Titel:
Verfahren zur Feststellung des Mehrheitstarifvertrages im Betrieb gem. §§ 99 ArbGG, 4a TVG
Normenketten:
ArbGG § 99
ArbGG § 58 Abs. 3
ArbGG § 83 Abs. 1
TVG § 4a
GG Art. 9 Abs. 3
Schlagwort:
Verfahren zur Feststellung des Mehrheitstarifvertrages im Betrieb gem. §§ 99 ArbGG, 4a TVG
Fundstelle:
BeckRS 2022, 50454
Tenor
Der Antrag wird abgewiesen.
Gründe
1
Die Beteiligten streiten über den nach § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG im Betrieb der Beteiligten zu 4. anzuwendenden Tarifvertrag und in diesem Zusammenhang über die Frage, welche Gewerkschaft die Mehrheit der Mitglieder in diesem Betrieb hat (Mehrheitsgewerkschaft).
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Die Antragstellerin ist Tarifpartnerin der D. AG.
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Die Beteiligte zu 2. ist eine Gewerkschaft., die Beschäftigte in Unternehmen der Verkehrsbranche organisiert.
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Der Beteiligte zu 3. ist die Arbeitgeberorganisation und der Wirtschaftsverband der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleiter, der Unternehmen der Eisenbahninfrastruktur sowie artverwandter Unternehmen. Der im Juni 2002 gegründete Verband ist aus dem Konzern der D. AG entstanden.
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Die Beteiligte zu 4. ist ein Tochterunternehmen der D. AG. Sie ist Mitglied des tarifvertragsschließenden Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbands der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleiter und damit tarifgebunden.
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Der Beteiligte zu 5. ist der im Betrieb der Beteiligten zu 4. gewählte Betriebsrat.
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Der sog. Wahlbetrieb G. der Beteiligten zu 4. ist ein auf der Grundlage des Tarifvertrags zu betriebsverfassungsrechtlichen Fragen bei der F., den weiteren Unternehmen des Schienenpersonennahverkehrs und den Regio-Busgesellschaften (vgl. Anlage A 1, Bl. 14 ff. d.A.; im Weiteren: BetrVTV D. Regio Schiene/Bus) vom 06.02.2014 gebildeter Betrieb. Anfang Mai 2022 zum Zeitpunkt der Betriebsratswahl waren in dem Wahlbetrieb G. 1092 wahlberechtigte Arbeitnehmer vorhanden.
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Bis zum 31.03.2021 wurden im Wahlbetrieb G. der Beteiligten zu 4. sowohl die Tarifverträge der Beteiligten zu 1. als auch die Tarifverträge der Beteiligten zu 2. parallel angewandt.
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Zum 01.04.2021 begann die Beteiligte zu 4. schrittweise das sog. Tarifeinheitsgesetz, also § 4a TVG, in ihren Betrieben anzuwenden (vgl. Schreiben der D. AG an die Beteiligte zu 1. vom 18.03.2021 als Anlage A 3, Bl. 27 d.A.).
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Mit Schreiben vom 22.03.2021 (vgl. Anlage A 4, Bl. 28 d.A.) informierte die D. AG die Beschäftigen der Wahlbetriebe über diese schrittweise Umsetzung – auszugsweise soweit vorliegend relevant – wie folgt:
„Das bedeutet, dass künftig in jedem Betrieb der Tarifvertrag der Gewerkschaft zur Anwendung kommt, die in dem jeweiligen Betrieb die meisten in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder hat (Mehrheitstarifvertrag). Dies wirkt sich nicht in allen Bereichen und Tätigkeiten aus, sondern nur dort, wo unterschiedliche Tarifregelungen für die gleiche Tätigkeit nebeneinander bestehen. Dies ist bei Lokomotivführer:innen, Lokrangierführer:innen, Transportlogistiker:innen, Zugbegleiter:innen und Bordgastronom:innen, einschließlich deren Team-/ Gruppenleiter:innen (ausgenommen: Gruppenleiter:innen Allgemeiner Betrieb) sowie deren Disponent:innen, Praxistrainer:innen, Ausbilder:innen und Instruktoren:innen der Fall. Gehören Sie nicht zu diesen aufgezählten Tätigkeiten, ändert sich für Sie nichts.
Die D. AG hat nun auf Basis der ihr vorliegenden Daten eine begründete Annahme getroffen, welche Gewerkschaft die meisten in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder im jeweiligen Betrieb organisiert. Anbei finden Sie eine Übersicht zu Ihrer Gesellschaft bzw. Ihrem Geschäftsfeld mit den jeweils anwendbaren Tarifverträgen (Gewerkschaft C. oder Gewerkschaft A.) je Wahlbetrieb. Aus dieser Übersicht ergibt sich somit, ob künftig die Gewerkschaft C.- oder Gewerkschaft A.-Tarifverträge für die oben aufgezählten Tätigkeiten in Ihrem Betrieb gelten.“
11
Aus der diesem Schreiben vom 20.03.2021 (vgl. Anlage A 4, Bl. 28 d.A.) beigefügten Übersicht über die anwendbaren Tarifverträge (vgl. Anlage A 5, Bl. 31 d.A.) ergibt sich, dass die Beteiligten zu 3. und 4. der Auffassung waren, die Beteiligte zu 2. und nicht die Beteiligte zu 1. organisiere in dem Walbetrieb G. der Beteiligten zu 4. die Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
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Die D. AG informierte mit Schreiben vom 22.03.2021 (vgl. Anlage A 6, Bl. 32 f. d.A.) den Beteiligten zu 3. darüber, dass sie auf Basis der ihr vorliegenden Daten jeweils eine begründete Annahme darüber getroffen habe, welche Gewerkschaft die meisten in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder in dem jeweiligen Betrieb organisiere und sie sich dabei auf folgende Erkenntnisquellen gestützt habe:
- Ergebnisse der Betriebsratswahlen;
- vorliegende Tarifbindungsanzeigen;
- im Rahmen eines notariellen Verfahrens mit der Gewerkschaft C. ermittelte gewerk schaftliche Mehrheitsverhältnisse in den Betrieben; die Gewerkschaft A. hatte sich bekanntlich nicht an dem von Arbeitgeberseite initiierten Verfahren analog § 58 Abs. 3 ArbGG beteiligt;
- Analyse der betrieblichen Situation mit den betrieblichen Personalverantwortlichen.
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Im Vorfeld der Tarifrunde 2021 hatte die antragstellende Gewerkschaft ihre Tarifverträge gekündigt.
14
Am 16.09.2021 erzielte die antragstellende Gewerkschaft mit dem Beteiligten zu 3. einen Tarifabschluss. Nach Ziffer XI. des Abschlussprotokolls vom 16.09.2021 wurden die gekündigten Tarifverträge grundsätzlich mit dem Tag nach Ablauf des Wirksamwerdens der Kündigung wieder in Kraft gesetzt (vgl. Anlage A 2, Bl. 21 ff. d.A.).
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Es wurden die folgenden Tarifverträge mit den im Abschlussprotokoll vom 16.09.2021 (vgl. Anlage A 2, Bl. 21 ff. d.A.) vereinbarten Änderungen rückwirkend zum 01.03.2021 – außer Buchstabe r. (ZVersTV), Rückwirkung bereits ab dem 01.01.2021 – wieder in Kraft gesetzt:
a) Bundes-Rahmentarifvertrag für das Zugpersonal der Schienenbahnen des Personen- und Güterverkehrs in der Bundesrepublik Deutschland (BuRa-ZugTV AGV M.)
b) Tarifvertrag für Lokomotivführer von Schienenverkehrsunternehmen des AGV M. (LfTV)
c) Tarifvertrag für Zugbegleiter und Bordgastronomen von Schienenverkehrsunternehmen des AGV M. (ZubTV)
d) Tarifvertrag für Lokrangierführer von Schienenverkehrsunternehmen des AGV M. (LrfTV)
e) Tarifvertrag für Disponenten von Schienenverkehrsunternehmen des AGV M. (DispoTV)
f) Tarifvertrag zur Einführung des BuRa-ZugTV AGV M. und der ergänzenden Haustarifverträge (BuRa-ZugTV EinfTV)
g) Tarifvertrag über besondere Bedingungen bei Verlust der Fahrdiensttauglichkeit (FDU-TV)
h) Tarifvertrag über die gemeinsame Einrichtung zur Gewährung von Sozialleistungen (GE-TV Gewerkschaft A.)
i) Tarifvertrag zur Förderung des Übertrags von Zeitguthaben in die betriebliche Altersvorsorge (FörderTV bAV)
j) Tarifvertrag für Nachwuchskräfte verschiedener Unternehmen des D. Konzerns (NwkTV Gewerkschaft A. 2018)
k) Vereinbarung zur Umsetzung der persönlichen Planungssicherheit des Zugpersonals (Vereinb Planung)
l) Rahmentarifvertrag für die Arbeitnehmer verschiedener Unternehmen des D. Konzerns (KonzernRTV)
m) Tarifvertrag zur Einführung des Tarifvertrags für Lokomotivführer von Schienenverkehrsunternehmen des AGV M. (EinfTV LfTV)
n) Tarifvertrag zur Sicherung und Anpassung von Entgeltdifferenzen (KonzernZÜTV)
o) Regelungsabrede Leistungsprämie Training für lnstruktoren (LpTr ML)
p) Tarifvertrag zu Grundsätzen der Entgeltumwandlung für die Arbeitnehmer verschiedener Unternehmen des D. Konzerns (KEUTV)
q) Gemeinsames Verständnis im Sinne des BuRa-ZugTV AGV M. Anlage 3 a und § 84 LfTV
r) Tarifvertrag über die betriebliche Zusatzversorgung für die Arbeitnehmer der D. AG (ZVersTV)
s) Tarifvertrag über einen Zuschuss zur betrieblichen Zusatzversorgung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verschiedener Unternehmen des D. AG.- Konzerns (BetrRz-TV Gewerkschaft A.)
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Neu geschlossen wurden gemäß Ziffer III. des Abschlussprotokolls vom 16.09.2021 (vgl. Anlage A 2, Bl. 21 ff. d.A.) die folgenden Tarifverträge:
t) Tarifvertrag zum Job-Ticket für die Arbeitnehmer verschiedener Unternehmen des D. Konzerns (KonzernJob-TicketTV AGV M. Gewerkschaft A.)
u) Bundesrahmentarifvertrag für die betriebsnahe Instandhaltung in Eisenbahnverkehrsunternehmen (BuRa-EVU FZITV AGV M. Gewerkschaft A.)
v) Tarifvertrag für die betriebsnahe Instandhaltung in Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU FZITV AGV M. Gewerkschaft A.)
w) Tarifvertrag für allgemeine Aufgaben (TVA AGV M. Gewerkschaft A.)
x) Langzeitkontentarifvertrag (Lzk-TV TV EXPRESS AGV M. Gewerkschaft A.)
y) Tarifvertrag zur Zahlung von Corona-Beihilfen für Arbeitnehmer der D. Fernverkehr AG, F., D. RegioNetz Verkehrs GmbH, D. ZugBus Regionalverkehr J. GmbH, – Bereich Schiene –, S-Bahn D-S. GmbH, S-Bahn H. GmbH und D. C. AG (TV Corona-Beihilfe 2021 AGV M. Gewerkschaft A.)
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Die Tarifverträge Buchstabe t. bis x. wurden rückwirkend ab dem 01.03.2021, der Tarif vertrag Buchstabe y. ab dem 16.09.2021 in Kraft gesetzt.
18
Diese wieder in Kraft gesetzten bzw. neu geschlossenen Tarifverträge wurden jeweils unter dem Datum 24.02.2022 unterzeichnet (vgl. Anlagenkonvolut A 10 a bis 10 y, Bl. 195 ff. d.A.). Sie wurden mit Schreiben des Beteiligten zu 3. vom 07.04.2022 (vgl. Anlage A 12, Bl. 786 f. d.A.) an die Beteiligte zu 1. rückübersandt.
19
Als Anlage I. zum Abschlussprotokoll vom 16.09.2021 wurde zwischen der antragstellenden Gewerkschaft und dem Beteiligten zu 3. der Tarifvertrag zum privatrechtlichen Notarverfahren zur Ermittlung der betrieblichen Mehrheiten (vgl. Anlage A 11, Bl. 192 ff. d.A.) abgeschlossen. Zweck dieses Tarifvertrages war es, eine einvernehmliche Klärung der betrieblichen Mehrheitsfeststellung im Rahmen eines privatrechtlichen Notarverfahrens durchzuführen. Dazu sollte entweder ein trilateraler Tarifvertrag zwischen dem Beteiligten zu 3. und beiden Gewerkschaften oder zwei aufeinander bezogene bilaterale Tarifverträge („doppelt bilateral“) zwischen dem Beteiligten zu 3. auf der einen Seite und jeweils einer der beiden Gewerkschaften auf der anderen Seite abgeschlossen werden (vgl. Präambel des Tarifvertrags in Anlage A 11, Bl. 192 ff. d.A.). Da die Beklagte zu 2. keinen solchen Tarifvertrag mit dem Beteiligten zu 3. abschloss, kam es nicht zu der Durchführung eines privatrechtlichen Notarverfahrens.
20
Die beteiligte Gewerkschaft zu 2. schloss mit dem Beteiligten zu 3. ebenfalls Tarifverträge mit Wirkung gegenüber der Beteiligten zu 4. ab.
21
Mit Schreiben vom 19.10.2021 (vgl. Anlage A 7, Bl. 34 d.A.) teilte die Beteiligte zu 2. der Beteiligten zu 1. mit, dass mit Datum des 07.10.2021 zwischen dem Beteiligten zu 3. und der Beteiligten zu 2. ein neuer Tarifvertrag zustande gekommen sei. Dies sei der für die Feststellung der Mehrheitsverhältnisse in den jeweiligen Betrieben maßgebende Stichtag, da zu diesem Zeitpunkt letztmalig eine Kollision inhaltsgleicher Tarifverträge im Sinne des § 4a TVG vorgelegen habe.
22
Die Umsetzung der Gesamteinigung vom 07.10.2021 erfolgte durch den Tarifvertrag 1/2021 AGV M. Gewerkschaft C. zur Änderung von Tarifverträgen für Arbeitnehmer verschiedener Unternehmen des D. Konzerns (ÄTV 1/2021 AGV M. Gewerkschaft C.), vgl. Anlage B 1, Bl. 814 ff. d.A.. Der unterzeichnete Tarifvertrag wurde an den Beteiligten zu 3. mit Schreiben vom 25.05.2022 (vgl. Anlage B 2, Bl. 853 d.A.) übersandt und ging am 31.05.2022 zu.
23
Die zwischen der beteiligten Gewerkschaft zu 1. und dem Beteiligten zu 3. abgeschlossenen Tarifverträge finden bezüglich ihres räumlichen, betrieblichen und persönlichen Geltungsbereichs auf dieselben Arbeitnehmergruppen Anwendung wie die zwischen der beteiligten Gewerkschaft zu 2. und dem Beteiligten zu 3. abgeschlossenen Tarifverträge.
24
Bei der Betriebsratswahl im Wahlbetrieb G. am 17.05.2018 (vgl. Wahlniederschrift vom 25.05.2018 in Anlage B 5, Bl. 1007 f. d.A.) erhielt die Liste der Antragstellerin 187 der 758 gültigen Stimmen (24,67%), während die Liste der beteiligten Gewerkschaft zu 2. 413 der 758 gültigen Stimmen erhielt (54,49%). Bei der Wahl am 13.05.2022 (vgl. Wahlniederschrift vom 13.05.2022, in Anlage B 6, Bl. 1009 ff. d.A.) erhielt die Liste der Antragstellerin 250 der 762 gültigen Stimmen (32,81%), während die Liste der Beteiligten zu 2. 448 der 762 gültigen Stimmen erhielt (58,79%).
25
Eine sog. Beschäftigtenliste wurde seitens der Beteiligten zu 4. entsprechend dem Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 21.12.2022 mit der Angabe des Geburtsdatums sowie der Angabe, ob es sich um Arbeitnehmer, Auszubildende, leitende Angestellte oder außertarifliche Angestellte handelt, zum Stichtag 31.05.2022 erstellt und als Anlage B 4 (vgl. Bl. 976 ff. d.A.) vorgelegt.
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Die antragstellende Gewerkschaft ist der Auffassung, sie sei die im Betrieb der Beteiligten zu 4. vertretene Mehrheitsgesellschaft, so dass deren Tarifverträge auf die Arbeitsverhältnisse der Mitglieder der Beteiligten zu 1. angewendet werden müssten. Die Beteiligten zu 3. und 4. würden jedoch auf der Grundlage der in dem Schreiben vom 22.03.2021 erwähnten „begründeten Annahmen“ (vgl. Anlage 6, Bl. 32 d.A.) die Geltung der Rechtsnormen der Tarifverträge auf die Arbeitsverhältnisse der Mitglieder der Beteiligten zu 1. wegen der in § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG angeordneten Verdrängungswirkung bestreiten. Als Folge der Umsetzung von § 4a TVG würden die am 16.09.2021 rückwirkend zum 01.03.2021 wieder in Kraft gesetzten und die neuen im Antrag genannten Tarifverträge der Beteiligten zu 1. im Betrieb der Beteiligten zu 4. zumindest teilweise nicht angewendet, sondern stattdessen die Tarifverträge der zwischen der Beteiligten zu 2. als vermeintlicher Mehrheitsgesellschaft und dem Beteiligten zu 3. abgeschlossenen Tarifverträge.
27
Die Beteiligte zu 1. organisiere das gesamte direkte Personal in Eisenbahnverkehrs- (EVU) und -infrastrukturunternehmen (EIU) in ganz Deutschland und habe inzwischen mehr als 38.000 Mitglieder.
28
Die sich überschneidenden Tarifverträge der Beteiligten zu 1. und der Beteiligten zu 2. seien nicht inhaltsgleich. Zu den wesentlichen Unterschieden zwischen den Gewerkschaft A.-Tarifverträgen und den Gewerkschaft C.-Tarifverträgen aus 2019, 2020 bzw. 2021 wird im Schriftsatz der Beteiligten zu 1. vom 13.04.2022 auf den Seiten 4 ff. im Einzelnen Näheres ausgeführt, auf den insoweit verwiesen wird (vgl. Bl. 178 ff. d.A.).
29
Aufgrund der seitens der Beteiligten zu 2. geführten Nachverhandlungen und durch erneute Tarifabschlüsse sei ein nochmals späterer Kollisionszeitpunkt entstanden. Damit sei zum 31. Mai 2022 eine (neue) Kollisionslage und ein (neuer) Kollisionszeitpunkt entstanden.
30
Die Beteiligte zu 1. sei nicht in der Lage zu wissen, welche ihrer Mitglieder zum Stichtag Arbeitnehmer der Beteiligten zu 4. im hier relevanten Betrieb seien. Diese Kenntnis habe allein die Beteiligte zu 4., nur sie kenne ihre Arbeitnehmer. Sie müsse daher zunächst für den Wahlbetrieb G. eine Liste ihrer Arbeitnehmer vorlegen. In einem zweiten Schritt könne dann von den beiden beteiligten Gewerkschaften ermittelt werden, wie viele dieser Arbeitnehmer jeweils bei ihnen Mitglieder seien. Diese von den beteiligten Gewerkschaften ermittelten Mitgliederzahlen könnten sodann durch notarielle Tatsachenfeststellung verifiziert werden.
31
Eine schriftsätzliche Offenlegung der Mitgliederzahlen der Beteiligten zu 1. im Wahlbetrieb G. komme bereits aus datenschutzrechtlichen Gründen, aber insbesondere aus Gründen der Kampfparität nicht in Betracht. Sofern sie eine konkrete Mitgliederzahl nennen würde, könnte sie diese Zahlen nicht durch einen entsprechenden Beweisantritt untermauern. Weder wäre die Beteiligte zu 1. berechtigt, Namen von Mitgliedern als Zeugnisbeweis anzubieten noch wären die von der Beteiligten zu 1. genannten Arbeitnehmer verpflichtet, über ihre potentielle Mitgliedschaft bei der Beklagten zu 1. Auskunft zu geben. Es würde somit eine Zahl im Raum stehen, die im vorliegenden Verfahren nicht weiterhelfen würde, aber dem Arbeitgeber – hier der Beteiligten zu 4. – ohne Not wichtige Informationen über die potentielle Kampfkraft der im Wahlbetrieb G. vertretenen Gewerkschaften vermitteln würde. Daher komme auch die abstrakte Nennung der Zahl ihrer Mitglieder im Wahlbetrieb G. nicht infrage. Denn aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Koalitionsfreiheit dürften keine unmittelbaren Angaben zu Mitgliederzahlen gegenüber dem Arbeitgeber verlangt werden (vgl. dazu auch GK-ArbGG-Arendt, § 99 Rn. 29). Zu den anerkannten Kampfmitteln einer Arbeitnehmerkoalition gehöre es, den Tarifpartner über die eigene Kampfstärke im Ungewissen lassen zu können. Dass eine Offenlegung von Mitgliederzahlen nicht in Betracht komme, habe der Gesetzgeber erkannt und daher mit § 58 Abs. 3 ArbGG die Möglichkeit geschaffen, dass insbesondere über die Zahl der in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder Beweis auch durch die Vorlegung öffentlicher Urkunden angetreten werden könne. Aus Sicht der Beteiligten zu 1. sei die gesetzliche Konzeption der §§ 99, 58 Abs. 3 ArbGG daher ersichtlich darauf ausgerichtet, dass eine Gewerkschaft im Verfahren nach § 99 ArbGG ihre Mitgliederzahl im Betrieb nicht offenbaren müsse.
32
Ein wesentlicher Streitpunkt der Beteiligten bestehe darin, was unter dem Begriff »in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder« im Sinne von § 4 a Abs. 1 TVG zu verstehen sei. Die Antragstellerin sei der Auffassung, dass leitende Angestellte, außertarifliche Angestellte und Auszubildende in keinem Arbeitsverhältnis im Sinne der zitierten Vorschrift stehen würden, demgegenüber sei dies bei abgeordneten Beamten der Fall. Der Begriff »in einem Arbeitsverhältnis« sei offensichtlich ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 256 Abs. 2 ZPO.
33
Für die Anwendung der streitgegenständlichen Tarifverträge obliege den Beteiligten zu 3. und 4. die Darlegungs- und Beweislast. Nicht die Beteiligte zu 1. habe die Anwendung des § 4a TVG anstelle der allgemeinen Regel des § 4 TVG umgesetzt, sondern die Beteiligten zu 3. und 4. hätten die Tarifverträge der Beteiligten zu 1. auf der Grundlage dubioser so genannter „begründeter Annahmen“ außer Anwendung gesetzt. Die Regelung in § 8 TVG, der bekanntlich laute »Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die im Betrieb anwendbaren Tarifverträge sowie rechtskräftige Beschlüsse nach § 99 des Arbeitsgerichtsgesetzes über den nach § 4a Absatz 2 Satz 2 anwendbaren Tarifvertrag im Betrieb bekanntzumachen.« mache deutlich, dass nicht die antragstellende Gewerkschaft, sondern ausschließlich der Arbeitgeber im Verhältnis zu den im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer verpflichtet sei, die im Betrieb anwendbaren Tarifverträge bekanntzumachen.
34
Die Antragstellerin werde sich nicht nach Maßgabe des gerichtlichen Beschlusses vom 21.12.2022 durch Beauftragung eines Notars am Zählverfahren beteiligen. Dass die Beauftragung eines Notars zur Feststellung der Mehrheitsverhältnisse nicht der Beteiligten zu 1. obliege, sondern den Beteiligten zu 3. und 4., folge auch daraus, dass der Antragstellerin als relativ kleiner Gewerkschaft nicht zugemutet werden könne, in allen Betrieben der F. jeweils die erheblichen Kosten für die Beauftragung eines Notars auf sich zu nehmen. Eine solche Kostentragungspflicht würde die Antragstellerin in ihrer wesentlichen koalitionsspezifischen Aufgabenwahrnehmung behindern und daher ihre Grundrechte aus Art. 9 Abs. 3 GG verletzen.
35
Die Beteiligte zu 4. agiere rechtswidrig, indem sie die gewerkschaftlichen Mehrheitsverhältnisse im Betrieb – mangels positiver Kenntnis – an die Ergebnisse der Betriebsratswahlen anknüpfe. Hiermit funktioniere sie die künftigen Betriebsratswahlen in ihren Betrieben zu einer Abstimmung über die anwendbaren Tarifverträge um. Dies dürfe durch die Gerichte nicht als Ermittlung „berechtigter Indizien“ akzeptiert werden. Die Wahl zum Betriebsrat lasse im Übrigen keinerlei Rückschlüsse darauf zu, welche Mitarbeiter welcher Gewerkschaft zugehörig seien.
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Die Beteiligte zu 1. beantragt zuletzt,
Es wird festgestellt, dass im Wahlbetrieb G. der F. AG seit dem 31. Mai 2022 ausschließlich die Regelungen der folgenden zwischen der Beteiligten zu 1. und dem Beteiligten zu 3. abgeschlossenen Tarifverträge auf diejenigen Arbeitnehmer, die Mitglied der Beteiligten zu 1) sind, normativ Anwendung finden:
- Bundes-Rahmentarifvertrag für das Zugpersonal der Schienenbahnen des Personen- und Güterverkehrs in der Bundesrepublik Deutschland (BuRa-ZugTV AGV M.) vom 24. Februar 2022, rückwirkend wirksam seit dem 1. März 2021,
- Tarifvertrag für Lokomotivführer von Schienenverkehrsunternehmen des AGV M. (LfTV) vom 24. Februar 2022, rückwirkend wirksam seit dem 1. März 2021,
- Tarifvertrag für Zugbegleiter und Bordgastronomen von Schienenverkehrsunternehmen des AGV M. (ZubTV) vom 24. Februar 2022, rückwirkend wirksam seit dem 1. März 2021,
- Tarifvertrag für Lokrangierführer von Schienenverkehrsunternehmen des AGV M. (LrfTV) vom 24. Februar 2022, rückwirkend wirksam seit dem 1. März 2021,
- Tarifvertrag für Disponenten von Schienenverkehrsunternehmen des AGV M. (DispoTV) vom 24. Februar 2022, rückwirkend wirksam seit dem 1. März 2021,
- Tarifvertrag über besondere Bedingungen bei Verlust der Fahrdiensttauglichkeit (FDU-TV) vom 24. Februar 2022, rückwirkend wirksam seit dem 1. März 2021,
- Tarifvertrag zur Einführung des BuRa-ZugTV AGV M. und der ergänzenden Haustarifverträge (BuRa-ZugTV EinfTV) vom 30. Juni 2015, gemäß § 1 Abs. 1 des Tarifvertrags 1/2021 zur Änderung des Gewerkschaft A.-Tarifwerks D. vom 24. Februar 2022 rückwirkend wirksam seit dem 1. März 2021,
- Tarifvertrag über die gemeinsame Einrichtung zur Gewährung von Sozialleistungen (GE-TV Gewerkschaft A.) vom 24. Februar 2022, rückwirkend wirksam seit dem 1. März 2021,
- Tarifvertrag zur Förderung des Übertrags von Zeitguthaben in die betriebliche Altersvorsorge (FörderTV bAV) vom 24. Februar 2022, rückwirkend wirksam seit dem 1. März 2021,
- Tarifvertrag für Nachwuchskräfte verschiedener Unternehmen des D. Konzerns (NwkTV Gewerkschaft A. 2018) vom 24. Februar 2022, rückwirkend wirksam seit dem 1. März 2021,
- Vereinbarung zur Umsetzung der persönlichen Planungssicherheit des Zugpersonals vom 4. Januar 2019, gemäß § 1 Abs. 2 des Tarifvertrags 1/2021 zur Änderung des Gewerkschaft A.-Tarifwerks D. vom 24. Februar 2022 rückwirkend wirksam seit dem 1. März 2021,
- Rahmentarifvertrag für die Arbeitnehmer verschiedener Unternehmen des D. Konzerns (KonzernRTV) vom 24. Februar 2022, rückwirkend wirksam seit dem 1. März 2021,
- Tarifvertrag zur Einführung des Tarifvertrags für Lokomotivführer von Schienenverkehrsunternehmen des AGV M. (EinfTV LfTV) vom 31. Januar 2009,
- Tarifvertrag zur Sicherung und Anpassung von Entgeltdifferenzen (KonzernZÜTV) vom 4. Januar 2019,
- Regelungsabrede Leistungsprämie Training für lnstruktoren (LpTr ML) vom 14. September 2015,
- Tarifvertrag zu Grundsätzen der Entgeltumwandlung für die Arbeitnehmer verschiedener Unternehmen des D. Konzerns (KEUTV) vom 24. Februar 2022, rückwirkend wirksam seit dem 1. März 2021,
- Gemeinsames Verständnis im Sinne des BuRa-ZugTV AGV M. Anlage 3 a und § 84 LfTV vom 4. Januar 2019,
- Tarifvertrag zur Änderung des Tarifvertrags über die betriebliche Zusatzversorgung für die Arbeitnehmer der D.AG (ÄTV ZVersTV) vorn 24. Februar 2022, rückwirkend wirksam seit dem 1. Januar 2021,
- Tarifvertrag über die betriebliche Zusatzversorgung für die Arbeitnehmer der D.AG vom 21. Dezember 1994 ((ZVersTV), Anlage 5 des 7. Tarifvertrag zur Änderung der Tarifverträge für die Arbeitnehmer der D.AG vom 21. Dezember 1994), gemäß § 1 des Tarifvertrags zur Änderung des Tarifvertrags über die betriebliche Zusatzversorgung der Arbeitnehmer der D.(ZversTV) (ÄTV ZversTV 2021) rückwirkend wirksam seit dem 1. Januar 2021,
- 7. Tarifvertrag zur Änderung der Tarifverträge für die Arbeitnehmer der D.AG (7. ÄnderungsTV) vom 21. Dezember 1994,
- Vereinbarung zur Verlängerung des BetrRz-TV Gewerkschaft A. (Verlängerung BetrRz-TV Gewerkschaft A.) vom 24. Februar 2022, rückwirkend wirksam seitdem 1. März 2021,
- Tarifvertrag über einen Zuschuss zur betrieblichen Zusatzversorgung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verschiedener Unternehmen des D.-Konzerns (BetrRz-TV) vom 5. September 2011,
- Tarifvertrag zum Job-Ticket für die Arbeitnehmer verschiedener Unternehmen des D. Konzerns (KonzernJob-TicketTV AGV M. Gewerkschaft A.) vom 24. Februar 2022, rückwirkend wirksam seit dem 1. Januar 2021,
- Bundesrahmentarifvertrag für die betriebsnahe Instandhaltung in Eisenbahnverkehrsunternehmen (BuRa-EVU FZITV AGV M. Gewerkschaft A.) vom 24. Februar 2022, rückwirkend wirksam seit dem 1. März 2021,
- Tarifvertrag für die betriebsnahe Instandhaltung in Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU FZITV AGV M. GEWERKSCHAFT A.) vom 24. Februar 2022, rückwirkend wirksam seit dem 1. März 2021,
- Tarifvertrag für allgemeine Aufgaben (TVA AGV M. Gewerkschaft A.) vom 24. Februar 2022, rückwirkend wirksam seit dem 1. März 2021,
- Zusatztarifvertrag 2021 zum BuRa-EVU FZITV AGV M. Gewerkschaft A., EVU FZITV AGV M. Gewerkschaft A., TVA AGV M. Gewerkschaft A. (ZusatzTV 2021 AGV M. Gewerkschaft A.) vorn 24. Februar 2022, rückwirkend wirksam seit dem 1. März 2021,
- Tarifvertrag zur Führung von Langzeitkonten für die Arbeitnehmer im Arbeitszeitmodell „EXPRESS“ bei der D. Fernverkehr AG und der S-B. H. GmbH (Lzk-TV TV EXPRESS AGV M. Gewerkschaft A.) vom 24. Februar 2022, rückwirkend wirksam seit dem 1. März 2021,
- Tarifvertrag zur Zahlung von Corona-Beihilfen für Arbeitnehmer der D. Fernverkehr AG, F., D. RegioNetz Verkehrs GmbH, D. ZugBus Regionalverkehr A. GmbH (RAB) – Bereich Schiene –, S-Bahn D-S. GmbH, S-B. H. GmbH und D. C. AG (TV Corona-Beihilfe 2021 AGV M. Gewerkschaft A.) vom 24. Februar 2022,
- Tarifvertrag 1/2021 zur Änderung des Gewerkschaft A.-Tarifwerks D. vom 24. Februar 2022, rückwirkend wirksam seit dem 1. März 2021,
- Tarifvertrag 1/2019 zur Änderung des Gewerkschaft A.-Tarifwerks D. vom 4. Januar 2019,
- 52. Tarifvertrag zur Änderung der Tarifverträge für die Arbeitnehmer und Auszu bildenden der D. AG sowie verschiedener Unternehmen des D.-Konzerns (52. ÄnderungsTV).
37
Die Beteiligten zu 2. bis 5. beantragen,
38
Die Beteiligte zu 2. ist der der Auffassung, dass sie die Mehrheitsgewerkschaft im Wahlbetrieb G. sei und deshalb zu Recht ihre Tarifverträge im Betrieb der Beteiligten zu 4. Anwendung finden würden.
39
Zum Zeitpunkt der Einleitung des Beschlussverfahrens am 12.11.2021 habe kein Rechtsschutzbedürfnis der Beteiligten zu 1. bestanden, da deren in der Antragsschrift vom 09.11.2021 bezeichneten Tarifverträge zu diesem Zeitpunkt nicht unterzeichnet waren.
40
Auch wenn im Hinblick auf die Begründung des Antrags keine Angaben zu Mitgliederzahlen abgefragt werden dürften, sei kein Vortrag der Beteiligten zu 1. erfolgt, worauf sich ihre Mehrheitsvermutung inhaltlich stütze.
41
Ungeachtet des im Beschlussverfahren geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes nach § 83 Abs. 1 ArbGG müsse das Vorbringen der Antragstellerin hinreichende Anhaltspunkte dafür enthalten, dass der zur Begründung des Anspruchs behauptete Sachverhalt gegeben sei.
42
Es sei weiter nicht beabsichtigt, einen inhaltsgleichen Tarifvertrag zum privatrechtlichen Notarverfahren entsprechend dem in Anlage A 11 vorgelegten abzuschließen. Die Beteiligte zu 2. habe sich im Jahr 2021 bereits an einem einseitigen Verfahren zur Feststellung der Mehrheitsgewerkschaft beteiligt, an dem sich damals die Antragstellerin nicht habe beteiligten wollen.
43
Die Anzahl der Beschäftigten sei zum maßgeblichen Stichtag 31.05.2022 zu bestimmen. Die Beteiligte zu 2. gehe davon aus, dass zu den maßgeblichen Arbeitnehmern die leitenden Angestellten und die Auszubildenden gehören, jedoch nicht die Beamten. Die leitenden Angestellten und die sogenannten „AT-Kräfte“ seien mit einzubeziehen, da auch diese auf Grundlage eines Dienstvertrages i.S.d. § 611a Abs. 1 BGB und somit als Arbeitnehmer beschäftigt würden. Bei der Mehrheitsfeststellung seien alle Mitglieder der Gewerkschaft zu berücksichtigen, die in einem Arbeitsverhältnis zum Inhaber des Betriebs, dem Arbeitgeber, stünden, auch wenn diese nicht vom Geltungsbereich der Tarifverträge erfasst würden. Für die Anwendung des § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG gelte insoweit kein von § 611a Abs. 1 BGB abweichender, gesondert normierter Arbeitnehmerbegriff. Arbeitnehmer i.S.d. § 4a Abs. 2 TVG seien auch die Auszubildenden. Auch nach der Gesetzesbegründung seien die Auszubildenden zu berücksichtigen (vgl. BT-Drs. 18/4062, 13).
44
Die Mehrheitsvermutungen zu Gunsten der Beteiligte zu 2. würden sich auf die im Schreiben der F. vom 22.03.2022 angeführten Daten stützen. Dies seien das Ergebnis der Betriebsratswahl, vorliegende Tarifbindungsanzeigen, im Rahmen eines notariellen Verfahrens mit der Gewerkschaft C. ermittelte gewerkschaftliche Mehrheitsverhältnisse sowie die Analyse der betrieblichen Situation mit den Personalverantwortlichen.
45
Zu der Beschäftigtengruppe der Beamten sei festzustellen, dass diese nicht auf Grundlage eines Dienstvertrages i.S.d. § 611a Abs. 1 BGB beschäftigt würden.
46
lm Hinblick auf den Kollisionszeitpunkt sei auf den 31.05.2022 abzustellen. Zu diesem Datum sei dem Beteiligten zu 3. die unterzeichnete Ausfertigung des zuletzt abgeschlossenen „Tarifvertrags 1/2001 AGV M. Gewerkschaft C.“ zugegangen.
47
Auch nach Auffassung der Beteiligten zu 2. sei eine Auslegung der verfahrensrechtlichen Vorschriften zur Feststellung der Mehrheit i.S.d. § 4a TVG mit der Folge, dass im Ergebnis regelmäßig die antragsstellende oder beteiligte Gewerkschaft die Kosten des notariellen Verfahrens zu tragen habe, nicht mit Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar.
48
Die Beteiligten zu 3. und 4. sind der der Auffassung, dass zum maßgeblichen Stichtag die Beteiligte zu 2. die Mehrheit der Mitglieder im Betrieb der Beteiligten zu 4. stelle. Deshalb seien allein deren Tarifverträge anzuwenden. Die von der Beteiligten zu 1. behauptete eigene Mehrheitsstellung werde bestritten.
49
Die Beteiligte zu 1. müsse substantiiert darlegen, dass ihre Tarifverträge im streitgegenständlichen Betrieb gemäß § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG anzuwenden seien, weil sie dort die Mehrheitsgewerkschaft darstelle. Dies sei bislang nicht erfolgt. Hierzu müsse sie insbesondere die Anzahl der Mitarbeiter, die zum von ihr als maßgeblich erachteten Kollisionszeitpunkt im streitgegenständlichen Wahlbetrieb tätig gewesen seien, mitteilen und ggf. unter Beweis stellen (vgl. ErfK/Franzen, 22. Aufl. 2022, § 99 ArbGG, Rn. 6: „Eine ast. Gewerkschaft ist im Verf. nach § 99 allerdings gehalten, ihre Mitgliederzahl zu offenbaren, da ihr Antrag ansonsten abzuweisen sein wird.“).
50
Beim Verfahren nach § 58 Abs. 3 ArbGG handele es sich bereits ausweislich der Überschrift um ein Verfahren der Beweisaufnahme. Zu dieser Stufe komme man nach den allgemeinen Vorgaben des Prozessrechts erst, wenn substantiierter Tatsachenvortrag vorliege, der sodann wirksam bestritten worden sei. Dass die Beklagte zu 1. nach ihrem eigenen Vortrag selbst behaupte, keine Kenntnis über die Betriebszugehörigkeit ihrer Mitglieder zu haben, weil sie ihre Mitgliederkartei nicht auf Betriebsbasis führe, führe nicht zu einer Änderung der prozessrechtlichen Vorgaben an die Substantiierungs- und Darlegungslast. Ein Vortrag über ihre Mehrheitsstellung sei vor diesem Hintergrund „ins Blaue hinein“ erfolgt und folglich unbeachtlich.
51
Mit Abschluss der neuen Tarifverträge sei eine neue Kollisionslage entstanden. Da der Zugang des final unterschriebenen Änderungstarifvertrags bei dem Beteiligten zu 3. erst am 31.05.2022 erfolgt sei, dürfte dies der maßgebliche Kollisionszeitpunkt im Sinne des § 4a Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 TVG sein.
52
Die auf der vorgelegten Mitarbeiterliste (vgl. Anlage B 3, Bl. 924 ff. d.A.) geführten Mitarbeiter der Kategorie „Arbeitnehmer (als Beamte beurlaubt)“ seien Beamte des Bundeseisenbahnvermögens. Sie seien dort beurlaubt und bei der Beteiligten zu 4. aufgrund eines Arbeitsvertrages eingestellt (vgl. § 12 Abs. 1 DBGrG). Sie dürften daher als Arbeitnehmer im Sinne des § 4a Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 TVG mitzuzählen sein. Die Mitarbeiter der Kategorie „Zugewiesene Beamte“ seien Beamte des Bundeseisenbahnvermögens und der Beteiligten zu 4. zugewiesen (vgl. § 12 Abs. 2 DBGrG, Art. 143a Abs. 1 Satz 3 GG). Sie dürften als Beamte nicht im Rahmen von § 4a Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 TVG mitzuzählen sein.
53
§ 4a Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 TVG stelle auf „die meisten in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder“ im Betrieb ab. Dementsprechend sei im Ausgangspunkt der allgemeine Arbeitnehmerbegriff (§ 611a BGB) zugrunde zu legen. Sowohl leitende Angestellte als auch außertarifliche Angestellte seien Arbeitnehmer. Bezüglich der leitenden Angestellten sei § 5 Abs. 4 BetrVG hier irrelevant, da § 4a TVG eine tarifliche und keine betriebsverfassungsrechtliche Norm sei. Außertarifliche Angestellte (AT-Mitarbeiter) seien ebenfalls zu berücksichtigen, da § 4a Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 TVG insoweit allgemein formuliert sei, d.h. bei der Mehrheitsfeststellung pauschal auf die Arbeitnehmer im Betrieb verweise, ohne dass es hierbei auf die Reichweite der Überschneidung der Tarifverträge ankomme. Auszubildende dürften gemäß § 10 Abs. 2 BBiG und der klaren Aussage in der Gesetzesbegründung (BTDrs. 18/4062, S. 13) ebenfalls mitzuzählen sein.
54
Aus den Betriebsratswahlen 2018 und 2022 ergebe sich das deutliche Indiz, dass die Beteiligte zu 2. im streitgegenständlichen Betrieb die Mehrheitsgewerkschaft darstelle. Die Ausführungen zu den angeblich erheblichen Notarkosten seien unsubstantiiert und nicht einlassungsfähig, somit also unbeachtlich. Als Antragstellerin und Beteiligte des vorliegenden Beschlussverfahrens bestehe eine Mitwirkungspflicht der Beteiligten zu 1. Ihre Ausführungen im Schriftsatz vom 9. Januar 2023 dürften dahingehend zu verstehen sein, dass sie dieser Mitwirkungspflicht nicht nachkomme. Dies sei von der erkennenden Kammer entsprechend zu würdigen, sodass der Antrag ohne weitere Beweiserhebung abzuweisen sei.
55
Der Beteiligte zu 5. ist der Auffassung, dass mangels substantiierten Vortrags dem Antrag unbegründet sei. Sie nehme Bezug auf die Ausführungen der Beteiligten zu 2. im Schriftsatz vom 30.09.2022 sowie der Prozessbevollmächtigten der Beteiligten zu 3. und 4. vom 29.09.2022 und mache sich diese zu eigen. Es werde mit Nichtwissen bestritten, dass es sich bei der Beteiligten zu 1. um die sog. Mehrheitsgewerkschaft im Sinne des § 4a TVG handele. Hierzu habe die Beteiligte zu 1. nicht substantiiert vorgetragen. Die Antragstellerin könne unschwer anhand der Mitgliederliste feststellen, wer bei ihr Mitglied sei. Dann müsse sie sich durch gezielte Befragung ihrer Mitglieder darüber Kenntnis verschaffen, welches Mitglied im verfahrensgegenständlichen Betrieb tätig sei. Die Zuordnung ihrer Mitglieder zum verfahrensgegenständlichen Betrieb liege allein in der Sphäre der Beteiligten zu 1., so dass ihr Darlegungs- oder gar Beweiserleichterungen nicht zu Gute kommen könnten.
56
Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Antragsschrift vom 09.11.2021, die Schriftsätze vom 24.11.2021, 25.11.2021, 06.12.2021, 15.12.2021, 24.01.2022, 24.02.2022, 11.03.2022, 13.04.2022, 04.05.2022, 08.06.2022, 09.06.2022, 29.06.2022, 06.07.2022, 07.07.2022, 13.07.2022, 14.07.2022, 18.07.2022, 19.07.2022, 30.08.2022, 14.09.2022, 29.09.2022, 30.09.2022, 12.10.2022, 03.11.2022, 14.11.2022, 09.01.2023, 11.01.2023, 26.01.2023, 07.02.2023, 09.02.2023 und 27.02.2023 sowie auf die Sitzungsprotokolle vom 21.12.2021, 25.07.2022, 21.11.2022 und 23.02.2023 Bezug genommen.
57
1. Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist gem. § 2a Abs. 1 Nr. 6 ArbGG i.V.m. § 99 ArbGG eröffnet für ein Beschlussverfahren, in dem über den nach § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG im Betrieb anwendbaren Tarifvertrag zu entscheiden ist.
58
2. Die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts München folgt aus § 82 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 99 Abs. 2 ArbGG, da der Betrieb der Beteiligten zu 4., der sog. Wahlbetrieb G., im Bezirk des Arbeitsgerichts München liegt.
59
3. Der Antrag der Beteiligten zu 1. ist zulässig. In dem Feststellungsverfahren nach § 99 ArbGG soll darüber entschieden werden, welcher von mehreren kollidierenden Tarifverträgen nach § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG in einem Betrieb gilt. Der Antrag ist – wie hier auch seitens der Beteiligten zu 1. erfolgt – auf die positive Feststellung zu richten, dass die Tarifnormen eines bestimmten Tarifvertrages entweder auf alle Arbeitnehmer oder bestimmte Arbeitnehmergruppen in der jeweiligen betrieblichen Einheit Anwendung finden. Der Antrag ist auch hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO i.V.m. §§ 80 Abs. 2 Satz 1, 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG. Die Tarifverträge der Beteiligten zu 1., deren Anwendbarkeit im Betrieb der Beteiligten zu 4. festgestellt werden sollen, wurden jeweils konkret bezeichnet.
60
4. Neben der antragstellenden Gewerkschaft sind an dem Verfahren alle weiteren Beteiligten der konkurrierenden Tarifverträge zu beteiligen sowie der Arbeitgeber als Inhaber des Betriebs (vgl. Germelmann/Schlewing/Günther-Gräff, ArbGG, 10. Aufl. 2022, § 99 Rn. 13).
61
5. Auch der Betriebsrat des beteiligten Wahlbetriebs G. ist Beteiligter gem. § 83 Abs. 3 i.V.m. § 99 Abs. 2 ArbGG. Dies ergibt sich insbesondere aus der Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG, die der Betriebsrat zu beachten hat.III.
62
Der zulässige Antrag der Gewerkschaft A. auf Feststellung, dass ihre Tarifverträge in dem Betrieb der Beteiligten zu 4. auf diejenigen Arbeitnehmer, die bei ihr Mitglieder sind, normativ Anwendung finden, ist nicht begründet.
63
1. Das BVerfG hat mit Urteil vom 11.07.2017 (Az. 1 BvR 1571/15, 1 BvR 1588/15, 1 BvR 2883/15, 1 BvR 1043/16, 1 BvR 1477/16) das Tarifeinheitsgesetz insoweit für verfassungswidrig gehalten, als Vorkehrungen dagegen fehlten, dass die Belange der Angehörigen einzelner Berufsgruppen oder Branchen in einem solchen Fall einseitig vernachlässigt werden. Der Gesetzgeber verabschiedete daraufhin zum 01.01.2019 die jetzt geltende Regelung des § 4a Abs. 2 Satz 2 Hs. 2 TVG. Nach der Neuregelung sind neben dem Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft in einem Betrieb auch die Rechtsnormen des Minderheitstarifvertrags anwendbar, wenn beim Zustandekommen des Mehrheitstarifvertrages die Interessen von Arbeitsnehmergruppen, die von dem Minderheitstarifvertrag erfasst werden, nicht ernsthaft und wirksam berücksichtigt sind. Letzteres wird hier von der antragstellenden Gewerkschaft nicht geltend gemacht. Welcher Tarifvertrag bei kollidieren Tarifverträgen zur Anwendung kommt, kann im Rahmen eines Verfahrens gem. § 2a Abs. 1 Nr. 6 ArbGG i.V.m. § 99 ArbGG festgestellt werden. Vorliegend ist zwischen den Beteiligten streitig, ob die Antragstellerin die Mehrheitsgewerkschaft im Betrieb der Beteiligten zu 4. ist.
64
2. Die antragstellende Gewerkschaft ist – zum Zeitpunkt der letzten Anhörung vor der Kammer – nach Abschluss der kollidierenden Tarifverträge der beteiligten Gewerkschaft zu 2. antragsberechtigt und -befugt.
65
2.1 Nach § 99 Abs. 1 sind nur die Parteien eines in einem Betrieb kollidierenden Tarifvertrags oder der tarifschließende Arbeitgeber antragsberechtigt. Der Arbeitgeber, der an die kollidierenden Tarifverträge lediglich kraft Mitgliedschaft gebunden ist, ist damit nicht antragsberechtigt (vgl. Germelmann/Schlewing/Günther-Gräff, ArbGG, 10. Aufl. 2022, § 99 Rn. 8, 11). Die antragstellende Gewerkschaft ist als Tarifvertragspartei der in dem Betrieb der Beteiligten zu 4. kollidierenden Tarifverträge für die Beschäftigten in Unternehmen der Verkehrsbranche antragsberechtigt.
66
2.2 Es liegt eine auflösungsbedürftige tarifliche Kollisionslage im Sinne des § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG zwischen den Tarifverträgen der beteiligten Gewerkschaften zu 1. und 2. vor. Im Wahlbetrieb G. wurden in der Vergangenheit die Tarifverträge beider Gewerkschaften parallel angewendet, weil die Arbeitgeberin, die Beteiligte zu 4., an beide Tarifverträge gebunden war. Die sich in zeitlicher, räumlicher, fachlicher und persönlicher Hinsicht überschneidenden Tarifverträge der Beteiligten zu 1. und 2. sind nicht inhaltsgleich. Die wesentlichen Unterschiede zwischen den Gewerkschaft A.- und den Gewerkschaft C.-Tarifverträgen werden im Schriftsatz der antragstellenden Gewerkschaft zu 1. vom 13.04.2022 (S. 4 ff.) erläutert. Die Antragsbefugnis besteht erst nach Abschluss eines kollidierenden Tarifvertrages (vgl. Germelmann/Schlewing/GüntherGräff, a.a.O., § 99 Rn. 8).
67
2.3 Die Antragsbefugnis einer Gewerkschaft setzt darüber hinaus voraus, dass der Arbeitgeber einen von der antragstellenden Tarifvertragspartei abgeschlossenen kollidierenden Tarifvertrag nach dessen Inkrafttreten ganz oder zumindest teilweise in dem im Antrag genannten Betrieb nicht auf die Mitglieder der tarifschließenden Gewerkschaft anwendet und die Geltung von Rechtsnormen des Tarifvertrags auf die Arbeitsverhältnisse der Gewerkschaftsmitglieder wegen der Verdrängungswirkung des § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG bestreitet (vgl. Germelmann/Schlewing/Günther-Gräff, a.a.O., § 99 Rn. 9). Die Beteiligte zu 4. begann zum 01.04.2021 mit der Umsetzung der Gewerkschaft C.-Tarifverträge im Wahlbetrieb G.. Dies teilte sie den Beschäftigten mit Schreiben vom 20.03.2021 (vgl. Anlage A 4, Bl. 28 d.A.) und der beigefügten Übersicht über die anwendbaren Tarifverträge (vgl. Anlage A 5, Bl. 31 d.A.) mit.
68
2.4 Der zwischen den Beteiligten unstreitig maßgebliche Kollisionszeitpunkt ist der 31.05.2023. Die am Stichtag betriebszugehörigen Arbeitnehmer sind anhand einer vom Arbeitgeber einzureichenden Liste vom Arbeitsgericht festzustellen und dem Notar zum Abgleich mitzuteilen (vgl. ErfK/Koch, 22. Aufl. 2022, § 99 Rn. 6). Das Gericht hat der Beteiligten zu 4. aufgegeben, eine solche Liste vorzulegen und darin auch die im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses beschäftigten Beamten, leitenden und AT-Angestellten sowie die Auszubildenden aufzunehmen. Dies ist auch erfolgt (vgl. Anlage B 4, Bl. 976 ff. d.A.). Leitende und außertarifliche Angestellte stehen in einem Arbeitsverhältnis mit dem Betrieb (vgl. BT-Drs. 18/4156, S. 14; Germelmann/Schlewing/Günther-Gräff, a.a.O., § 99 Rn. 18). Als Arbeitnehmer i.S.d. § 4a Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 TVG gelten u.U. auch die Auszubildenden (vgl. Germelmann/Schlewing/Günther-Gräff, a.a.O., § 99 Rn. 18), obwohl sie nach dem Gesetzeswortlaut nicht „in einem Arbeitsverhältnis“ mit dem Betrieb stehen. Bei den der beteiligten Arbeitgeberin zu 4. zugewiesenen Beamten des Bundeseisenbahnvermögens (§ 12 Abs. 2 DBGrG, Art. 143a Abs. 1 Satz 3 GG) handelt es sich nicht um in einem Arbeitsverhältnis mit der Beteiligten zu 4. stehende Beschäftigte i.S.d. § 4a Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 TVG, weshalb diese nicht zu berücksichtigen waren.
69
3. Die Antragstellerin hat weder substantiiert zu ihrer Behauptung vorgetragen, dass sie die Mehrheitsgewerkschaft im Betrieb der Beteiligten zu 4. sei, noch hierfür einen Beweis erbracht, etwa durch Vorlegen einer notariellen Urkunde gem. § 58 Abs. 3 ArbGG. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Antragstellerin die Mehrheitsgewerkschaft im Wahlbetrieb G. ist. Es ist auch unter Berücksichtigung des im Beschlussverfahren geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes nicht geboten, eine notarielle Urkunde zur Feststellung der Mehrheitsgewerkschaft im Betrieb der Beteiligten zu 4. auf Veranlassung des Gerichts erstellen zu lassen. Der fehlende Nachweis der behaupteten Mitgliedermehrheit geht zu Lasten der insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Antragstellerin.
70
3.1 Die Beklagte zu 1. hat ihre Behauptung, zum Stichtag 31.05.2022 über die Mehrheit der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer zu verfügen, im Einzelnen nicht substantiiert. Dies erfolgte auch nicht, nachdem die Beteiligte zu 4. gemäß dem gerichtlichen Beschluss vom 21.12.2022 eine Beschäftigtenliste mit den im Betrieb der Beteiligten zu 4. beschäftigten Arbeitnehmern, Beamten, leitenden Angestellten, AT-Angestellten und Auszubildenden vorgelegt hat.
71
3.2 Sodann hat das Gericht die Beteiligte zu 1. mit Beschluss vom 21.12.2022 darauf hingewiesen, dass sie die behauptete Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder im Betrieb der Beteiligten zu 4., die mit dieser in einem Arbeitsverhältnis i.S.d. § 4a Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 TVG stehen, durch eine öffentliche Urkunde gemäß § 58 Abs. 3 ArbGG nachweisen kann. Die Beteiligten zu 1. könne hierfür einen Notar beauftragen, der durch einen Abgleich der Mitgliederlisten der Gewerkschaften für diesen Betrieb mit der Beschäftigtenliste der Beteiligten zu 4. feststellen soll, dass jedenfalls zum Stichtag 31.05.2022 die auf den Mitgliederlisten der Gewerkschaften genannten Personen in einem Arbeitsverhältnis zum Wahlbetrieb G. standen und zum Stichtag Mitglied der jeweiligen Gewerkschaft waren. In dem Beschluss vom 21.12.2022 wurde im Einzelnen ausgeführt, anhand welcher konkreten Unterlagen seitens des Notars festzustellen ist, dass jedenfalls zum Stichtag 31.05.2022 die auf den Mitgliederlisten der Gewerkschaften genannten Personen jeweils in einem Arbeitsverhältnis zum Betrieb der Beteiligten zu 4. standen und Mitglied der jeweiligen Gewerkschaft waren. Das Gericht wies in dem Beschluss schließlich auch darauf hin, welche konkreten Feststellungen bezüglich der festgestellten Tatsachen und den daraus abzuleitenden Schlussfolgerungen, insbesondere welche Gewerkschaft zahlenmäßig die Mehrheit im Betrieb hat, der Notar beurkunden soll.
72
Die Beteiligte zu 1. hat ihre Behauptung, die Mehrheitsgewerkschaft im Betrieb der Beteiligten zu 4. zu sein, nicht nachgewiesen, insbesondere hat sie keine notarielle Urkunde hierfür vorgelegt. Sie ist der Auffassung, dass die Erstellung einer notariellen Urkunde gem. § 58 Abs. 3 ArbGG durch das Gericht veranlasst bzw. der Notar durch das Gericht beauftragt werden soll. Mit diesem Begehren dringt sie vorliegend nicht durch, wie im Weiteren ausgeführt werden wird.
73
3.3 Das Gericht ist, unter Berücksichtigung des Amtsermittlungsgrundsatzes im Beschlussverfahren – sofern sich dieser überhaupt auf die Beauftragung eines Notars gem. § 58 Abs. 3 ArbGG durch das Gericht erstrecken sollte –, auch mit Blick auf die dadurch zu Lasten der Staatskasse anfallenden Kosten (vgl. dazu ErfK/Koch, § 99 Rn. 6) nicht verpflichtet, eine notarielle Urkunde zur Feststellung, wer Mehrheitsgewerkschaft im Betrieb der Beteiligten zu 4. ist, in Auftrag zu geben, wenn – wie hier – für die bloße Behauptung der Antragstellerin, Mehrheitsgewerkschaft zu sein, nicht nur keinerlei Anhaltspunkte vorliegen, sondern im Gegenteil Indiztatsachen dafür sprechen, dass die beteiligte Gewerkschaft zu 2. die Mehrheitsgewerkschaft im Wahlbetrieb G. ist.
74
3.3.1 Nach § 58 Abs. 3 ArbGG kann über die Zahl der in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder einer Gewerkschaft in einem Betrieb Beweis auch durch die Vorlegung öffentlicher Urkunden angetreten werden. Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, die nach § 99 Abs. 2 ArbGG für das Feststellungsverfahren Anwendung finden, gelten für die Beweisaufnahme die Vorschriften der §§ 495 Abs. 1, 355 ff. ZPO. Der Beweis durch öffentliche Urkunde wird gem. § 420 ZPO durch Vorlegung der Urkunde durch den Beweisführer angetreten. Daraus folgt, dass die antragstellende Gewerkschaft über die Zahl ihrer Mitglieder, die in einem Arbeitsverhältnis mit dem Wahlbetrieb G. stehen, Beweis durch Vorlage einer notariellen Urkunde gem. § 58 Abs. 3 ArbGG erbringen kann, in dem sie diese vorlegt, also selbst beibringt. Deshalb muss sie selbst den Notar beauftragen, mit der entsprechenden Kostenfolge. Eine Regelung, dass das Prozessgericht, die Beauftragung des Notars übernimmt, gibt es nicht. Der Beweis durch öffentliche Urkunden ist nach § 420 ZPO durch den Beweisführer, also hier die beweisbelastete Antragstellerin, vorzulegen. Gegen die Auffassung der Beteiligten, die Erstellung der öffentlichen Urkunde sei durch das Gericht vorzunehmen spricht, dass in § 58 Abs. 3 ArbGG lediglich der Beweisantritt durch Vorlegung öffentlicher Urkunden geregelt wurde. Für den Beweis durch Urkunden gelten auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren die §§ 415 ff. ZPO i.V.m. §§ 46 Abs. 2 Satz 1, 80 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, insbesondere der bereits genannte § 420 ZPO zum Beweisantritt durch Vorlegung der Urkunde. Eine Regelung über eine Beweiserhebung durch das Gericht oder die Beauftragung eines Notars durch das Gericht findet sich im Gesetz dagegen nicht. Eine Beauftragung des Notars durch das Gericht hätte zudem zur Folge, dass das Gericht als Kostenschuldner gem. § 29 Nr. 1 GNotKG die Kosten für die Erstellung der notariellen Urkunde zu tragen hätte, da im Rahmen des Beschlussverfahrens keine Kosten bei den Beteiligten erhoben werden (§ 2 Abs. 2 GKG). Der Staat haftet jedoch grundsätzlich nicht für die Kosten einer Beurkundung (vgl. dazu die Antwort der Bundesregierung in BT-Drs. 18/4156, S. 17). Eine Verletzung der Rechte der Antragstellering aus Art. 9 Abs. 3 GG kann insoweit nicht festgestellt werden.
75
3.3.2 Auf die von den Beteiligten aufgeworfene Frage, ob im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes eine Beweiserhebung des Gerichts durch Beauftragung eines Notars zur Erstellung einer notariellen Urkunde gem. § 58 Abs. 3 ArbGG in Betracht zu ziehen wäre, was – wie unter III.3.3.1 ausgeführt – zweifelhaft ist, kommt es aber im Ergebnis nicht an. Denn dies war im vorliegenden Fall schon deshalb nicht geboten, da unter Berücksichtigung des gesamten Vortrags der antragstellenden Gewerkschaft, insbesondere aber wegen des Fehlens jeglichen Vortrags zu Mitgliederzahlen der Beteiligten zu 1. im Betrieb der Beteiligten zu 4., und dem Ergebnis der Betriebsratswahl 2022 vielmehr davon auszugehen ist, dass die beteiligte Gewerkschaft zu 2. die Mehrheitsgewerkschaft im Wahlbetrieb G. ist.
76
(1) Das Gericht hatte der Antragstellerin zunächst mit Beschluss vom 27.07.2022 aufgegeben, ihre Behauptung, zum Stichtag 31.05.2022 über die Mehrheit der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer zu verfügen, im Einzelnen näher zu substantiieren, d.h. die Anzahl ihrer im Betrieb der Beteiligten zu 4. beschäftigten Mitglieder (ohne namentliche Nennung) mitzuteilen (vgl. dazu ErfK/Koch, a.a.O., § 99 ArbGG, Rn. 6). Fraglich ist, inwieweit die Gewerkschaft dieser Auflage nachkommen musste, da eine Offenlegung der Mitgliederzahlen so weit möglich zu vermeiden ist (vgl. Germelmann/Schlewing/Günther-Gräff, a.a.O., § 99 Rn. 19; BVerfG 11.07.2017 – 1 BvR 1571/15 u.a., NZA 2017, 915). Insoweit reicht es wohl aus, wenn von der Möglichkeit nach § 58 Abs. 3 ArbGG, eine notarielle Tatsachenbescheinigung vorzulegen, Gebrauch gemacht wird (vgl. Germelmann/Schlewing/Günther-Gräff, a.a.O., § 99 Rn. 19).
77
(2) Das Gericht wies die Beteiligte zu 1. sodann mit Beschluss vom 21.12.2022 darauf hin, dass sie die behauptete Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder im Betrieb der Beteiligten zu 4., die mit dieser in einem Arbeitsverhältnis iSd. § 4a Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 TVG stehen, durch eine öffentliche Urkunde gemäß § 58 Abs. 3 ArbGG nachweisen kann. Die Antragstellerin hat von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht. Sie ist vielmehr der Auffassung, dass die Darlegungs- und Beweislast für die Anwendung der streitgegenständlichen Tarifverträge den Beteiligten zu 3. und 4. obliege. Sie ist auch der Auffassung, dass ihr als relativ kleiner Gewerkschaft nicht zugemutet werden könne, in allen Betrieben jeweils die erheblichen Kosten für die Beauftragung eines Notars auf sich zu nehmen, da eine solche Kostentragungspflicht ihre Grundrechte aus Art. 9 Abs. 3 GG verletzen würde.
78
(3) Die antragstellende Gewerkschaft trägt für die begehrte Feststellung nach § 99 ArbGG bezüglich der alleinigen Anwendung ihrer Tarifverträge gemäß § 4 Abs. 2 S. 2 TVG die Darlegungs- und Beweislast. Das Gericht ist jedoch im Beschlussverfahren nach § 83 Abs. 1 ArbGG verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Aufgrund des Untersuchungsgrundsatzes ist das Gericht dafür verantwortlich, dass die Entscheidung auf einem zutreffenden und vollständig aufgeklärten Sachverhalt beruht (vgl. Germelmann/Spinner, a.a.O., § 83 Rn. 82). Die Beteiligten haben gem. § 83 Abs. 1 Satz 2 ArbGG an der Aufklärung des Sachverhaltes mitzuwirken. Das Gericht hat allerdings nur denjenigen Sachverhalt aufzuklären, der zur Entscheidung über den gestellten Antrag erforderlich ist. Worüber das Gericht entscheiden soll, bestimmen die Beteiligten durch ihre Anträge (vgl. Germelmann/Spinner, a.a.O., § 83 Rn. 83). Die Pflicht des Gerichts zur Aufklärung des Sachverhalts bezieht sich nicht nur auf diejenigen Tatsachen, die geeignet sind, den Antrag zu stützen, sondern auch auf jene, die einer stattgebenden Entscheidung entgegenstehen (vgl. Germelmann/Spinner, a.a.O., § 83 Rn. 83; ErfK/Koch, a.a.O., § 83 Rn. 1). Die Aufklärungspflicht des Gerichts zwingt jedoch nicht zu einer uferlosen Ermittlungstätigkeit des Gerichts ins Blaue. Die Ermittlung ist vielmehr nur so weit auszudehnen als das bisherige Vorbringen der Beteiligten und der schon bekannte Sachverhalt bei pflichtgemäßer Würdigung Anhaltspunkte dafür bieten, dass der entscheidungserhebliche Sachverhalt noch nicht vollständig ist und noch weiterer Aufklärung bedarf (vgl. Germelmann/Spinner, a.a.O., § 83 Rn. 84; ErfK/Koch, a.a.O., § 83 Rn. 1). Eine weitere Sachverhaltsaufklärung durch das Gericht durch Erstellung einer notariellen Urkunde gem. § 58 Abs. 3 ArbGG war hier nicht geboten. Denn es liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass die antragstellende Gewerkschaft die Mehrheit der Mitglieder im Betrieb der Beteiligten zu 4. hat. Vielmehr kann unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Betriebsratswahl 2022 davon ausgegangen werden, dass die Beteiligte zu 2. die Mehrheitsgewerkschaft im Wahlbetrieb G. ist.
79
(aa) Einen verwertbaren Vortrag der Antragstellerin, die nach ihren eigenen Angaben bundesweit über 38.000 Mitglieder verfügt, bezüglich ihrer Mitgliedermehrheit gibt es für den Wahlbetrieb G. nicht. Die zeitnah zum Stichtag 31.05.2022 durchgeführte Betriebsratswahl vom 13.05.2022 zeigt jedoch, dass die Liste der Antragstellerin nur 250 der 762 gültigen Stimmen (32,81%) erzielt hat, während die Liste der Beteiligten zu 2. 448 der 762 gültigen Stimmen erhielt (58,79%). Dieses Indiz ist im Rahmen der richterlichen Sachverhaltswürdigung bezüglich der Mehrheitsverhältnisse zu berücksichtigen.
80
(bb) Nach dem zeitnah zum Stichtag 31.05.2022 liegenden Ergebnis der Betriebsratswahl vom 13.05.2022 erzielte die beteiligte Gewerkschaft zu 2. fast doppelt so viele Stimmen wie die Antragstellerin. Die ist ein sehr deutlicher Hinweis darauf, dass jedenfalls nicht die Antragstellerin die Mehrheitsgewerkschaft im Betrieb der Beteiligten zu 4. ist. Die Ergebnisse von Betriebsratswahlen können durchaus ein Indiz für die Frage der Mehrheitsgewerkschaft darstellen (vgl. ArbG A-Stadt 01.02.2022 – 24 Ca 3723/21, juris, Rn. 238; ArbG D-Stadt 21.09.2021 – 30 Ca 5638/21, juris, Rn. 436 m.w.N.). Vor diesem Hintergrund hätte die Antragstellerin Anhaltspunkte zur Entkräftung der Behauptung der Beteiligten zu 3. und 4. vorbringen müssen, zum Beispiel durch Vorlegung einer notariellen Urkunde gem. § 58 Abs. 3 ArbGG.IV.
81
Eine Kostenentscheidung ist nicht erforderlich, da Gerichtskosten gem. § 2 Abs. 2 GKG nicht anfallen.