.0 TDI 140 kW zum Gegenstand hat. Darin heißt es:
„Die Funktion einer Umschaltlogik in der Motorsteuerung der Aggregate des Entwicklungsauftrags EA 288 wird seitens des KBA nicht als unzulässige Abschalteinrichtung beurteilt. Der bloße Verbau einer Fahrkurvenerkennung ist nicht unzulässig, solange die Funktion nicht als Abschalteinrichtung gemäß Art. 3 Abs. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 genutzt wird. Prüfungen des KBA zeigen dass auch bei Deaktivierung der Funktion die Grenzwerte in den Prüfverfahren zur Untersuchung der Abgasemissionen nicht überschritten werden, so dass es sich nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt. Dies ist nicht der Fall.
Es wurde u.a. das Fahrzeug D. 140 kW … mit einem Motor aus dem EA 288 … durch das KBA mit mehreren Messungen untersucht. Dabei wurde keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt…“
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Vergeblich beruft sich die Klagepartei in diesem Zusammenhang auch auf die Applikationsrichtlinien zum EA 288. Dort heißt es auf Seite 28: „Umschaltung in der Software teilweise enthalten, jedoch ohne Einfluss auf das Emissionsverhalten. Hinweis: Die Fahrzyklenerkennung ist stark von der Motorvariante und dem Projekt abhängig und ist nicht immer einheitlich appliziert.“ In den Anlagen K 4 bis K 6 heißt es zur „Umschaltstrategie“ bei Fahrzeugen mit einem Dieselmotor des Typs EA 288 EU 6 NSK ferner: „Keine unterschiedlichen Emissionen zw. 1 und 2.“ Aus diesen Applikationsrichtlinien geht mithin hervor, dass bei Fahrzeugen mit dem Motor EA 288 in der Motorsteuerungssoftware keine Optimierung der Emissionen im Prüfstandsbetrieb vorgenommen wurde. Ausdrücklich ist dort festgehalten, dass die Fahrkurven nicht zur Einhaltung der Emissions- und OBD-Grenzwerte genutzt werden dürfen.
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3. Das Vorliegen eines „Thermofensters“ reicht zur Begründung einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nicht aus (BGH NJW 2021, 921 Rn. 19; BGH, Urteil vom 29.09.2021 – VII ZR 126/21).
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4. Die von der Klagepartei behauptete „Kaltheizstrategie“ lässt jegliche Darlegung zu einer Prüfstandsbezogenheit vermissen. Nach dem Vortrag der Klagepartei ist vielmehr davon auszugehen, dass diese von der Beklagten bestrittene Strategie in gleicher Weise auf dem Prüfstand wie im realen Fahrbetrieb Anwendung findet. Aus diesem Grund wäre eine solche Einrichtung, wie das „Thermofenster“ auch, grundsätzlich nicht als sittenwidrig zu qualifizieren (BGH NJW 2021, 921 Rn. 14,18).
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5. Aus dem Rückruf von Fahrzeugen der Marke VW, Typ T6 kann die Klagepartei nichts herleiten, da dieser wegen einer Konformitätsabweichung erfolgt ist, nicht wegen des Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Diese beiden Sachverhalte sind grundverschieden und können daher nicht – auch nicht rechtlich – gleichbehandelt werden.
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6. Die Abweichung der Messwerte im Realbetrieb von den Messwerten nach NEFZ ist als Indiz für eine Abschalteinrichtung, und noch dazu für eine Manipulationssoftware, die die Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllen könnte, angesichts der unstreitigen gravierenden Unterschiede der Bedingungen, unter denen die Messung erfolgt, ungeeignet (BGH, Beschluss vom 15.09.2021, VII ZR 2/21, juris Rn. 30; BGH, Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, juris Rn. 23).
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Aus diesen Gründen erscheint die Berufung der Klagepartei als aussichtslos und wird daher zurückzuweisen sein.
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1. Die aussichtslosen Berufungsangriffe erfordern keine Erörterung in mündlicher Verhandlung.
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2. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Nr. 3 ZPO liegen nicht vor.
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3. Der Senat regt daher – unbeschadet der Möglichkeit zur Stellungnahme – die kostengünstigere Rücknahme der aussichtslosen Berufung an, die zwei Gerichtsgebühren spart (vgl. Nr. 1220, 1222 Kostenverzeichnis GKG).
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4. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für die Berufungsinstanz auf bis zu 24.000,00 € festzusetzen.