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AG Amberg, Endurteil v. 04.10.2022 – 2 C 369/22
Titel:

Ersatzfähigkeit von Privatgutachterkosten auch bei Ergänzungsgutachten

Normenkette:
BGB § 249
Leitsatz:
Auch die Kosten eines Ergänzungsgutachtens nach einem Verkehrsunfall und einer privaten Beauftragung einer Erstbegutachtung sind demnach grundsätzlich erstattungsfähig, wenn die Einholung des Ergänzungsgutachtens durch den Schädiger veranlasst ist. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Privatgutachten, Ergänzungsgutachten
Fundstelle:
BeckRS 2022, 49752

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 339,90 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30.09.2021 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 86,63 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 22.01.2022 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Der Kläger hat die Mehrkosten der Verweisung zu tragen. Im Übrigen hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 339,90 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

1
Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt. A.
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Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 339,90 € aus § 115 VVG i. V. m. §§ 1, 3, 3a PflVG zu.
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Die Haftung der Beklagten gegenüber der Klägerin ist dem Grunde nach unstreitig.
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I. In Bezug auf die begehrte Nutzungsausfallentschädigung ist festzuhalten, der Schuldner nach § 249 BGB zur Naturalrestitution verpflichtet ist. Er hat den Zustand wiederherzustellen, der ohne das schädigende Ereignis bestünde. Nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB kann der Geschädigte statt der Herstellung den zur Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrag verlangen. Erforderlich i. S. d. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB sind Aufwendungen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte. Nimmt der Geschädigte die Schadensbehebung selbst in die Hand, sind seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten zu berücksichtigen. Zwar muss sich der Geschädigte bei Auftragserteilung sowie bei weiteren Vorkehrungen für eine ordnungsgemäße zügige Durchführung der Reparatur von wirtschaftlich vertretbaren, das Interesse des Schädigers an einer Geringhaltung des Schadens mitberücksichtigenden Erwägungen leiten lassen (LG Coburg, Urt. v. 19.07.2018 – 33 S 40/18 = BeckRS 2018, 57291 Rn. 6). Erweist sich die Reparatur jedoch ohne Schuld des Geschädigten als teurer als gedacht, weil die Werkstatt überhöhte Sätze abrechnet, unwirtschaftlich arbeitet oder überflüssige Arbeiten durchführt, so hat der Schädiger auch diese Mehrkosten nach § 249 Abs. 2 Satz 1 zu ersetzen (vgl. BGH NJW 1965, 160, 161). Der Geschädigte ist schutzwürdig, da er bereits mit der Reparaturauftragserteilung und der Belassung des Fahrzeugs beim Unternehmer keinen Einfluss mehr darauf hat, welche Maßnahmen seitens der Werkstatt durchgeführt werden. Es ist ihm nicht zuzumuten, eigene Nachforschungen anzustellen, ob die Verbringung des Fahrzeugs durch die Werkstatt wirtschaftlicher und kostensparender hätte erfolgen können. Denn hierbei ist insbesondere zu berücksichtigten, dass der Geschädigte regelmäßig abhängig von Fachleuten bezüglich der zur Wiederherstellung des Pkws erforderlichen Reparaturen ist (BGH NJW 1975, 160, 161). Dementsprechend gehen Verzögerungen zu Lasten des Schädigers, wenn und soweit sie der Geschädigte nicht zu vertreten hat. Ein Verschulden eines Gutachters oder einer Werkstatt kann allerdings nicht nach § 278 BGB dem Geschädigten zugerechnet werden, da sie nicht Erfüllungsgehilfen sind.
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Ein dem Kläger anzurechnendes Mitverschulden i. S. d. § 254 BGB aufgrund der zehntägigen Reparaturdauer bei der Firma K2. liegt nicht vor. Abzustellen ist zunächst auf die tatsächliche Reparaturzeit und nicht auf die im Gutachten geschätzte Zeit, denn die tatsächliche Ausfallzeit stellt die Zeit dar, in der Eigentümer eines privat genutzten Pkws die Möglichkeit zur Nutzung einbüßt und hierfür den Verlust der Gebrauchsmöglichkeit kompensiert. Insoweit sind ausweislich des Reparaturablaufplans (K3) sieben Tage für die Instandsetzung des Fahrzeugs erforderlich gewesen. Soweit die für das Mitverschulden darlegungs- und beweisbelastete Beklagte einwendet, dass es Sache des Klägers gewesen wäre, die notwendigen Ersatzteile vor Beauftragung der Reparatur zu bestellen, überzeugt dies nicht. Auch ein Mitverschulden nach § 254 BGB setzt voraus, dass der Geschädigte die ihm obliegende Sorgfalt vorsätzlich oder fahrlässig verletzt hat. Dies wiederum setzt die Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit aus. Diesbezüglich hat die Beklagte eine konkrete Handlungsalternative nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Es ist weder dargelegt noch unter Beweis gestellt, inwiefern der Kläger bereits vor Zerlegung des Fahrzeugs hätte ersehen können, ob und welche konkreten Ersatzteile für eine Reparatur notwendig werden. Die Bedenken bestehen insbesondere auch deshalb, weil aus dem Ablaufplan (K3) entnommen werden kann, dass die Ersatzteilbestellung erst nach Zerlegung des Fahrzeugs erfolgte.
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II. Auch die Kosten für das vom Kläger eingeholte Ergänzungsgutachten (107,10 €) sind vom Schadensersatzanspruch umfasst.
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Der Geschädigte darf nach § 249 BGB solche Maßnahmen ergreifen, die aus Sicht eines verständigen und wirtschaftlich denkenden Dritten zur Rechtsverfolgung erforderlich und zweckmäßig sind. Hierzu zählen auch die Kosten eines vorgerichtlich beauftragten Sachverständigen, da solche Aufwendungen der Durchsetzung und Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs dienen. Auch die Kosten eines Ergänzungsgutachtens sind demnach grundsätzlich erstattungsfähig, wenn die Einholung des Ergänzungsgutachtens durch den Schädiger veranlasst ist.
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Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn sich das Ergänzungsgutachten als Nachbesserung des ursprünglichen Gutachtens darstellt (§ 635 BGB) oder wenn der Geschädigte die gerichtliche Verfolgung seiner Ansprüche absehen kann (Almeroth in Münchener Kommentar zum StVR, 1. Aufl. 2017, § 249 Rn. 320). Dabei ist die Einholung eines Ergänzungsgutachtens erforderlich, wenn der Schädiger technische Einwendungen erhebt, die eine inhaltliche Auseinandersetzung durch einen technischen Sachverständigen erfordern (Vuia in NJW 2013, 1197, 1198). Aus Gründen der Waffengleichheit soll auch der Geschädigte, der keine Sachkenntnis bzgl. der Berechtigung der erhobenen Einwendungen hat, die Möglichkeit haben, sich mit den Einwendungen auseinanderzusetzen (LG Saarbrücken, Urt. v. 20.02.2015 – 12 S 197/14 = BeckRS 2015, 3504 Rn. 19). Nur so kann das Recht des Geschädigten, sich zur Feststellung der Schadenshöhe professioneller Hilfe zu bedienen, gewährleistet werden (Almeroth in Münchener Kommentar zum StVR, 1. Aufl. 2017, § 249 Rn. 320). Soweit die Beklagte vorträgt, dass der Kläger eine Stellungnahme der Reparaturwerkstätte hätte einholen müssen, teilt das Gericht diese Auffassung nicht. Lässt der Geschädigte sein Fahrzeug tatsächlich reparieren und erhebt der Schädiger anschließend Einwendungen gegen die Notwendigkeit der Reparaturmaßnahmen, so darf der Geschädigte sich professioneller Hilfe durch einen unabhängigen, mit der konkreten Reparatur nicht befassten Sachverständigen bedienen. Die weitere Beauftragung des Sachverständigen ist insbesondere auch aus einer ex-ante-Perspektive geeignet, den Sachverhalt außergerichtlich zu klären und damit gerichtlichen Streitigkeiten – einschließlich der Einholung eines gerichtlichen Gutachtens – im Sinne einer wirtschaftlichen Erledigung vorzubeugen (vgl. LG Saarbrücken, Urt. v. 20.02.2015 – 12 S 197/14 = BeckRS 2015, 3504 Rn. 19).
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Die Höhe des abgerechneten Ergänzungsgutachtens (107,10 €) ist nicht zu beanstanden (§ 287 ZPO), zumal die Arbeitszeit vorliegend nicht mal eine volle Stunde bei Zugrundelegung eines Stundensatzes von 120 € beträgt.
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III. Es besteht ein Anspruch auf Ersatz der Fahrtkosten in Höhe von 82,80 €.
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1. Die Fahrtkosten sind dem Grunde nach ersatzfähig. Auch hierbei handelt es sich um eine Position, die kausal auf den Unfall zurückzuführen ist, denn der Unfall kann nicht hinweg gedacht werden kann, ohne die Fahrtkosten entfielen. Die Fahrtkosten beruhen auch adäquat kausal auf dem Verkehrsunfall, denn es liegt nicht fern jeder Wahrscheinlichkeit, dass ein geschädigtes, aber fahrbereites Fahrzeug vom Geschädigten zur Werkstatt verbracht wird.
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Der Kläger ist durch die Erstattung der Fahrtkosten nicht bereichert. Das Schadensersatzrecht bezweckt, den Geschädigten so zu stellen, wie er ohne das schädigende Ereignis stünde. Er soll nicht schlechter, aber auch nicht besser als vor dem Schadensereignis stehen. Soweit die Beklagte eingewendet hat, durch die Erstattung der Fahrtkosten erhalte der Geschädigte neben den Fahrtkosten für das geschädigte Fahrzeug auch die Fahrtkosten für den Zweitwagen, so wird der klägerische Vortrag verkürzt. Der Kläger begab sich nämlich mit seinem geschädigten, aber fahrbereiten Pkw zur Werkstatt. Er wurde von seiner Nachbarin mit ihrem Fahrzeug begleitet, um nach Belassung des Fahrzeugs in der Werkstatt die Rückfahrt anzutreten. Insofern fuhren der Kläger und die Nachbarin mit zwei Pkws zur Werkstatt hin und mit einem Pkw zurück. Dieselbe Vorgehensweise wählte der Kläger für die Abholung des Fahrzeugs.
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Von der Beklagten ist im Hinblick auf ein dem Kläger anzulastendes Mitverschulden auch nicht dargelegt, welche konkrete und zumutbare Handlungsalternative dem Kläger zur Verfügung gestanden hätte.
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2. Die angesetzte Kilometerpauschale in Höhe von 0,30 € begegnet keinen Bedenken (§ 287 ZPO), zumal § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 JVEG in seiner seit dem 01.01.2021 geltenden Fassung eine Pauschale von 0,35 € vorsieht und die Rechtsprechung sich bislang überwiegend an dieser Norm hieran orientiert hat (Balke in SVR 2019, 257, 259 m.w.N., LG Darmstadt, Urt. v. 06.11.2015 – 1 O 296/11 = SVR 2016, 62, 64; OLG München, Urt. V. 11.09.2015 – 10 U 1455/13 = NZV 2016, 270 Rn. 35). Die von der Beklagten bezahlte Unkostenpauschale in Höhe von 25 € sowie der weitere bereits regulierte Betrag in Höhe von 16,40 € ist von der Klagepartei bereits abgezogen worden, sodass ein noch offener Anspruch in Höhe von (6 x 0,30 € x 69 km) – 25 € – 16,40 € = 82,80 € besteht.
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IV. Die noch offenen Rechtsverfolgungskosten des Klägers sind nach § 249 BGB ersatzfähig.
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V. Der Anspruch des Klägers auf Zahlung von Verzugszinsen folgt aus §§ 288, 286 Abs. 1 BGB. 1. Hinsichtlich der Hauptforderung befindet sich die Beklagte aufgrund ihrer ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung gemäß Schreiben vom 29.09.2021 (§ 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB) in entsprechender Anwendung des § 187 Abs. 1 BGB seit dem 30.09.2021 auch ohne eine Mahnung der Klägerin in Verzug. Die Klageabweisung im Übrigen betrifft die begehrte Verzinsung zum 29.09.2021.
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2. Die Verzinsung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten folgt aus §§ 291, 288 BGB. Die Rechtshängigkeit wirkt vorliegend nicht gemäß § 696 Abs. 3 ZPO auf die Zustellung des Mahnbescheids (01.12.2021) zurück, denn es liegt keine „alsbaldige“ Abgabe der Streitsache an das Empfangsgericht vor. „Alsbald“ ist im Sinne des § 167 ZPO zu verstehen. Dadurch wird sichergestellt, dass vom Gericht oder vom Antragsgegner verursachte Verzögerungen nicht zu Lasten des Antragstellers gehen. Im vorliegenden Fall beruht die verzögerte Abgabe an das Empfangsgericht im Frühjahr 2022 darauf, dass der Gerichtskostenvorschuss erst mehrere Wochen nach Zustellung des Mahnbescheids vom Antragsteller vollständig eingezahlt wurde. Folglich traten die Wirkungen der Rechtshängigkeit mit dem Eingang der Verfahrensakten beim Prozessgericht ein (BGH NJW 2009, 1213, 1214 Rn. 17 f.). Da die Verfahrensakte am 21.01.2022 beim Amtsgericht Schwandorf als Empfangsgericht eingegangen ist, war die Klageforderung analog § 187 Abs. 1 BGB ab dem 22.01.2022 zu verzinsen.
B.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 696 Abs. 5, 281 Abs. 3 S. 2 ZPO, soweit die Mehrkosten der Verweisung betroffen sind. Im Übrigen ergeht die Kostenentscheidung aufgrund § 92 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.