Titel:
Schadensersatzanspruch, Marke, Berufung, Annahmeverzug, Grenzwerte, Vorsatz, Zinsen, Verwendung, Gefahr, Bewertung, Stilllegung, Streitwert, Hinweis, Kostenentscheidung, billigend in Kauf
Schlagworte:
Schadensersatzanspruch, Marke, Berufung, Annahmeverzug, Grenzwerte, Vorsatz, Zinsen, Verwendung, Gefahr, Bewertung, Stilllegung, Streitwert, Hinweis, Kostenentscheidung, billigend in Kauf
Vorinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 24.02.2022 – 14 U 5088/20
LG Kempten, Endurteil vom 20.07.2020 – 13 O 116/20
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 31.08.2023 – VIa ZR 594/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 51321
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 20.07.2020, Aktenzeichen 13 O 116/20, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 41.024,02 € festgesetzt.
Gründe
1
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 21.04.2021 sowie Punkt I. des hiesigen Hinweises vom 24.02.2022 (Bl. 420/422 d. A.) Bezug genommen.
2
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 20.07.2020, Aktenzeichen 13 O 116/20, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
3
In der Berufung beantragt die Klageseite, die von einem ihr zustehenden Schadensersatzanspruch in Höhe 41.024,02 € (s. S. 20 der Berufungsbegründung, Bl. 349 d. A.) ausgeht:
4
Unter Abänderung des am 20.07.2020 verkündeten Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu), Aktenzeichen 13 O 116/20, zugestellt am 23.07.2020, wird die Beklagte verurteilt,
1. an den Kläger 44.990,00 € nebst jährlichen Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.01.2020 Zug-um-Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs der Marke Audi des Typs A6 2.0 TDI, Limousine, FIN: …, abzüglich einer Nutzungsentschädigung in EUR, die nach der folgenden Formel zu berechnen ist: Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer ./. Restlaufzeit im Erwerbszeitpunkt, zu zahlen,
2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des vorbezeichneten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet,
3. die Beklagte kostenpflichtig und vorläufig vollstreckbar zu verurteilen, an den Kläger weitere 1.965,88 € nebst jährliche Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
5
Zur Begründung der vorliegenden Entscheidung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen.
6
Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung geben zu einer Änderung keinen Anlass.
7
Die Klageseite beschreibt hier die nach ihrem Vortrag erfolgte Bedatung von Fahrzeugen, die – anders als das streitgegenständliche – bis zur Kalenderwoche 47 des Jahres 2015 produziert worden sind. Da das streitgegenständliche Fahrzeug (anderes trägt auch der Kläger nicht vor) später produziert worden ist, sind diese Ausführungen unerheblich.
8
Es ist nochmals hervorzuheben, dass als Anspruchsgrundlage der Klageseite, die mit der Beklagten in keiner Vertragsbeziehung steht, nur § 826 BGB in Betracht kommt und dass zum schlüssigen Vortrag der Anspruchsvoraussetzungen allein die Behauptung des Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht genügt. Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt vielmehr zusätzlich voraus, dass die für die Beklagte bei der Ausgestaltung des Emissionskontrollsystems tätigen Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 321/20 –, Rn. 16, juris). Diesbezüglicher Vortrag ist zudem nur beachtlich, soweit er nicht ohne greifbare Anhaltspunkte und damit nicht lediglich ins Blaue hinein erfolgt.
9
Weder ist aber ein Sachverhalt unstreitig noch ist ein solcher von der Klageseite vorgetragen, aus dem sich ergäbe, dass die für die Beklagte bei der Ausgestaltung des Emissionskontrollsystems tätigen Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der hier streitgegenständlichen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Die Klageseite hat keine greifbaren Anhaltspunkte für ihre Behauptung aufgezeigt, dass der Sachvortrag der Beklagten unrichtig sei, wonach die von ihr eingeräumten Einwirkungen auf das Emissionskontrollsystem bei Erkennung des NEFZ-Zyklus für die Einhaltung der dort geltenden Grenzwerte nicht erforderlich gewesen seien. Es kann daher offen bleiben, ob diese Einwirkungen rechtlich als unzulässige Abschalteinrichtung einzustufen sind oder nicht. Jedenfalls kann ausgehend davon, dass die Einwirkungen auf das Emissionskontrollsystem bei Erkennung des NEFZ-Zyklus für die Einhaltung der dort geltenden Grenzwerte nicht erforderlich waren, nicht unterstellt werden, dass die bei der Entwicklung und/oder Verwendung dieser Steuerung des Emissionskontrollsystems beteiligten Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und einen darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen.
10
Zudem ist ein besonders verwerfliches Verhalten im Hinblick auf eine unsichere Rechtslage bei der Beurteilung der Zulässigkeit der vorliegenden Steuerung des Emissionskontrollsystems ausgeschlossen. Bei Vorhandensein einer (unterstellt) unzulässigen Abschalteinrichtung, die letztlich für die Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte nicht erforderlich war, kann bei Fehlen sonstiger Anhaltspunkte ebenso wie bei einer Abschalteinrichtung, die im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise arbeitet wie im realen Fahrbetrieb (s. hierzu BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 286/20 –, Rn. 30, juris), nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die für die Beklagte handelnden Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen.
11
Auch fehlt es an dem erforderlichen Schädigungsvorsatz.
12
Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchstellers gekannt beziehungsweise vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen, jedenfalls aber für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben. Es genügt nicht, wenn die relevanten Tatumstände lediglich objektiv erkennbar waren und der Handelnde sie hätte kennen können oder kennen müssen oder sie sich ihm sogar hätten aufdrängen müssen; in einer solchen Situation ist lediglich ein Fahrlässigkeitsvorwurf gerechtfertigt (BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 286/20 –, Rn. 32, juris).
13
Allein aus einer hier unterstellten objektiven Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung, die – wovon vorliegend auszugehen ist – für die Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte im NEFZ-Zyklus nicht erforderlich war, folgt kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer. Unstreitig fehlt es bezüglich des Fahrzeugs der Klageseite bis heute an einer behördlichen Stilllegung oder einem Zwang zu Umrüstungsmaßnahmen. Es ist daher nicht dargetan, dass sich den für die Beklagte tätigen Personen die Gefahr einer Schädigung des Klägers hätte aufdrängen müssen (s. BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 286/20 –, Rn. 32, juris).
14
Das Verhalten der Beklagten ist schließlich auch deswegen nicht als sittenwidrig zu bewerten, weil die Beklagte ihr – unterstellt – zunächst sittenwidriges Verhalten ab dem Ende des Jahres 2015 verändert hat, wie sich aus den klageseits in Bezug genommenen Applikationsrichtlinien (Beklagtenanlage BE3) ergibt.
15
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20 –, Rn. 30, juris) ist für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als (nicht) sittenwidrig in einer Gesamtschau (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 16) dessen Gesamtcharakter zu ermitteln, der das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen ist. Dies erlangt insbesondere dann Bedeutung, wenn die erste potenziell schadensursächliche Handlung und der Eintritt des Schadens zeitlich auseinanderfallen und der Schädiger sein Verhalten zwischenzeitlich nach außen erkennbar geändert hat.
16
Die Beklagte hat unstreitig, wie aus dem nicht bestrittenen Beklagtenvortrag auf S. 9 ff der Berufungserwiderung (Bl. 361 ff d. A.) hervorgeht, ihre – hier unterstellte – strategische unternehmerische Entscheidung, im eigenen Kosten- und Gewinninteresse das KBA und letztlich die Fahrzeugkäufer zu täuschen, ersetzt durch die Strategie, bezüglich des hier nicht streitgegenständlichen Motors EA 189 an die Öffentlichkeit zu treten, Unregelmäßigkeiten (wenn auch nicht bezogen auf den vorliegenden Motor) einzuräumen und in Zusammenarbeit mit dem KBA Maßnahmen zur Beseitigung eines etwa gesetzwidrigen Zustandes auch für das vorliegend streitgegenständliche Fahrzeug zu erarbeiten, um die Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung zu bannen. Tatsächlich ist ihr dies, wie sich gerade aus dem Vortrag der Klageseite zur Applikationsrichtlinie ergibt, durch die Entwicklung und Bereitstellung eines Software-Updates auch für den hier betroffenen Fahrzeugtyp gelungen. Die Beklagte hat damit ihre (unterstellt) zunächst gleichgültige Gesinnung im Hinblick auf etwaige Folgen und Schäden für Käufer ihrer Fahrzeuge aufgegeben. Ihr Bemühen (ab Ende 2015) um die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zeugt zusätzlich von der Aufgabe ihrer gleichgültigen und rücksichtslosen Gesinnung im Hinblick auf die die Umwelt und Gesundheit der Bevölkerung schützenden Rechtsvorschriften (s. BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20 –, Rn. 37, juris).
17
Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung ist daher das Verhalten der Beklagten bis zum Abschluss des streitgegenständlichen Kaufvertrages im Oktober 2016 einer Täuschung nicht mehr gleichzusetzen. Wesentliche Umstände, aufgrund derer ihr Verhalten gegenüber früheren Käufern als verwerflich zu werten sein könnte (was an dieser Stelle offen bleiben kann), sind daher bereits Ende des Jahres 2015 entfallen.
18
Dass die Beklagte das – hier unterstellte – Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht einräumt, sondern im Gegenteil dieser Bewertung weiterhin entgegentritt, sie eine bewusste Manipulation bestreitet und dass sie möglicherweise weitere Schritte zur umfassenden Aufklärung hätte unternehmen können, reicht für die Begründung des gravierenden Vorwurfs der sittenwidrigen Schädigung gegenüber dem Kläger nicht aus. Insbesondere war ein aus moralischer Sicht tadelloses Verhalten der Beklagten nicht erforderlich (s. BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20 –, Rn. 38, juris).
Zu Punkt II. und III. (Thermofenster, Prüfstandsbezogenheit):
19
Entgegen der Ansicht des Klägers bietet der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems keinen Anlass für die Annahme eines arglistigen Vorgehens des beklagten Automobilherstellers, das die Qualifikation seines Verhaltens als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19 –, Rn. 18, juris). Dass die Klageseite das Vorhandensein auch anderer Abschalteinrichtungen als des sog. Thermofensters behauptet, hat der Senat berücksichtigt (s. Punkt II. 6 des hiesigen Hinweises). Aus den unter Punkt II. 5 des hiesigen Hinweises ausgeführten Gründe führt auch eine Gesamtschau der von der Klageseite angeführten Gesichtspunkte nicht dazu, dass von greifbaren Anhaltspunkten für eine sittenwidrige Schädigung der Klageseite durch die Beklagte die Rede sein könnte.
20
Zum Vorsatz ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 322/20 –, Rn. 32, juris) der Handelnde die Schädigung des Anspruchstellers gekannt beziehungsweise vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen, jedenfalls aber für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben muss. Es genügt nicht, wenn die relevanten Tatumstände lediglich objektiv erkennbar waren und der Handelnde sie hätte kennen können oder kennen müssen oder sie sich ihm sogar hätten aufdrängen müssen; in einer solchen Situation ist lediglich ein Fahrlässigkeitsvorwurf gerechtfertigt. Allein aus einer etwaigen objektiven Unzulässigkeit der klageseits behaupteten Abschalteinrichtungen folgt kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer. Hinsichtlich des Fahrzeugs des Klägers, bezüglich dessen es bis heute an einer behördlichen Stilllegung oder einem Zwang zu Umrüstungsmaßnahmen fehlt, ist nicht dargetan, dass sich den für die Beklagte tätigen Personen die Gefahr einer Schädigung des Klägers hätte aufdrängen müssen.
21
Entgegen der Ansicht des Klägers haftet die Beklagte ihm nicht nach § 823 Abs. 2 BGB iVm Art. 4 Abs. 2 und Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 715/2007. Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liegt offensichtlich nicht im Aufgabenbereich des Art. 5 VO 715/2007/EG (BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20 –, Rn. 12, juris); gleiches gilt auch Für Art. 4 VO (EG) 715/2007.
22
Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst. Ob die Beklagte gemäß § 826 BGB haftet, hängt vom Sachvortrag der Parteien und den darauf gründenden tatrichterlichen Feststellungen ab. Die Voraussetzungen einer Haftung gemäß § 826 BGB sind höchstrichterlich abstrakt seit langem geklärt und durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 hinsichtlich der Entwicklung und des Einsatzes einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Rahmen der Abgasreinigung weiter konkretisiert worden (BGH, Beschluss vom 29. September 2021 – VII ZR 223/20 –, Rn. 8, juris).
23
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
24
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10 ZPO.
25
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.