Inhalt

OLG München, Beschluss v. 12.09.2022 – 35 U 2834/22
Titel:

Verwaltungsakt, Berufung, Schadensersatzanspruch, Fahrzeug, Mitgliedstaat, Verletzung, Haftung, Rechtsmittel, Verfahren, Nichtigkeitsgrund, Verschulden, Widerspruch, Wirksamkeit, Anordnung, Die Fortbildung des Rechts, Fortbildung des Rechts, Aussicht auf Erfolg

Schlagworte:
Verwaltungsakt, Berufung, Schadensersatzanspruch, Fahrzeug, Mitgliedstaat, Verletzung, Haftung, Rechtsmittel, Verfahren, Nichtigkeitsgrund, Verschulden, Widerspruch, Wirksamkeit, Anordnung, Die Fortbildung des Rechts, Fortbildung des Rechts, Aussicht auf Erfolg
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Endurteil vom 08.04.2022 – 63 O 3192/21 Die
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 17.07.2023 – VIa ZR 1457/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 50934

Tenor

1. Der Anträge der Klagepartei auf Aussetzung und auf Anordnung des Ruhens des Rechtsstreits werden zurückgewiesen.
2. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 08.04.2022, Aktenzeichen 63 O 3192/21 Die, wird zurückgewiesen.
3. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
4. Das in Ziffer 2 genannte Urteil des Landgerichts Ingolstadt ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 20.601,43 € festgesetzt.

Tatbestand

1
I. Die Klagepartei hat mit Bestellung vom 12.03.2018 einen Pkw Audi A4 2.0 TDI gebraucht zum Kaufpreis von 24.815,01 € bei einem Kilometerstand von 37.400 erworben. Das am 03.11.2016 erstzugelassene Fahrzeug unterliegt der Schadstoffklasse Euro 6 und ist mit einem von der Beklagten hergestellten Motor des Typs EA 288 versehen; es verfügt über einen SCR-Katalysator zur Abgasnachbehandlung. Am 18.03.2022 betrug die Laufleistung 96.778 km. Ein amtlicher Rückruf liegt für dieses Fahrzeug nicht vor.
2
Die Klagepartei behauptet verschiedene Abschalteinrichtungen, unter anderem, dass auf Prüfstand und im Realbetrieb unterschiedliche AbBlue-Dosierungen erfolgten; weiterhin finde bei Temperaturen unter 17 °C und über 32 °C keine Abgasreinigung statt, es gebe Manipulationen bei Automatikgetriebe bzw. Doppelkupplungsgetriebe. Eine in der Motorsteuersoftware hinterlegte Fahrkurve bewirke eine Umschaltung der Abgasrückführung zwischen Prüfstand und Realbetrieb.
3
Im Berufungsverfahren wird beantragt, unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Ingolstadt die Beklagte zu verurteilen,
1. an die Klagepartei 24.815,01 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen abzüglich einer Nutzungsentschädigung in EUR pro gefahrenen km seit dem 16.03.2018 die sich nach folgender Formel berechnet:
24.815,01 € x gefahrene Kilometer: (350.000 km -37.400 km)
Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeuges Audi A4 2.0 TDI, Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN) …305, nebst Fahrzeugschlüssel.
2. die Klagepartei von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.375,88 € freizuhalten;
3. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeuges Audi A4 2.0 TDI, Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN) …305 in Annahmeverzug befindet;
4. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an die Klagepartei Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus der Ausstattung des Fahrzeuges Audi A4 2.0 TDI, Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN) …305, mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung resultieren.
4
Die Beklagte beantragt,
Die Berufung zurückzuweisen.
5
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Hinsichtlich des Thermofensters hat sie eine Bedatung von -24 bis +70 °C vorgetragen, innerhalb derer die Abgasrückführung voll aktiv sei.
6
Ergänzend wird hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes Bezug genommen auf die tatbestandlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil.
7
Der Senat hat mit Beschluss vom 25.07.2022 darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 08.04.2022 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
8
Hierauf hat die Klagepartei mit Schriftsatz vom 05.09.2022 beantragt, das Verfahren nach § 148 Abs. 1 ZPO analog bis zu der Entscheidung des EuGH in den (sic) Verfahren C-100/21 auszusetzen, hilfsweise das Ruhen anzuordnen. Zudem hat sie zum Hinweisbeschluss des Senates in Bezug auf die Fahrkurvenerkennung Stellung genommen.
II.
9
A. Die Anordnung des Ruhens des Verfahrens kam mangels Antrags der Beklagtenpartei nicht in Betracht.
10
B. Ebenso wenig kam eine Aussetzung des Rechtsstreits in Betracht. Hierzu ist zunächst auf die Ausführungen im Hinweisbeschluss Seite 11 unter E. zu verweisen bezüglich der ohnehin fehlenden greifbaren Anhaltspunkte für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters. Darüber hinaus bestehen auch keine greifbaren Anhaltspunkte für das Vorliegen einer weiteren Abschalteinrichtung, sodass schon nicht von einer Schutzgesetzverletzung ungeachtet der Frage des Schutzgesetzcharakters der §§ 6,27 EG-FGV auszugehen ist.
11
C. Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 08.04.2022, Aktenzeichen 63 O 3192/21 Die, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
12
D. Der Senat weicht auch nicht von der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Köln oder des Oberlandesgerichts Naumburg ab. Ersteres ist schon deshalb nicht der Fall, weil das Oberlandesgericht Köln tragend darauf abgestellt hat, dass die unstreitig hinterlegte Fahrkurve in einem Pkw vorhanden war, der bereits vor einer maßgeblichen Verhaltensänderung der Beklagten, nämlich schon im April 2015 erworben worden war (s. hierzu bereits Hinweisbeschluss des Senats S.3 unter II.B.2 c). Ebenso wenig steht die Entscheidung des Senats im Widerspruch zu der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts des Landes Sachsen-Anhalt. Die klägerseits herangezogene Entscheidung betrifft einen Pkw mit NS K-Speicherkatalysator (s. bereits Hinweisbeschluss S. 3 unter II. B.2). Hinsichtlich Fahrzeugen mit SCR-Katalysator – wie dem streitgegenständlichen – hat zudem das Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt in Bezug auf die hier gegenständliche Fahrkurvenerkennung Ansprüche verneint (Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Hinweisbeschluss vom 25. Juli 2022 – 12 U 241/21 Rn. 19 f.). Auch insoweit ist daher keine Divergenz gegeben.
13
E. Der Senat nimmt hinsichtlich der angeführten Berufungsgründe und die Frage der Begründetheit der Klage Bezug auf den Hinweisbeschluss vom 22.07.2022.
14
F. Soweit die Klagepartei im Rahmen der Erwiderung auf diesen Hinweisbeschluss auf den Schlussantrag des Generalanwalts beim EuGH in der Rechtssache C -100/21 abstellt, verhilft dies der Berufung nicht zum Erfolg.
15
1. Es fehlt schon am Vortrag greifbarer Anhaltspunkte für das Vorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtungen. Selbst wenn diese gegeben wären, bestünden keine Ansprüche aufgrund der Normen der EG-FGV i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB.
16
2. Dabei kann es dahinstehen, ob die Einschätzung des Generalanwalts beim Europäischen Gerichtshof, dass die RL 2007/46 dahin auszulegen sei, dass sie die Mitgliedstaaten verpflichte, vorzusehen, dass ein Erwerber eines Fahrzeugs einen Ersatzanspruch gegen den Fahrzeughersteller hat, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist (Schlussanträge vom 2. Juni 2022 – C-100/21 Rn. 65), der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs widerspricht, dass es sich bei den Normen der EG-FGV nicht um solche Schutznormen handelt, aus deren Verletzung die Klagepartei einen gegen den Hersteller gerichteten Anspruch auf (Rück-)Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags herleiten könnte (BGH, Urteile vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, juris Rn. 72 ff.; vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, juris Rn. 10 ff und zuletzt vom 31. Mai 2022 – VI ZR 804/20, juris Rn. 13 m.w.N.). Selbst wenn man die Ausführungen des Generalanwalts so deuten wollte, dass die europarechtlichen Regelungen es erforderten, die § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB anzusehen, liegen die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs nicht vor (siehe sogleich lit. aa) und bb) bzw. kann die Klagepartei von der Beklagten nicht die (Rück-)Abwicklung des mit dem Händler geschlossenen Kaufvertrags verlangen (siehe lit. cc).
17
aa) Es fehlt bereits an einem objektiven Verstoß gegen § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV.
18
(1) § 27 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV schreibt vor, dass Fahrzeuge nur dann in den Verkehr gebracht werden dürfen, wenn sie mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung versehen sind. Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV hat der Inhaber der EG-Typgenehmigung für jedes dem genehmigten Typ entsprechende Fahrzeug eine Übereinstimmungsbescheinigung nach Artikel 18 in Verbindung mit Anhang IX der RL 2007/46/EG auszustellen und dem Fahrzeug beizufügen.
19
Die Übereinstimmungsbescheinigung ist nach der der Verordnung über die EG-Genehmigung für Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger sowie für Systeme, Bauteile und selbstständige technische Einheiten für diese Fahrzeuge zugrundeliegenden RL 2007/46/EG ein vom Hersteller ausgestelltes Dokument, mit dem bescheinigt wird, dass ein Fahrzeug aus der Baureihe eines nach dieser Richtlinie genehmigten Typs zum Zeitpunkt seiner Herstellung allen Rechtsakten entspricht (Art. 3 Nr. 36 der RL 2007/46/EG). Gemäß Art. 3 Nr. 3 der RL 2007/46/EG beschreibt die Typgenehmigung das Verfahren, nach dem ein Mitgliedstaat bescheinigt, dass ein Typ eines Fahrzeugs den einschlägigen Verwaltungsvorschriften und technischen Anforderungen entspricht.
20
(2) Die Beklagte hat die § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht verletzt, da das Fahrzeug der Klagepartei mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung versehen ist.
21
Die der Übereinstimmungsbescheinigung zugrundeliegende Typgenehmigung stellt einen Verwaltungsakt gemäß § 35 VwVfG dar (OLG Brandenburg, Beschluss vom 14. Juni 2021 – 11 U 173/20, juris Rn. 36; OLG Stuttgart, Urteil vom 22. September 2020 – 16a U 55/19, juris Rn. 54; OLG Celle, Urteil vom 13. November 2019 – 7 U 367/18, juris Rn. 38; Schröder, DVBl 2017, 1193, 1194). Diesem kommt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sog. Tatbestandswirkung zu, die – solange der Verwaltungsakt nicht durch die zuständige Behörde oder ein Verwaltungsgericht aufgehoben worden oder nichtig ist – zur Folge hat, dass die Zulässigkeit des beanstandeten Verhaltens einer Nachprüfung durch die Zivilgerichte entzogen ist (BGH, Urteile vom 14. Juni 2007 – I ZR 125/04, juris Rn. 14, vom 30. April 2015 – I ZR 13/14, juris Rn. 31; vom 16. März 2021 – VI ZR 773/20, juris Rn. 12; vom 4. August 2020 – II ZR 174/19, juris Rn. 35; vom 12. Januar 2007 – V ZR 268/05, juris Rn. 11; vom 4. Februar 2004 -XII ZR 301/01, juris Rn. 13; siehe auch: BeckOK VwVfG/Schemmer, 49. Ed., § 43 VwVfG Rn. 28; OLG Stuttgart, Urteil vom 22. September 2020 – 16a U 55/19, juris Rn. 54; OLG Brandenburg, Beschluss vom 14. Juni 2021 – 11 U 173/20, juris Rn. 50; OLG Celle, Urteil vom 13. November 2019 – 7 U 367/18, juris Rn. 38; ausdrücklich zum EA 288: OLG Oldenburg, Urteile vom 30. Juli 2021 – 6 U 92/21, juris; vom 17. August 2021 – 6 U 23/21, juris; OLG Celle, Urteil vom 9. Dezember 2020 – 7 U 1738/19, juris).
22
Der Senat hat daher den verfügenden Teil des Verwaltungsakts – seinen Ausspruch, dass der Typ des klägerischen Fahrzeugs den einschlägigen Verwaltungsvorschriften und technischen Anforderungen entspricht – ohne inhaltliche Prüfung der Richtigkeit der darin getroffenen Regelung seiner Entscheidung zugrunde zu legen (BGH, Urteile vom 4. August 2020 – II ZR 174/19, juris Rn. 36; vom 12. Januar 2007 – V ZR 268/05, juris Rn. 11; vom 16. März 2021 – VI ZR 773/20, juris Rn. 12). Dies gilt auch dann, wenn die Beklagte bei der Beantragung der Typgenehmigung erforderliche Angaben zu den Einzelheiten der temperaturabhängigen Steuerung unterlassen haben sollte, da die Typgenehmigungsbehörde nach dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG gehalten gewesen wäre, diese zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug zu prüfen (BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20, juris Rn. 26).
23
Die Einordnung bestimmter Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung durch den Europäischen Gerichtshof rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn selbst wenn das Fahrzeug der Klagepartei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen sein sollte, wofür es am Vortrag greifbarer Anhaltspunkte fehlt, führte dies nicht (automatisch) zur Unwirksamkeit der Typgenehmigung, sondern allenfalls zu deren Rechtswidrigkeit. Ein Nichtigkeitsgrund im Sinne des § 44 Abs. 1 VwVfG ist in der Abschalteinrichtung nicht zu erblicken, da ein Verstoß gegen EU-Recht allein keinen schwerwiegenden Fehler im Sinne dieser Vorschrift darstellt (BGH, Urteil vom 14. Juni 2007 – I ZR 125/04, juris Rn. 23; Huck/Müller/Müller, VwVfG, 3. Aufl., § 44 Rn. 10). Dem Grundsatz der Effektivität des Gemeinschaftsrechts wird durch § 25 EG-FGV hinreichend Rechnung getragen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 2007 – I ZR 125/04, juris Rn. 23).
24
Da auch objektive Anhaltspunkte für eine absichtliche Täuschung des KBA fehlen (zur insoweit fehlenden Bindungswirkung der behördlichen Genehmigung vgl.: OLG Celle, Urteil vom 13. November 2019 – 7 U 367/18, juris Rn. 39; OLG Brandenburg, Beschluss vom 14. Juni 2021 – 11 U 173/20, juris Rn. 37; OLG Stuttgart, Urteil vom 22. September 2020 – 16a U 55/19, juris Rn. 68) – die Beklagte hat gegenüber dem KBA im Rahmen der Gesamttypgenehmigung die Temperaturabhängigkeit der Abgasreinigung ausreichend offengelegt (BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20, juris Rn. 26) –, ist die Typgenehmigung nicht erschlichen worden und daher auch nicht aus diesem Grund unwirksam.
25
Bei der Übereinstimmungsbescheinigung selbst handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt, sondern eine (Wissens-)Erklärung des Herstellers (Schröder, DVBl 2017, 1193, 1196). Aus Art. 18 Abs. 1 Satz 1 der RL 2007/46/EG ergibt sich, dass sich die Erklärung insbesondere darauf bezieht, dass das konkrete Fahrzeug in Übereinstimmung mit dem genehmigten Typ hergestellt wurde. Daraus folgt für die Gültigkeit der Übereinstimmungsbescheinigung, dass sie nicht anders beurteilt werden kann als die Wirksamkeit der Typgenehmigung. Die Übereinstimmungsbescheinigung partizipiert also insoweit an der Tatbestandswirkung der Typgenehmigung, als dass sie – soweit die übrigen Voraussetzungen des Art. 18 der RL 2007/46/EG gegeben sind (vgl. insoweit Schröder, DVBl 1193, 1197) – von den Zivilgerichten soweit und solange als gültig zu betrachten ist, soweit und solange die ihr zugrunde liegende Typgenehmigung wirksam ist.
26
bb) Es fehlt überdies jedenfalls in Bezug auf ein etwaiges Thermofenster an dem gemäß § 823 Abs. 2 Satz 2 BGB (i.V.m. § 37 Abs. 1 EG-FGV) erforderlichen Verschulden der Beklagten.
27
(1) Eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB setzt schuldhaftes Handeln voraus, wobei sich das Verschulden nach h. M. nur auf die Verletzung des Schutzgesetzes und nicht auch auf die Verletzung des betroffenen Rechtsguts beziehen muss (Staudinger/Hager, BGB (2021), § 823 G, Rn. 34). Mit Blick auf den für eine Haftung der Beklagten erforderlichen Verschuldensgrad wäre im Fall der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV fahrlässiges Handeln ausreichend (Staudinger/Hager, BGB (2021), § 823 G, Rn. 37). Eine Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB scheidet allerdings aus, wenn feststeht, dass die für den Vollzug des Schutzgesetzes zuständige Behörde die ex post als irrtümlich erkannte Rechtsauffassung des Schädigers bestätigt hätte, selbst wenn dieser eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt haben sollte (MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl., § 823 Rn. 610; Staudinger/Hager, BGB (2021), § 823 G, Rn. 38; BeckOK BGB/Förster, 62. Ed., § 823 Rn. 285; BGH, Urteil vom 27. Juni 2017 – VI ZR 424/16, juris Rn. 15 ff.).
28
(2) Dies zugrunde gelegt ist ein Verschulden der Beklagten zu verneinen.
29
Wie sich aus den dem Verfahren C-134/20 des Europäischen Gerichtshofs zugrundeliegenden Feststellungen ergibt, genehmigte das KBA das Software-Update, das auf Fahrzeuge mit dem Motor EA 189 aufgespielt wurde. Dieses Update enthielt ein Thermofenster, das einen schadstoffarmen Modus nur dann gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt und der Fahrbetrieb unterhalb von 1.000 Höhenmetern erfolgt (EuGH, Urteil vom 14. Juli 2022 – C-134/20 Rn. 19 u. 24 f.). Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass das KBA, das – insoweit entgegen dem EuGH – bis heute von der generellen Zulässigkeit der Thermofenster ausgeht, ein ebenso bedatetes auch beim Motortyp EA 288 genehmigt hätte.
30
Dieser Schluss wird durch die zahlreichen in „Parallelverfahren“ erteilten amtlichen Auskünften des KBA bestätigt. In diesen hat es erklärt, dass es – u. A. im Rahmen der „Untersuchungskommission Volkswagen“, des Software-Updates Nationales Forum Diesel sowie spezifischer Feldüberwachungstätigkeiten – sehr umfassende Untersuchungen an Fahrzeugen mit EA 288-Motoren durchgeführt (u. A. Softwareanalysen und Messungen) und dabei auch mit Blick auf das Thermofenster keine Unzulässigkeit festgestellt habe. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Thermofenster mag diese Bewertung des KBA inhaltlich falsch sein. Die Auskünfte belegen jedoch, dass das KBA die temperaturabhängige Steuerung der Abgasreinigung (Thermofenster) – auch in der ursprünglichen Bedatung – im Gesamttypgenehmigungsverfahren nicht beanstandet, sondern die Typgenehmigung erteilt hätte (vgl. auch die den EA 288 betreffenden Feststellungen des Oberlandesgerichts Saarbrücken, Urteil vom 15. Dezember 2021 – 2 U 68/21, juris Rn. 36).
31
In einem Verfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart hat das KBA für Fahrzeuge des Volkswagenkonzerns mit dem Motor V6-TDI Euro 5 Generation 2 allgemeingültig mitgeteilt, dass die Verwendung von Thermofenstern dem KBA prinzipiell bekannt war. Auf ausdrückliche Frage des dortigen Senats hat es erklärt, dass ihm der exakte Wirkbereich zum Zeitpunkt der Erteilung der Typgenehmigung zwar nicht bekannt gewesen war, es die Genehmigung jedoch auch bei Angabe der konkreten Parameter erteilt hätte (Auskunft des KBA vom 11. September 2020 im Verfahren 16a U 194/19 des Oberlandesgerichts Stuttgart). Gleichlautende Auskünfte sind dem Senat u.a. auch aus den hiesigen Verfahren 35 U 9412/21 und 35 U 7269/21 bekannt.
32
cc) Schließlich könnte die Klagepartei aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, § 249 BGB allenfalls einen Anspruch auf Beseitigung des Thermofensters oder Veränderung desselben auf ein zulässiges Maß bzw. Beseitigung etwaiger sonstiger Abschalteinrichtungen geltend machen und nicht – wie von ihr beantragt – auf (Rück-)Abwicklung des Kaufvertrags (so nunmehr auch OLG Hamm, Beschluss vom 4. August 2022 – 21 U 106/21 Rn. 6 und 8; OLG München, Beschluss vom 12. Juli 2022 – 27 U 1635/22 Rn. 6 z.n. juris).
33
(1) Eine Schadensersatzpflicht nach § 249 BGB besteht nur, wenn der geltend gemachte Schaden nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fällt (Grüneberg, BGB, 81. Aufl., Vorb. v § 249 Rn. 29). Verfahrensrechtlich ist für die Schadensbemessung der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend (BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17, juris Rn. 25 m.w.N.; Grüneberg, BGB, 81. Aufl., Vorb. v § 249 Rn. 127).
34
(2) Daran gemessen kann die Klagepartei von der Beklagten nicht die (Rück-)Zahlung des an einen Dritten bezahlten Kaufpreises verlangen.
35
Wie oben ausgeführt, sollen die § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV sicherstellen, dass Fahrzeuge nur dann in den Verkehr gebracht werden, wenn sie mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung versehen sind. Selbst wenn man also davon ausgehen sollte, dass das Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung dazu führt, dass keine gültige Übereinstimmungsbescheinigung vorliegt und die Beklagte dies verschuldete, kann sich aufgrund des Schutzzwecks der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus § 823 Abs. 2 BGB zwar ein Anspruch gegen den Inhaber der EG-Typgenehmigung auf Beifügung einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung (in Form der Beseitigung der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung), nicht aber auf (Rück-)Abwicklung eines Kaufvertrags mit einem Dritten ergeben (so auch Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu einem sich aus § 826 BGB ergebenden Schadensersatzanspruch von Käufern eines Fahrzeugs mit einem Motor EA 189 gegen den Hersteller auf (Rück-)Abwicklung des Kaufvertrags steht hierzu nicht in Widerspruch. Denn soweit der Bundesgerichtshof den Schaden in diesen Fällen in dem Abschluss eines Kaufvertrags über ein bemakeltes Fahrzeug gesehen hat (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, juris Rn. 44), hat er dies ausdrücklich auf § 826 BGB beschränkt, indem er ausgeführt hat, dass sich der Geschädigte auch von einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer „ungewollten“ Verpflichtung wieder befreien können muss und eine solche daher einen gemäß § 826 BGB zu ersetzenden Schaden darstellen kann (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, juris Rn. 47). § 826 BGB bewirke insoweit einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen (BGH, aaO).
36
Dies ist bei den § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV und den ihnen zugrundeliegenden Regelungen der EU-RL 2007/46 indes nicht der Fall (vgl. BGH, Urteile vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, juris Rn. 72 ff; vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, juris Rn. 10 ff.). Wie der Bundesgerichtshof unter dem Gesichtspunkt der Schutzgesetzqualität dieser Normen ausgeführt hat, liegt das Interesse der Klagepartei, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht in deren Aufgabenbereich (BGH, Urteile vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, juris Rn. 76; vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, juris Rn. 11).
37
Aus den Schlussanträgen des Generalanwalts beim Europäischen Gerichtshof im Verfahren C-100/21 ergibt sich nichts anderes. Zwar ist der Generalanwalt der Auffassung, dass die RL 2007/46/EG dahin auszulegen sei, dass sie die Mitgliedstaaten verpflichte, vorzusehen, dass ein Erwerber eines Fahrzeugs einen Ersatzanspruch gegen den Fahrzeughersteller hat, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist; die konkrete Ausgestaltung dieses Ersatzanspruchs sei allerdings Sache der Mitgliedsstaaten (Schlussanträge vom 2. Juni 2022 – C-100/21 Rn. 65). Die Auffassung des Senats, dass sich aus einer – zu Gunsten der Klagepartei unterstellten – schuldhaften Verletzung der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, wobei – ebenfalls zu Gunsten der Klagepartei – weiter unterstellt wird, diese Normen seien Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 Satz 1 BGB, allenfalls ein Anspruch auf Beseitigung des Thermofensters oder Veränderung desselben auf ein zulässiges Maß ergibt, steht daher im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung und nicht in Widerspruch zur Auffassung des Generalanwalts. Denn auch hierdurch werden die Interessen eines Erwerbers geschützt, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist (vgl. Schlussanträge vom 2. Juni 2022 C-100/21 Rn. 50).
38
dd) Das gefundene Ergebnis erfüllt die Voraussetzungen des europarechtlichen Effektivitätsgrundsatzes (siehe dazu Schlussanträge vom 2. Juni 2022 – C-100/21 Rn. 55 u. 65).
39
Dass § 823 Abs. 2 Satz 2 BGB etwaige Ersatzansprüche von einem Verschulden abhängig macht, verstößt nicht gegen europarechtliche Grundgedanken. Denn auch der Generalanwalt geht davon aus, dass die RL 2007/46/EG die Mitgliedstaaten zur Verfügungstellung von Ersatzansprüchen des Erwerbers gegen den Hersteller nur insoweit verpflichtet, als der Hersteller ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenes Fahrzeug schuldhaft in Verkehr gebracht hat (Schlussanträge vom 2. Juni 2022 – C-100/21 Rn. 54).
40
Der vom Senat als möglich erachtete Anspruch auf Beseitigung der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung ist eine wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktion im Sinne des Art. 46 der RL 2007/46/EG gegen den Hersteller. Dabei darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Generalanwalt die Verpflichtung der Mitgliedstaaten aus Art. 46 der RL 2007/46/EG herleitet, die besagt, dass die Mitgliedstaaten die Sanktionen festlegen, die bei Verstößen gegen die in Anhang IV Teil I aufgeführten Rechtsakte anzuwenden sind, und alle für ihre Durchführung erforderlichen Maßnahmen mit wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionen ergreifen. Der Richtliniengeber hat den Mitgliedstaaten bei der Bestimmung der Art der Sanktionen freie Hand gegeben. Daraus folgt, dass wenn ein Mitgliedstaat mehrere Sanktionen ergriffen hat, bei der Beurteilung der Effektivität der Maßnahmen das rechtliche Gesamtgefüge maßgeblich ist und der Blick nicht auf Ansprüche einzelner Käufer gegen den Hersteller verengt werden darf.
41
Die in der Bundesrepublik Deutschland zur Erfüllung der Verpflichtung gemäß Art. 46 der RL 2007/46/EG zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten sind ausreichend effektiv. Abgesehen davon, dass § 37 Abs. 1 EG-FGV vorsätzliche oder fahrlässige Verstöße gegen § 27 Abs. 1 Satz 1 FG-FGV mit einem Bußgeld belegt, sehen die §§ 29a, 30 OWiG die Möglichkeiten vor, Geldbußen gegen juristische Personen zu verhängen und Taterträge einzuziehen. Die deutschen Gerichte haben im Zusammenhang mit dem sog. „Dieselskandal“ von diesen Vorschriften Gebrauch gemacht und gegen die Beklagte eine Geldbuße und eine Einziehung in Höhe von einer Milliarde Euro und gegen eine Tochterfirma der Beklagten solche in Höhe von 800 Millionen Euro angeordnet. Über diese strafrechtlichen Vorschriften hinaus sieht das deutsche Gewährleistungsrecht bei der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen – sogar z.T. verschuldensunabhängige – kaufvertragliche Ansprüche gegen den Fahrzeugverkäufer vor (vgl. zum Motor EA189: BGH, Urteil vom 21. Juli 2021 – VIII ZR 254/20; zum Motor OM651: BGH, Beschluss vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19). Vor dem Hintergrund der in § 445a BGB geregelten Rückgriffmöglichkeit des Verkäufers stellt dies auch mit Blick auf die Fahrzeughersteller, einen – von dem Generalanwalt geforderten, in seiner Stellungnahme jedoch unberücksichtigt gebliebenen Anreiz dar, die Unionsvorschriften penibel einzuhalten, um eine Haftung zu vermeiden (vgl. Schlussanträge vom 2. Juni 2022 – C-100/21 Rn. 58).
III.
42
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10 ZPO.
IV.
43
Der Streitwert wurde nach Maßgabe der §§ 47, 48 GKG bestimmt. Dem im Hinweisbeschluss genannten Betrag (Kaufpreis abzüglich der auf Basis der klägerischen Berechnungsmethode abzuziehenden Nutzungsentschädigung) hat der Senat für den Feststellungsantrag einen Betrag von 500 € hinzugerechnet, da lediglich Abmeldekosten, Transportkosten und Mietwagenkosten als potentielle weitere Schäden geltend gemacht werden, damit ein Ansatz von 10% des Kaufpreises wie in der Klageschrift nicht in Betracht kommt und von etwaigen geschätzten Kosten von 1500 € ein Abschlag von 2/3 im Hinblick auf das bloße Feststellungsbegehren vorzunehmen war.