Inhalt

LG Memmingen, Endurteil v. 31.03.2022 – 34 O 1827/21
Titel:

Schadensersatz, Fahrzeug, Marke, Sittenwidrigkeit, Unfall, Software, Nebenbestimmung, Auslegung, Streitwert, Rechtsverfolgungskosten, Wirksamkeit, Kenntnis, Beweislast, Anspruch, Kosten des Rechtsstreits, Sinn und Zweck, gerichtlicher Hinweis

Schlagworte:
Schadensersatz, Fahrzeug, Marke, Sittenwidrigkeit, Unfall, Software, Nebenbestimmung, Auslegung, Streitwert, Rechtsverfolgungskosten, Wirksamkeit, Kenntnis, Beweislast, Anspruch, Kosten des Rechtsstreits, Sinn und Zweck, gerichtlicher Hinweis
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 18.05.2022 – 24 U 2380/22
OLG München, Beschluss vom 11.07.2022 – 24 U 2380/22
BGH Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 23.01.2023 – VIa ZR 1066/22
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 31.07.2023 – VIa ZR 1066/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 50598

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 26.302,67 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Der Kläger erhebt Ansprüche auf Schadensersatz gegen die Beklagte aus dem Kauf eines Pkws der Marke Skoda, welcher von dem sog. „Abgasskandal“ betroffen sein soll.
2
Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom 14.06.2016 (vgl. Verbindliche Bestellung vom 14.06.2016, Anlage K1a) bei der B. GmbH in M. einen neuen Pkw der Marke Skoda, Typ Octavia 2.0 TDI, mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (…) zu einem Kaufpreis von 28.000,- €. Das Fahrzeug wurde an den Kläger übergeben und der vereinbarte Kaufpreis beglichen.
3
In dem Fahrzeug ist kein Motor der Baureihe „EA 189“, der von dem sog. „Abgasskandal“ betroffen ist, sondern der Nachfolgemotor der Baureihe „EA 288“ verbaut. Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) ordnete im Jahr 2016 als nachträgliche Nebenbestimmung zur Typengenehmigung die technische Überarbeitung bestimmter Dieselmotoren an, weil nach Auffassung des Kraftfahrtbundesamts in manchen Dieselmotoren eine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz kommt. Auf der Grundlage eines mit dem Kraftfahrtbundesamt abgestimmten Zeit- und Maßnahmenplans wurden die betroffenen Fahrzeuge im Rahmen einer sogenannten Rückrufaktion im Rahmen eines Softwareupdates technisch überarbeitet. Davon war das streitgegenständliche Fahrzeug jedoch nicht betroffen.
4
Der Kläger trägt im Wesentlichen vor, dass in die Motorsteuerungssoftware des streitgegenständlichen Fahrzeugs eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut worden sei, um die geltenden Abgasnormen zu umgehen. Die Software erkenne – wie interne Unterlagen belegen würden – anhand Lenkwinkel, Temperatur und Zeiterfassung die Prüfsituation und würde unter Prüfstandbedingungen die Abgasaufbereitung so optimieren, dass möglichst wenig Stickoxide entstünden. Im normalen Fahrbetrieb würden dagegen Teile der Abgaskontrollanlage außer Betrieb gesetzt, weshalb die Stickoxid-Emissionen dann erheblich höher seien.
5
Die unzulässige Abschalteinrichtung greife im Realbetrieb im Gegensatz zum Testzyklus auf verschiedene Arten in die Motorsteuerung ein: So werde die Reduktion der Abgasrückführungsrate bis hin zur Abschaltung der Abgasrückführung durch eine temperaturgesteuerte Abschaltvorrichtung („Thermofenster“) erreicht. Die Reduzierung der Abgasreinigung erfolge durch die Software der Motorsteuerung in Abhängigkeit von der Außenlufttemperatur. So werde die Reinigung des Dieselpartikelfilters (mittels sog. „Abgasrückführung“ – AGR) bei Außentemperaturen unterhalb von 17° C und oberhalb von 32° C komplett abgeschaltet, was bei normalem Betrieb zu einem Stickoxidausstoß des gegenständlichen Fahrzeugs führe, der um das Dreifache über den geltenden Grenzwerten liege. Zudem sei in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine Steuerungssoftware verbaut, die ab einer bestimmten Drehzahl die Abgasreinigung abschalte, so dass es zu einem unzulässigen Anstieg der Stickoxidemissionen komme. Außerdem werde abhängig vom Motorzustand (Kühlwasser, Öltemperatur usw.) eine Veränderung der Emissionsminderungsmaßnahmen am Fahrzeug auf der Straße durchgeführt. Darüber hinaus verfüge das streitgegenständliche Fahrzeug über eine Software, welche u.a. anhand von Fahrkurven erkenne, ob sich das Fahrzeug gerade im NEFZ-Prüfzyklus befinde, so dass die Abgasrückführung in zumindest zwei verschiedenen Betriebsmodi („Strategien“) gesteuert werde, wobei ausschließlich im NEFZ eine höhere Abgasrückführungsrate aktiv sei; im normalen Straßenverkehr hingegen durchgehend eine niedrige Abgasbehandlung aktiv gewesen sei.
6
Das „On-Board-Diagnose-System zur Emissionsüberwachung“ des Fahrzeugs melde hierbei keine Störung, kein Warnsignal leuchte, wie dies jedoch in rechtlich zulässiger Weise sein müsse, obwohl die ausgestoßenen Stickoxidwerte die zulässigen Grenzen um ein vielfaches überschreiten würden.
7
Es sei Teil einer strategischen Konzernentscheidung gewesen, die Kosten der Abgasreinigung so gering wie möglich zu halten. Die Beklagte habe sich deshalb bewusst für eine Softwarelösung anstelle einer technischen Lösung entschieden. Solche Absprachen könnten nur von Vorstandsmitgliedern, zumindest aber von verfassungsmäßigen Vertretern getroffen worden sein. Im Übrigen sei die Entscheidung zum Einbau eines „Thermofensters“ auch bereits damals juristisch unhaltbar gewesen. Durch das bewusste Inverkehrbringen der gesetzeswidrig ausgestatteten Fahrzeuge sei auch von einem entsprechenden Schädigungsvorsatz auszugehen. Der Vorstand der Beklagten habe eine Schädigung der Vermögensinteressen der Käufer zumindest billigend in Kauf genommen.
8
Der Kläger ist der Auffassung, er habe gegen die Beklagte als Herstellerin einen Schadensersatzanspruch gerichtet auf Rückabwicklung unter Anrechnung von Nutzungsersatz. Der Anspruch der Klagepartei ergebe sich insbesondere aus § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. § 263 StGB bzw. § 27 EG-FGV, § 826 BGB sowie § 831 BGB. Die Klagepartei ist der Auffassung, die Beklagte sei im Rahmen einer sekundären Darlegungs- und Beweislast verpflichtet, näher zu den konzerninternen Abläufen in Bezug auf die streitgegenständliche Softwareentwicklung und -implementierung vorzutragen, da die Klagepartei bereits alle ihr bekannten und zugänglichen Tatsachen vorgetragen habe.
9
Der Kläger beantragt,
1. an die Klagepartei 28.000,- € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen abzüglich einer Nutzungsentschädigung in EUR pro gefahrenen km seit dem 22.06.2016 die sich nach folgender Formel berechnet:
28.000,00 € x gefahrene Kilometer: (350.000 km – 10 km)
Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeuges Skoda Octavia Combi Scout 2.0 TDI, Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN) (…), nebst Fahrzeugschlüssel;
2. die Klagepartei von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.358,86 € freizuhalten;
3. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeuges Skoda Octavia Combi Scout 2.0 TDI, Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN) (…), in Annahmeverzug befindet;
4. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an die Klagepartei Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus der Ausstattung des Fahrzeugs Skoda Octavia Combi Scout 2.0 TDI, Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN) (…), mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung resultieren.
10
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
11
Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, dass die Klage schon deshalb unbegründet sei, da der streitgegenständliche Pkw nicht von dem sog. „Abgasskandal“ betroffen sei. Das Kraftfahrtbundesamt habe für Fahrzeuge des streitgegenständlichen Typs keinen verpflichtenden Rückruf betreffend dessen Emissionsverhaltens angeordnet. Entsprechend existiere insoweit auch kein dahingehender Bescheid des Kraftfahrtbundesamts für das streitgegenständliche Fahrzeug in Hinblick auf das Emissionsverhalten.
12
Eine Fahrkurvenerkennung – auch Zykluserkennung genannt – sei im Ausgangspunkt eine Softwarefunktion, die erkenne, ob das Fahrzeug einen Prüfzyklus durchfahre. Derartige Zykluserkennungen seien nicht unzulässig. Es gebe regulatorisch kein Verbot einer Fahrkurven- oder Zykluserkennung als solcher. Auch sei eine Fahrkurven- oder Zykluserkennung nicht gleichbedeutend mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Eine solche liege vielmehr nur dann vor, wenn alle Tatbestandsmerkmale der Abschalteinrichtung erfüllt seien, also eine Fahrkurven- oder Zykluserkennung genutzt werde, um die Funktion eines Teils des Emissionskontrollsystems so zu verändern, dass dessen Wirksamkeit im normalen Fährbetrieb grenzwertkausal verringert werde (vgl. Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit. c) VO (EG) 715/2007). Von der Fahrkurven- bzw. der Zykluserkennung zu unterscheiden sei die Erkennung eines Rollenprüfstands. Ein Rollen- oder Rollenprüfstandsmodus könne erforderlich sein, wenn bestimmte Funktionen des Fahrzeugs auf dem Rollenprüfstand deaktiviert werden müssten. So seien etwa die Elektronische Stabilitätskontrolle (ESC) und die Airbags auf dem Rollenprüfstand zwingend zu deaktivieren, da es ansonsten zu Messverfälschungen oder einem ungewollten Auslösen der Airbags kommen könne, weil – anders als im Realbetrieb auf der Straße – sich die Räder drehten, das Fahrzeug aber, weil auf den Rollen festgeschnallt, sich nicht bewege, was von der Steuerungselektronik der Sicherheitssysteme als Aufprall oder Schleudern des Fahrzeugs missinterpretiert werden könne. Um dies zu vermeiden, würden diese Funktionen auf dem Prüfstand durch einen sog. Rollenmodus deaktiviert.
13
Es hätten die Messungen des KBA zu variierten Prüfbedingungen gezeigt, dass der streitgegenständliche EA288-Motor bei voller Funktionsfähigkeit aller abgasbehandelnden Bauteile die gesetzlich vorgegebenen Abgasgrenzwerte einhalte. Dies erfolge unabhängig von einer Fahrkurvenerkennung. Die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems werde im normalen Fahrbetrieb gegenüber dem Prüfstandsbetrieb nicht in einer Art und Weise verringert, die den Vorwurf einer unzulässigen Abschalteinrichtung begründen könne. Auf Basis der bisherigen Messungen des KBA gebe es keine im Prüfstandsbetrieb optimierende Funktion, die erforderlich wäre, um die gesetzlichen Emissionsgrenzwerte einzuhalten. Dies habe das KBA im Rahmen amtlicher Auskünfte gegenüber Gerichten in zahlreichen Parallelverfahren erneut bestätigt. Die Beklagte habe dem KBA im Zuge der Aufarbeitung der Dieselthematik betreffend Fahrzeuge mit EA189-Motor auch unmittelbar nach deren Bekanntwerden am 02.10.2015 vorgestellt, dass in Fahrzeugen mit EA288-Motor eine Fahrkurvenerkennung hinterlegt sei.
14
Ferner sei es der Klagepartei beim Kauf des streitgegenständlichen Pkw nicht darauf angekommen, ein möglichst sparsames und umweltfreundliches Auto zu kaufen. Der klägerische Vortrag zur angeblichen Kenntnis der Manipulationssoftware sei unschlüssig, unsubstantiiert und in der Folge nicht einlassungsfähig. Die von Klägerseite vorgelegten internen Unterlagen würden nur belegen, dass die mit dem KBA getroffenen Vereinbarungen auch von der Beklagten umgesetzt würden. Da die Klagepartei bereits eine Manipulation nicht schlüssig dargelegt habe, sei nicht nachvollziehbar, auf welchen Sachverhalt sich eine angebliche Kenntnis des Vorstandes der Beklagten beziehen solle. Ein vorsätzliches Handeln des Vorstandes liege jedenfalls ebenfalls nicht vor.
15
Die Beklagte ist der Auffassung, dass eine seitens der Klagepartei nicht näher substantiiert vorgetragene Täuschung durch die Beklagte nicht gegeben sei.
16
Thermofenster würden – je nach der konkreten Ausgestaltung – entweder schon keine Abschalteinrichtung darstellen, da sie nur bei praktisch nicht vorkommenden Extremtemperaturen und damit außerhalb der bei „normalem Fahrbetrieb vernünftiger Weise zu erwartenden Bedingungen“ im Sinne von Art. 3 Nr. 10 VO (EG) Nr. 715/2007 aktiv seien oder sie würden sich jedenfalls als rechtlich zulässig im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 2 lit. a) VO (EG) Nr. 715/2007 erweisen, wenn sie zwar bei im realen Fährbetrieb vorkommenden Temperaturen arbeiteten, aber zum Schutz des Motors vor plötzlichen, ggf. erheblichen, auch durch Wartungen nicht vermeidbaren Motorschäden erforderlich seien. Der Vorwurf des Klägers, dass in seinem Fahrzeug ein unzulässiges Thermofenster zum Einsatz komme, sei nicht zutreffend. Thermofenster, also Funktionen zur Reduzierung der Abgasrückführung, würden in bestimmten Bereichen der Umgebungslufttemperatur zum Zwecke des Motorschutzes in Diesel-Fahrzeugen aller Hersteller verwendet, so auch im streitgegenständlichen Fahrzeug. Aus dem Temperaturbereich, in dem die Abgasrückführung im streitgegenständlichen Fahrzeug nicht aktiv sei, ergebe sich aber, dass es sich bei dem hier vorliegenden Thermofenster schon tatbestandlich nicht um eine Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 handele. Denn die Abgasrückführung sei bei einer Außentemperatur zwischen -24°C bis +70°C zu 100% aktiv. Oberhalb und unterhalb dieses Thermofensters erfolge aus Motorschutzgründen und zur Gewährleistung eines sicheren Betriebs des Fahrzeugs keine Abgasrückführung. Innerhalb des Thermofensters und der darin jeweils aktiven Motorbetriebsarten gebe es keine kontinuierliche Abstufung in Abhängigkeit zur Außentemperatur, d.h. keine schrittweise Reduktion der Abgasrückführungsrate (sog. Abrampung). Im normalen Fahrbetrieb führe also der konkrete, konfigurierte Temperaturbereich bei den in Europa herrschenden klimatischen Bedingungen dazu, dass die Abgasrückführung in den jeweils aktiven Motorbetriebsarten bei allen Fahrten aktiv sei. Sie werde nur bei absoluten Extremtemperaturen zum Motorschutz und zum sicheren Betrieb des Fahrzeugs außer Kraft gesetzt. Temperaturzonen von unter -24°C oder über +70°C werde die Klagepartei – bei lebensnaher Betrachtung – mit dem streitgegenständlichen Fahrzeug jedoch nicht befahren.
17
Die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Abschalteinrichtung gemäß Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 seien deshalb nicht erfüllt; es werde schon nicht „unter Bedingungen, die bei normalem Fahrbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind' die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems verringert.
18
Darüber hinaus erfülle das Thermofenster die tatbestandlichen Voraussetzungen einer zulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit. a) VO (EG) 715/2007, denn es diene dem Motorschutz und dem sicheren Betrieb des Fahrzeugs im Sinne dieser Vorschrift: So käme es etwa bei Außentemperaturen unterhalb des Temperaturfensters ohne Korrektur der Abgasrückführung aufgrund der adhäsiven Wirkung des Abgases zu einer Funktionsstörung (Verkleben) des AGR-Ventils, der sog. Verlackung. Ferner würde eine hohe AGR-Rate zu massiven Ablagerungen von Ruß und unverbrannten Kohlenwasserstoffen in den AGRführenden Bauteilen führen, der sog. Versottung. Verlackung und Versottung würden dabei häufig im Wechsel auftreten bzw. sich gegenseitig verstärken. Davon seien insbesondere der AGR-Kühler, das AGR-Ventil und die Drallklappe betroffen. Dies könne im Ergebnis zu plötzlichen und unmittelbaren Funktionsstörungen dieser Bauteile führen, die auch nicht durch Wartungen verhindert werden könnten und im ungünstigsten Fall zu einem plötzlichen, unvorhersehbaren und unmittelbaren Leistungsabfall des Fahrzeugs führen könnten, was die Sicherheit des Fahrzeugbetriebs beeinträchtigen könne. Aus diesem Grund sei der Einsatz des Thermofensters, selbst wenn tatbestandlich eine Abschalteinrichtung unterstellt würde, zulässig.
19
Das KBA habe den Vorwurf eines unzulässigen Thermofensters bereits überprüft und zugunsten der Beklagten verneint.
20
Im Übrigen sei die Nutzung eines sog. „Thermofensters“ bislang nicht rechtsverbindlich als unzulässig bewertet worden. Vor diesem Hintergrund könne auf Beklagtenseite auch von keinem vorsätzlichen Verhalten ausgegangen werden. Die Beklagte sei auch nicht im Rahmen einer etwaigen sekundären Darlegungs- und Beweislast zu weitergehenden Angaben verpflichtet. Ein Anspruch auf Schadensersatz bestehe aus den klägerseits erörterten Anspruchsgrundlagen jedenfalls nicht.
21
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17.03.2022 sowie auf den Inhalt der von den Parteien gewechselten umfangreichen Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

22
Die Klage ist unbegründet, so dass sie vollumfänglich abzuweisen war.
23
I. Die Klage ist zulässig. Das Landgericht Memmingen ist das örtlich gemäß § 32 ZPO und sachlich gem. § 1 ZPO i.V.m. §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG zuständige Gericht.
24
II. Die zulässige Klage ist jedoch – insbesondere bezüglich des subjektiven Tatbestands hinsichtlich etwaiger verantwortlicher Personen der Beklagten – unschlüssig und daher ohne Beweisaufnahme als unbegründet abzuweisen. Ein gerichtlicher Hinweis vor Klageabweisung war entbehrlich, da die Beklagte auf die Unschlüssigkeit wiederholt und ausdrücklich substantiiert unter Berücksichtigung der von der Klagepartei behaupteten, einzelnen Abschalteinrichtungen hingewiesen hatte.
25
Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch besteht deshalb unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt.
26
1. Für das Eingreifen vertraglicher oder quasivertraglicher Ansprüche fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten, da die Klagepartei das Fahrzeug nicht von der Beklagten direkt erworben hat.
27
2. Der von der Klagepartei geltend gemachte Schadensersatzanspruch folgt insbesondere auch nicht aus §§ 826, 31 BGB.
28
a) Es kann hierbei letztlich dahinstehen, ob in der Verwendung von Thermofenstern eine unzulässige Abschalteinrichtung zu sehen ist. Denn um einen Anspruch auf Schadensersatz aus § 826 BGB zu begründen, muss das schädigende Verhalten des Schuldners sittenwidrig sein. Hieran fehlt es vorliegend aber in jedem Fall.
29
aa) Objektiv sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, das heißt mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist (BGH, Urteil vom 19.11.2013 – VI ZR 336/12). Dass das Verhalten gegen vertragliche Pflichten oder das Gesetz verstößt, unbillig erscheint oder einen Schaden hervorruft, genügt nicht (OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 – 12 U 246/19). Insbesondere die Verfolgung eigener Interessen bei der Ausübung von Rechten ist im Grundsatz auch dann legitim, wenn damit eine Schädigung Dritter verbunden ist (BGH, Urteil vom 19.10.1987 – II ZR 9/87). Hinzutreten muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eintretenden Folgen ergeben kann (BGH, Urteil vom 13.12.2011 – XI ZR 51/10; Urteil vom 03.12.2013 – XI ZR 295/12; Urteil vom 15.10.2013 – VI ZR 124/12).
30
Subjektiv ist ein Bewusstsein der Sittenwidrigkeit nicht erforderlich. Der Schädiger muss aber grundsätzlich die Tatumstände kennen, die sein Verhalten als sittenwidrig erscheinen lassen (BGH, Urteil vom 13.09.2004 – II ZR 276/02).
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Eine Sittenwidrigkeit kommt danach nur in Betracht, wenn über die bloße Kenntnis von dem Einbau einer Einrichtung mit den in Rede stehenden Funktionsweisen in den streitgegenständlichen Motor hinaus zugleich auch konkrete Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass dies von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19). Das ist jedoch nicht der Fall.
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bb) Bei Abschalteinrichtungen, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeiten wie auf dem Prüfstand, und bei denen Gesichtspunkte des Motors respektive des Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden können, kann bei Fehlen ausreichender Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein gehandelt haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Vielmehr muss in dieser Situation, selbst wenn man mit dem Kläger von einer objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung ausginge, eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe der Beklagten in Betracht gezogen werden (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19; OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019 – 3 U 148/18; OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 – 12 U 246/19; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19).
33
Umstände, die das in Frage stellen würden, sind von der Klagepartei weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich. Dass die Beklagte bei dem Motorenvorgänger Typ EA189 erwiesenermaßen eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer Umschaltlogik verwendete, ist nicht geeignet einen baureihenübergreifenden Generalverdacht für sämtliche Baureihennachfolger, wie den EA288, zu begründen (OLG Koblenz, Urteil vom 20.04.2020 – 12 U 1570/19, Rn. 52, Rn. 58). Ein ausreichender Tatsachenvortrag kann insbesondere nicht durch umfangreiche und wiederholte Bezugnahme auf die Manipulationen am EA189 oder andere Fahrzeuge/ Hersteller ersetzt werden, da die Besonderheit im Falle des EA189 gerade darin lag, dass mit definitivem Bekanntwerden der Umschaltlogik auf dem Prüfstand zugleich wesentliche anspruchsbegründende Umstände offenbar wurden, die für eine Klageerhebung ohne Weiteres zur Verfügung standen. Anders als bei einem Thermofenster, lag der einzige Zweck der Umschaltlogik in der rechtswidrigen Täuschung von Zulassungsbehörde und Kunden, weshalb das sittenwidrige Verhalten der Beklagten dort – was auch die umfangreiche Berichterstattung zum damaligen Zeitpunkt belegen dürfte – geradezu greifbar war.
34
Anders liegt es bei Thermofenstern: die Gesetzeslage ist diesbezüglich gerade nicht eindeutig. Wenn die Beklagte davon ausgeht, es handele sich beim Einsatz von Thermofenstern nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung, so ist dies aus den nachfolgenden Erwägungen unter juristischen Gesichtspunkten zumindest gut vertretbar.
35
Nach der Legaldefinition in Art. 3 Nr. 10 der einschlägigen VO (EG) 715/2007 für Typengenehmigungen von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen ist eine Abschalteinrichtung „ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird“. Der Begriff des Emissionskontrollsystems ist in der Verordnung nicht definiert.
36
Die Zulässigkeit von Abschalteinrichtungen regelt Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 2007/715. Dieser lautet: „Die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig. Dies ist nicht der Fall, wenn:
a) die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten;
b) die Einrichtung nicht länger arbeitet, als zum Anlassen des Motors erforderlich ist;
c) die Bedingungen in den Verfahren zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und der durchschnittlichen Auspuffemissionen im Wesentlichen enthalten sind.“
37
Es ist festzuhalten: Nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) VO (EG) 2007/715 ist die Verwendung einer Abschalteinrichtung also zulässig ist, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Auf diese Erlaubnisgründe beruft sich die Beklagte im vorliegenden Fall.
38
Die Norm ist entgegen dem klägerischen Vortrag nicht zwingend dahingehend auszulegen, dass Abschalteinrichtungen zum Motorschutz nur dann „notwendig“ sein können, wenn keine andere konstruktive Lösung möglich ist, auch wenn diese erheblich teurer sein sollte. Gegen eine solche Auslegung spricht der Aufbau des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 2007/715 sowie dessen Zweck (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19). Denn gemäß Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 2007/715 sind Fahrzeuge vom Hersteller so auszurüsten, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen der Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Darüberhinausgehende Anforderungen werden von der Verordnung nicht vorgegeben. Abschalteinrichtungen sind generell unzulässig und nur im in der Verordnung in Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 2007/715 beschriebenen Ausnahmefall erlaubt. Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) VO (EG) 2007/715 will danach nicht die Entwicklung aufwändigerer Konstruktionen eines Motors vorgeben, sondern für Motoren, die grundsätzlich den Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 2007/715 genügen, zum Schutz vor Beschädigung oder Unfall und für den sicheren Betrieb des Fahrzeugs einen Handlungsspielraum in Form einer ansonsten verbotenen Abschalteinrichtung einräumen. Diesem Ziel der Norm, den Fahrzeugherstellern ausnahmsweise eine konstruktive Freiheit einzuräumen, würde es widersprechen, dem Wort „notwendig“ in Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) VO (EG) 2007/715 einen eigenen, unter Umständen sogar über die Anforderung des Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 2007/715 hinausgehenden Konstruktionsauftrag der Verordnung zu entnehmen. Mit dem Wort „notwendig“ wird lediglich klargestellt, dass die Abschalteinrichtung dem Schutz des Motors vor Beschädigung oder Unfall und dem sicheren Betrieb dienen muss und eine reine Zweckmäßigkeit nicht genügt, sondern sie dafür erforderlich sein muss (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19).
39
Sieht man Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 2007/715 aber nicht als Verpflichtung der Autohersteller an, Motoren zu entwickeln, die nur im äußersten Notfall eine Abschalteinrichtung benötigen, sondern von seinem Sinn und Zweck her eine Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten der Autohersteller zum Schutz der von ihnen im Einklang mit Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 2007/715 tatsächlich entwickelten und verwendeten Motoren, so erscheint die Annahme, es liege keine unzulässige Abschalteinrichtung vor, sogar mehr als nur gut vertretbar (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19).
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Dass die Gesetzeslage an dieser Stelle gerade nicht eindeutig ist, zeigt neben der kontrovers geführten Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) VO (EG) 2007/715 auch der Umstand, dass sich das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) wie auch das Bundesverkehrsministerium (BMVI) offenbar bislang nicht von der Unzulässigkeit des sogenannten „Thermofensters“ im streitgegenständlichen Fahrzeug haben überzeugen können. Insbesondere ist ein verbindlicher behördlicher Rückruf der streitgegenständlichen Fahrzeugbaureihen unstreitig bis heute nicht erfolgt.
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Sollte entgegen den vorstehenden Erwägungen aber tatsächlich eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegen, so hätte die Beklagte die Rechtslage allenfalls fahrlässig verkannt. In diesem Fall fehlt es sowohl am erforderlichen Schädigungsvorsatz als auch an dem für die Sittenwidrigkeit in subjektiver Hinsicht erforderlichen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 79. Aufl. 2020, § 826, Rn. 8f.) wie der Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Tatumstände. Dass auf Seiten der Beklagten das Bewusstsein eines möglichen Gesetzesverstoßes verbunden mit einer zumindest billigenden Inkaufnahme desselben vorhanden war, ist weder hinreichend dargetan noch ersichtlich.
42
Eine Auslegung, wonach ein „Thermofenster“ eine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, ist daher jedenfalls gut vertretbar. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes kann jedoch nicht als besonders verwerfliches Verhalten angesehen werden (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19).
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b) Ferner fehlt es an einem entsprechenden Schädigungsvorsatz der Beklagten.
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Der erforderliche Schädigungsvorsatz im Rahmen von § 826 BGB, der getrennt von der Sittenwidrigkeit – auch von deren subjektiver Seite – festzustellen ist (vgl. BGH, Urteil vom 12.07.1966 – VI ZR 1/65), bezieht sich darauf, dass durch die Handlung einem anderen Schaden zugefügt wird. Fahrlässigkeit, auch grobe, genügt nicht (BGH, Urteil vom 06.06.1962 – V ZR 125/60). Der Vorsatz muss sich auf den Schaden erstrecken, eine nur allgemeine Vorstellung über eine etwa mögliche Schädigung genügt nicht (BGH, Urteil vom 24.04.2001 – VI ZR 36/00). Andererseits ist Schädigungsabsicht nicht erforderlich. Es genügt, dass der Schädiger den Schadenseintritt vorausgesehen und die Schädigung im Sinne eines direkten Vorsatzes gewollt oder jedenfalls im Sinne eines bedingten Vorsatzes billigend in Kauf genommen hat (BGH, Urteil vom 20.11.2012 – VI ZR 268/11). Maßgeblich ist dabei allein der Zeitpunkt des Inverkehrbringens des konkreten Fahrzeugs (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19).
45
Vorliegend kann jedoch – wie bereits dargelegt – nicht davon ausgegangen werden, dass auf Seiten der Beklagten bewusst eine – unterstellt – objektiv unzulässige Abschalteinrichtung verwendet wurde. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte ist allenfalls von einer fahrlässigen Verkennung der Rechtslage auszugehen. Dann fehlt es aber am notwendigen Schädigungsvorsatz, da dieser das Bewusstsein eines möglichen Gesetzesverstoßes verbunden mit einer zumindest billigenden Inkaufnahme desselben erfordert (OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019 – 3 U 148/18; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19; OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 – 12 U 246/19).
46
Selbst wenn man der Beklagten unterstellen wollte, sie habe bei der Konstruktion des streitgegenständlichen Fahrzeuges nicht die damals bereits verfügbaren bestmöglichen Technologien eingesetzt, um eine höhere Abgasrückführungsrate und damit durchgängig geringere Stickoxid-Emissionen zu ermöglichen, gilt doch, dass die Einstufung einer temperaturabhängigen Abgasrückführungssteuerung als „unzulässige Abschalteinrichtung“ aufgrund der damals geltenden Bestimmungen keineswegs derart eindeutig war, dass eine andere Auffassung nicht vertretbar erschiene und daraus der Schluss gezogen werden müsste, die Beklagte habe die Unerlaubtheit ihres Vorgehens erkannt und folglich die Typgenehmigungsbehörde – und letztlich auch die Käufer – täuschen wollen (OLG Nürnberg, Endurteil vom 19.07.2019 – 5 U 1670/18)
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Es fehlt auch insoweit an den subjektiven Voraussetzungen für ein deliktisches Handeln. Wie bereits ausgeführt, war die Auslegung, dass es sich bei einem Thermofenster nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 handelt, jedenfalls zum maßgeblichen Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs eine zulässige – und überdies gut vertretbare – Auslegung des Gesetzes. Dies bedeutet, dass weder die Mitarbeiter noch eventuelle Repräsentanten der Beklagten in dem Bewusstsein handelten, mit dem Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs, das unstreitig mit einem sogenannten Thermofenster ausgerüstet ist, möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen und diesen Gesetzesverstoß sowie eine Schädigung des Klägers als Käufer des Fahrzeugs zumindest billigend in Kauf genommen haben (OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 – 12 U 246/19).
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3. Unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer unerlaubten Handlung in Gestalt eines Verstoßes gegen ein Schutzgesetz (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB) ergibt sich nichts anderes, denn hiernach wäre eine vorsätzliche Täuschung im Sinne eines Betruges erforderlich, die das Gericht nach den vorstehenden Ausführungen ebenfalls nicht festzustellen vermag.
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Wie bereits ausgeführt, stellte die Annahme der Beklagten, dass es sich bei dem in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Thermofenster nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt, in jedem Fall zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs eine zulässige Auslegung des Gesetzes dar, sodass die Verantwortlichen nicht mit dem Vorsatz handelten, den Kläger über eine Eigenschaft des Fahrzeugs zu täuschen und ihm dadurch einen Vermögensschaden zuzufügen (OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 – 12 U 246/19; OLG Nürnberg, Endurteil vom 19.07.2019 – 5 U 1670/18).
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Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB besteht darüber hinaus auch nicht, da es an der erforderlichen Stoffgleichheit zwischen dem auf Klägerseite erlittenen Vermögensschaden und dem von der Beklagten vermeintlich erstrebten Vermögensvorteil fehlt (BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20).
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4. Entsprechendes gilt für §§ 823 Abs. 2 i.V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 EG-FGV.
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a) Unabhängig davon, ob die Beklagte diese Vorschrift verletzt hat, fehlt ihr der von § 823 Abs. 2 BGB vorausgesetzte Schutzgesetzcharakter. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Norm als Schutzgesetz anzusehen, wenn sie nach Zweck und Inhalt zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zu Gunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mitgewollt hat. Bei Vorschriften, die – wie hier die §§ 6, 27 EG-FGV – Richtlinien umsetzen, kommt es nach der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung insoweit maßgeblich auf den Inhalt und Zweck der Richtlinie – hier der RL 2007/46/EG – an (vgl. BGH, EuGH-Vorlage vom 09.04.2015, VII ZR 36/14). Den Erwägungsgründen (2), (4) und (23) zufolge bezweckt diese Richtlinie die Vollendung des Binnenmarkts und dessen ordnungsgemäßes Funktionieren. Darüber hinaus sollen die technischen Anforderungen in Rechtsakten harmonisiert und spezifiziert werden, wobei die Rechtsakte vor allem auf eine hohe Verkehrssicherheit, hohen Gesundheits- und Umweltschutz, rationelle Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Benutzung abzielen (Erwägungsgrund (2) der Richtlinie). Weder an diesen Stellen noch unter den anderen Erwägungsgründen der Richtlinie lässt sich demgegenüber ein Hinweis dafür finden, dass der Richtliniengeber darüber hinaus den Schutz des einzelnen Fahrzeugerwerbers bzw. -besitzers gegen Vermögensbeeinträchtigungen im Blick hatte. Auch der nationale Gesetzgeber hat in der Begründung zur EG-FGV (Seite 36 der BR-Drucks. 190/09) in Übereinstimmung damit ausführt, dass die Richtlinie dem Abbau von Handelshemmnissen und der Verwirklichung des Binnenmarktes der Gemeinschaft dienen und die EG-FGV darüber hinaus zur Rechtsvereinfachung und zum Bürokratieabbau beitragen soll (so jeweils LG Braunschweig, Urteil vom 27.10.2017 – Az. 3 O 136/17; Urteil vom 10.01.2018 – Az. 3 O 622/17; Urteil vom 17.01.2018 – Az. 3 O 3447/16; Urteil vom 14.02.2018 – Az. 3 O 1915/17).
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Der Bundesgerichtshof hat diese Rechtsauffassung inzwischen bestätigt (BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI 252/19, Rn. 72 ff.; Urteil vom 30.07.2020 – VI 5/20, Rn. 10 ff.).
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b) Ferner fehlt es ohnehin auch nicht an einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung.
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Gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 EG-FGV hat der Inhaber der EG-Typengenehmigung für jedes dem genehmigten Typ entsprechende Fahrzeug eine Übereinstimmungsbescheinigung nach Art. 18 i.V. m. Anhang IX dar RL 2007/46/EG auszustellen und dem Fahrzeug beizufügen. Nach der Definition in Art. 3 Nr. 36 der RL 2007/46/EG ist eine Übereinstimmungsbescheinigung „das in Anhang IX wiedergegebene, vom Hersteller ausgestellte Dokument, mit dem bescheinigt wird, dass ein Fahrzeug aus der Baureihe eines nach dieser Richtlinie genehmigten Typs zum Zeitpunkt seiner Herstellung allen Rechtsakten entspricht“. Nach § 27 Abs. 1 S. 1 EG-FGV dürfen neue Fahrzeuge, für die eine Übereinstimmungsbescheinigung vorgeschrieben ist, im Inland zur Verwendung im Straßenverkehr nur feilgeboten, veräußert oder in den Verkehr gebracht werden, wenn sie mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung versehen sind.
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Selbst wenn man mit der Klagepartei davon ausginge, dass die Beklagte eine unzulässige Abschalteinrichtung verwendet hätte, so fehlt es aber nicht an einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung. Denn die Bescheinigung ist bereits dann gültig, wenn der Hersteller sie unter Verwendung des vorgeschriebenen Formulars ausgestellt hat und wenn sie fälschungssicher sowie vollständig ist. Es gilt daher ein formeller Gültigkeitsbegriff (vgl. OLG Braunschweig, Urteil vom 19.02.2019 – 7 U 134/17). Danach fehlt es aber an einem tatbestandlichen Verstoß gegen die §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19).
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5. Die geltend gemachten Schadensersatzansprüche ergeben sich weiterhin nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 Abs. 1, Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007.
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Denn Art. 5 Abs. 2 i.V.m. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 stellt kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dar (vgl. OLG München, Beschluss vom 29.08.2019 – 8 U 1449/19; OLG Braunschweig, Urteil vom 19.02.2019 – 7 U 134/17).
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Wie sich aus der VO (EG) 715/2007 nach deren einleitender Bemerkung (1) bis (4) sowie zusammengefasst nochmals in (27) ergibt, zielt die VO (EG) 715/2007 auf die Harmonisierung des Binnenmarktes bzw. dessen Vollendung durch Einführung gemeinsamer technischer Vorschriften zur Begrenzung der Fahrzeugemissionen. Zwar werden neben der Vereinheitlichung der Rechtsregelungen ein hohes Umweltschutzniveau (1) als Ziel und die Reinhaltung der Luft als Vorgabe für Regelungen zur Senkung der Emissionen von Fahrzeugen (4) beschrieben, doch folgt aus den Ausführungen unter (7), die die Verbesserung der Luftqualität in einem Zug mit der Senkung der Gesundheitskosten (und dem Gewinn an Lebensjahren) nennen, dass es auch insoweit nicht um individuelle Interessen, sondern letztlich um umwelt- und gesundheitspolitische Ziele geht. Dass der europäische Gesetzgeber im Sinne der Definition des Schutzgesetzes dem einzelnen Verbraucher die Rechtsmacht in die Hand geben wollte, mit Mitteln des Privatrechts gegen denjenigen vorzugehen, der in dieser Verordnung zur Umsetzung dieser Ziele geregelte Verbote übertritt und sein Rechtsinteresse beeinträchtigt, geht aus den Vorbemerkungen nicht hervor. Vielmehr spricht stattdessen der Umstand, dass die Ziele in (7) in Beziehung gesetzt werden zu den Auswirkungen der Emissionsgrenzwerte auf die Märkte und die Wettbewerbsfähigkeit von Herstellern, gegen einen entsprechenden Willen des Gesetzgebers. Dies gilt umso mehr, als auch die Regelungen der VO (EG) 715/2007 selbst keinen Bezug zu Individualinteressen des einzelnen Bürgers aufweisen (vgl. OLG München, Beschluss vom 29.08.2019, 8 U 1449/19; OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 – 12 U 246/19).
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6. Die vorliegende Klage ist damit insgesamt unschlüssig, auch soweit die Klagepartei auf zahlreiche weitere behauptete unzulässige Abschalteinrichtungen abstellt. Der diesbezüglich umfangreiche und sich teilweise wiederholende Vortrag enthält „Behauptungen ins Blaue hinein“ und stützt sich teilweise auf im Zusammenhang mit dem Skandal betreffend den EA189 bekannt gewordene Tatsachen. Er rechtfertigt auch unter Berücksichtigung des Beschlusses des BGH vom 28.01.2020 (Az.: VIII ZR 57/19) keine Beweisaufnahme, da der BGH dort als ausreichende Anknüpfungstatsache auf einen ergangenen Bescheid des KBA betreffend denselben Motortyp – OM651 – abstellen konnte. Vorliegend ist für den in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eingesetzten EA288 – was bezeichnend ist – bislang überhaupt kein Bescheid ergangen.
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Die angebotenen Beweise waren dementsprechend nicht zu erheben.
62
a) Grundsätzlich ist zwar bei der Annahme einer „ins Blaue hinein“ aufgestellten Behauptung Zurückhaltung geboten. Die Annahme eines willkürlichen Sachvortrags kommt nur im Ausnahmefall in Betracht, da es einer Partei durchaus möglich sein muss, im Zivilprozess Tatsachen zu behaupten, über die sie keine genaue Kenntnis haben kann, die sie aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält (vgl. etwa BeckOK-ZPO/von Selle, Ed. 34, § 138 ZPO, Rn. 32 m.w.N.). Eine zivilprozessual unzulässige Ausforschung ist aber dann gegeben, wenn eine Partei ohne greifbaren Anhaltspunkt für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ Behauptungen aufstellt (vgl. etwa BGH, NJW-RR 2003, 69, 70; BGH, NJW-RR 2002, 1419, 1420). Dies ist dann der Fall, wenn jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkt für den Einsatz einer Manipulationssoftware entsprechend der Ausstattung des Motortyps EA189 im klägerischen Fahrzeug der Klagepartei fehlt (OLG Koblenz, Urteil vom 18. Juni 2019 – 3 U 416/19, Rn. 32, juris).
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b) Auch die Tatsachenbehauptungen der Klagepartei zu weiteren angeblich verbauten Abschalteinrichtungen sind hier aber letztlich ins Blaue hinein aufgestellt. Somit hatte für diese Behauptungen eine Beweiserhebung zu unterbleiben, da es sich mangels ausreichend greifbarer Anhaltspunkte für die behaupteten Tatsachen, die auf das konkrete streitgegenständliche Fahrzeug bezogen wären, um eine reine Ausforschung gehandelt hätte (vgl. OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 31.03.2020, Az. 3 U 57/19). Die Beklagte hat nachvollziehbar – und von Klägerseite teilweise unbestritten – die technischen, rechtlichen und tatsächlichen Hintergründe der von Klägerseite zum Nachweis von weiteren Abschalteinrichtungen vorgelegten „Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben EA189 bzw. EA288“ und weiteren internen Unterlagen erläutert, so dass sich nach Auffassung des Gerichts auch daraus keine ausreichenden Anknüpfungstatsachen für etwaige unzulässigen Abschalteinrichtungen herleiten lassen. Hinsichtlich der von Klägerseite thematisierten etwaigen Diskrepanzen von Messergebnissen ist auch zu berücksichtigen, dass das zuständige Kraftfahrtbundesamt – auch im Rahmen des eingesetzten Untersuchungsausschusses – ausführliche und unabhängige Messungen hat durchführen lassen, die – bis heute – zu keinem Rückrufbescheid oder ähnlichem geführt haben. Im Gegenteil hat das Bundesverkehrsministerium bzw. das nachgeordnete KBA mehrfach – im Übrigen auch im Rahmen von amtlichen Auskünften an Gerichte unterschiedlicher Instanzen – bestätigt, dass beim Motorentyp EA288 keine Auffälligkeiten festgestellt worden seien.
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Die Beklagte hat insoweit substantiiert und nachvollziehbar dargelegt, dass – soweit SCR-Technologie zum Einsatz kommt – die Einspritzung von AdBlue in beiden Fallgruppen, also sowohl auf dem Prüfstand, als auch im Straßenbetrieb gleichsam aktiviert sei. Spätestens auf Grund dieses Vortrages der Beklagten wäre an der Klagepartei gelegen, substantiiert darzulegen, dass die entsprechende Software in ihrer Wirkungsweise zwischen dem Betrieb auf dem Prüfstand und dem normalen Straßenbetrieb unterscheidet und wie genau hier sich die Einspritzung in Mengen und Auswirkungen auf das Abgasverhalten ändert. Der Klagepartei gelingt es jedoch nicht darzulegen, aufgrund welcher Untersuchungen bzw. Feststellungen hinsichtlich ihres Pkws sich ergeben haben soll, dass die in diesem vorhandene Konfiguration der AdBlue-Einspritzung tatsächlich eine Unterscheidung zwischen dem Betrieb auf dem Prüfstand und dem normalen Straßenbetrieb trifft und somit als unzulässig im Sinne der VO (EG) 715/2007 angesehen werden muss. Die pauschale Behauptung einer derartigen Differenzierung ohne jegliche Tatsachengrundlage stellt vor diesem Hintergrund eine bloße Behauptung ins Blaue hinein dar, so dass es der Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht bedarf (vgl. zu den Anforderungen an einen hinreichend konkreten Sachvortrag auch OLG München, Hinweisbeschluss vom 22.01.2021 und Zurückweisungsbeschluss vom 23.02.2021, Az.: 27 U 7045/20 oder auch OLG München, Hinweisbeschluss vom 28.05.2021 und Zurückweisungsbeschluss vom 30.06.2021, Az.: 24 U 1663/21).
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c) Es war daher insgesamt nach dem getätigten Vortrag der Klägerseite bereits nicht von einer behaupteten „unzulässigen Abschalteinrichtung“ auszugehen. Soweit die Klägerseite hier die Entscheidung des BGH vom 28.01.2020, Az. VIII ZR 57/19 zitiert, ist außerdem zu beachten, dass es sich in dem Fall um einen Gewährleistungsfall handelte. Diesbezüglich reichen nach der bereits seit jeher vertretenen „Symptomtheorie“ Indizien und Mangelerscheinungen um einen Sachmangel zunächst einmal schlüssig zu behaupten und unter Beweis zu stellen. Mängelrechte sind vorliegend jedoch verjährt. Ein deliktischer Anspruch indes weist völlig andere Anspruchsmerkmale auf und an die substantiierte Darlegung einer deliktischen Handlung sind ungleich höhere Maßstäbe anzusetzen, da im Ergebnis gar eine Straftat behauptet wird (vgl. OLG München, Hinweisbeschluss vom 31.03.2020, Az. 17 U 7360/19).
66
d) Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Klagepartei im Fall des EA288 auch nicht ohne Weiteres auf eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten hinsichtlich etwaiger Kenntnis von den (unschlüssig) behaupteten Manipulationen berufen kann, ohne zunächst ihrer primären Darlegungslast nachgekommen zu sein.
67
aa) An eine sekundäre Darlegungslast in Bezug auf die Frage, wer bei der Beklagten welche Kenntnisse hatte, kann gedacht werden, wenn ausreichend konkrete Anhaltspunkte für eine Kenntnis vorliegen. Fehlt es dagegen wie hier an jeglichem, auch pauschalem Vortrag dazu, welche Kenntnisse bzw. welches Verhalten welchem (jedenfalls abstrakt bezeichneten) Organ oder Repräsentanten vorgeworfen wird, dann kommt eine sekundäre Darlegungslast nicht in Betracht. Schon begrifflich ist eine sekundäre Behauptungslast ohne primäre Behauptung seitens des Gegners ausgeschlossen (Laumen, MDR 2019, 193, 197). Selbst wenn eine – hier nicht gegebene – hinreichend konkrete Behauptung einer Kenntnis des Vorstands oder eines anderen Repräsentanten des in Anspruch genommenen Unternehmens vorliegt, löst dies nicht stets eine sekundäre Darlegungslast aus. Vom Standpunkt des Unternehmens, das eine Kenntnis bestreitet, müsste der ihm sonst aufgegebene Vortrag auf eine sogenannte negative Tatsache zielen, nämlich die Unkenntnis des fraglichen Vorstands oder sonstiger Repräsentanten. Wenn eine Partei eine solche negative Tatsache behauptet und gegebenenfalls beweisen muss, führt dies regelmäßig allerdings gerade umgekehrt zu einer sekundären Darlegungslast der anderen Partei, damit die darlegungsbelastete Partei überhaupt in der Lage ist, einen sachgerechten Vortrag zu halten (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19, Rn. 90).
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bb) Würde man der Beklagten eine sekundäre Darlegungslast für die Unkenntnis auferlegen, obwohl die Darlegungs- und Beweislast für die Kenntnis eines Vorstandsmitglieds oder eines sonstigen Repräsentanten von den haftungsbegründenden Merkmalen einer Norm an sich bei der Klagepartei liegt müsste die Beklagte faktisch die gesamte Kommunikation innerhalb des Unternehmens über einen jahrelangen Zeitraum offenlegen. Dies ist praktisch nicht möglich und grundsätzlich unzumutbar (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19, Rn. 91).
69
cc) Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn eine bestimmte Verhaltensweise eines Unternehmens zum Geschäftsmodell geworden ist und deshalb davon auszugehen ist, dass der Vorstand dieses Geschäftsmodell gebilligt hat. Dann kann eine deutlich erhöhte Substantiierungslast des Unternehmens eintreten (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19, Rn. 92).
70
dd) Hinsichtlich der Beklagten kann das aber ohne Weiteres nur hinsichtlich des hier nicht verbauten Motor Typ EA189 gelten, da diesbezüglich offenbar wurde, dass ein solches geschäftsmäßiges Vorgehen tatsächlich stattgefunden hat. Die Beklagte steht aber damit nicht unter Generalverdacht, insbesondere nicht für nachfolgende Motorgenerationen.
71
7. Die geltend gemachten Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung.
72
III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
73
IV. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1, S. 2 ZPO.
74
V. Der Streitwert wurde nach §§ 63, 39 ff. GKG, 3 ff. ZPO festgesetzt.