Inhalt

LG Nürnberg-Fürth, Endurteil v. 13.10.2022 – 8 O 8176/21
Titel:

Schmerzensgeld für multiple Frakturen einer jungen Geschädigten

Normenkette:
BGB § 253 Abs. 2
Leitsatz:
50.000 EUR Schmerzensgeld für diverse Frakturen mit Dauerschaden Bewegungseinschränkungen und Narben einer 12 Jahre alten Geschädigten. (Rn. 3 – 5) (Rn. 20 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schmerzensgeld, junge Geschädigte, Fraktur
Fundstelle:
BeckRS 2022, 51056

Tenor

1.Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin Schmerzensgeld in Höhe von weiteren 25.000,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 23.01.2022 zu bezahlen.
2.Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3.Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 2/3 und die Beklagten gesamtschuldnerisch 1/3.
Beschluss:
Der Streitwert wird festgesetzt auf 75.000,00 Euro.  

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über Schmerzensgeldansprüche im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall, welcher sich am XX.11.2018 auf der Staatsstraße XX zwischen Z. und A. ereignete.
2
Am Unfalltag gegen 13:30 Uhr kollidierten zwei Schulbusse frontal miteinander. Hierbei wurde die am XX.XX.2006 geborene Klägerin, die zum Unfallzeitpunkt Passagierin des Schulbusses mit dem amtlichen Kennzeichen … war, schwer verletzt. Die vollumfängliche Haftung dem Grunde nach der Beklagten zu 1) als Halterin des gegnerischen Schulbusses sowie der Beklagten zu 2) als deren Haftpflichtversicherung steht nicht im Streit.
3
Bei dem Unfall wurde die zum Unfallzeitpunkt 12 Jahre alte Klägerin schwer verletzt. Sie erlitt insbesondere folgende Verletzungen:
- eine offene Oberschenkelschaftfraktur links,
- eine Durchspießung des linken Oberschenkels,
- eine Oberarmschaftfraktur links,
- eine offene obere Schambeinastfraktur rechts und Frakturen am unteren Schambeinast beidseits,
- eine Impressionsfraktur des Oberschenkels rechts,
- eine Knorpelfraktur im Oberschenkel medial rechts,
- einen partiellen Riss des vorderen Kreuzbandes rechts,
- eine dislozierte Unterarmfraktur rechts,
- akute Belastungsreaktionen,
- eine schwere Gehirnerschütterung sowie
- multiple Schnittwunden an Händen und Schürfwunden und Prellungen im Gesicht und Körper.
4
Die Klägerin war mehrere Wochen stationär im Krankenhaus und unterzog sich fünf Operationen mit acht verschiedenen Eingriffen. Im Krankenhaus konnte die minderjährige Klägerin nur auf dem Rücken liegen, was zu Panikattacken führte. Auch die ersten Wochen zuhause war sie komplett bettlägerig. Zumindest die erlittenen Verletzungen am Daumen und am Knie/Oberschenkel sind nicht vollständig verheilt.
5
Die Klägerin leidet an folgenden Dauerschäden:
- sie kann sportliche Aktivitäten nicht mehr in dem Umfang wie zuvor geltend machen; insbesondere kann sie nur unter Schmerzen joggen und Treppensteigen;
- sie kann nur noch mit verminderter Geschwindigkeit schreiben; ihre Fähigkeit zu schreiben ist auch der Dauer nach eingeschränkt;
- die heute 15jährige Klägerin leidet unter mehreren sichtbaren Narben im Bereich der unteren Extremitäten.
6
Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 31.12.2020 wurde die Beklagte zu 2) aufgefordert, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 100.000,00 Euro bis 20.01.2021 zu bezahlen (Anl. K 5). Die Beklagte zu 2) zahlte an die Klägerin daraufhin ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000,00 Euro. Die Klägerin ist der Auffassung, ihr stünde ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 75.000,00 Euro zu.
7
Die Klägerin beantragt daher:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 75.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.01.2020 zu bezahlen.
8
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
9
Sie ist im Wesentlichen der Ansicht, dass die Unfallfolgen ausreichend reguliert worden seien.
10
Wegen des weiteren Sachvortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen umfassend Bezug genommen. Das Gericht hat die Klägerin am 28.04.2022 informatorisch angehört. Auf das Sitzungsprotokoll vom 28.04.2022 wird insofern verwiesen.
11
Die Parteien haben ihre Zustimmung erklärt, dass ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden wird (§ 128 Abs. 2 ZPO).

Entscheidungsgründe

12
I. Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet. Der Klägerin steht lediglich eine weitere Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 25.000,00 Euro zu.
13
Bei der Festsetzung der Entschädigung dürfen und müssen grundsätzlich alle in Betracht kommenden Umstände des Falles berücksichtigt werden (Pardey in: Geigel, Haftpflichtprozess, 28. Aufl. 2020, Kapitel 6, Rn. 35). Das Gericht hat bei der Betrachtung des den Schadensfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des Schadensbilds in erster Linie die Ausgleichsfunktion des Schadensersatzes zu beachten. Insoweit kommt es auf die Höhe und das Maß der Lebensbeeinträchtigung an. Maßgeblich sind Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden, Entstellungen und psychische Beeinträchtigungen, wobei Leiden und Schmerzen wiederum durch die Art der Primärverletzung, die Zahl und Schwere der Operationen, die Dauer der stationären und der ambulanten Heilbehandlung, den Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit und die Höhe des Dauerschadens bestimmt werden (vgl. zum Vorstehenden nur OLG Nürnberg, Urteil v. 23.12.2015, Az.: 12 U 1263/14, veröffentlicht in NJW-RR 2016, 593 m.w.N.).
14
Vor dem Hintergrund der Primärverletzungen und der Unfallfolgen sieht das Gericht eine weitere Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 25.000,00 Euro als erforderlich, aber auch ausreichend an. Hierbei wurden insbesondere auch die nachstehenden Vergleichsentscheidungen herangezogen. OLG Köln (19. Zivilsenat), Urteil vom 09.08.2013 – 19 U 137/09 (= Nr. 4964 bei beck-online.SCHMERZENSGELD): Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 42.000,00 €.
15
Aus den Urteilsgründen:
„Der am 00.00.1960 geborene Kläger, damals Student der Forstwirtschaft im vierten Semester, befuhr am 22.04.1982 auf dem Weg zum zentralen Hörsaalgebäude der Universität H mit seinem Motorrad die S-Straße in H. Dort kollidierte er mit einem nach links abbiegenden und bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeug. Die 100%ige Eintrittspflicht der Beklagten für die Verkehrsunfallfolgen ist unstreitig.
Nach dem Unfallereignis wurde der unter starken Schmerzen leidende Kläger in die Universitätsklinik H eingeliefert. Die chirurgische Abteilung diagnostizierte eine offene gesplitterte Fraktur des linken Oberschenkels, eine Verrenkung des linken Sprunggelenks (Sprunggelenkluxation) nebst handflächengroßen Verletzungen (Décollement) an der Außenseite des linken Fußes, verbunden mit einem Abriss von Teilen der Sprunggelenkskapsel und der Außenbänder, tiefe Schürfwunden unter anderem an der Ferse des linken Fußes, eine starke Schwellung des linken Knies, eine Kahnbeinfraktur im Bereich der rechten Hand, eine Prellung des Brustkorbs und des Bauchs sowie eine Schnittwunde über dem linken Auge. Während seines nachfolgenden stationären Aufenthalts in der Universitätsklinik H unterzog sich der Kläger zwei mehrstündigen Operationen an dem linken Fuß, dem linken Oberschenkel und der rechten Hüfte. Sein rechter Arm war während der folgenden drei Monate eingegipst und sein – zuvor mit Platten stabilisiertes – linkes Bein geschient in einer Streckvorrichtung gelagert.
Im Anschluss an den bis zum 29.05.1982 andauernden stationären Aufenthalt in der Universitätsklinik H begab sich der Kläger in die ambulante Behandlung des St.-K-Krankenhauses F. Dort absolvierte der – bis zum 07.08.1982 auf einen Rollstuhl angewiesene – Kläger bis zum 06.07.1982 mehrmals wöchentlich Bewegungstherapien, um die Gehfähigkeit des gebrochenen Beins wieder herzustellen. An die sodann vom 13. bis zum 23.07.1982 absolvierten ambulanten Behandlungen schlossen sich eine zehntägige stationäre Behandlung mit – nach der Entfernung des Handgipses beginnenden – physikalischen Therapien und Gehschulungen mit Hilfe von zwei Unterarmgehstützen sowie in der Zeit bis Ende September 1982 drei weitere Behandlungen in der dortigen Ambulanz an.
Im Oktober 1982 kehrte der noch immer auf die Zuhilfenahme von Gehstützen angewiesene und nur zur Teilbelastung des linken Beins fähige Kläger, der sich zwischenzeitlich für das Sommersemester 1982 hatte beurlauben lassen, zur Fortsetzung seines Studiums nach H zurück. Dort führte er die ambulante Behandlung an der Universitätsklinik H in Gestalt mehrmals wöchentlich stattfindender Elektrotherapien und Krankengymnastik bis Ende Juli 1983 fort (vgl. im Einzelnen die Behandlungsterminübersicht Anlage K11, Bl. 46 ff. GA). Seitdem konnte sich der Kläger jedenfalls auf kürzeren Strecken ohne Gehhilfe fortbewegen.
Während eines stationären Aufenthalts in der Universitätsklinik H vom 01. bis zum 07.02.1984 wurden die Metallplatten im linken Oberschenkel des Klägers entfernt (siehe Arztbrief der H2Universität H, Anlage K33, Bl. 196 GA). Im Anschluss daran war der Kläger bis zum 05.03.1984 erneut auf den Einsatz von Gehstützen angewiesen. Bei Untersuchungen in der Universitätsklinik H Anfang März 1984 und Anfang Juni 1985 klagte der Kläger über Schmerzen im linken Fuß nach der Zurücklegung längerer Wegstrecken insbesondere auf unebenem Gelände, weswegen er bei Exkursionen im Rahmen seines forstwirtschaftlichen Studiums einen Sitzstock benutze.
Die klinisch-neurophysiologische Abteilung der Universitätsklinik H bescheinigte dem Kläger in einem neurologisch-neurophysiologischen Gutachten vom 04.06. 1985 (Anlage K7, Bl. 31 ff. GA) eine irreversible mäßiggradige, funktionell kaum ins Gewicht fallende Restlähmung der Kleinzehenhebung als irreversibles Defektsyndrom mit einer dadurch bedingten zehnprozentigen Minderung der Erwerbsfähigkeit. Überdies wurde eine verminderte Belastbarkeit des linken Beins mit gegebenenfalls vermehrt auftretenden Schmerzen für möglich gehalten. Die allgemeinchirurgische Gutachtenstelle der Universität H ging in ihrem fachchirurgischen Gutachten vom 03.07.1985 (Anlage K8, Bl. 37 ff. GA) von einer Minderung der Erwerbstätigkeit um weitere 10% im Hinblick auf eine wahrscheinlich verbleibende leichte Einschränkung im Bereich des unteren Sprunggelenks sowie eine Knieinstabilität in Folge einer Läsion des hinteren Kreuzbands aus.
Bei einer Untersuchung in der allgemeinchirurgischen Abteilung der Universitätsklinik H im Januar 1987 klagte der Kläger über Schmerzen im linken außenseitigen Oberschenkel insbesondere nach längerem Sitzen, wenn auch ohne Gangbehinderung. Bei der daraufhin durchgeführten Röntgenuntersuchung fanden sich keine Anhaltspunkte für die Beschwerden, so dass der behandelnde Arzt einen Zusammenhang mit den unfallbedingten Verletzungen weder eindeutig belegen noch ausschließen konnte. Allerdings hielt er die Arbeits- oder Erwerbsfähigkeit des Klägers dadurch nicht für eingeschränkt (siehe ausgefüllten Fragebogen der Beklagten, Anlage K9, Bl. 43 f. GA).“
16
Unfallbedingt konnte der Kl. seine Referendarzeit nicht durchführen und den von ihm angestrebten Beruf [hier: Forstbeamter nicht ausüben, Anm. des Unterzeichners]. OLG Celle (5. Zivilsenat), Urteil vom 15.03.2012 – 5 U 207/11 (= Nr. 4764 bei beck-online.SCHMERZENSGELD): Schmerzensgeld in Höhe von 50.000,00 €.
17
Aus den Urteilsgründen:
„Danach steht fest, dass der Kläger [= 18jährig, Anm. des Unterzeichners] sowohl eine offene Oberschenkelfraktur links als auch eine geschlossene Oberschenkelfraktur rechts erlitten hat, die sich während der Operation als eine laterale Oberschenkelhalsfraktur herausgestellt hat. Bei dem Unfall ist zudem der Brustkorb beidseitig geprellt und die Lunge beidseitig gequetscht worden. Dadurch ist es zu einer Blut- und Luftansammlung zwischen dem Brustfell und der Lunge (Hämato-Pneumothorax) gekommen, so dass eine Dränage gelegt werden musste, die zu einer Narbenbildung geführt hat. Deshalb musste außerdem eine Langzeitbeatmung auf der Intensivstation vom 11. bis 24. Oktober 2008 durchgeführt werden. Darüber hinaus hat er einen Bluterguss unter dem Zehennagel (subunguales Hämatom) erlitten und es ist zu einer knöchernen Absprengung am Oberarmgelenkkopf (Epicondylus medialis humeri), an dem die Bänder und Sehnen angewachsen sind, gekommen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt derzeit 15%.
Bei dem im Jahre 1990 geborenen Kläger handelt es sich um einen jungen Mann, dessen Lebensqualität nachvollziehbar dadurch deutlich geschmälert wird, dass er sich nur noch eingeschränkt sportlich betätigen kann. Der Kläger hat dem Senat bei seiner Anhörung vor dem Senat glaubhaft und nachvollziehbar geschildert, dass er vor dem Unfall Handball im Verein gespielt habe und gerne Joggen gegangen sei. Handball könne er heute überhaupt nicht mehr spielen. Beim Joggen seien die Schmerzen nach 50 m so stark, dass er aufhören müsse. Dem folgend sei ihm empfohlen worden, Krankengymnastik zu machen, Ausdauertraining mit dem Fahrrad zu treiben und insbesondere Schwimmen zu gehen, was auch ganz gut gehe.“
OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.01.2009 – 1 U 113/05 (= Nr. 5828 bei beck-online.SCHMERZENSGELD): Schmerzensgeld in Höhe von 70.000,00 €.
18
Aus den Urteilsgründen:
„Danach leidet der [48jährige, Anm. des Unterzeichners] Kläger an einer Bewegungseinschränkung im Bereich des linken Schultergelenkes, einer Muskelminderung im Bereich des linken Oberarmes, einer Bewegungseinschränkung im linken Ellenbogengelenk mit Streckhemmung, einer Muskelminderung am linken Unterarm, einer Bewegungseinschränkung am Handgelenk, wobei eine Narbenbildung am linken Unterarm besteht und sich eine Kraftminderung im Bereich der linken Hand befindet. Der Kläger hat ferner Druck- und Bewegungsschmerzen am lumbosakralen Übergang sowie eine Narbe im Bereich des Gesäßes links. Es besteht eine Bewegungseinschränkung im Bereich des linken Hüftgelenkes. Im Bereich des linken Oberschenkels befinden sich ausgeprägte Narben. Darüber hinaus besteht eine deutliche Bewegungseinschränkung im linken Kniegelenk und eine Instabilität im linken Kniegelenk (mit Orthesenversorgung). An beiden Unterschenkeln haben sich Narben gebildet. Eine endgradige Bewegungseinschränkung findet sich in den Sprunggelenken, den Fußwurzelgelenken und den Zehengelenken beidseits. Am linken Bein leidet der Kläger an Gefühlsstörungen. Am rechten Fuß befinden sich ebenfalls Narben. Arthrosen finden sich im linken Ellenbogengelenk, im Kreuzdarmbeingelenk links und im linken Kniegelenk sowie in der Fußwurzel und beginnend im rechten Sprunggelenk. Zudem ist der Oberschenkelbruch links in Fehlstellung verheilt, gleichfalls in Fehlstellung verheilt ist der linke Unterschenkel. Aufgrund des vorgefundenen Verletzungsbildes ist der Sachverständige plausibel zu dem Ergebnis gekommen, dass dem Kläger – vor allem aufgrund seiner Verletzungen im Bereich der unteren Extremitäten – alle Tätigkeiten, die mit Stehen und Gehen verbunden sind, nicht mehr zumutbar seien. Dies liege u. a. darin, dass eine Instabilität im Knie bestehe, erhebliche Bewegungseinschränkungen vorhanden seien, sich unfallbedingt Fehlstellungen der Beine ergeben hätten sowie eine Minderbelastung der Füße aufgrund der Verletzung vorhanden sei. Darüber hinaus beständen aber auch Schwierigkeiten beim Sitzen bedingt durch die Verletzung im Bereich des Beckens speziell am Übergang zur Wirbelsäule im Bereich des Kreuzdarmbeingelenkes. Auch die Einsatzfähigkeit der Arme sei durch die Verletzungen und Bewegungseinschränkungen der linken Seite eingeschränkt. Hierdurch seien längere Belastungen sowohl für den linken Arm als auch für den Rücken und die Beckenregion ebenfalls nicht möglich. Der beschriebene Zustand sei ein Endzustand. Da zahlreiche Arthrosezeichen vorhanden seien, sei in den einzelnen Gelenken mit einer Verschlimmerung zu rechnen. Damit dürften die vorhandenen Einschränkungen in Bezug auf die Belastbarkeit noch zunehmen.“
LG Zweibrücken (1. Zivilkammer), Schlussurteil vom 16.11.2009 – 1 O 163/04 (= Nr. 4146 bei beck-online.SCHMERZENSGELD): Schmerzensgeld in Höhe von 70.000,00 €.
19
Aus den Urteilsgründen:
„Die damals 24-jährige Klägerin zog sich bei dem Unfall schwerste Verletzungen im Bereich der unteren Extremitäten zu. Beide Oberschenkel wiesen offene Brüche auf; der Mittelfußknochen linksseitig war ebenso zertrümmert wie rechtsseitig Kniescheibe, Ferse und Knöchel. Im Brustbereich erlitt die Klägerin 3 Rippenbrüche, außerdem multiple Riss- und Quetschwunden am ganzen Körper.
Die bei vollem Bewusstsein in ihrem Fahrzeug eingeklemmte Klägerin konnte erst 45 Minuten nach dem Vorfall von der Feuerwehr aus ihrer Lage befreit und mit dem Rettungshubschrauber in die Universitätsklinik Homburg/Saar verbracht werden. Direkt nach der Einlieferung in das Krankenhaus wurde sie notfallmäßig versorgt und am darauf folgenden Tag erstmals operiert. Diesem Eingriff schloss sich ein Aufenthalt auf der Intensivstation bis zum 09.06.2001 an, bevor am 15.06.2001 eine erneute Operation erforderlich wurde.
In der Folgezeit wurde die Klägerin in die Unfallchirurgie des … Krankenhauses … verlegt. Am 18.08.2001 schloss sich eine Reha-Maßnahme in … an. Während dieser ganzen Zeit konnte sich die Klägerin – wenn überhaupt – nur mit Hilfe eines Rollstuhls fortbewegen.
Weitere operative Maßnahmen erfolgten im Dezember 2001 und Januar 2003, wobei jeweils Metallteile aus den Beinen entfernt wurden, sowie im Dezember 2003 mit der Beseitigung einer Fehlstellung des rechten Oberschenkels.
Unfall- und operationsbedingt sind an den Beinen entstellende Narben zurückgeblieben. Außerdem stellte sich eine fortschreitende Arthrose ein.
Die zuvor im öffentlichen Dienst vollzeitbeschäftigte Klägerin konnte unfallbedingt ihre berufliche Tätigkeit bei der Staatlichen Lehr- und Forschungsanstalt für Landwirtschaft, Weinbau und Gartenbau in […] nicht mehr aufnehmen. Seit Januar 2002 bezieht sie – mittlerweile unbefristet – Rente von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte wegen voller Erwerbsminderung.“
20
Dabei war jedoch zu berücksichtigen, dass die sehr junge Klägerin zahlreiche Verletzungen erlitt. Folgebeschwerden sind derzeit nur eingeschränkt prognostizierbar. Eine Vergleichbarkeit mit den Klägern der zitierten Vergleichsentscheidungen ist daher nur eingeschränkt möglich.
21
Nach einer Gesamtwürdigung erscheint ein Schmerzensgeldbetrag in Höhe von insgesamt 50.000,00 € als notwendig, aber auch ausreichend.
22
Der Schmerzensgeldanspruch war einen Tag nach Rechtshängigkeit der Klage – und somit seit 23.01.2022 – zu verzinsen. Das Anwaltsschreiben vom 31.12.2020, mit dem die Beklagte zu einer Schmerzensgeldzahlung in Höhe von insgesamt 100.000,00 Euro aufgefordert wurde, konnte die Beklagte nicht wirksam in Verzug setzen. Geltend gemacht wurde eine beachtliche Zuvielforderung (vgl. nur Grüneberg, BGB, 81. Auflage, 2022, § 286, Rdnr. 20).
23
II. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.