Inhalt

OLG Nürnberg, Beschluss v. 05.05.2022 – 13 W 1050/22
Titel:

Streitwertfestsetzung, Klage und Widerklage, Streitwertbemessung, Streitwertbeschwerde, Wirtschaftliche Identität, Auflassungsklage, Auflassungserklärung, Verkehrswert, Beschlüsse, Verpflichtung zur Auflassung, Streitige Gegenforderung, Zurückbehaltungsrecht, OLG Nürnberg, Bauträgervertrag, Feststellungswiderklage, Eintragung im Grundbuch, OLG Stuttgart, Kaufpreisforderung, Klagebegehren, Verjährungsverzicht

Normenkette:
GKG § 45 Abs. 1, § 48
Leitsatz:
Bei einer auf Bezahlung des restlichen Kaufpreises gerichteten Klage und einer auf Auflassung gerichteten Widerklage besteht keine wirtschaftliche Identität im Sinne des § 45 Abs. 1 S. 3 GKG. Ist zwischen den Parteien eine im Vergleich zum Verkehrswert des Grundstücks nur eine verhältnismäßig geringe Kaufpreisrestforderung streitig, von welcher die Zustimmung zur Auflassung abhängig gemacht wird, ist nach § 48 Abs. 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO (nur) der Wert der streitigen Gegenforderung maßgeblich.
Schlagworte:
Streitwertfestsetzung, Auflassungsklage, Widerklage
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 09.03.2022 – 12 O 4577/20
Fundstelle:
BeckRS 2022, 51126

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 09.03.2022, Az. 12 O 4577/20, wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Die Beschwerde richtet sich gegen die Streitwertfestsetzung des Landgerichts.
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Mit ihrer Klage verlangte die Klägerin von der Beklagten die Bezahlung des restlichen Kaufpreises für eine Wohnung in Höhe von 7.218,23 €. Grundlage dieser Forderung war der Kaufvertrag vom 13.08.2014 (Anlage K1). Der in IV. „Kaufpreis“ vereinbarte Kaufpreis für die Wohnung betrug insgesamt 206.235 €. In VI. „Verpflichtung zur Auflassung“ vereinbarten die Parteien, dass sie sich verpflichten, die Einigung über den Eigentumsübergang (Auflassung) zu vereinbaren, sobald der Käufer den Kaufpreis bezahlt und alle sonstigen Verpflichtungen aus diesem Vertrag erfüllt hat.
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Widerklagend verlangte die Beklagte von der Klägerin, eine Auflassungserklärung abzugeben und die Eintragung im Grundbuch zu bewilligen.
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Mit Beschluss vom 09.03.2022 hat das Landgericht gemäß § 278 Abs. 6 ZPO festgestellt, dass zwischen den Parteien ein Vergleich zustande gekommen ist, nach dem die Parteien sich u. a. einig sind, dass von der noch offenen Fertigstellungsrate in Höhe von 7.218,23 € ein Teilbetrag in Höhe von 3.125,00 € zur Abgeltung und Erledigung sämtliche Mängel im Sondereigentum verwendet wird und die Beklagte hinsichtlich des weiteren Teilbetrags in Höhe von 3.125,00 € Verjährungsverzicht erklärt. Die Klägerin sollte die Auflassung erklären und die Eintragung der Beklagten als Eigentümerin in das Grundbuch. Der Streitwert wurde auf 14.436,46 € festgesetzt.
II.
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Die zulässige Streitwertbeschwerde ist unbegründet. Das Landgericht hat zutreffend die Streitwerte der Klage und der Widerklage addiert und den Streitwert auf 14.436,46 € festgesetzt.
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1. Gemäß § 45 Abs. 1, S. 1, 3 GKG werden in einer Klage und in einer Widerklage geltend gemachte Ansprüche, die nicht in getrennten Prozessen verhandelt werden, zusammengerechnet, wenn sie nicht denselben Gegenstand betreffen.
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a) Nach der in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelten „Identitätsformel“ besteht zwischen dem Gegenstand des Haupt- und eines Hilfsantrags wirtschaftliche Identität, wenn beiden, das durch die Antragstellung hergestellte Eventualverhältnis hinweggedacht, nicht gleichzeitig stattgegeben werden könnte, sondern die Verurteilung nach dem einen Antrag notwendigerweise die Abweisung des anderen nach sich zöge (BGH, Urteil vom 08.08.2017 – X ZR 101/16 –, Rn. 9, juris; BGH, Beschluss vom 26.09.2019 – V ZR 285/18 –, juris)
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b) Das Landgericht hat zutreffend entschieden, dass in einem Fall wie dem vorliegenden keine wirtschaftliche Identität im Sinne des § 45 Abs. 1 S. 3 GKG besteht. Es ist möglich, dass sowohl die auf Bezahlung des restlichen Kaufpreises gerichtete Klage als auch die auf Auflassung gerichtete Widerklage Erfolg haben, so dass die Klage und die Widerklage verschiedene Gegenstände haben (im Ergebnis so auch Elzer in: Toussaint, Kostenrecht, 51. Auflage 2021, § 45 GKG, Rn. 16, m. w. N.). Die Parteien streiten hier über den Bestand wechselseitiger vertraglicher Verpflichtungen. Auf deren Erfüllung ist das jeweilige Klagebegehren (Interesse) gerichtet. Dass der Geldwert dieser Verpflichtungen bei einer Saldierung den höheren Wert der Einzelverpflichtung nicht übersteigen kann, ist – wie auch sonst, etwa bei Zurückbehaltungsrecht – unerheblich (Kurpat in: Schneider/Kurpat, Streitwert-Kommentar, 15. Aufl. 2021, Klage und Widerklage, Rn. 2_2531, m. w. N.).
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2. Nur am Rande sei angemerkt, auch wenn es darauf nicht entscheidend ankommt, auch weil die Parteien die Streitwertfestsetzung insofern nicht angreifen, dass das Landgericht – in Übereinstimmung mit der Senatsrechtsprechung – den Streitwert hinsichtlich der Widerklage zutreffend nicht auf den Verkehrswert des Grundstücks, sondern auf den Wert der restlichen Kaufpreisforderung festgesetzt hat. Damit hat das Landgericht eine für die Beklagte günstige Entscheidung getroffen. Die Frage, ob in einem Fall wie dem vorliegenden der Streitwert hinsichtlich der Auflassungsklage dem Verkehrswert des Grundstücks oder dem Wert der restlichen Kaufpreisforderung entspricht, ist jedoch streitig.
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a) In etlichen, in der Regel deutlich älteren obergerichtlichen Entscheidungen wurde die Auffassung vertreten, der Streitwert einer auf die Eigentumsverschaffung gerichteten Auflassungsklage sei nach dem Verkehrswert des Grundstücks zu bemessen, unabhängig davon in welcher Höhe dem geltend gemachten Anspruch noch die Zahlung eines (Rest) Kaufpreises entgegengehalten wird (vgl. OLG Köln Beschluss vom 12.11.2004 – 19 U 214/02, BeckRS 2004, 11629; OLG Hamm Beschluss vom 16.07.2002 – 21 W 1/02, MDR 2002, 145= BeckRS 2007, 4926; OLG Stuttgart, Beschluss vom 31.01.2002 – 2 W 3/02, JurBüro 2002, 424; OLG Celle Beschluss vom 07.09.1998, 16 W 58/98, OLGR 1999, 200; OLG München, Beschluss vom 10.03.1997 – 28 W 2542-96, MDR 1997, 599 = NJW-RR 1998, 142 m.w.N; OLG Nürnberg, Beschluss vom 22.03.1995 – 13 W 605/95, MDR 1995, 966 m.w.N.). Teilweise wird diese Auffassung noch als „herrschende“ bezeichnet (so etwa Zöller/Herget, ZPO 34. Aufl., § 3 Rn. 16.22, der dieser aber kritisch gegenübersteht).
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b) Demgegenüber wird in zahlreichen vor allem neueren oberlandesgerichtlichen Entscheidungen für die Streitwertbemessung jedenfalls in Fällen, in denen im Vergleich zum Verkehrswert des Grundstücks nur eine verhältnismäßig geringe Restforderung streitig ist, von welcher die Zustimmung zur Auflassung abhängig gemacht wird, die wirtschaftliche Bedeutung des Begehrens dahingehend berücksichtigt, dass nach § 48 Abs. 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO (nur) der Wert der streitigen Gegenforderungen maßgeblich ist (vgl. OLG Hamm Beschluss vom 30.01.2013 − 12 W 37/12, BauR 2013, 995; OLG München, Endurteil vom 13.11.2007 − 13 U 3419/07, BauR 2008, 1011; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.02.2003 – 5 W 2/03, BauR 2003, 1760 = AGS 2004, 28 = IBR 2004, 176 (dort allerdings Feststellungswiderklage); OLG Frankfurt, Urteil vom 20.05.2005 – 2 W 30/05 = IBR 2005, 458; OLG Nürnberg, Beschluss vom 08.12.2010 − 2 W 2145/10, MDR 2011, 514 = NJW-RR 2011, 1007, und Beschluss vom 28.01.2021, 2 W 4002/20; OLG Stuttgart, Beschluss vom 23.09.2009 − 8 W 392/09, MDR 2009, 1353 = BeckRS 2009, 27265; KG, Beschluss vom 23.08.2002 − 12 W 202/02, NJW-RR 2003, 787; OLG Schleswig, 09.03.1998, 4 W 8/98, OLGR Schleswig 1998, 156; OLG Frankfurt, Beschluss vom 11.10.1995 − 23W 14/95, NJW-RR 1996, 636; OLG Düsseldorf, 16.03.1993 − 22 W 1/93 OLGR Düsseldorf 1993, 348; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 11.07.2017 – 6 W 56/17, AGS 2018, 410; OLG Stuttgart, Beschluss vom 25.01.2019 – 3 W 5/19, AGS 2020, 30). Diese Auffassung wird teilweise noch als „vordringende“ Ansicht (so Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 5. Auflage 2020, Teil 10 Formen des Bauens und Vertragsarten; Baumodelle und Bauträgervertrag Rn. 265; OLG Nürnberg, Beschluss vom 08.12.2010 − 2 W 2145/10 = NJW-RR 2011, 1007; OLG Stuttgart, Beschluss vom 23.09.2009 – 8 W 392/09, BeckRS 2009, 27265; OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 11.10.1995 – 23W 14/95, NJW-RR 1996, 636), teilweise auch schon als „ganz überwiegend vertretene“ Auffassung bewertet (vgl. BeckOK KostR/Toussaint, 37. Ed. 1.4.2022, GKG § 48 Rn. 55a.1).
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Der Senat hat sich in mehreren Entscheidungen der letztgenannten Ansicht angeschlossen (z. B. Beschluss vom 24.02.2021, Az. 13 W 151/21, nicht veröffentlicht), weil diese wirtschaftlich realistisch dasjenige abbildet, worum die Parteien tatsächlich streiten.
III.
13
Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 GKG).