Titel:
Härteausgleich bezüglich Straßenausbaubeiträgen, Leibgeding bzw. Wohnungsrecht gewährt keine Antragsbefugnis, beitragspflichtige dingliche Nutzungsberechtigung verneint
Normenkette:
KAG Art. 19a Abs. 7
Schlagworte:
Härteausgleich bezüglich Straßenausbaubeiträgen, Leibgeding bzw. Wohnungsrecht gewährt keine Antragsbefugnis, beitragspflichtige dingliche Nutzungsberechtigung verneint
Fundstelle:
BeckRS 2022, 50662
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Die Kläger wenden sich gegen die Ablehnung ihres Härteausgleichsantrags mit Bescheid vom 21.03.2022 und begehren, den Beklagten zur Neuverbescheidung ihres Antrags zu verpflichten.
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Die Kläger waren ursprünglich in Gütergemeinschaft Eigentümer des Grundstücks Fl.-Nr. …, Gemarkung …, Gemeinde … (Hausanschrift: …), das sie teils selbst bewohn(t) en.
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Bezüglich dieses Grundstücks erhob die Gemeinde … von den Klägern jeweils mit Bescheid vom 20.11.2015 eine Vorausleistung auf den Straßenausbaubeitrag für die „…straße C“ … in Höhe von insgesamt 6.477,27 EUR. Im Januar 2016 überwiesen sie diesen Betrag vom Gemeinschaftskonto an die Gemeinde … Mit notariellem Übergabevertrag vom 26.07.2016 übertrugen die Kläger ihr Eigentum u.a. am Grundstück Fl.-Nr. … an ihren Sohn … zum Alleineigentum und erklärten die Auflassung (Nrn. II., III. des Vertrages). Zugleich bestellte … seinen Eltern im Übergabevertrag ein lebenslanges Leibgeding mit Wirkung gegen sich und seine Rechtsnachfolger (Nr. V. des Vertrages). Es beinhaltet ein Wohnungsrecht als beschränkt persönliche Dienstbarkeit an der gesamten Einliegerwohnung im Erdgeschoss des Wohnhauses auf Fl.-Nr. … samt Garage. Weiterer Inhalt des Leibgedings ist eine Reallast, wonach die dem Wohnungsrecht unterliegenden Räume auf Kosten von … in bewohn- und beheizbarem Zustand zu halten sind, er die diesbezüglichen laufenden öffentlichen Lasten und Abgaben trägt sowie seinen Eltern die standesgemäße Verpflegung nebst 300 EUR monatlich zukommen lässt. Kosten und Beiträge für Erschließungs-, Versorgungs- und Abwasseranlagen trägt nach dem Übergabevertrag Herr …, soweit sie noch nicht bezahlt sind oder in Zukunft fällig werden (Nr. VII. 3. des Vertrages).
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Die Auflassung wurde am 07.10.2016 ins Grundbuch eingetragen; damit wurde … Eigentümer des Grundstücks Fl.-Nr. … Mit am 23.08.2019 eingegangenem Schreiben stellten der Kläger für sich und seine Ehefrau, die Klägerin, einen Antrag auf Härteausgleich des Vorausleistungsbetrages i.H.v. 6.477,27 EUR. Er gab darin an, dass sie noch Eigentümer oder dinglich Nutzungsberechtigte des beitragspflichtigen Grundstücks seien. Der landwirtschaftliche Betrieb sei zum 01.07.2015 an den Sohn … verpachtet worden. Ein Jahr später hätten sie das Anwesen an ihren Sohn übergeben und ein Leibgeding vereinbart. Beigefügt waren dem Antrag u.a. die Vorausleistungsbescheide, der Übergabevertrag vom 26.07.2016 sowie die Eintragungsbekanntmachung.
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Mit an den Kläger adressiertem Bescheid vom 21.03.2022 lehnte die Härtefallkommission für Straßenausbaubeiträge den Antrag auf Härteausgleich ab. Die Kläger hätten Härteausgleich beantragt und angegeben, dass Vorauszahlungen in Höhe von 3.238,64 EUR festgesetzt worden seien. Die Kläger seien im Verwaltungsverfahren vom Kläger vertreten worden. Sie seien nicht antragsbefugt, da sie im Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr Eigentümer oder beitragspflichtig dinglich Nutzungsberechtigte des Grundstücks, auf das die Belastung zurückgeht, gewesen seien. Ein Postaufgabevermerk o.Ä. ist in der Behördenakte nicht vorhanden. Als „Posttermin“ wird in der behördeninternen E-Mail vom 23.03.2022 der 25.03.2022 genannt.
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Mit Schriftsatz vom 21.04.2022, beim Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangen am selben Tag, haben die Kläger Klage erheben lassen und beantragt,
Der Beklagte wird verurteilt, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts über den Antrag auf Gewährung eines Härteausgleichs nach Art. 19 a KAG vom 21.08.2019 hinsichtlich des Grundstücks …, …, Flur-Nr. …, neu zu entscheiden.
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Zur Begründung lassen die Kläger im Wesentlichen ausführen: Der Bescheid sei rechtswidrig, da er wesentliche Aspekte nicht berücksichtige. Zunächst sei festzuhalten, dass der Bescheid von einem lediglich geleisteten Beitrag von 3.238,64 EUR ausgehe. Der Bescheid berücksichtige zudem nicht, dass zwar mit notariellem Hofübergabevertrag vom 26.07.2016 die Übertragung des landwirtschaftlichen Grundbesitzes stattgefunden habe, gleichzeitig jedoch im Rahmen der Überlassung auch, wie es in Hofübergabeverträgen üblich sei, ein entsprechendes Leibgeding mit dinglich gesichertem Wohnungsrecht und entsprechender Reallast vereinbart worden sei. Entgegen der Ansicht des Beklagten liege damit bei Antragsstellung eine beitragspflichtige dingliche Nutzungsberechtigung der Kläger vor. „Art. 5 KAG a.F.“ weise zwar neben dem Eigentümer nur den Erbbauberechtigten als Beitragspflichtigen aus, weil er zumindest für die Dauer des Erbbaurechtes wie ein Eigentümer über das Grundstück verfüge. Die vorliegende Konstellation sei dem aber vergleichbar und deshalb im Rahmen der Billigkeitsregelung des Art. 19a Abs. 7 KAG gleichzusetzen. Laut dem Hofübergabevertrag hätten die Kläger das Eigentum keineswegs in vollem Umfang abgegeben. Wirtschaftlich seien die Kläger als bisher im Grundbuch eingetragene Eigentümer nach wie vor in der Lage über die wesentlichen Teile des Grundstücks vollumfänglich allein und eigenverantwortlich zu entscheiden. Die Kläger verfügten letztlich wie Eigentümer über das Gesamtanwesen mit der Einschränkung, dass einem Mietverhältnis entsprechend die Wohnung des Erwerbers nicht von ihnen genutzt werden könne. Es sei von Anfang an nie das vollständige Eigentum übertragen worden. Die verengte Sichtweise auf die Beitragspflicht des Art. 5 KAG erscheine hier auch eingedenk der Gesetzesformulierung „beitragspflichtig dinglich Nutzungsberechtigter des Grundstücks“ nicht gerechtfertigt.
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Der Beklagte hat mit am 01.08.2022 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz beantragt,
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Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen: Zwar sei unstreitig ein Leibgeding mit dinglich gesichertem Wohnungsrecht und Reallast für die Kläger vereinbart worden. Hierin sei aber kein Recht im Sinne des Art. 19a Abs. 7 Satz 4 Nr. 2 Alt. 2 KAG zu sehen. Vielmehr würden davon lediglich Erbbauberechtigte umfasst. Wer beitragspflichtig sei, bestimme sich nach den Vorgaben des Kommunalabgabengesetzes und nicht nach privatrechtlichen Abreden. Im Gegensatz zum Leibgeding kenne das Kommunalabgabengesetz mit dem Erbbaurecht auch ein dingliches Nutzungsrecht, bei dem eine gesetzliche Beitragspflicht bestehe (vgl. Art. 5 Abs. 6 Satz 1 KAG). Eine solche eigenständige Beitragspflicht der Kläger bestehe beim Leibgeding jedoch gerade nicht. Darauf, ob die Klagepartei für die festgesetzten Beiträge tatsächlich aufzukommen habe, komme es daher entgegen der Auffassung der Klägerseite nicht an. Rein hilfsweise werde hierzu ausgeführt, dass der Sohn der Klagepartei als jetziger Eigentümer die außerordentlichen Lasten am Grundstück auch im Innenverhältnis zu tragen habe. Denn das vollständige Eigentum sei mit allen Rechten und Bestandteilen am betroffenen Grundstück an den Sohn übertragen worden. Für außerordentliche Lasten sowie außergewöhnliche Instandhaltungsmaßnahmen wie Erschließungs- oder Straßenausbaubeiträge habe der Eigentümer sowohl im Innen- als auch im Außenverhältnis selbst aufzukommen. Auch auf die jeweilige Höhe der Festsetzungen komme es somit nicht an. Hilfsweise sei darauf hingewiesen, dass der Beitragsbescheid von einem Eigentumsanteil von jeweils ein Halb beider Ehegatten ausgegangen sei.
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Die Parteien erklärten mit Schriftsätzen vom 08.08.2022 und 04.10.2022 das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung.
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Ergänzend wird nach § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil beide Parteien auf die Durchführung einer solchen formwirksam verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 21.03.2022 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO). Die Kläger haben keinen Anspruch auf Neuverbescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Denn hinsichtlich ihres Antrags auf Härteausgleich lagen bereits nicht alle Antragsvoraussetzungen vor, weshalb er zwingend abzulehnen war. Konkret fehlt es den Klägern zum maßgeblichen Zeitpunkt der Beantragung des Härteausgleichs am 21.08.2019 an der Antragsbefugnis i.S.d. Art. 19a Abs. 7 Satz 4 KAG.
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Der Bayerische Gesetzgeber hat sich im Jahr 2019 dazu entschieden, die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen rückwirkend zum 01.01.2018 abzuschaffen. Um mit der stichtagsgebundenen Abschaffung einhergehende Härten abzufedern, hat er flankierend freiwillige Ausgleichszahlungen für besondere Härtefälle bestimmt und einen entsprechenden Härtefallfonds eingerichtet. Die Gewährung eines solchen Härteausgleichs hat er in Art. 19a KAG an verschiedene Voraussetzungen – u.a. eine Antragsbefugnis – geknüpft. Antragsbefugt ist gemäß Art. 19a Abs. 7 Satz 4 KAG nur, (1.) gegen wen nach den Bestimmungen dieses Gesetzes durch Bescheid, Vergleich oder Vereinbarung im Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis zum Ablauf des 31. Dezember 2017 Straßenausbaubeiträge, entsprechende Vorauszahlungen oder eine entsprechende Ablöse in Höhe von mindestens 2.000 € festgesetzt wurden, soweit die Beiträge nicht erlassen oder anderweitig erstattet worden sind, und (2.) wer bei Antragstellung Eigentümer oder beitragspflichtig dinglich Nutzungsberechtigter des Grundstücks ist, auf das die Belastung zurückgeht, und (3.) wer im Jahr der Festsetzung der Belastung über ein zu versteuerndes Einkommen von nicht mehr als 100.000 €, bei Zusammenveranlagung von Ehegatten oder Lebenspartnern von nicht mehr als 200.000 € verfügte.
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Vorliegend fehlt es an der Voraussetzung des Art. 19a Abs. 7 Satz 4 Nr. 2 KAG. Unstreitig hatten die Kläger bei Antragstellung am 21.08.2019 nur noch ein lebenslanges Leibgeding inne, das vor allem ein Wohnungsrecht als beschränkt persönliche Dienstbarkeit an der gesamten Einliegerwohnung des Wohnhauses auf dem Grundstück Fl.-Nr. … sowie eine Reallast beinhaltet. Die Inhaber eines solchen Leibgedings sind aber weder Eigentümer noch beitragspflichtig dinglich Nutzungsberechtigte i.S.d. Art. 19a Abs. 7 Satz 4 Nr. 2 KAG. Das Eigentum am Grundstück Fl.-Nr. … ging mit Eintragung der Auflassung ins Grundbuch am 07.10.2016 vollständig auf den Sohn der Kläger über (§§ 873 Abs. 1, 925 Abs. 1 Satz 1 BGB). Ein Leibgeding stellt auch keine beitragspflichtige dingliche Nutzungsberechtigung i.S.d. Kommunalabgabenrechts dar. Denn eine solche Nutzungsberechtigung gewährt gemäß Art. 5 Abs. 6 Satz 1 KAG nur das Erbbaurecht. Dies ist ständige Rechtsprechung (vgl. u.a. Bay-VerfGH, U.v. 25.03.1977 – Vf. 15-VII-76, BeckRS 1977, 2280 Rn. 19; BayVGH, U.v. 05.01.1999 – 6 B 94.3522 – juris Rn. 23; Thiemet, Kommunalabgaben- und Ortsrecht in Bayern, Stand: Mai 2022, Teil IV, Art. 5 KAG, B.18.3.). Der Wortlaut des Art. 5 Abs. 6 KAG ist auch in den letzten Jahrzehnten unverändert geblieben, sodass nicht mit einer insoweit veränderten Gesetzeslage argumentiert werden kann.
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Das vorliegende Leibgeding ist auch nicht mit dem Eigentumsrecht, dem Erbbaurecht, dem Wohnungs- oder Teileigentum (vgl. Art. 5 Abs. 6 Satz 2 KAG) vergleichbar. Das Leibgeding ist ein vertraglich oder durch letztwillige Verfügung zugewandter Inbegriff von Nutzungen und Leistungen, die aus und auf einem Grundstück zu gewähren sind und der allgemeinen langfristigen, meist lebenslänglichen leiblichen und persönlichen Versorgung der Berechtigten dienen, mithin eine Art sozial motivierter, höchstpersönlicher Versorgungsvertrag (vgl. Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, Rn. 1323, 1328, 1332 beck-online). Hier beinhaltet er im Wesentlichen ein Wohnungsrecht und eine Reallast. Beide gewähren aber gerade keine annähernd so umfassenden Rechte, wie das Eigentum und das Erbbaurecht. Ebenso verhält es sich hinsichtlich des Wohnungs- oder Teileigentums, deren Inhaber entsprechend ihres aus dem Grundbuch ersichtlichen Miteigentumsanteil jeweils „Alleineigentümer“ sind. All diese umfassenden Rechte sind beispielsweise auch – anders als das Wohnungsrecht und die Reallast – veräußerlich und vererblich.
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Selbst wenn man, orientiert an der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs aus den 1980er-Jahren, zusätzlich auch den Eigenbesitzer als beitragspflichtig dinglich Nutzungsberechtigten ansehen wollte (vgl. Thimet, Kommual- und Ortsrecht in Bayern, Stand Mai 2022, Teil IV, Art. 5 KAG, A.22.5. m.w.N.), liegt ein solcher insbesondere bei einem Wohnungsrecht ebenfalls nicht vor. Die Kläger sind hinsichtlich der Wohnung Fremdbesitzer.
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Aufgrund der obigen Ausführungen kommt es auf Nr. VII 3. des Übergabevertrags, wonach der Sohn der Kläger etwaige Erschließungsbeiträge zu tragen hat, nicht mehr an. Im Ergebnis spricht aber ebenso diese Vertragsabrede dafür, dass den Klägern keine dem Wohnungseigentümer vergleichbare Rechtsposition aus dem Übergabevertrag erwachsen sollte.
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO, wonach die unterliegende Partei die Verfahrenskosten zu tragen hat. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11. § 711 ZPO war nicht entsprechend anzuwenden.