Inhalt

LG Aschaffenburg, Endurteil v. 28.09.2022 – 12 O 44/22
Titel:

Ersatz von Mietwagenkosten bei Verzögerung der Reparatur

Normenketten:
BGB § 249, § 254 Abs. 2
StVG § 7
Leitsatz:
Die Verzögerung bei der Reparatur des unfallgeschädigten Fahrzeugs aufgrund der Schwierigkeiten bei der Ersatzteilbeschaffung gehen grundsätzlich zu Lasten des Schädigers. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Mietwagenkosten, Dauer, Verzögerung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 49720

Tenor

1.    Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9.140,22 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.12.2021 bis zum 28.03.2022 aus 9.187,58 € und danach aus 9.140,22 € zu zahlen.
2.    Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 501,23 € nebst Zinsen daraus in Höhe von 5 Prozentpunkten jährlich über dem Basiszinssatz seit 21.12.2021 zu zahlen.
3.    Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4.    Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Parteien um restlichen Schadenersatz aus einem Verkehrsunfall.
2
Am 15.06.2021 gegen 18 Uhr fuhr die Fahrerin des bei der Beklagten versicherten Pkws mit dem amtlichen Kennzeichen … am Südkreisel in Gr. gegen das ordnungsgemäß geparkte Fahrzeug der Marke …, amtliches Kennzeichen …, wobei ein nicht unerheblicher Sachschaden entstand. Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach ist unstreitig.
3
Der Kläger beauftragte den TÜV ... mit der Erstellung eines Unfallschadensgutachtens. Dieser erstattete mit Datum vom … das Gutachten-Nr. …, Bl. 24 ff. d.A.
4
Der Kläger erteilte den Reparaturauftrag gem. Sachverständigengutachten und nahm ab dem 16.09.2021 ein Mietwagen bei der Autovermietung … Die Beklagte wurde mit anwaltlichem Schreiben vom 11.10.2021 darauf hingewiesen, dass der Radarsender des Totwinkelassistenten in absehbarer Zeit nicht lieferbar sei und daher um Mithilfe hinsichtlich eines Mietwagens gebeten. Die Beklagtenseite reagiert hierauf mit Schreiben vom 18.11.2021 mit der Bitte sich mit dem Unterzeichner telefonisch in Verbindung setzen. Nachdem dies gescheitert war, wurde der Beklagten mit Schreiben vom 22.11.2021 mitgeteilt, sich direkt mit dem anwaltlichen Vertreter in Verbindung zu setzen. Eine Reaktion der Beklagtenseite erfolgte nicht.
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Nach Fertigstellung der Reparatur am 03.12.2021 wurde die Beklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 08.12.2021 die Reparaturrechnung und die Mietwagenrechnung zugesandt und eine Frist zur Zahlung bis spätesten 20.12.2021 gesetzt.
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Die Beklagte nahm in der Folge eine Teilregulierung vor.
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Auf die Position Reparaturkosten in Höhe von 5.950,70 € wurden zunächst bezahlt 5.903,34 €. Die zunächst streitigen Reparaturrestkosten in Höhe von 47,36 € wurden zuletzt unstreitig gestellt und am 28.03.2022 gezahlt.
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Auf die Position Mietwagenkosten in Höhe von brutto 9.140,22 € erfolgte keine Zahlung.
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Der Kläger mietete zunächst bei der Autovermietung … am 16.09.2021 einen Mietwagen mit dem amtlichen Kennzeichen …  mit einem Anfangskilometerstand von 4.265 km an, diesen gab er zurück am 14.10.2021 mit einem Kilometerstand von 5.151 km. Am 14.10.2021 erfolgte der Fahrzeugtausch mit dem Fahrzeug, amtliches Kennzeichen …  mit Winterrädern und einem Anfangskilometerstand von 25 km. Diesen Mietwagen gab der Kläger am 03.12.2021 zurück mit einem Endkilometerstand von 1.373 km.
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Hinsichtlich der Mietwagenkosten wurde von der Beklagten zuletzt unstreitig gestellt:
- die Einordnung in die Mietwagengruppe 7 laut Schwacke Liste
- die Notwendigkeit eines zweiten Fahrers
- die Einordnung als Selbstfahrermietfahrzeug
- der Bestand eines Vollkasko-Versicherungsschutz des verunfallten klägerischen Fahrzeuges.
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Auf die außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.214,99 € erfolgte eine Zahlung in Höhe von 713,76 €, sodass ein Restbetrag in Höhe von 501,23 € verbleibt.
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Der Kläger trägt im Wesentlichen vor:
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Er sei Eigentümer des beschädigten Fahrzeuges Marke …, amtliches Kennzeichen … Ausweislich des Sachverständigengutachtens TÜV ... sei das Fahrzeug nicht verkehrssicher gewesen. Ein Ersatzteil für den Totwinkelassistenten sei nicht lieferbar gewesen. Es sei ein sicherheitsrelevantes Teil. Die Autoreparaturwerkstatt habe daher das Fahrzeug nicht vor entsprechender Reparatur freigegeben. Daher sei auch die lange Mietwagendauer vom Werkstattrisiko erfasst. Die Beklagte sei über die Verzögerung im Rahmen der Reparatur unterrichten worden, jedoch wurde diesbezüglich keine Hilfe gegeben bzw. Weisung erteilt.
14
Der Kläger sei Eigentümer des verunfallten Fahrzeugs. Insoweit wird die Fahrzeugrechnung Anlage K 13, Bl. 103, vorgelegt.
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Die Zu- und Abholkosten seien erforderlich.
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Auch sei die Position Winterreifen ab Oktober ersatzfähig.
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Nachdem die Beklagte die Differenz zu den restlichen Reparaturkosten am 28.03.2022 in Höhe von 47,36 € gezahlt hat, erklärte der Kläger insoweit den Rechtsstreit für teilweise erledigt unter Aufrechterhaltung des Zinszeitpunkts. Die Beklagte stimmte der Erledigterklärung zu.
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Der Kläger beantragte zuletzt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9.140,22 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 21.12.2021 bis zum 28.03.2022 aus 9.187,58 € und danach aus 9.140,22 € zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 501,23 € nebst Zinsen daraus in Höhe von 5 Prozentpunkten jährlich über dem Basiszinssatz seit 21.12.2021 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragte
Klageabweisung.
20
Die Beklagte bestreitet die Aktivlegitimation. Des Weiteren sei die Position der Mietwagenrechnung Zu- und Abholkosten in Höhe von 28,70 € aufgrund der geringen Entfernung zur Autovermietung nicht ersatzfähig.
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Die Erforderlichkeit der Mietwagenkosten werde bestritten, insbesondere die Dauer der Reparatur. Das Fahrzeug hätte auch teilrepariert werden können. Bei dem Ersatzteil zum Totwinkelassistenten handele es sich nicht um ein sicherheitsrelevantes Teil. Des Weiteren sei die Position der Winterreifen im Oktober nicht ersatzfähig. Die Berechnung der Mietwagendauer werde beanstandet. Die Berechnung eines Tagestarifs sei nicht angemessen, es dürfte nur der durchschnittliche Tagessatz eines Wochentarifs berechnet werden.
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Das Gericht hat mit den Parteien mündlich verhandelt und den Zeugen … vernommen.
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Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Protokoll vom 07.09.2022 Bezug genommen. Zur Ergänzung des Sach- und Rechtsvortrages wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.
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Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.
25
Der Kläger hat gegen die Beklagte aufgrund des Verkehrsunfallereignisses vom 15.09.2021 einen Anspruch auf Ersatz der Mietwagenkosten in Höhe von 9.146,22 € aus §§ 7 Abs. 1, 10 Abs. 1 StVG, 249 f. BGB, 115 VVG.
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1. Der Kläger ist aktivlegitimiert.
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Der Kläger erwarb ausweislich der Fahrzeugrechnung vom 10.08.2021 das streitgegenständliche Fahrzeug. Ausweislich des Gutachtens TÜV ... ist der Kläger als Halter im Fahrzeugschein eingetragen. Des Weiteren regulierte die Beklagte bereits teilweise den Schaden an dem verunfallten Fahrzeug gegenüber dem Kläger. Soweit sie nun in diesem Prozess die Aktivlegitimation bestreitet, bedarf es insoweit einer näheren Substantiierung dieses Bestreitens.
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Da dies nicht erfolgt ist von der Aktivlegitimation des Klägers auszugehen.
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2. Die Mietwagenkosten im Zeitraum vom 16.09.2021 bis 03.12.2021 sind gemäß § 249 Abs. 1 S. 1 BGB vollumfänglich ersatzfähig. Hiernach kann derjenige, der sein Fahrzeug in Folge des schädigenden Ereignisses nicht nutzen kann, grundsätzlich Ersatz der für die Anmietung eines Ersatzfahrzeuges entstehenden Kosten beanspruchen. Dem Kläger steht daher dem Grunde nach ein Anspruch von Mietwagenkosten zu. An der Erforderlichkeit der Anmietung eines Ersatzfahrzeuges bestehen keine Zweifel. Ausweislich des Privatgutachtens des TÜV ... war das Fahrzeug des Klägers nicht verkehrssicher.
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a) Die Instandsetzungsdauer von 71 Tagen kann aufgrund der Schwierigkeiten bei der Ersatzteillieferung nicht zu Lasten des Klägers zu gehen.
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Zwar sieht das Sachverständigengutachten des TÜV ... eine Instandsetzungsdauer von 4 Arbeitstagen vor, diese wird jedoch unter dem Vorbehalt der etwaigen Verzögerung oder Schwierigkeiten bei der Ersatzteilbeschaffung gestellt. Im vorliegenden Fall gab es Verzögerungen bei der Lieferung eines Ersatzteiles (vgl. Auch Anlage K3).
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Das Gericht ist aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme davon überzeugt, dass auch die Mietwagenkosten über den Zeitraum von 71 Tagen ersatzfähig sind.
33
Die durchgeführte Beweisaufnahme ergab, dass ein Ersatzteil für den Radarsensor des Totwinkelassistenten nicht lieferbar war.
34
Entsprechendes hat der Zeuge … bestätigt und steht in Übereinstimmung mit der Anlage K 3.
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Des Weiteren wurde von ihm bestätigt, dass das Fahrzeug aufgrund der fehlenden Reparatur des Totwinkelassistenten nicht an den Kläger herausgegeben wurde, da nach Auffassung der Reparaturwerkstatt es sich hierbei um ein sicherheitsrelevantes Teil handelt.
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Die Ausführungen des Zeugen waren glaubhaft und glaubwürdig. Anhaltspunkten an der wahrheitsgemäßen Aussage bestehen nicht und wurden auch von den Parteivertretern nicht angeführt.
37
b) Die Verzögerung bei der Reparatur des unfallgeschädigten Fahrzeugs aufgrund der Schwierigkeiten bei der Ersatzteilbeschaffung gehen grundsätzlich zu Lasten des Schädigers.
38
Es würde nämlich dem Sinn und Zweck des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei Ausübung der ihm durch das Gesetz eingeräumten Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zu dem ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen ist und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden vom Geschädigten nicht kontrollierbaren Einflusssphäre stattfindet. Insoweit besteht kein Sachgrund, dem Schädiger dieses Risiko abzunehmen, das er auch zu tragen hätte, wenn der Geschädigte ihm die Beseitigung des Schadens nach § 249 Abs. 1 BGB überlassen würde (BGH, Urteil vom 29.10.1974 – VI ZR 42/73).
39
Der Kläger kann sich daher auf die Aussage der Reparaturwerkstatt verlassen.
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c) Ihm ist auch kein Mitverschulden gem. § 254 BGB anzulasten dahingehend, dass er die Beklagte hierüber im Unklaren gelassen hat. Denn es ist unstreitig, dass die Beklagte auf den Umstand der verzögerten Ersatzteillieferung mit anwaltlichem Schreiben vom 11.10.2021 hingewiesen wurde.
41
Eine Weisung hinsichtlich eines im Rahmen der Schadensminderungspflicht vorzunehmenden Alternativ-Verhaltens seitens der Beklagten an den Kläger ist jedoch nicht erfolgt.
42
Folglich trägt die Beklagte als Schädiger das entsprechende Werkstattrisiko.
43
d) Die Mietwagenkosten in Höhe von 9.140,22 € sind auch im vollen Umfang ersatzfähig.
44
aa) Winterreifen sind auch bereits ab Mitte Oktober als erforderlich anzusehen.
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Der Zeuge … hat insoweit in seiner Zeugeneinvernahme ausgeführt, dass diese regelmäßig von „O bis O“, d.h. von Oktober bis Ostern aufgezogen werden. Der zweite Mietwagen mit Winterreifen wurde am 14.10.2021 übergeben. Zu diesem Zeitpunkt waren Winterreifen erforderlich.
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bb) Es besteht auch ein Anspruch auf Erstattung von Kosten für die Zustellung und Abholung des Mietwagens. Bei der Zustellung und Abholung des Mietfahrzeuges handelt es sich nach der Nebenkostentabelle zum Schwacke Automietpreisspiegel dem Grunde nach um erstattungsfähige Zusatzleistungen. Ein Unfallbeteiligter darf grundsätzlich diesen besonderen Service in Anspruch nehmen. Bedenken gegen die Angemessenheit der in Rechnung gestellten Kosten in Höhe von netto 25,21 € bestehen nicht.
47
cc) Die Berechnung des Mietwagentarifs nach Wochentarif und Zusatztag-Wochentarif ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Grundsätzlich ist bei der Abrechnung der Mietwagenkosten bei mehrtägiger Vermietung die nach der Schwacke Automietpreisspiegel ausgewiesenen Reduzierungen nach Wochen-, 3-Tages- und Tagespauschalen zu berücksichtigen. Nichts anderes hat jedoch die Autovermietung Obernburg ausweislich Anlage K 10 berechnet. Es wurden 10 Wochentarife und ein Zusatztag Wochentarif veranschlagt. Die Autovermietung ist nicht gehalten, hinsichtlich des Einzeltages den Tarif anteilig aus dem Wochentarif zu berechnen.
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3. Der Kläger hat auch Anspruch auf Ersatz der restlichen außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten gem. § 249 BGB. Die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten berechnen sich aus einem Gegenstandswert von 16.895,96 € bei einer 1,3 Geschäftsgebühr zzgl. Auslagenpauschale und Umsatzsteuer, d.h. in Höhe von 1.214,99 €. Hierauf hat die Beklagte bereits 713,76 € reguliert, sodass ein Restbetrag in Höhe von 501,23 € verbleibt.
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Der Verzugsanspruch ergibt sich aus § 286 BGB. Mit Ablauf der mit Schreiben vom 08.12.2021 gesetzten Frist zum 20.12.2021 befand sich die Beklagte mit dem ausgeurteilten Betrag in Verzug.
II.
50
Die Kostenentscheidung erfolgt aus §§ 91, 91 a ZPO. Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO. Die Entscheidung über den Gebührenstreitwert aus §§ 3 ZPO, 48 GKG.