Titel:
Coronavirus, SARS-CoV-2, Schadensersatz, Mietwagenkosten, Arbeitnehmer, Reparaturkosten, Fahrzeug, Arbeitszeit, Arbeitsleistung, Streitwert, Zustimmung, Vollstreckung, Gutachten, Anlage, Verfahren, Probefahrt, Kosten des Rechtsstreits, Anmietung eines Ersatzfahrzeuges, gewerblicher Vermieter
Schlagworte:
Coronavirus, SARS-CoV-2, Schadensersatz, Mietwagenkosten, Arbeitnehmer, Reparaturkosten, Fahrzeug, Arbeitszeit, Arbeitsleistung, Streitwert, Zustimmung, Vollstreckung, Gutachten, Anlage, Verfahren, Probefahrt, Kosten des Rechtsstreits, Anmietung eines Ersatzfahrzeuges, gewerblicher Vermieter
Fundstelle:
BeckRS 2022, 50566
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.168,41 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 13.11.2021 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert beträgt 1.168,41 €.
Tatbestand
1
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung von restlichen Reparatur- und Mietwagenkosten wegen eines Verkehrsunfalls vom 01.09.2020, für den unstreitig die Beklagte allein einzustehen hat. Hinsichtlich des Fahrzeugschadens am Fahrzeug der Klägerin wurde zunächst ein Gutachten des TÜV Süd erstellt, das mit einer Bruttoreparaturkostensumme von 9.723,07 € endet (Anlage K1). Anschließend ließ die Klägerin das Fahrzeug bei dem Autohaus G. in D. reparieren; die Rechnung hierfür lautet auf brutto 10.859,25 € (Anlage K2). Die Mietwagenrechnung gemäß Anlage K3 beläuft sich auf brutto 1.392 € (Anlage K3). Die Beklagte beglich (neben Forderungen der Klägerin wegen Sachverständigenkosten, Wertminderung und Kostenpauschale) die Reparaturkostenrechnung und die Mietwagenkostenrechnung überwiegend, mit Ausnahme von Teil-Beträgen in Höhe der Klageforderung.
2
Die Klägerin trägt vor, es seien die in den Rechnungen angefallenen materiellen Schäden tatsächlich entstanden. Zur sach- und fachgerechten Reparatur habe die Klägerin den Betrag von 10.859,25 € aufwenden müssen. Auch die in Rechnung gestellten Mietwagenkosten in Höhe von 1.392 € seien ortsüblich und angemessen.
3
Die Klägerin beantragt,
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen weiteren Betrag in Höhe von 1.168,41 €, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
4
Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte wendet ein, eine Probefahrt dürfe nicht entgeltlich in Rechnung gestellt werden, Desinfektionskosten seien aus mehreren Gründen nicht geschuldet, und hinsichtlich der Mietwagenkosten könne sich die Klägerin nicht auf die Mietpreisspiegel von Schwacke und Fraunhofer berufen, weil diese sich ausschließlich zu sogenannten Selbstfahrervermietfahrzeugen verhielten, hier handele es sich hingegen um einen Werkstattersatzwagen.
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Zum sonstigen Vorbringen der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst aller Anlagen Bezug genommen.
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Im Einverständnis der Parteien entscheidet das Gericht gemäß Beschluss vom 31.01.2022 im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 II ZPO, in dem Schriftsätze bis 18.02.2022 bei Gericht eingereicht werden konnten.
Entscheidungsgründe
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Im Referat ist zum 15.12.2021 ein Richterwechsel eingetreten; der gegen die früher zuständige Richterin gerichtete Antrag wegen Besorgnis der Befangenheit (Klageerwiderung vom 14.01.2022, Seite 2) ist daher prozessual überholt.
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I. Die zulässige Klage ist begründet. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Kosten betreffend Reparatur und Mietwagen – soweit sie nicht schon beklagtenseits entrichtet wurden – zu gem. § 7 I StVG, § 115 I 1 1 Nr. 1 VVG.
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1. Die Darstellung in der Klageschrift ist nicht bestritten worden, dass die Kostenpauschale, die Wertminderung und die Sachverständigenkosten voll bezahlt wurden, sodass vorliegend lediglich noch ein Differenzbetrag in Höhe der Klagesumme, zusammengesetzt aus nicht bezahlten Bestandteilen der Rechnungen gemäß Anlage K1 (eigentliche Reparaturrechnung) und der Anlage K2 (Kosten für die Anmietung eines Ersatzfahrzeuges) im Streit steht.
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2. Unstreitig ist zwischen den Parteien auch, dass die fraglichen Rechnungen gemäß Anlagen K1 und K2 der Klägerseite in Rechnung gestellt wurden Die Klägerin rechnet also nicht auf Gutachtensbasis ab, sondern macht Erstattung der bei ihr angefallenen Aufwendungen in Gestalt der beiden Rechnungen geltend.
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3. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass deswegen die Beklagte das sogenannte Werkstattrisiko trägt.
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a) Sie hat daher dem Geschädigten auch solche Kosten zu ersetzen, die von der beauftragten Werkstatt fehlerhaft, nämlich infolge unwirtschaftlicher oder unsachgemäßer Maßnahmen verursacht wurden; denn die Werkstatt ist nicht Erfüllungsgehilfe des Geschädigten (LG Passau, Urteil vom 20.05.2021 – 3 O 436/20, juris Rn. 50, mwN). Anderes mag gelten, wenn die Fehlerhaftigkeit der Rechnung in diesem Sinne für den Geschädigten, hier also die Klägerin offenkundig oder mit nur geringer Anstrengung erkennbar ist. Dies ist vorliegend nicht anzunehmen, zumal es hierzu an hinreichendem Vorbringen der Beklagtenseite fehlt.
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b) Dies gilt weiter auch vor dem Hintergrund, dass schon das Reparaturgutachten gemäß Anlage K1 einen Bruttobetrag von 9.723,07 € erreicht, also von 89,53% der anschließend tatsächlich angefallenen Reparaturkosten (K2). Die annähernd identischen Beträge durfte die Klägerin als weiteren Beleg dafür werten, dass es mit der Reparaturkostenrechnung seine Richtigkeit hat.
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c) Die Einwendungen der Beklagtenseite gemäß Klageerwiderungsschriftsatz vom 14.01.2022 greifen insgesamt nicht durch.
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aa) Die Beklagte wendet sich dagegen, dass die Probefahrt kostenpflichtig sein soll. Dem ist zu erwidern, dass zur ordnungsgemäßen Instandsetzung des Fahrzeugs auch eine ebendies überprüfende Probefahrt gehört. Weshalb diese, anders als zum Beispiel die ordnungsgemäße Vornahme der eigentlichen Reparaturarbeiten am Fahrzeug, nicht ebenso wie diese Gegenstand der Gesamtreparaturleistung und deshalb vergütungspflichtig sein soll, wird schon aus der Klageerwiderung nicht deutlich, ist aber erst recht für einen Kunden, der zu Recht eine Probefahrt erwartet, zu Recht aber auch damit rechnet, hierfür bezahlen zu müssen (immerhin wird hierfür in der Werkstatt Arbeitszeit aufgewendet, die nicht umsonst zu haben ist), nicht im Ansatz ersichtlich. Abwegig ist in diesem Zusammenhang die Argumentation der Beklagten, der Werkstattmeister, der die Probefahrt durchführt, erhalte im Rahmen seines Arbeitsvertrages einen Lohn, welcher nicht auf eine spezifische Arbeitsleistung angerechnet werden könne, sondern der in den Gemeinkosten eines Unternehmens enthalten sei, welche wiederum Bestandteil der jeweiligen Stundensätze des Betriebs seien. Der Arbeitnehmer, der zum Beispiel einen neuen Kotflügel an ein Fahrzeug schraubt, erhält hierfür einen Arbeitslohn, der in den Gemeinkosten des Unternehmens enthalten ist. Gleichwohl wird selbst die Beklagte nicht in Abrede stellen wollen, dass die Arbeitswerte, die der Schrauber an dem Fahrzeug erbringt, vergütet werden müssen. Weshalb für den gleichen oder auch einen anderen Arbeitnehmer, der anschließend eine Probefahrt durchführt, insoweit anderes gelten soll, ist nicht ansatzweise nachvollziehbar.
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bb) Desinfektionskosten sind dem Grunde nach erstattungspflichtig. Den wortreichen Ausführungen in der Klageerwiderung (19 Seiten Schriftsatz wegen einer Schadensposition in Höhe von 100,92 €) ist eine Begründung dafür nicht zu entnehmen, dass einem Arbeitnehmer in der Werkstatt zugemutet werden kann, ein womöglich corona-infiziertes Fahrzeug ohne Desinfektion bearbeiten zu sollen, und dass einem Kunden, hier also dem Geschädigten, umgekehrt zugemutet werden kann, ein Fahrzeug entgegenzunehmen, das in der Reparaturwerkstatt womöglich mit Corona-Viren „verseucht“ wurde.
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Nach Auffassung des hiesigen Amtsgerichts sind zwar bei der Hereinnahme und bei der Rückgabe des Fahrzeugs Desinfektionskosten in Höhe von netto jeweils nur 25 € angemessen. Dass die Festsetzung eines Betrages von rund 100 € (statt rund 50 €) in einem Maße überhöht wäre, dass dies dem Kunden als ungerechtfertigt auffallen müsste mit der Folge, dass dieser im Interesse seines Schädigers (!) gehalten wäre, sich insoweit mit der Werkstatt wegen der Rechnung „anzulegen“, ist indessen nicht ersichtlich.
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Unbehelflich ist auch der Einwand der Beklagten, die Desinfektionskosten seien nicht kausal auf den Unfall zurückzuführen. Das Gegenteil ist richtig: hätte es den Unfall nicht gegeben, wäre es nicht nötig geworden, das Fahrzeug zu reparieren und es zu diesem Zweck in die Werkstatt zu verbringen, in der andere Menschen als der sonst übliche Fahrer (und seine Beifahrer) mit dem Fahrzeug in Kontakt treten (müssen), so dass das Fahrzeug zweimal desinfinziert werden muss.
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4. Die Einwendung der Beklagten gegen die Mietwagenrechnung gemäß Anlage K2 beschränkt sich darauf, vorzutragen, dass bestritten werde, dass hier ein sogenanntes „Selbstfahrervermietfahrzeug“ vermietet worden sei. Die Rechtsprechung zu den Mietpreisspiegeln von Schwacke und Fraunhofer sei deshalb hier nicht anzuwenden.
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Dies trifft nicht zu, ohne dass es darauf ankommt, ob es sich bei dem Fahrzeug, das die Klägerin während der Reparaturdauer angemietet hat, tatsächlich um ein Fahrzeug im Sinne des § 13 Abs. 2 Fahrzeugzulassungsverordnung (dies ist die hier maßgebliche Norm) gehandelt hat oder nicht.
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a) Begründet wird die Auffassung, die die Beklagte sich diesbezüglich zu eigen macht, mit der Erwägung, dass ein derartiges Fahrzeug umfangreichere und kostenintensivere Zulassungsauflagen zu erfüllen habe als ein gewöhnliches Kraftfahrzeug. Ferner seien Mietfahrzeuge mit weiteren preisbildenden Faktoren belastet, wie etwa allgemeinen Geschäftskosten, erhöhten Abschreibungen und erhöhten Versicherungsprämien.
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b) Diese Auffassung überzeugt nicht (so auch OLG Dresden, Urteil vom 04.11.2020 – 1 U 995/20, juris Rn. 34).
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aa) Hat ein Geschädigter die einfache Möglichkeit, preiswert ein Fahrzeug bei einem privaten Dritten anzumieten, so sind freilich Herstellungskosten im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB nur in dieser Höhe erforderlich. Fordert in dieser Situation der private Vermieter die Sätze gewerblicher Mietwagenunternehmen, so liegt es nahe, dass nur deshalb eine so hohe Miete vereinbart wurde, weil nicht der Fahrer, sondern der Schädiger für sie aufzukommen hat.
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bb) Diese Situation ist aber nicht vergleichbar mit dem hier gegebenen Fall, in dem der Geschädigte das Ersatzfahrzeug zwar nicht bei einem gewerblichen Autovermieter, aber bei einer Werkstatt oder einem Autohändler anmietet. Es ist allgemein bekannt, dass solche Kfz-Vermieter zu vergleichbaren, wenn nicht sogar höheren Preisen als gewerbliche Autovermieter (die auf dieses Geschäft eben spezialisiert sind) vermieten. Ob der Reparaturbetrieb das Fahrzeug als sogenanntes Selbstfahrvermietfahrzeug führt oder nicht, ist Zufall und für den Geschädigten außerdem nicht erkennbar.
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cc) Der Umstand, dass sich der Vermieter gegebenenfalls wettbewerbswidrig verhält, steht in keinem Zusammenhang mit der Frage der Erforderlichkeit im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB.
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c) Weitere Einwendungen gegen die Höhe der Mietwagenrechnung hat die Beklagte nicht erhoben. Es ist daher von der Erforderlichkeit im Sinne des § 249 BGB auszugehen.
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5. Die Rechnungen betreffend die Reparatur- und Mietwagenkosten mögen überhöht sein.
29
a) Wäre dies der Fall, stünde der Klägerin derzeit ein Rückzahlungsanspruch aus Überzahlung zu. Die Beklagte hat die Abtretung eines derartigen Anspruches aber nicht verlangt (und die Klägerin hat sie nicht angeboten). Es ist daher nicht veranlasst, wie sonst üblich, die Beklagte zur Zahlung nur Zug um Zug gegen Abtretung dieser Ansprüche zu verurteilen (§ 308 ZPO).
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b) Jedenfalls ist die der Argumentation der Beklagtenseite zugrunde liegende Auffassung, Werkstatt und Geschädigter hätten es in der Hand, die Werkstatt auf Kosten des Schädigers „ungestraft“ zu bereichern, unrichtig, sofern, wie in zahlreichen Verfahren gegen andere Versicherer zu beobachten ist, der zur Zahlung verpflichtete Haftpflichtversicherer des Schädigers die Mühe auf sich nimmt, nach begehrter und regelmäßig zugesprochener Abtretung etwaiger Überzahlungsforderungen diese auch geltend zu machen.
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II. Der Anspruch auf die geltend gemachten Zinsen folgt aus § 291, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
32
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 708 Nummer 11, § 711 ZPO.
33
Der Streitwert folgt der Klageforderung.