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VG Augsburg, Urteil v. 25.01.2022 – Au 3 K 20.2327
Titel:

Rückforderung von Unterhaltsvorschussleistungen bei Unterhaltszahlungen des anderen Elternteils

Normenketten:
UVG § 2 Abs. 3 Nr. 1, § 5 Abs. 2
BGB § 818 Abs. 3, § 1610 Abs. 2, § 1629a
Leitsätze:
1. Unterhaltszahlungen im Sinn von § 2 Abs. 3 Nr. 1 UVG sind auch solche Unterhaltszahlungen die nicht zur Befriedigung des sich nach § 1612a Abs. 1 Satz 3 Nr. 1, 2 oder 3 BGB ergebenden monatlichen Mindestunterhalts geleistet werden. (Rn. 20)
2. § 5 Abs. 2 UVG enthält eine abschließende Sonderregelung, sodass weder die Haftungsbeschränkung nach § 1629a BGB noch § 818 Abs. 3 BGB (analog) anwendbar sind. (Rn. 21)
Schlagworte:
Rückforderung von Unterhaltsvorschussleistungen, Anrechnung von Unterhaltszahlungen des anderen Elternteils, keine Haftungsbegrenzung, keine Berufung auf den Wegfall der Bereicherung, Unterhaltsvorschuss, Rückforderung, Unterhalt, Elternteil, Schulgeld, Haftungsbegrenzung, Wegfall der Bereicherung
Fundstellen:
FamRZ 2022, 944
BeckRS 2022, 5081
LSK 2022, 5081

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der am ... 2002 geborene Kläger wendet sich gegen die Rückforderung von Unterhaltsvorschussleistungen in Höhe von insgesamt 3.568 EUR.
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Auf Antrag wurden dem Kläger für die Zeit vom 1. Juli 2017 bis 29. Februar 2020 Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz in Höhe von insgesamt 8.794 EUR bewilligt und ausgezahlt.
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Anlässlich einer vom Landesamt für Finanzen beantragten Titelumschreibung teilte der Anwalt des Vaters des Klägers dem Familiengericht ... mit Schreiben vom 4. Mai 2020, das an das Landratsamt ... weitergeleitet wurde, mit, dass dieser im genannten Zeitraum Zahlungen auf den Kindesunterhalt in Höhe von insgesamt 3.590 EUR geleistet habe. Wie sich aus den beigefügten Kontoauszügen ergebe, seien für den Kläger Zahlungen in Höhe von 1.400 EUR an seine Mutter und Zahlungen in Höhe von insgesamt 2.190 EUR direkt an ihn erfolgt. Es sei mit der Kindsmutter abgesprochen worden, dass diese die Zahlungen gegenüber der Unterhaltsvorschusskasse angebe.
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Mit Bescheid vom 6. August 2020 hob das Landratsamt ... die ergangenen Bewilligungs- und Änderungsbescheide vom 28. November 2017, 19. Dezember 2017, 13. Dezember 2018, 17. Juni 2019 und 2. Dezember 2019 teilweise auf, bewilligte (reduzierte) Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz in Höhe von insgesamt 5.226 EUR und forderte die zu viel gezahlten Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz in Höhe von insgesamt 3.568 EUR zurück.
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Dagegen legte der Kläger am 12. August 2020 Widerspruch ein. Sein Vater habe lediglich Zahlungen für die ... Schule geleistet. Er, der Kläger, habe diese zweijährige kaufmännische Berufsfachschule von 2017 an besucht. Sein Vater habe sich mit monatlich 70 EUR an den Schulkosten beteiligt, habe damit aber keine Unterhaltszahlungen geleistet. Sein Vater habe an ihn als Minderjährigen wohl gelegentlich Taschengeldzahlungen geleistet, die er jedoch verbraucht habe. Unterhaltszahlungen seien nicht geleistet worden.
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Die Regierung von ... wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 2020 als unbegründet zurück. Zahlungen an das Kind seien als Unterhaltszahlungen anzurechnen, auch wenn diese zweckgebunden geleistet würden, z.B. für die Betreuung in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege. Der vom Vater jeweils gezahlte Betrag habe dem Kläger und seiner Mutter gleichzeitig neben den bezogenen staatlichen Unterhaltsleistungen tatsächlich zur Verfügung gestanden. Dieser Doppelbezug widerspreche dem Sinn und Zweck des Unterhaltsvorschussgesetzes, mit dem nur ausfallende oder unzureichende Unterhaltsbeiträge abgesichert werden sollten. Daher führe jede in dem jeweiligen Monat eingehende Unterhaltsleistung des anderen Elternteils, bei dem der Berechtigte nicht lebe, entweder zur Verringerung oder zum Untergang des UVG-Anspruchs.
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Am 13. November 2020 erhob der Kläger Klage und beantragte,
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den Bescheid des Landratsamts ... vom 6. August 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von ... vom 15. Oktober 2020 aufzuheben.
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Der Kläger habe titulierte Ansprüche gegenüber seinem Vater. Da Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erfolglos gewesen seien, habe seine Mutter bei der Unterhaltsvorschusskasse des Jugendamts ... Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für ihn beantragt. Dem Beklagten stehe der geltend gemachte Betrag von 3.568 EUR nicht zu, da Unterhaltszahlungen nicht geleistet worden seien. Der Vater habe lediglich an die Mutter Schulgeldzahlungen und an ihn Taschengeld geleistet. Das Taschengeld sei verbraucht. Darüber hinaus sei davon auszugehen, dass eine Rückforderung von einem minderjährigen Kind nach § 1629a BGB ausgeschlossen sei. Die Minderjährigenhaftung beschränke sich auf das bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandene Vermögen des Kindes. Zum Zeitpunkt seiner Volljährigkeit hätten keine Vermögenswerte bestanden, sodass er nicht in der Lage sei, Rückzahlungen zu leisten.
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Der Beklagte beantragte,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wurde auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid verwiesen.
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Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der angefochtene Rückforderungsbescheid des Landratsamts ... vom 6. August 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von ... vom 15. Oktober 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Rückforderung von Unterhaltsvorschusszahlungen in Höhe von 3.568 EUR ist § 5 Abs. 2 UVG. Nach dieser Bestimmung hat der Berechtigte, nämlich der Kläger als Empfänger der Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz, den geleisteten Geldbetrag insoweit zurückzuzahlen, als die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung in dem Kalendermonat, für den sie gezahlt worden sind, nicht vorgelegen haben, weil der Berechtigte nach Stellung des Antrags auf Unterhaltsleistungen Einkommen im Sinn des § 2 Abs. 3 UVG erzielt hat, das bei der Bewilligung der Unterhaltsleistung nicht berücksichtigt worden ist. Nach § 2 Abs. 3 Nr. 1 UVG gehören zum Einkommen bzw. zu den Einkünften des Berechtigten, die auf die zu gewährende Unterhaltsleistung angerechnet werden, die in demselben Monat erfolgten Unterhaltszahlungen des Elternteils, bei dem der Berechtigte nicht lebt. Die im Bewilligungszeitraum vom Vater des Klägers an bzw. für diesen geleisteten Zahlungen sind solche Unterhaltszahlungen.
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Dies gilt zunächst für die insgesamt 1.400 EUR, die der Vater des Klägers an dessen Mutter gezahlt hat. Als Verwendungszweck hat der Vater teils „Für ...“, teils „Für Schule“ angegeben und damit klar zum Ausdruck gebracht, dass die Zahlungen zugunsten des Schulbesuchs des Klägers geleistet werden. Der Bezug zur Schule ergibt sich auch aus der Höhe der jeweiligen Überweisung, die ganz überwiegend 60 EUR beträgt. Dieser Betrag entspricht dem monatlichen Schulgeld, das der Kläger für den Besuch der privaten kaufmännischen Berufsfachschule in ... zu zahlen hatte. Entgegen der nicht näher begründeten Auffassung des Klägers steht damit fest, dass sein Vater insoweit Unterhaltszahlungen an ihn erbracht hat. § 1610 Abs. 2 BGB bestimmt ausdrücklich, dass der familienrechtliche Unterhalt auch die Kosten einer angemessenen Berufsausbildung umfasst.
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Auch die 2.190 EUR, die der Vater dem Kläger während des Bewilligungszeitraums sukzessive überwiesen hat, sind als Unterhaltszahlungen zu werten. Da der Vater als Verwendungszweck nur den jeweiligen Monat angegeben hat, ist davon auszugehen, dass der Kläger das Geld zur freien Verfügung erhalten hat. Er durfte also frei wählen, welchen Bedarf er damit befriedigen wollte, wie es typischerweise bei einem Taschengeld der Fall ist. Da nach § 1610 Abs. 2 BGB der familienrechtliche Unterhalt den gesamten Lebensbedarf umfasst, handelt es sich auch bei Taschengeldzahlungen oder taschengeldähnlichen Zahlungen um Unterhaltszahlungen. Dies genügt nach dem klaren Wortlaut des § 2 Abs. 3 Nr. 1 UVG für dessen Anwendbarkeit (vgl. BayVGH, U.v. 15.1.2008 - 12 BV 06.80 - juris Rn. 23).
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Damit kommt es nicht darauf an, ob mit der Zahlung der monatliche Mindestunterhalt im Sinne von § 2 Abs. 1 UVG in Verbindung mit § 1612a Abs. 1 Satz 3 Nr. 1, 2 oder 3 BGB befriedigt werden soll. Dies entspricht nicht nur dem Wortlaut, sondern auch dem Sinn und Zweck des § 2 Abs. 3 UVG, der die Nachrangigkeit der öffentlich-rechtlichen Hilfeleistung sichern soll. Das Unterhaltsvorschussgesetz will den Unterhaltsanspruch eines berechtigten Kindes absichern. Die Regelung übernimmt dabei aber nicht uneingeschränkt den in anderen Sozialleistungsbereichen geltenden Grundsatz der Bedarfsdeckung. Folglich sind Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz nur dann zu gewähren, wenn der Berechtigte keine anderweitige Möglichkeit hat, den monatlichen Mindestunterhalt zu bekommen (vgl. BayVGH, U.v. 15. 1.2008 - 12 BV 06.80 - juris Rn. 24). Dieser Intention des Gesetzes würde es zuwiderlaufen, wenn die Eltern eines berechtigten Kindes durch zweckgerichtete Abreden oder Erklärungen erreichen könnten, dass sie auf Kosten der Unterhaltsvorschusskasse entlastet werden.
21
Die privatrechtliche Haftungsbeschränkung des § 1629a BGB gilt im öffentlich-rechtlichen Unterhaltsvorschussrecht nicht. Insbesondere enthält § 5 Abs. 2 UVG keine Verweisung auf § 1629a BGB. Dass es sich insoweit um eine planwidrige Gesetzeslücke handelt, ist weder dargelegt noch ersichtlich. Vielmehr ist anerkannt, dass § 5 Abs. 2 UVG eine abschließende Sonderregelung enthält, bei der auch eine Berufung auf den Wegfall einer Bereicherung analog § 818 Abs. 3 BGB ausgeschlossen ist (vgl. BayVGH, U.v. 15.1.2008 - 12 BV 06.80 - juris Rn. 26; Helmbrecht, UVG-Kommentar, 5. Auflage 2004, § 5 Rn. 11).
22
Der Kläger hat die Kosten des gerichtlichen Verfahrens zu tragen, weil er unterlegen ist (§ 154 Abs. 1 VwGO). Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 188 Satz 2 HS. 1 VwGO).
23
Die Kostenentscheidung war gem. § 167 VwGO i.V.m. §§ 708ff. ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären.