Inhalt

VG München, Urteil v. 14.12.2022 – M 29 K 20.1369
Titel:

Auskunftsanspruch gegen Buchungsplattform, kein hinreichend konkreter Anfangsverdacht einer unzulässigen Zweckentfremdung, keine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit

Normenketten:
ZwEWG Art. 3 Abs. 1 S. 1, S. 3, S. 5
ZeS § 12 Abs. 1 S. 1 Halbs. 1, S. 2, S. 4
TMG § 14 Abs. 2
TTDSG § 22 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 Nr. 1, Nr. 2a
Schlagworte:
Auskunftsanspruch gegen Buchungsplattform, kein hinreichend konkreter Anfangsverdacht einer unzulässigen Zweckentfremdung, keine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 21.08.2023 – 12 BV 23.725
Fundstelle:
BeckRS 2022, 51159

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 27. Februar 2020 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung ode Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwen- den, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleiche Höhe leistet.
IV. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

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Die Klägerin wendet sich gegen einen auf Zweckentfremdungsrecht – Zweckentfremdungsgesetz (ZwEWG) vom 10. Dezember 2007 (GVBl. S. 864, BayRS 2330-11-B), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. Juni 2017 (GVBl. S. 182) und Satzung der Beklagten über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZeS) vom 5. Dezember 2017, bekanntgemacht am 11. Dezember 2017 (MüABl. S. 494) – gestützten Auskunftsbescheid.
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Die Klägerin hat ihren Sitz in … Der Konzern, dem die Klägerin angehört, schaltet eine Online-Plattform zur Buchung und Vermietung privater Unterkünfte. Über die Plattform wird der Kontakt zwischen Gastgeber und Gast vermittelt sowie die Buchung einschließlich der Bezahlung abgewickelt. Die Plattform hat, abgesehen von unterschiedlichen Sprachfassungen und untergeordneten länderspezifischen Inhalten, einen weltweit einheitlichen Auftritt. Die Log-In-Daten und die Inserate bleiben unabhängig vom Ort des Aufrufs der Plattform und der Sprachfassung dieselben.
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Bei einer Recherche auf der Online-Plattform am … September 2019 wurde die Beklagte auf das Inserat Nr. … aufmerksam. In diesem wurde unter den Schlagworten „Apartment – zentral, new bathroom!“ von „S.“ M. eine Wohnung in der Landeshauptstadt M./ … für 3 Gäste, 1 Schlafzimmer, 1 Bett, 1 Badezimmer zur tageweisen Vermietung angeboten. Am … September 2019 fanden sich 49 Bewertungen für die Wohnung für das Jahr 2019.
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Die Beklagte hörte die Klägerin daher mit Schreiben vom 25. September 2019 an. Sollte die Klägerin nicht bis zum 16. Oktober 2019 schriftlich Auskunft über die genaue Anschrift der o.g. Wohneinheit, Namen und Anschrift des Vermieters und die Zeiträume (Buchungskalender) des Inserats vom 1. Januar 2019 bis zum Zugang des Anhörungsschreibens erteilen, so sei beabsichtigt, eine kostenpflichtige, zwangsgeldbewehrte und sofort vollziehbare Auskunftsverfügung gemäß Art. 3 Abs. 1 Sätze 1 und 5 ZwEWG i.V.m. § 12 Abs. 1 Sätze 1 und 4 ZeS zu erlassen. Das Schreiben wurde per Übergabe-Einschreiben mit Rückschein am 27. September 2019 zur Post gegeben.
Eine Äußerung der Klägerin blieb aus.
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Mit Schreiben vom 18. Dezember 2019, per Übergabe-Einschreiben mit Rückschein zur Post gegeben am 30. Dezember 2019, forderte die Beklagte die Klägerin auf, bis zum 17. Januar 2020 einen Zustellungsbevollmächtigten gemäß Art. 14 Abs. 3 VwZVG zu benennen. Es wurde darauf hingewiesen, dass andernfalls weitere Zustellungen durch Aufgabe zur Post mit einfachem Brief bewirkt werden könnten. Das Schreiben gelte am siebten Tag nach Aufgabe zur Post als zugestellt, wenn nicht feststehe, dass es die Klägerin nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt erreicht habe.
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Nachdem keine Äußerung der Klägerin erfolgte, erließ die Beklagte unter dem 27. Februar 2020 den streitgegenständlichen Bescheid, den sie am selben Tag per einfachem Brief zur Post gab. Mit diesem wurde die Klägerin verpflichtet, zu o.g. Inserat folgende Auskünfte zu erteilen: 1.1. die genaue Anschrift (Straße, Hausnr, Stockwerk, Lage) der Wohneinheit, 1.2. Name und Anschrift des Vermieters/ der Vermieterin zu o.g. Inserat, 1.3. die Zeiträume (Buchungskalender) des o.g. Inserats für das Kalenderjahr 2019, 1.4. die Zeiträume (Buchungskalender) des o.g. Inserats für das Kalenderjahr 2020. Zur Durchsetzung des Auskunftsanspruches wurde für den Fall, dass die Klägerin ihrer Verpflichtung aus den Nr. 1.1 bis 1.4 nicht innerhalb eines Monats nach Zugang des Bescheids vollumfänglich nachkomme, ein Zwangsgeld in Höhe von jeweils 15.000,00 Euro pro nicht nachgekommener Verpflichtung angedroht (Zi. 2).
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Zur Begründung verwies die Beklagte zunächst auf die angespannte Lage am Münchner Wohnungsmarkt. Die Beklagte habe das derzeit umfangreichste Handlungsprogramm in der Bundesrepublik Deutschland aufgelegt, um den Wohnungsbau weiter anzukurbeln. Daneben gelte es aber auch, den Wohnungsbestand zu schützen. Dieser sei auch durch eine Zunahme des Angebots an Wohnungen auf Zeit gefährdet, die über eine Vielzahl von Internetportalen, unter anderem das von der Klägerin betriebene, angeboten würden. So sei am 20. September 2019 das streitgegenständliche Inserat auf dem von der Klägerin betriebenen Internetportal aufgefallen. Zum Stand 24. Februar 2020 hätten hierfür 72 Bewertungen für das Jahr 2019 und zwei Bewertungen für 2020 vorgelegen. Die angeordneten Auskünfte seien für die Erfüllung der Aufgaben nach dem Zweckentfremdungsgesetz erforderlich und die Beklagte sei auf die Mitwirkung der Klägerin angewiesen. Dabei beschränke sich das Auskunftsersuchen darauf, dass die benötigten Daten für die Prüfung eines möglichen Verstoßes gegen das Zweckentfremdungsverbot gemäß der Zweckentfremdungssatzung, hier Zuwiderhandlung durch eine Nutzungsänderung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZeS, übermittelt werden sollten. Die Auskunft sei der Klägerin rechtlich und tatsächlich möglich, da alle geforderten Daten bereits bei der Erstellung des Inserats sowie bei allen Buchungsvorgängen benötigt würden. Insbesondere sei die Übermittlung der Rohdaten erforderlich, damit eine Ausnahme wie die zweckentfremdungsfreie Nutzung zur Fremdenbeherbergung von acht Wochen pro Kalenderjahr geprüft werden könne. Die angeordnete Maßnahme sei auch geeignet, verhältnismäßig und angemessen. Die gesellschaftliche Verantwortung der Beklagten überwiege das Gewinnstreben der Klägerin. Das Zweckentfremdungsgesetz diene dem Schutz von Bestandswohnraum und damit einem Schutzgut, dem der Gesetzgeber zunehmend höhere Bedeutung beimesse. Dies sei schon daran zu erkennen, dass der Bußgeldrahmen mit Novellierung des Gesetzes verzehnfacht und auf bis zu 500.000,00 Euro ausgedehnt wurde. Datenschutzrechtlich ergebe sich die Legitimation aus Art. 6 Abs. 1 1 lit. e und Abs. 3 1 lit. b DSGVO i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 ZwEWG i.V.m. § 12 Abs. 1 Halbsatz 1 ZeS. Zur Bemessung des Zwangsgeldes wurde zunächst ausgeführt, die Gastgeber-Service-Gebühr betrage 3%, die Gäste-Service-Gebühr zwischen 0% und 20% der Zwischensumme einer Buchung. Der Preis pro Übernachtung habe beim streitgegenständlichen Inserat zum 22. Oktober 2019 67 Euro betragen. Ausgehend von 300 Übernachtungen pro Jahr und einer Gäste-Service-Gebühr vom 20% ergebe sich ein geschätzter Gewinn der Klägerin in Höhe von 5.000 Euro (300 Übernachtungen/Jahr x 67 Euro x 23% Servicegebühren gesamt zusätzlich geschätztem Zuschlag). Die Höhe des Zwangsgeldes sei weiter erforderlich, da bis heute keine effiziente Mitwirkung und Kooperation seitens der Klägerin erfolgt sei. Es bestehe ein erheblicher und eben auch effizient zu gestaltender Vollzugsdruck wegen des Schutzes eines besonderen Gutes, der Sicherung des Wohnungsbestandes. Das Zwangsgeld in Höhe von 15.000,00 Euro pro nicht nachgekommener Verpflichtung sei der Höhe nach gerechtfertigt und angemessen.
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Mit Telefax vom 20. März 2020 zeigten sich die Bevollmächtigten der Klägerin unter Vollmachtsvorlage als Zustellungsbevollmächtigte an und baten um Übersendung etwaiger weiterer Schreiben an die Klägerin. Die Beklagte übermittelte daher einen Abdruck des streitgegenständlichen Bescheides, zur Post gegeben mit Postzustellungsurkunde am 13. März 2020.
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Gegen diesen ließ die Klägerin mit am 27. März 2020 per Telefax eingegangenem Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben.
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Die Klägerin ist der Auffassung, der Bescheid verstoße gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht und § 14 Abs. 2 TMG. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof habe in seinem Beschluss vom 20. August 2019 ausführlich dargelegt, weshalb nur Einzelfallanfragen zulässig seien und welche Vorgaben hierbei einzuhalten seien (BayVGH, B.v. 20.08.2019, 12 ZB 19.333). Der angegriffene Bescheid halte diese Vorgaben nicht ein. Nach o.g. Rechtsprechung bedürfe es stets eines von der Auskunftsberechtigten zu benennenden, konkreten objektbezogenen Anknüpfungspunktes (bestimmte Wohnung), um nach vorheriger Prüfung des Nichtvorliegens eines Genehmigungstatbestandes ein Auskunftsersuchen im Einzelfall legitimieren zu können. Insbesondere dürften die legalen Nutzungsvarianten (genehmigte Gewerberaumvermietungen, Räume, für die Ersatzwohnraum gemäß § 5 Abs. 3 1. Alt. ZeS geschaffen wurde sowie Fälle der § 5 Abs. 2 2. Alt. ZeS und § 5 Abs. 3 1. Alt ZeS) angesichts eines Online-Inserates nicht ausgeblendet werden. Tatsachen dürften nicht durch bloße Mutmaßungen zulasten der Klägerin ersetzt werden, sei es zum Vorliegen von Wohnraum i.S.d. ZeS, dem Erfordernis einer Genehmigung oder deren Fehlen. Auskunftsersuchen dürften nicht sehenden Auges den legalen Nutzer erfassen. Der streitgegenständliche Bescheid halte diese Vorgaben nicht ein. Das Nichtvorliegen eines Genehmigungstatbestandes sei für die bestimmte Wohnung nicht vorab geprüft worden. Die Beklagte habe ausgeführt, dass ihr dies nicht möglich sei und habe daher abermals den umgekehrten Weg gewählt, die Klägerin zur weiteren Sachaufklärung zu verpflichten. Eine konkrete Wohnung sei nicht benannt, sondern lediglich ein Inserat. Dabei verhalte sich das Inserat zur Einhaltung der Vorgaben der ZeS vollkommen neutral: ob die Vermietung dem Zweckentfremdungsverbot unterliege, etwa weil eine Gewerbefläche inseriert werde, bleibe offen. Sollte es sich um Wohnraum handeln, sei ebenfalls offen, ob dieser nicht nur über acht Wochen sondern auch ohne oder mit Genehmigung vermietet werde. Die Zahl der Bewertungen in 2019 ändere hieran nichts. Selbst wenn man daraus auf eine Vermietung der Räume über acht Wochen für dieses Jahr schließen wolle, begründe dies keine konkrete Gefahr einer rechtswidrigen Handlung für die Zukunft. Damit sei eine rechtfertigende Schwelle für einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des betroffenen Nutzers nicht erreicht. Ein Anfangsverdacht bzw. eine konkrete Gefahr lasse sich hier nicht auf Tatsachen gründen. Zudem brachten die Bevollmächtigten der Klägerin unionsrechtliche Einwände vor. Zum einen setze die Anwendbarkeit der Auskunftsverpflichtung auf ausländische Telemedienanbieter wie die Klägerin voraus, dass diese gegenüber der EU-Kommission nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie (EU) 2015/1535 notifiziert worden seien. Dies sei jedoch nicht geschehen. Zudem stünde der Auskunftspflicht auch das Datenschutzrecht entgegen. Die Klägerin habe ihren Sitz in Irland und unterliege nicht dem Recht des Mitgliedstaats Deutschlands, sondern allein dem Recht Irlands – denn dort habe sie ihren Sitz. Eine andere Auslegung von Art. 6 Abs. 3 S. 1 lit. b DSGVO, namentlich die Anwendbarkeit mehrerer Rechtsregime wäre eine Verschlechterung gegenüber dem rechtlichen status quo ante und damit ein Rückschritt für den Binnenmarkt. Der Anwendung der Auskunftspflicht stünde auch das Herkunftslandprinzip des § 3 Abs. 2 TMG entgegen. Schließlich sei das angedrohte Zwangsgeld offensichtlich unverhältnismäßig. Schon die angesetzte Zahl von 300 Übernachtungen pro Kalenderjahr sei auch mit Blick auf die Anzahl der Bewertungen unverhältnismäßig.
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Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 27. Februar 2020 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die rechtlichen Wertungen der Klägerin seien unzutreffend. Ein Verstoß gegen § 14 TMG liege nicht vor. Die vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof im Beschluss vom 20. August 2019 (a.a.O.) aufgestellten Voraussetzungen für eine Einzelfallabfrage seien erfüllt. Die tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Zweckentfremdung hätten bei Bescheidserlass vorgelegen und dies sowohl mit konkretem Personenbezug als auch mit konkretem Objektbezug. Der konkrete Personenbezug ergebe sich bereits aus dem Bezug auf einen bestimmten Nutzer („M.“). Dass es sich hierbei nicht um den Klarnamen handle sei unschädlich, da die Person hinter dem Gastgebernamen zumindest bestimmbar sei. Höhere Anforderungen an den Personenbezug würden den Auskunftsanspruch nach Art. 3 Abs. 1, 3 und 5 ZwEWG , § 12 Abs. 1 S. 1 und 4 ZeS ad absurdum führen, denn dann hätte es des Auskunftsanspruches nicht bedurft. Auch der konkrete Objektbezug sei durch die Bezugnahme auf ein konkretes Inserat gegeben. Ein höherer Anspruch an den Objektbezug würde diesen wiederum ad absurdum führen. Auch konkrete Anhaltspunkte für eine Zweckentfremdung lägen vor. Dies ergebe sich schon aus der Anzahl der Bewertungen für das Jahr 2019 (72). Selbst wenn man davon ausginge, dass jeder Bewertung nur eine Übernachtung zugrunde läge, ergäbe dies einen Zeitraum von mehr als zehn Wochen im Kalenderjahr 2019. Darüber hinaus sprächen die dem Inserat beigefügten Fotos für eine Nutzung zur Fremdbeherbergung, da sie aufgrund fehlender persönlicher Gegenstände keine Rückschlüsse auf eine Eigennutzung des Gastgebers zuließen. Ein weiteres Indiz sei die in den Bewertungen beschriebene Art und Weise des Kontakts zwischen Gastgeber und Nutzer. Denn der Gastgeber sei selbst vor Ort, um die Nutzer zu begrüßen und ihnen die Wohnung zu zeigen. Dies lasse den Rückschluss zu, dass der Gastgeber die Wohnung nicht selbst zu Wohnzwecken nutze und sie bspw. nur während eines Urlaubs vermiete. Das Vorliegen einer Genehmigung für die Zweckentfremdung könne erst überprüft werden, wenn der Beklagten bekannt sei, um welche Wohnung es sich handle. Hinsichtlich der vorgebrachten unionsrechtlichen Einwände wurde auf den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. August 2019 (a.a.O.) verwiesen.
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Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 26. März 2021 wurde der Antrag der Klägerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage abgelehnt (M 9 S 20.1574). Die Entscheidung wurde auf Beschwerde der Klägerin mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Juni 2021 aufgehoben und die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet (12 CS 21.1413).
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In den Gründen des Beschlusses heißt es, allein die Tatsache einer gelegentlichen, gegebenenfalls auch mehrfachen kurz- oder längerfristigen Vermietung oder Gebrauchsüberlassung – und sei es auch unter der ausschließlichen Verwendung eines Vornamens oder Pseudonyms ohne weitere Anschrift oder Adresse – reiche angesichts der mannigfaltigen Möglichkeiten einer vollkommen legalen (genehmigten) Nutzung ohne das Hinzutreten weiterer, eindeutig auf eine Zweckentfremdung hinweisender Umstände regelmäßig nicht aus, die Annahme eines konkreten Anfangsverdachts zu rechtfertigen. In tatsächlicher Hinsicht bedürfe es deshalb stets eines von der Beklagten zu benennenden, konkreten objektbezogenen Anknüpfungspunktes (Wohnung), um nach vorheriger Prüfung des Nichtvorliegens eines Genehmigungstatbestandes ein Auskunftsersuchen im Einzelfall zu legitimieren. Die konkrete Tauglichkeit eines bestimmten Objekts für die Verwirklichung des Tatbestandes einer Zweckentfremdung müsse positiv feststehen, bevor die Beklagte als ersuchende Stelle im Sinne von § 14 Abs. 2 TMG Auskunft begehre, denn nur dann sei überhaupt eine Rechtsgutsverletzung, die den Handlungsrahmen der Beklagten erst eröffne, denkbar und möglich.
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Die Verwaltungsstreitsache wurde am 14. Dezember 2022 mündlich verhandelt. Dabei stellten die Beteiligten die schriftsätzlich angekündigten Anträge.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichtsakte (auch im Verfahren M 29 S 20.1574) sowie die beigezogene Behördenakte.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig und begründet.
21
Der Bescheid der Beklagten vom 27. Februar 2020 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
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Zwar liegen die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage aus Art. 3 Abs. 1 Sätze 1, 5 und 5 ZWEWG i.V.m. § 12 Abs. 1 Sätze 1 1. Halbs., 2, 4 ZeS vor. Diese Regelungen enthalten jedoch nur die Ermächtigung für die Erhebung der entsprechenden personenbezogenen Daten durch die Beklagte als auskunftsersuchende Stelle. Davon streng zu unterscheiden ist die Legitimation der Datenübermittlung seitens der Klägerin als auskunftserteilende Stelle. Ein derartiger Datenaustausch vollzieht sich durch einander korrespondierende Eingriffe von Abfrage/Erhebung und Übermittlung, die jeweils einer eigenen Rechtsgrundlage bedürfen. Erst beide Rechtsgrundlagen gemeinsam vermögen einen Austausch personenbezogener Daten zu legitimieren (sog. Doppeltürprinzip, BVerfGE 130, 151 (184) – Bestandsdatenauskunft I). Dies gilt bei der Regelung eines Datenaustausches zur staatlichen Aufgabenwahrnehmung unabhängig davon, ob es sich um einen Datenaustausch zwischen staatlichen Stellen oder, wie vorliegend, um einen solchen zwischen einer staatlichen Stelle und einem privaten Teledienstanbieter handelt (vgl. BVerfG, B. v. 27.5.2020 – 1 BvR 1873/13 – Bestandsdatenauskuntf II), denn die personenbezogenen Daten des Dritten befinden sich in beiden Konstellationen gleichermaßen in einer grundrechtstypischen Gefährdungslage (vgl. BayVGH, B. v. 20.5.2020 – 12 ZB 19.1648 – juris).
23
Ob die erforderliche Legitimation der Datenübermittlung durch die Klägerin mit Inkrafttreten des Gesetzes über den Datenschutz und den Schutz der Privatsphäre in der Telekommunikation und bei den Telemedien (Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetz – TTDSG –) vom 23. Juni 2021 (BGBl. I, S. 1982) das Vorliegen der Voraussetzungen des § 22 TTDSG voraussetzt, weil das materielle Recht das Vorliegen einer Legitimation der auskunftserteilenden Stelle im letztmöglichen relevanten Zeitpunkt, also dem des Schlusses der mündlichen Verhandlung, verlangt (vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt BVerwGE 34, 155, 157 f.; 130, 20; 162, 275), oder ob insoweit auf die Rechtslage im Zeitpunkt des Bescheiderlasses abzustellen ist, kann vorliegend dahinstehen, denn die Voraussetzungen beider Vorschriften sind nicht erfüllt.
24
1. Hinsichtlich einer Legitimation aus § 14 Abs. 2 TMG und § 15 Abs. 5 Satz 4 i.V.m. § 14 Abs. 2 TMG verweist die erkennende Kammer auf die Ausführungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs im Beschluss vom 16. Juni 2021 (12 CS 21.1413) und schließt sich diesen an.
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2. Auch § 22 TTDSG legitimiert die Klägerin im vorliegenden Fall nicht zur Auskunftserteilung.
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Die gesetzliche Neuregelung der ursprünglich in § 14 Abs. 2 TMG enthaltenen Öffnungsklausel ist Teil des Gesetzes zur Anpassung der Regelungen aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Mai 2020 vom 30. März 2021 (BGBl. I, S. 448, in Kraft getreten am 2. April 2021. Die zunächst in § 15a TMG enthaltene Regelung wurde mit dem Gesetz zur Regelung des Datenschutzes und des Schutzes der Privatsphäre in der Telekommunikation und bei Telemedien vom 23. Juni 2021 (BGBl. I, S. 1982) in das Gesetz über den Datenschutz und den Schutz der Privatsphäre in der Telekommunikation und bei Telemedien (Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetz – TTDSG) überführt. Nach dem in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers sollen die infolge des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Mai 2020 erforderlichen Anpassungen vorgenommen werden, die Vorschrift im Übrigen aber (gegenüber der im zunächst nicht ausgefertigten Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität enthaltenen Neufassung der Vorschrift, die die Tatbestandsvoraussetzungen des § 14 Abs. 2 TMG a.F. nur hinsichtlich einer möglichen Berücksichtigung von Ordnungswidrigkeiten erweitert hat, vgl. BT-Drs. 19/17741) unverändert bleiben (BT-Drs. 19/25294, S. 53).
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Damit ändert auch die Neuregelung der datenschutzrechtlichen Öffnungsklausel die rechtliche Bewertung des vorliegenden Falles im Ergebnis nicht, da die infolge des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Mai 2020 erforderlichen Anpassungen, insbesondere das Erfordernis von (gesetzlich normierten) Eingriffsschwellen, im Wesentlichen auch zuvor von der Rechtsprechung, abgeleitet aus dem Tatbestandsmerkmal „Einzelfall“, zum Maßstab genommen worden sind (vgl. BVerfG, B. v. 24.1.2012 – 1 BvR 1299/05 – Bestandsdatenauskunft I – Rn. 177; BayVGH, B. v. 20.8.2019 – 12 ZB 19.333; B. v. 20.5.2020 -12 B 19.1648 – juris).
28
a) Gemäß § 22 Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 1 TTDSG darf der Erbringer von Telemediendiensten an die für die Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten zuständigen Behörden im Einzelfall Auskunft über Bestandsdaten erteilen, soweit zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit, die gegenüber einer natürlichen Personen mit Geldbuße im Höchstmaß von mehr als 15.000 € bedroht ist, vorliegen und die in die Auskunft aufzunehmenden Daten erforderlich sind, um den Sachverhalt zu erforschen, den Aufenthaltsort eines Beschuldigten zu ermitteln oder eine Strafe zu vollstrecken.
29
Zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Ordnungswidrigkeit im Sinne eines Anfangsverdachts (BT-Drs. 19/25294, S. 54) liegen indes nicht vor. Auf die Ausführungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs im Beschluss vom 16. Juni 2021 wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen. Auch nach Auffassung der erkennenden Kammer sind verschiedene Konstellationen einer legalen Nutzung der Wohnung möglich, die in der Summe die konkrete Tauglichkeit des Objekts für die Verwirklichung des Tatbestandes einer Zweckentfremdung offenlassen. Zwar dürfte die Anzahl der Bewertungen des streitgegenständlichen Objekts tatsächlich für eine Vermietung an mindestens 72 Tagen des Jahres 2019 sprechen, denn die Klägerin lässt Bewertungen nur solcher Gäste zu, die über die Plattform gebucht und bezahlt haben (https://www.airbnb.de/help/article/13). Auch bei einer maximal möglichen Belegung des Objekts mit drei Personen pro Tag besteht somit nur für eine Person die Möglichkeit der Buchung, Bezahlung und damit auch Bewertung des Objekts. Gleichwohl räumt auch die Beklagte ein, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Objekt nicht um genehmigten Wohnraum oder um eine genehmigte Zweckentfremdung handeln könnte. Ohne vorherige Prüfung des Vorliegens von Wohnraum im Sinne von Art. 1 ZwEWG und des Nichtvorliegens eines zweckentfremdungsrechtlichen Genehmigungstatbestandes kommt eine Auskunftserteilung gestützt auf zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Ordnungswidrigkeit nicht in Betracht.
30
b) Gemäß § 22 Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 2a TTDSG darf der Erbringer von Telemediendiensten an die für Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung zuständigen Behörden Auskunft über Bestandsdaten erteilen, wenn diese im Einzelfall erforderlich sind zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit.
31
Auch insoweit erfordert die Legitimation der Datenübermittlung das Vorliegen einer konkreten Gefahr, also einer Sachlage, die bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schadenseintritt führt. Auch diese steht vorliegend aufgrund vielfältiger Möglichkeiten einer legalen Nutzung des streitgegenständlichen Objekts nicht fest.
32
Erweist sich nach alldem die Verpflichtung zur Erteilung der Auskünfte als rechtswidrig, kann auch die hiermit verbundene Androhung eines Zwangsgeldes keinen Bestand haben. Der Bescheid der Beklagten vom 27. Februar 2020 ist daher rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
33
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
34
Die Berufung ist mit Blick auf § 124 Abs. 2 Nr. 3, § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.