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LG München I, Endurteil v. 12.10.2022 – 23 O 2623/22
Titel:

Heilbehandlung in sog. gemischter Krankenanstalt

Normenketten:
VVG § 192
MB/KK 2009 § 4 Abs. 5
BGB § 242
Leitsatz:
Bei einer medizinisch notwendigen stationären Heilbehandlung in einer sog. gemischten Anstalt ist die schriftliche Zusage des Versicherers vor Behandlungsbeginn Leistungsvoraussetzung. Fehlt es an der Zusage und kann sie auch nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) ersetzt werden, kann sich der Versicherungsnehmer weder auf die medizinische Notwendigkeit der durchgeführten Behandlung noch darauf berufen, dass eine Kur- oder Sanatoriumsbehandlung tatsächlich nicht durchgeführt wurde (Anschluss an BGH BeckRS 2008, 18462; VersR 1971, 949). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Krankenversicherung, gemischte Anstalt, gemischte Krankenanstalt, Heilbehandlung, medizinisch notwendige Heilbehandlung, Treu und Glauben, Ermessen
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 23.11.2022 – 25 U 6359/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 49766

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 30.122,40 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Leistungen aus einer privaten Krankenversicherung für einen geplanten stationären Aufenthalt der Tochter der Klägerin.
2
Die Klägerin unterhält für sich selbst und für ihre Tochter ... bei der Beklagten eine private Krankenversicherung. Vereinbart ist unter anderem der stationäre Zusatztarif 721. Es gelten die als Anlage K 1 vorgelegten Allgemeinen Versicherungsbedingungen (im Folgenden: AVB) für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung nebst Tarifbedingungen.
3
Die Tochter der Klägerin wird auf Grund einer posttraumatischen Belastungsstörung, atypischen Anorexia nervosa, gemischter dissoziativer Störungen und chronischer Schmerzstörung ambulant behandelt.
4
Die Klägerin begehrt für einen geplanten stationären Aufenthalt in der Klinik ... eine sog. gemischte Anstalt im Sinne von § 4 Teil I Abs. 5 AVB – für die mitversicherte Tochter Versicherungsschutz. Die Behandlung dauert maximal 12 Wochen und kostet 358,60 € am Tag.
5
Mit Schreiben vom 13.09.2021, 18.10.2021 und 04.11.2021 (Anlagen B 1 bis B 3) lehnte die Beklagte eine Leistungszusage ab.
6
Die Klägerin behauptet, eine stationäre Behandlung ihrer Tochter sei medizinisch notwendig.
7
Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte habe bei der Ablehnung der Kostenübernahme ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt, Denn sie lege ihrer Ermessensentscheidung einen falschen Sachverhalt zu Grunde.
8
Die Klägerin beantragt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, der Klagepartei bedingungsgemäßen Versicherungsschutz für die stationäre Behandlung ... in der Klinik zu gewähren,
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von vorgerichtlichen Anwaltskosten i.H.v. € 2.242,91 freizustellen.
9
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
10
Die Beklagte bestreitet die medizinische Notwendigkeit einer stationären Behandlung.
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Sie ist der Ansicht, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Erteilung einer Zusage gemäß § 4 Teil I Abs. 5 AVB. Die Entscheidung liege in ihrem freien Ermessen, welches sie ordnungsgemäß ausgeübt habe.
12
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
13
Die Parteien haben mit Schriftsätzen vom 06.09.2022 (Blatt 33 der Akten) und vom 08.09.2022 (Blatt 35 der Akten) einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt. Mit Beschluss vom 13.09.2022 wurde als Zeitpunkt, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht und bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, der 28.09.2022 bestimmt.

Entscheidungsgründe

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I. Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung von bedingungsgemäßen Versicherungsschutz für die stationäre Behandlung der mitversicherten Tochter in der Klinik ... .
15
Die Beklagte hat keine schriftliche Deckungszusage im Sinne von § 4 Teil I Abs. 5 AVB erteilt und ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Mangels Erfolgs in der Hauptsache besteht auch kein Freistellungsanspruch der Klägerin von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
16
1. Der Klageantrag zu 1. ist unbegründet. Zwar besteht ein wirksames Versicherungsvertragsverhältnis, welches auch die Tochter der Klägerin als versicherte Person umfasst. Die Klägerin hat jedoch gemäß § 4 Teil I Abs. 5 AVB keinen Anspruch auf Versicherungsschutz.
17
a) Nach § 4 Teil I Abs. 5 AVB gewährt die Beklagte nur dann tarifliche Leistungen für die medizinisch notwendige stationäre Heilbehandlung in Krankenanstalten, die auch Kuren bzw. Sanatoriumsbehandlung durchführen oder Rekonvaleszenten aufnehmen, im Übrigen aber die Voraussetzungen von Abs. 4 erfüllen, wenn sie diese vor Beginn der Behandlung schriftlich zugesagt hat.
18
Diese Vorschrift dient der Vermeidung von Abgrenzungsschwierigkeiten. Der Aufenthalt der versicherten Person in einer gemischten Anstalt im Sinne von § 4 Teil I Abs. 5 AVB ist für den Versicherer mit einem größeren Risiko verbunden, weil er die Feststellung erschwert, ob es sich um eine medizinisch notwendige Krankenhausbehandlung und daher um einen Versicherungsfall oder um einen nicht versicherten Kur- oder Sanatoriumsaufenthalt handelt. Der Versicherer hat daher ein berechtigtes Interesse daran, dieses erhöhte Risiko dadurch zu beschränken, dass er seine Leistungspflicht von einer vorhergehenden Prüfung und einer in seinem Ermessen liegenden Zusage abhängig macht (BeckOK WG/Gramse, 16. Edition 05.1 1 .2021, VVG § 192 Rn. 153 unter Bezugnahme auf BGH VersR 2003, 360 Rn. 14).
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Die schriftliche Zusage des Versicherers ist Leistungsvoraussetzung. Fehlt es an der Zusage und kann sie auch nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) ersetzt werden, kann sich der Versicherungsnehmer nach Sinn und Zweck der Klausel weder auf die medizinische Notwendigkeit der durchgeführten Behandlung noch darauf berufen, dass eine Kur- oder Sanatoriumsbehandlung tatsächlich nicht durchgeführt wurde (BeckOK VVG/Gramse, 16. Edition 05.11.2021, WG § 192 Rn. 155 unter Bezugnahme auf BGH VersR 1983, 576; VersR 1971, 949).
20
Die Ablehnung der Leistungszusage nach § 4 Teil I Abs. 5 AVB verstößt beispielsweise in folgenden Fallgruppen gegen Treu und Glauben (BeckOK VVG/Grame, 16. Edition 05.112021, VVG § 192 Rn. 157-162):
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aa) Der Versicherte kann in keiner anderen Krankenanstalt in der Bundesrepublik Deutschland die medizinisch notwendige, allein erfolgversprechende Heilbehandlung erhalten (BGH VersR 1983, 677 Rn. 33; VersR 1982, 285 Rn. 13).
22
bb) Nach der Art der Behandlung und Erkrankung drohen Abgrenzungsschwierigkeiten zur Kurbehandlung von vornherein nicht (KG r+s 2004, 244 Rn. 45). Dies ist der Fall, wenn die Behandlung wegen einer Erkrankung erfolgte, für die die speziellen Einrichtungen dieser Anstalt gar nicht gedacht waren und deshalb die Behandlung in einem allgemeinen Krankenhaus nicht anders und vor allem nicht weniger aufwändig durchgeführt worden wäre (BGH VersR 1971, 494; LG Berlin NVersZ 2001, 414 (415)).
23
cc) Durch Erkrankung oder Unfall entsteht eine Notlage, die die sofortige Behandlung erforderlich macht und dem Versicherungsnehmer keine Wahlmöglichkeit zwischen den verschiedenen Krankenhäusern oder die Möglichkeit zur Einholung einer vorherigen Leistungszusage lässt (OLG Hamm VersR 1988, 127; OLG Frankfurt a.M. VersR 2002, 601; LG Berlin NVersZ 2001, 414 (415)).
24
dd) In der Umgebung des Versicherungsnehmers befindet sich kein anderes Krankenhaus als die gemischte Anstalt (LG Nürnberg-Fürth Urt. v. 30.12.2010 – 8 O 4489/10).
25
ee) Der Versicherer machte es dem Versicherungsnehmer durch eine pflichtwidrige Verweigerung einer medizinisch notwendigen stationären Heilbehandlung von vornherein unmöglich, die Zustimmung für die spätere Unterbringung in einer sogenannten gemischten Anstalt einzuholen (OLG Nürnberg VersR 1993, 565).
26
b) Gemessen an diesen Grundsätzen hat die Beklagte keine tariflichen Leistungen zugesagt und ihr diesbezügliches Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Einen Verstoß gegen Treu und Glauben hat die Klägerin weder näher dargelegt noch ist dieser anderweitig ersichtlich. Ob die begehrte Behandlung medizinisch notwendig ist, kann dahinstehen. Denn dies allein führt nicht zu einem Anspruch der Klägerin auf Erteilung einer Zusage.
27
Die Beklagte hat auch sämtlichen Vortrag der Klägerin berücksichtigt. Denn der Beklagten sind spätestens seit der Klageerhebung sämtliche Unterlagen der Klägerin bekannt. Dennoch blieb die Beklagte in der Klageerwiderung vom 25.05.2022 und in der Duplik vom 05.08.2022 bei ihrer Entscheidung. Insbesondere hat die Beklagte bei der Ermessensausübung gegen keine der oben benannten Fallgruppen verstoßen. Auch die Klägerin behauptet nicht, dass ihre mitversicherte Tochter in keiner anderen Krankenanstalt in der Bundesrepublik Deutschland die medizinisch notwendige, allein erfolgversprechende Heilbehandlung erhalten kann. Zwar trägt sie vor, die Klinik - sei auf das Krankheitsbild ihrer Tochter spezialisiert und biete ein geeignetes stationäres Behandlungsangebot. Auch trägt sie vor, „die Versorgung mit entsprechend qualifizierten Psychotherapeut*innen“ sei regional bedingt sehr schwierig. Daraus folgt jedoch nicht, dass die stationäre Behandlung ihrer Tochter ausschließlich in dieser gemischten Anstalt erfolgen kann. So geht auch die Traumatherapeutir-hrer als Anlage K 6 vorgelegten Stellungnahme davon aus, dass es eine andere, gleichwertig spezifizierten stationäre Traumabehandlung gibt.
28
Auch aus der Art der Behandlung und der Erkrankung können Abgrenzungsschwierigkeiten zur Kurbehandlung nicht von vornherein ausgeschlossen werden.
29
Eine Notlage, die die sofortige Behandlung erforderlich macht und der mitversicherten Tochter der Klägerin keine Wahlmöglichkeit zwischen den verschiedenen Krankenhäusern oder die Möglichkeit zur Einholung einer vorherigen Leistungszusage lässt, ist weder von der Klägerin vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
30
Ebenso ist nicht erkennbar, dass sich in der Umgebung der mitversicherten Tochter der Klägerin kein anderes Krankenhaus als die gemischte Anstalt befindet. Die Tochter der Klägerin ist ausweislich der von der Klägerin vorgelegten Unterlagen... . Die Klinik am ... km bzw. 470 km von den Wohnorten entfernt.
31
Schließlich verweigert die Beklagte der mitversicherten Tochter der Klägerin auch nicht generell die medizinisch notwendige stationäre Heilbehandlung, sondern lediglich ihre Zusage zu einer stationären Behandlung in der Klinik am ...
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2. Der Klageantrag zu 2. ist mangels Erfolgs in der Hauptsache ebenfalls unbegründet.
33
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
34
III. Die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
35
IV. Der Streitwert bestimmt sich nach §§ 3,4 ZPO und orientiert sich an den Ausführungen in der Klageschrift.