Titel:
Notwendiger Schulwechsel kein Härtegrund
Normenkette:
BGB § 574 Abs. 2
Leitsätze:
1. Die Notwendigkeit eines Schulwechsels rechtfertigt grundsätzlich keine Beschränkung der Ersatzraumsuche. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
2. Angemessener Wohnraum muss nicht gleichwertig sein. Ausgehend von einem sehr großen Haus in Bestlage sind unter Berücksichtigung des Zwecks der Norm auch höhere Abstriche zuzumuten als etwa bei einem ohnehin schon geringen Wohnstandard. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Mietvertrag, Eigenbedarf, Widerspruch, Härte, Schulwechsel, Bestlage, Wohnstandard, Gleichwertigkeit
Rechtsmittelinstanzen:
LG München II, Urteil vom 13.12.2022 – 12 S 2089/22
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 08.08.2023 – VIII ZR 20/23
Fundstelle:
BeckRS 2022, 51204
Tenor
1. Die Beklagten werden verurteilt, das Haus … in … M… bestehend aus 10 Zimmern, 2 Küchen, 5 Bad/WC, 1 WC, 8 Abstellräumen, 6 Flure, 1 Kellerabteil, 2 Balkone, 2 Terrassen, 1 Garten, 4 Garagen zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.
2. Den Beklagten wird eine Räumungsfrist bis 31.08.2022 gewährt.
3. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 30.000,00 € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Streitwert wird auf 85.200,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses.
2
Die Klägerin vermietete mit Mietvertrag vom 09.11.2018 das streitgegenständliche Haus in der … in M… an die Beklagten. Das Haus hat eine Wohnfläche von ca. 410 m² und u.a. zehn Zimmer. Es ist zweigeteilt und besteht aus einem Haupt- und einem Nebenhaus, welche mit einer Durchgangstür verbunden sind. Die derzeitige Kaltmiete beträgt 7.100 €.
3
Die Beklagten bewohnen das Haus mit ihren vier Kindern. Ihr Sohn … besucht derzeit die 11. Klasse des achtjährigen Gymnasiums in S…. Ihr Sohn … besucht die 9. Klasse der M. Schule B….
4
Die Klägerin hat zwei erwachsene Söhne. Die Familie der Klägerin hatte das streitgegenständliche Haus während der Kindheit und Jugend der Söhne bewohnt. Beide Söhne, die Zeugen … und … wohnen derzeit in M…. Der Zeuge … wohnt dort mit seiner Lebensgefährtin und seinem Kind zusammen. Die Klägerin und ihre Söhne wohnen derzeit jeweils zur Miete. Die Klägerin versuchte im Frühjahr 2021 vergeblich, die Besichtigung des streitgegenständlichen Anwesens zum Verkauf der Immobilie zu erreichen und unterbreitete auch den Beklagten ein Verkaufsangebot.
5
Die Klägerin kündigte das Mietverhältnis mit am selben Tag zugegangenem Schreiben vom 31.08.2021 zum 30.11.2021 (Anlage K2). Die Beklagten haben mit Schreiben vom 29.09.2021 Widerspruch gegen die Kündigung eingelegt (Anlage K3).
6
Die Beklagten haben in Immobilienportalen im Internet nach Wohnungen in M… ab 5 Zimmern gesucht sowie nach Häusern im Umkreis von 15 km um M… ab 400 m² und keinen Treffer erhalten. Sie haben eine Maklerin wegen zweier Villen (Anlagen B10 und B11) in S… und B… kontaktiert.
7
Die Klägerin behauptet, das Haus künftig zu einem Teil selbst bewohnen und zu einem anderen Teil für die Wohnung ihres Sohnes … mit seiner Familie nutzen zu wollen. Der andere Sohn … solle einen Bereich des Hauses als Zweitwohnsitz nutzen. Sie habe zunächst beabsichtigt gehabt, das streitgegenständliche Haus zu veräußern und sich den Erlös mit ihren Söhnen zu teilen. Im Sommer 2021 habe sie von diesem Plan Abstand genommen und sich stattdessen zu der vorgetragenen Wohnsituation entschlossen.
8
Die Klägerin beantragt,
die Beklagten zu verurteilen, das Haus … in … M… bestehend aus 10 Zimmern, 2 Küchen, 5 Bad/WC, 1 WC, 8 Abstellräumen, 6 Flure, 1 Kellerabteil, 2 Balkone, 2 Terrassen, 1 Garten, 4 Garagen zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.
9
Die Beklagten beantragen:
- 1.
-
Die Klage wird abgewiesen.
- 2.
-
Hilfsweise wird festgestellt, dass das Mietverhältnis gem. §§ 574, 574a BGB auf unbestimmte Zeit, hilfsweise für eine Zeit, die in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, fortbesteht.
- 3.
-
Hilfsweise wird den Beklagten für die im Klageantrag zu 1. bezeichnete Wohnung eine in das Ermessen des Gerichts gestellte Räumungsfrist gewährt.
10
Die Beklagten behaupten, die Klägerin habe bei Abschluss des Mietvertrags einen Eigenbedarf ausgeschlossen. Ein Sohn der Klägerin habe am 06.11.2020 gegenüber den Beklagten erklärt, auf keinen Fall in das Haus einziehen zu wollen. Das Haus sei nicht in der von der Klägerin vorgetragenen Weise nutzbar. Die Beklagten hätten sich ernsthaft und nachhaltig, aber erfolglos, um angemessenen Ersatzwohnraum bemüht.
11
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die eidliche Vernehmung des Zeugen … und die uneidliche Vernehmung des Zeugen …. Für das Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 16.05.2022 Bezug genommen. Für die Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird außerdem auf die Schriftsätze der Klagepartei vom 25.10.2021, 21.01.2022 und 02.06.2022 und der Beklagtenpartei vom 28.12.2021, 01.03.2022, 30.05.2022 und 09.06.2022 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
12
Die Klage ist zulässig und begründet.
13
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Amtsgericht Wolfratshausen gemäß § 23 Nr. 2a GVG sachlich und gemäß § 29a Abs. 1 ZPO örtlich zuständig.
14
Die Klage ist begründet. Das zwischen den Parteien geschlossene Mietverhältnis ist durch die Kündigung vom 31.08.2021 zum 30.11.2021 beendet worden.
15
Die Klägerin hat das Mietverhältnis am 31.08.2021 durch Erklärung ihres Rechtsanwalts gekündigt. Dabei hat sie Gründe für die Kündigung i.S.d. § 573 Abs. 3 BGB angegeben. Eine Eigenbedarfskündigung ist hinreichend begründet, wenn sich aus dem Kündigungsschreiben ergibt, dass der Vermieter die Räume selbst bewohnen oder diese einer begünstigten Person überlassen will und dass hierfür vernünftige Gründe vorliegen. Hierzu reicht im Allgemeinen aus, wenn der Kündigungsgrund so bezeichnet ist, dass der Mieter Klarheit über seine Rechtsposition erlangen und rechtzeitig alles Erforderliche zur Wahrung seiner Interessen zu veranlassen kann (Schmidt-Futterer BGB § 573 Rn. 255). Vorliegend hat die Klägerin die beabsichtigte Nutzung und die betreffenden Personen inklusive Angabe des Verwandtschaftsverhältnisses offengelegt. Eine hinreichende Begründung liegt damit vor.
16
Ein berechtigtes Interesse liegt vor, da die Klägerin die Räume als Wohnung für sich und ihre Familienangehörigen benötigt, § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB.
17
1. Nach der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts (§ 286 ZPO) fest, dass die Klägerin seit dem Jahr 2021 ernsthaft beabsichtigt, das Nebenhaus zu beziehen und ihren Sohn …. mit seiner Familie das Haupthaus beziehen zu lassen und für den Sohn … einen Raum zur Nutzung als Zweitwohnsitz zur Verfügung zu stellen, den dieser am Wochenende oder wochenweise nutzen möchte. Auch die entsprechende ernsthafte Absicht der Söhne steht zur Überzeugung des Gerichts fest.
18
a) Dies folgt zum einen aus der plausiblen Aussage des Zeugen …. Dieser machte seine Einzugspläne deutlich, wobei insbesondere die Ausführungen zu den derzeitigen deutlich kleineren Wohnverhältnissen sowie zu seinen und den Arbeitsbedingungen seiner Frau einen Umzugsplan nachvollziehbar erkennen lassen. So erklärte er auch, dass Haupt- und Nebenhaus früher getrennt waren und auch wieder trennbar wären, wobei er mit seiner Familie das größere Haupthaus bewohnen würde. Er erklärte auch, dass zunächst beabsichtigt gewesen sei, anderen Wohnraum zu finden, und der Entschluss zur Nutzung des streitgegenständlichen Hauses dann im Frühjahr 2021 gefallen sei.
19
b) Auch die Aussage des Zeugen … fügt sich hier im Wesentlichen ein. Seine erklärte Absicht, einen Raum als Zweitwohnsitz zu bekommen, legte er plausibel dar. Dass ihm angesichts der Größe des Hauses hierfür ein Raum zur Verfügung gestellt werden könnte, ist nachvollziehbar; ebenso seine Motivation, hier regelmäßig seine Mutter, seinen Bruder samt Familie sowie seine Freunde am Wohnort seiner Jugend zu besuchen. Dass er ersichtlich nicht vertieft in die genauen Pläne involviert ist, wer welchen Teil des Hauses bewohnen würde, schadet hier nicht, da seine beabsichtigte Nutzung im Vergleich zu seinem Bruder und zur Klägerin von deutlich untergeordneter Bedeutung ist.
20
c) Berücksichtigt werden muss natürlich, dass es sich bei den Zeugen um die Söhne der Klägerin handelt, welche ein Interesse am Ausgang des Rechtsstreits haben. Auch angesichts dessen machten die Zeugen aber einen glaubwürdigen Eindruck. Sowohl die Art des Auftretens als auch der schlüssige Inhalt der Aussagen überzeugten. Insbesondere ist die besondere Beweiskraft der eidlichen Aussage des wesentlichen Zeugen … zu berücksichtigen, da ein Meineid ein Verbrechen darstellen würde.
21
d) Die von Beklagtenseite vorgetragenen Einwände können diese Überzeugung nicht erschüttern. Insbesondere steht es nicht entgegen, dass die Klägerin das Haus ursprünglich verkaufen wollte und dabei von den Beklagten nicht die von ihr gewünschte Mitwirkung erhielt. Dies lässt in seiner zeitlichen Abfolge den erst im Lauf des Jahres 2021 gefassten Entschluss eher noch plausibler erscheinen.
22
2. Die Klägerin selbst sowie ihre Söhne, ihre Schwiegertochter und ihr Enkelkind gehören zum privilegierten Personenkreis des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB (vgl. Blank/Börstinghaus BGB § 573 Rn. 52).
23
3. Das Haus soll auch als Wohnung genutzt werden. Eine etwaige Arbeit aus dem Homeoffice wäre hierfür unschädlich, da sogar die Nutzung eines untergeordneten Teils der Räume für anderweitige Zwecke unschädlich ist. Auch eine Nutzung als Zweitwohnung ist erfasst (Schmidt-Futterer BGB § 573 Rn. 74 f.).
24
4. Die Klägerin benötigt die Räume für sich und ihre Familienangehörigen.
25
a) Ein Vermieter benötigt eine Mietwohnung bereits dann i.S.d. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB, wenn sein (ernsthafter) Wunsch, die Wohnung künftig selbst zu nutzen oder nahen Angehörigen zu Wohnzwecken zur Verfügung zu stellen, auf vernünftige und nachvollziehbare Gründe gestützt wird und somit nicht rechtsmissbräuchlich ist (st. Rspr. BGH, vgl. BGH NJW 2019, 2765 Rn. 18 f.). Eine solche Auslegung ergibt sich aus der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG. Auch ein Umzug in eine größere Wohnung ist nicht zu beanstanden. Der vom Vermieter geltend gemachte Wohnbedarf ist nicht auf Angemessenheit, sondern nur auf Rechtsmissbrauch zu überprüfen. Rechtsmissbräuchlich ist nicht schon der überhöhte, sondern erst der weit überhöhte Wohnbedarf (Schmidt-Futterer BGB § 573 Rn. 109). Dem Vermieter steht ein weiter Ermessensspielraum zu. Die Annahme von Rechtsmissbrauch muss auf Ausnahmefälle beschränkt sein (ebd. Rn. 133).
26
b) Vorliegend hatte die Klägerin das ganze Haus schon einmal früher mit einer vierköpfigen Familie bewohnt. Ihre Söhne haben dort einige Jahre ihrer Jugend verbracht. Auch dies ist zu berücksichtigen, sodass zwar eine große Wohnfläche zur Verfügung steht, welche hier aber nicht weit überhöht ist. Auch der Wunsch der Klägerin, nicht mehr zur Miete zu wohnen, ist anzuerkennen; ebenso die Nähe der Klägerin zu ihrem Sohn und Enkel, was im gegenseitigen Nutzen liegt. Da das Haus bereits früher in zwei Teile im Größenverhältnis von 1/3 zu 2/3 aufgeteilt war, ist dies auch hier nachvollziehbar. Die Nutzung eines kleinen Teiles als Zweitwohnsitz für den Sohn … ist hier eher von untergeordneter Bedeutung, führt aber weiter dazu, dass der Wohnbedarf insgesamt nicht weit überhöht ist. Eine andere freistehende Wohnung, durch die der Bedarf gedeckt werden kann, besteht nicht. Ein berechtigtes Interesse liegt somit vor. Dieses überwiegt das allgemeine Bestandsinteresse der Beklagten, wobei besondere Härtegründe erst auf den Widerspruch hin zu berücksichtigen sind.
27
5. Ein Ausschluss des Eigenbedarfs durch die Klägerin bei Vertragsschluss wäre von den Beklagten zu beweisen, da dies für sie günstig wäre. Dieser Beweis konnte nicht erbracht werden.
28
6. Die Kündigung ist auch nicht aufgrund eines vorhandenen oder absehbaren Eigenbedarfs bei Vertragsschluss treuwidrig.
29
a) Ein Vermieter setzt sich zu seinem eigenen Verhalten dann in Widerspruch, wenn er eine Wohnung auf unbestimmte Zeit vermietet, obwohl er entweder entschlossen ist oder zumindest erwägt, sie alsbald selbst in Gebrauch zu nehmen. Der Vermieter ist allerdings nur dann mit einer späteren Eigenbedarfskündigung ausgeschlossen, wenn er eine solche Kündigung bereits beim Abschluss des Mietvertrags beabsichtigt oder dies ernsthaft in Erwägung zieht. Der Mieter muss darlegen und beweisen, (1) dass zwischen Vertragsschluss und Kündigung weniger als fünf Jahre liegen, (2) dass der Bedarf bereits bei Vertragsschluss gegeben war oder absehbar gewesen ist und (3) dass der Vermieter keinen Hinweis auf die kurzzeitige Dauer des Mietverhältnisses gegeben hat (Schmidt-Futterer BGB § 573 Rn. 123, 125, 131).
30
b) Vorliegend ist die ursprüngliche Verkaufsabsicht der Klägerin bis ins Jahr 2021 hinein sogar unstreitig. Der Zeitraum von unter fünf Jahren alleine begründet nach den genannten Voraussetzungen noch keine treuwidrige Kündigung. Es sind auch sonst keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Klägerin bei Vertragsschluss eine Eigennutzung erwog. Vielmehr lässt auch und gerade der Beklagtenvortrag auf das Gegenteil schließen. Dass die Klägerin ihre Meinung erst im Lauf des Frühjahrs oder Sommers 2021 geändert hat, steht zur Überzeugung des Gerichts fest. Auch in diesem Sinneswandel selbst liegt keine Treuwidrigkeit.
31
Das Mietverhältnis ist nach dem Widerspruch nicht gemäß § 574a BGB auf bestimmte oder unbestimmte Zeit fortzusetzen.
32
1. Die Beklagten haben mit Schreiben vom 29.09.2021 form- und fristgerecht gemäß § 574b BGB Widerspruch gegen die Kündigung erklärt.
33
2. Die Beendigung des Mietverhältnisses bedeutet für die Beklagten oder ihre Familie keine Härte gemäß § 574 Abs. 1 S. 1 BGB, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen wäre.
34
a) Bei der Norm, die früher als Sozialklausel bezeichnet wurde, handelt es sich um den Kernbestand des sozialen Mietrechts (MüKoBGB § 574 Rn. 1 f.). Der Begriff „Härte“ erfasst alle Nachteile wirtschaftlicher, finanzieller, gesundheitlicher, familiärer oder persönlicher Art, die infolge der Vertragsbeendigung auftreten können. Der Eintritt der Nachteile muss nicht mit absoluter Sicherheit feststehen. Es genügt, wenn solche Nachteile mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind (BVerfG NZM 2015, 161; LG München I BeckRS 2016, 124265). Die lediglich theoretische Möglichkeit des Eintritts von Nachteilen reicht hingegen nicht aus (BGH NZM 2005, 143). Die Nachteile müssen dergestalt sein, dass sie „nicht zu rechtfertigen“ sind. Die kündigungstypischen Belastungen muss ein in durchschnittlichen Verhältnissen lebender Mieter hinnehmen. Andererseits muss keine sittenwidrige Härte vorliegen. Erforderlich ist, dass die Nachteile von einigem Gewicht sind. Maßgeblich ist eine Gesamtbewertung aller in der Person des Mieters liegenden Härtegründe. Die Anwendung des § 574 BGB liegt umso näher, je hilfsbedürftiger der Mieter ist (Schmidt-Futterer BGB § 574 Rn. 20, 26).
35
b) Die Beklagten tragen vor, dass angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden kann, § 574 Abs. 2 BGB. Die Darlegungs- und Beweislast für ausreichende Bemühungen tragen die Beklagten als Mieter, die umfassend zu allen Härtegründen vortragen müssen.
36
aa) Für die Annahme eines Härtegrundes reicht es allerdings nicht aus, dass in der Gemeinde eine allgemeine Wohnungsmangellage besteht. Der Mieter muss vor allem substantiiert vortragen, welche Maßnahmen er ergriffen hat, um Ersatzwohnraum, der seinen finanziellen und persönlichen Verhältnissen angemessen ist, zu finden. Der Mieter muss sich rechtzeitig und nachhaltig um Ersatzwohnraum bemühen, soweit ihm das nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zuzumuten ist. Das gilt auch für angespannte Wohnungsmärkte; die „bekanntermaßen schlechte Lage am Wohnungsmarkt“ befreit den Mieter nicht von der Obliegenheit. Zu dieser gehört, dass sich der Mieter mit dem gebotenen Nachdruck bemüht. Zu fordern ist etwa das regelmäßige Schalten und Lesen von Inseraten, auch im Internet. Es handelt sich um eine Obliegenheit des Mieters, deren Erfüllung Voraussetzung dafür ist, dass dieser sich auf einen Härtegrund berufen kann (MüKoBGB § 574 Rn. 14). Die Notwendigkeit eines Schulwechsels rechtfertigt grundsätzlich keine Beschränkung der Ersatzraumsuche (ebd. Rn. 34), wobei dies im Kontext mit der konkreten schulischen Situation zu würdigen ist. Der Mieter kann verlangen, dass die Ersatzwohnung hinsichtlich ihrer Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage seinen bisherigen Lebensumständen entspricht (ebd. Rn. 33). Angemessen i.S.d. Abs. 2 bedeutet aber nicht gleichwertig. Der Mieter braucht jedoch einschneidende Beschränkungen seiner Lebensverhältnisse nicht hinzunehmen (MüKoBGB § 574 Rn. 12). Bei der Zumutbarkeit kommt es vor allem auf die Miethöhe an. Den üblichen Neuvermietungspreis muss der Mieter akzeptieren (Schmidt-Futterer BGB § 574 Rn. 35). Das Zitat, die Suche müsse sich auf das „gesamte Gemeindegebiet“ erstrecken, wird häufig aus dem Zusammenhang gerissen. Gemeint ist, dass sich die Suche i.d.R. nicht nur auf das eigene Stadtviertel zu beschränken hat (vgl. Schmidt-Futterer BGB § 574 Rn. 34). Eine zusätzliche Beschränkung des Suchgebiets nur deshalb, weil man in einer kleinen Gemeinde wohnt, ist damit nicht verbunden.
37
bb) Vorliegend haben die Beklagten nach Wohnungen in M… ab 5 Zimmern gesucht. Dieses Suchgebiet ist nach den obigen Feststellungen zu klein. Ferner haben die Beklagten im Umkreis von 15 km um M… nach Häusern ab 400 m² gesucht und wegen zweier Villen in S…. und B… angefragt. Die Größe dieses Suchgebiets dürfte angemessen sein, wobei angesichts der vorgetragenen Bedeutung der Schulen der Kinder auch diese den Ausgangspunkt bilden könnten. Eine Beschränkung der Suche auf Wohnflächen ab 400 m² und auf Villen im Top-Segment stellt aber keine ausreichenden Bemühungen dar. Auch der Vortrag einer notwendigen Seenähe überzeugt nicht. Bei § 574 BGB handelt es sich um eine Norm des sozialen Mietrechts. Demnach angemessener Wohnraum muss gerade nicht gleichwertig sein. Ausgehend von einem sehr großen Haus in Bestlage sind unter Berücksichtigung des Zwecks der Norm auch höhere Abstriche zuzumuten als etwa bei einem ohnehin schon geringen Wohnstandard. Auch eine sechsköpfige Familie kann mit ausreichenden Schlafzimmern und im Verhältnis zum streitgegenständlichen Haus angemessen auf weniger als 400 m² wohnen. Suchbemühungen sowohl im ausreichenden Suchgebiet als auch in einer angemessenen Größe sind aber nicht vorgetragen, geschweige denn im ausreichenden Umfang. Es ist auch nicht ersichtlich oder vorgetragen, dass die Bemühungen rechtzeitig stattgefunden haben. Auch der erforderliche Nachdruck wurde nicht gezeigt. So wird im Wesentlichen darauf verwiesen, dass alle verfügbaren Angebote unzureichend seien, was wie gezeigt nicht zutrifft. Eigene Anzeigen wurden nicht geschaltet. Soweit sich, etwa bei Anfragen an die Maklerin, um Wohnraum bemüht wurde, so bleiben diese Bemühungen punktuell. Die Beklagten konnten somit auch nach richterlichem Hinweis ihrer Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich ausreichender Bemühungen um angemessenen Ersatzraum nicht nachkommen.
38
c) Die Beklagten tragen vor, dass ein Umzug zu schulischen Schwierigkeiten ihrer beiden schulpflichtigen Söhne … und … führen würde.
39
aa) Allein ein infolge des Umzugs erforderlicher Schulwechsel begründet keine Härte, es sei denn, das Kind des Mieters ist auf eine besondere Schule, deren Besuch durch den Umzug unzumutbar würde, angewiesen (MüKoBGB § 574 Rn. 19). Ein Härtegrund liegt vor, wenn den Kindern des Mieters durch den Wohnungswechsel ernsthafte Umschulungs- oder Prüfungsschwierigkeiten entstehen. Sorgfältig zu prüfen ist aber, ob tatsächlich immer ein Schulwechsel erforderlich oder – in Abhängigkeit vom Alter der Kinder – auch ein längerer Schulweg zumutbar ist (BeckOK MietR § 574 Rn. 26).
40
bb) Vorliegend ist zunächst alles andere als sicher, ob überhaupt ein Schulwechsel notwendig wäre. Die Schulen befinden sich in S… und in B…, Gemeinde …. Von B… in ähnlicher Entfernung wie das streitgegenständliche Haus befinden sich neben M… auch etwa die Gemeinden W…, I…, S…, B… und S…. Auch zum Gymnasium in S… würde sich der Weg, der derzeit schon recht weit ist, durch einen Umzug in die Mehrheit dieser Gemeinden nicht verlängern oder sogar (teils deutlich) verkürzen. Eine Fahrt zum Gymnasium in S… welche nicht länger als bisher ist, wäre in jedem Fall hinzunehmen, da sich die Beklagten für eine solche Fahrtdauer entschieden haben. Eine Fahrt des jüngeren Sohnes zu seiner bisherigen Schule könnte angesichts seines Alters auch noch dann hinnehmbar sein, wenn sie etwas länger wäre als bisher. Isoliert betrachtet ist ein Schulwechsel durch einen Umzug also nicht zwingend notwendig.
41
cc) Auch in Zusammenhang mit der Suche nach angemessenem Ersatzwohnraum ergibt sich kein anderes Bild. Wie gezeigt haben sich die Beklagten nicht ausreichend um diesen bemüht. Insbesondere haben sie auch nicht dargelegt, dass angemessener Wohnraum in Gegenden nicht verfügbar sei, die für die Söhne keine Verschlechterung ihres Schulweges darstellen würden. Bereits aus diesem Grund geht die Berufung auf Schwierigkeiten wegen eines potentiellen Schulwechsels ins Leere. Nicht hinreichend dargelegt ist auch, warum ein Umzug ohne Schulwechsel eine nicht hinnehmbare Härte für die Söhne darstellen würde. Die Ausführungen zu schulischen Schwierigkeiten sind lediglich abstrakt, hypothetisch und auf die generelle Bedeutung der gymnasialen Oberstufe bezogen. Warum ein Umzug (ohne Schulwechsel) nach allem Vorstehenden eine nicht hinnehmbare Härte darstellen würde, erschließt sich nicht. Etwaige Schwierigkeiten bei einer Umgewöhnung in einem neuen schulischen Umfeld können dahinstehen, da nach alledem schon die Notwendigkeit eines Schulwechsels nicht besteht.
42
dd) Anerkannt ist zwar, dass Mieter mit schulpflichtigen Kindern nicht außerhalb der Schulferien umziehen müssen (Schmidt-Futterer BGB § 574 Rn. 55). Doch kann sich ein Mieter hierauf nicht berufen, wenn er – wie hier – seiner Obliegenheit, rechtzeitig Ersatzwohnraum zu suchen, nicht nachgekommen ist. Seit der Kündigungserklärung sind bereits über neun Monate mit zahlreichen Schulferienzeiten vergangen. Zu berücksichtigen wäre dieser Punkt nur, wenn es den Beklagten aufgrund des Zeitpunkts der Kündigung (und Kündigungsfrist) oder trotz ausreichender Bemühungen nicht möglich gewesen wäre, einen Umzug zu Ferienzeiten zu ermöglichen. Dies ist hier nicht der Fall.
43
d) Härtegründe i.S.d. § 574 Abs. 1 S. 1 BGB liegen also nicht vor, sodass auch eine Abwägung mit berechtigten Interessen des Vermieters nicht stattzufinden hat.
44
Den Beklagten ist eine Räumungsfrist gemäß § 721 Abs. 1 S. 1 ZPO bis 31.08.2022 einzuräumen.
45
1. Die entscheidende Frage bei § 721 ZPO ist, ob die Gewährung einer Räumungsfrist auch unter Würdigung des im Räumungstitel verbrieften Wiedererlangungsinteresses des Vermieters gerechtfertigt ist. § 721 ZPO ist autonom auszulegen, wobei im Rahmen des § 574 BGB vorgenommene Wertungen auch hier berücksichtigt werden dürfen.
46
2. Zu berücksichtigen ist hier, dass festgestellt wurde, dass die Kündigung der Klägerin zu recht erfolgt ist. Eine Räumungsfrist stellt einen Eingriff in ihr Recht dar. Ebenfalls ist auch hier zu berücksichtigen, dass es das Versäumnis der Beklagten ist, sich nur unzureichend um Ersatzwohnraum bemüht zu haben (s.o.). Andererseits sind an dieser Stelle die Belange der Kinder gesondert zu beachten. Versäumnisse ihrer Eltern dürfen nicht in jedem Fall vollständig zu ihren Lasten gehen. Die Kinder haben ein schutzwürdiges Interesse daran, dass die Zeit eines Umzugs mit ihren üblichen Mühen nicht in eine möglicherweise entscheidende Phase des Schuljahres fällt. Ebenso ist hinsichtlich des Erlangungsinteresses der Klägerin zu berücksichtigen, dass die Kündigung auf einem Eigenbedarf und nicht auf Versäumnissen der Beklagten beruht. Insbesondere wird die Miete unstreitig gezahlt. Der Eigenbedarf wiederum ist nicht derart dringend, dass etwa der Verlust der bisherigen Wohnung der Klägerin oder ihrer Söhne drohen würde.
47
3. Im Ergebnis ist daher unter Berücksichtigung aller berechtigten Interessen eine Räumungsfrist bis 31.08.2022 angemessen. Dieser Zeitraum ist erforderlich und angemessen, um angemessenen Ersatzwohnraum zu finden und den Umzug in den Sommerferien durchzuführen, was die Kinder am wenigsten belastet.
48
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. § 93b ZPO ist nicht einschlägig. Allein die Bewilligung einer Räumungsfrist entgegen den Vorstellungen des Vermieters rechtfertigt keine Kostenquotelung (MüKoZPO § 721 Rn. 7).
49
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 7, 711 ZPO. Hinsichtlich der anzusetzenden Sicherheitsleistung sind die Umstände des Einzelfalls und der Kündigungsgrund zu beachten. Der Räumungsschuldner muss Sicherheit in Höhe des bei einem Rechtsmittel entstehenden Verzögerungsschadens leisten. Dies ist eine von der Klägerin weiter zu zahlende Miete für ihre derzeitige Wohnung. Der Räumungsgläubiger muss Sicherheit in Höhe eines ggf. entstehenden Schadensersatzanspruchs gem. § 717 Abs. 2 ZPO leisten. Dies betrifft v.a. die mögliche Differenz für eine höhere Miete einer gesuchten Ersatzwohnung sowie Umzugskosten. Hier ist im Ergebnis eine Sicherheitsleistung von 30.000 € angemessen.
50
Der Streitwert entspricht der Höhe von zwölf Netto-Monatsmieten, § 41 Abs. 1 GKG.