Inhalt

OLG München, Beschluss v. 14.12.2022 – 11 W 1570/22 e
Titel:

Erstattungsfähigkeit der Kosten eines Privatgutachtens

Normenkette:
ZPO § 91 Abs. 2
Leitsatz:
Nur in bestimmten Ausnahmefällen, bei fehlender Sachkunde einer Partei etwa, können Kosten eines eingeholten Privatgutachtens erstattungsfähig sein, wenn es dazu dienen soll, ein bereits vorliegendes gerichtlich erholtes Gutachten zu erschüttern oder wenn ohne Hilfe eines Privatsachverständigen sachdienlicher Vortrag nicht möglich ist. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kostenerstattung, Privatgutachten, Sachkunde
Vorinstanz:
LG München I vom -- – 34 O 9520/18
Fundstelle:
BeckRS 2022, 51221

Tenor

I. Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Beschwerdewert beträgt € 953,60.

Gründe

I.
1
Mit Klageschrift vom 29.12.2017 hat der Kläger, als Vermieter, die Beklagte nach beendetem Gewerbemietverhältnis auf Schadensersatz für Stromkosten in Anspruch genommen. Nach Erhöhung der Klage verwies das Amtsgericht den Rechtsstreit an das Landgericht, vor dem am 28.08. 2018 ein Termin stattfand. Das Gericht äußerte dabei, es halte vollumfänglich an den vom Amtsgericht gegebenen Hinweisen fest, das ausgeführt hatte, für den Schadensersatzanspruch sei der Kläger darlegungs- und beweispflichtig; eine Pflichtverletzung läge nur vor, wenn die Beklagte übermäßig viel geheizt hätte, was wohl nur durch ein Sachverständigengutachten feststellbar sei (vgl. Ziffer 3. der Verfügung vom 02.05.2018). Am 02.04.2019 erließ das Landgericht einen Beweisbeschluss zu Einzelheiten des Stromverbrauchs bzw. des Heizungsverhaltens der Beklagten, mit dem es den Sachverständigen D. zum Gutachter bestimmte. Dieser reichte am 06.09.2019 sein Gutachten nebst Anlagen ein. Mit Schriftsatz vom 30.10.2019 wies der Kläger darauf hin, er benötige zur Stellungnahme auf das Gutachten sachverständige Hilfe; am 13.11.2019 legte er sodann eine Äußerung des Privatsachverständigen Kadletz vor (Anlage K 18) und stellte davon ausgehend eine Reihe von Fragen an den gerichtlich bestellten Sachverständigen. Im Termin vom 13.01.2020 wurde dieser zu seinem Gutachten angehört. Zu den Äußerungen des Gerichtsgutachters legte der Kläger am 31.01.2020 eine weitere Stellungnahme des Privatgutachters Kadletz vor (K 20). Auf den Hinweis- bzw. Vergleichsvorschlag des Gerichts vom 20.05.2020 (wonach Hintergrund des Rechtsstreits offensichtlich auch eine frühere persönliche Verbundenheit der Parteien sei) erholte das Landgericht ein Ergänzungsgutachten des Sachverständigen D. Auch hierzu nahm der Kläger Stellung, wobei er sich neuerlich der Unterstützung des Privatgutachters Kadletz bediente.
2
Das Landgericht wies die Klage mit Urteil vom 20.08.2021 ab. Auf die Berufung des Klägers kam es am 07.04.2022 zu einem Termin vor dem Oberlandesgericht, in dem ein Vergleich geschlossen wurde; von den Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs haben danach der Kläger 55%, die Beklagte 45% zu tragen.
3
Mit Festsetzungsgesuch vom 13.04.2022 (berichtigt am 09.05.2022) macht der Kläger u.a. als Parteikosten die Aufwendungen für den Privatgutachter Ka. in Höhe von insgesamt € 2.119,11 geltend; diese ergeben sich aus dessen Rechnungen vom 05.11.2019, 03.02.2020 sowie 09.03.2021. Die Rechtspflegerin setzte diese Kosten zu Gunsten des Klägers mit der Begründung fest, die Heranziehung des Privatsachverständigen sei notwendig gewesen, damit sich die nicht sachkundige Partei gezielt zu dem gerichtlichen Sachverständigengutachten habe äußern können. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer sofortigen Beschwerde, mit der sie die Erforderlichkeit der Heranziehung des Privatgutachters angreift: Der Kläger habe lediglich den gerichtlich bestellten Sachverständigen entbinden lassen wollen, weil dieser seine Ansichten nicht gestützt habe; der Einsatz des Privatgutachters habe somit nur dazu gedient, den Sachverständigen D. loszuwerden. Die Kosten des Privatgutachters seien weder zur Waffengleichheit noch für eine effektive Prozessführung erforderlich gewesen.
II.
4
Die gemäß § 569 ZPO zulässige sofortige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die Auffassung der Rechtspflegerin, wonach hier die Voraussetzungen für die Erstattungsfähigkeit der Aufwendungen für den Privatgutachter vorliegen, lässt Rechtsfehler nicht erkennen:
5
1. Richtig ist, dass privat in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten oder Stellungnahmen im Verfahren der Kostenfestsetzung nach den §§ 91 ff. ZPO nur ausnahmsweise als „notwendige Kosten des Rechtsstreits“ im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO erstattungsfähig sind. Dies gilt sowohl für vor einem Rechtsstreit entstandene wie auch für erst später, in dessen Verlauf, angefallene wie hier. Erst im Verlauf eines Verfahrens entstandene Kosten im genannten Sinne können nur dann für eine Festsetzung in Betracht kommen, wenn beachtet wird, dass es grundsätzlich Sache des Gerichts – und nicht der Parteien – ist, Beweise zu erheben. Nur in bestimmten Ausnahmefällen, bei fehlender Sachkunde einer Partei etwa, kann ein Privatgutachten beispielsweise dann veranlasst sein, wenn es dazu dienen soll, ein bereits vorliegendes gerichtlich erholtes Gutachten zu erschüttern oder wenn ohne Hilfe eines Privatsachverständigen sachdienlicher Vortrag nicht möglich ist (vgl. zuletzt etwa OLG Brandenburg, Beschluss vom 11.04.2022 – 6 W 19/22; aus der BGH-Rechtsprechung z.B. Beschluss vom 30.04.2019 – VI ZB 41/17; Beschluss vom 12.09.2018 – VII ZB 56/15; Beschluss vom 01.02.2017 – III ZB 18/14; aus der Senatsrechtsprechung zuletzt Beschluss vom 18.01.2022 – 11 W 1492/21; Beschluss vom 05.11.2021 – 11 W 1416/21, jew. m.w.N.).
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Darauf, ob ein Privatgutachten die spätere Entscheidung des Gerichts beeinflusst hat, kommt es nicht an, weil maßgeblich die Beurteilung ist, ob eine Partei im Zeitpunkt der Kosten auslösenden Maßnahme, also bei Beauftragung des Sachverständigen, deren Sachdienlichkeit annehmen konnte. Die Vorlage der gutachterlichen Äußerung im Prozess verlangt der BGH schon länger nicht mehr, s. etwa Beschluss vom 24.04.2012 – VIII ZB 27/11 Tz 3).
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2. Nach diesen Kriterien kann hier von der Erstattungsfähigkeit ausgegangen werden, wie die Rechtspflegerin richtig ausführt.
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Die Tätigkeiten, wie sie sich aus den Rechnungen des Privatsachverständigen Kadletz vom 11.11.2019, 03.02.2020 sowie 09.03.2021 ergeben, passen ohne weiteres zu der jeweiligen Prozesssituation des Klägers:
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Die Rechnung vom 11.11.2019 wurde für die Stellungnahme zu dem ersten Gerichtsgutachten des vom Gericht bestellten Sachverständigen D. gestellt. Dieses Gutachten war am 06.09.2019 bei Gericht eingegangen und wurde sodann an die Parteien zur Äußerung hinausgegeben. Die Stellungnahme des Privatgutachters diente erkennbar dazu, das Gerichtsgutachten – in der Terminologie des BGH – zu „erschüttern“. Zum Zeitpunkt der Beauftragung des Gutachters bestand für den nicht sachkundigen Kläger mithin entsprechender Anlass für die Beauftragung.
10
Dasselbe gilt für die Äußerungen des Gutachters zur Befragung des gerichtlichen Sachverständigen in dem Termin vom 13.01.2020. Am 03.02.2020 hat der Privatsachverständige seine Stellungnahme zur Anhörung des Gerichtsgutachters in diesem Termin abgerechnet (Anlage K 20). Auch hier dienten die Angaben des Privatgutachters erkennbar der Entgegnung auf die Ausführungen des Sachverständigen D.
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Im Hinblick auf dessen Angaben in dem Ergänzungsgutachten vom 03.02.2021 schließlich erschien es für den Kläger nachvollziehbar sachdienlich, auch hierzu den Privatgutachter zu beauftragen. Der Kläger bat mit Schriftsatz vom 25.02.2021 um Fristverlängerung um dem Privatsachverständigen die Fertigung einer Äußerung zu dem Ergänzungsgutachten zu ermöglichen. Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung war damit die Heranziehung hier veranlasst und sind die Aufwendungen festsetzungsfähig.
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3. Was die Höhe der Kosten des Privatsachverständigen anbelangt, so ist für die Beurteilung nicht das JVEG maßgeblich, vielmehr lediglich, ob die Rechnung des Privatgutachters rechtsmissbräuchlich überhöht ist, also in keinem vernünftigen Verhältnis mehr zur Sache selbst steht (richtig OLG Brandenburg, a.a.O., unter II. 2. c); ständige Rechtsprechung des Senats, s. etwa Beschluss vom 18.01.2022, a.a.O., unter II. 2.; Beschluss vom 28.05.2019 – 11 W 341/19, unter II. 2. a)). Dies liegt hier fern.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO; der Beschwerdewert bemisst sich nach den Aufwendungen für den Privatgutachter unter Berücksichtigung der Kostenquote in dem Vergleich vom 07.04.2022.