Titel:
Quotenvorrecht bei nachrangiger Inanspruchnahme des Kaskoversicherers
Normenketten:
AKB 2013 A.2.7, A.2.9, A.2.13
VVG § 86
Leitsätze:
1. Das Quotenvorrecht kommt auch zur Anwendung, wenn der Versicherungsnehmer zunächst die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners und im Anschluss daran die eigene Kaskoversicherung in Anspruch nimmt. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei einer Abrechnung unter Berücksichtigung des Quotenvorrechts wird eine vereinbarte Selbstbeteiligung in Abzug gebracht. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für den Kaskoversicherer ergibt sich dessen Leistungsgrenze aus seinem maximalen vertraglichen Leistungsversprechen. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kaskoversicherung, Haftpflichtversicherung, nachträgliche Inanspruchnahme, Quotenvorrecht, Leistungsgrenze, Selbstbeteiligung, Restwert
Vorinstanz:
AG Passau, Endurteil vom 17.09.2021 – 16 C 785/21
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 31.05.2023 – IV ZR 299/22
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstelle:
BeckRS 2022, 49686
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Passau vom 17.09.2021, Az. 16 C 785/21, unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels wie folgt abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 514,32 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 13.05.2021 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Klägervertreter vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 159,93 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 13.05.2021 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils wird aufgehoben. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 72% und die Beklagte 28%.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien können die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des für den jeweiligen Gegner aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags, wenn nicht dieser zuvor schon Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.
IV. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 1.809,39 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien streiten über Ansprüche aus einem Vollkaskoversicherungsvertrag der Parteien nach einem Verkehrsunfall.
2
Bei einem Verkehrsunfall vom ... 2019 in H. wurde der Pkw des Klägers, für den bei der Beklagten eine Vollkaskoversicherung mit 1.000,00 € Selbstbeteiligung besteht (vgl. Anlage B1), beschädigt. Der Kläger holte zur Schadensermittlung am 23.09.2019 ein Gutachten der D. ein (vgl. Anlage K9), in dem der Wiederbeschaffungswert für das Fahrzeug mit 9.560,98 € netto, der Restwert des Fahrzeugs mit 3.900,00 € brutto und die Reparaturkosten mit 7.304,67 € netto sowie der merkantile Minderwert mit 250,00 € angegeben wurden. Für dieses Gutachten stellte die D. dem Kläger 727,33 € in Rechnung. Der Kläger hat für die von ihm durchgeführte Eigenreparatur des Fahrzeugs keine Rechnung vorgelegt. Im Rechtsstreit gegen den Unfallbeteiligten sowie dessen Haftpflichtversicherung wurde mit rechtskräftigem Endurteil des Landgerichts Passau vom 26.02.2021 (vgl. Anlage K1), Aktenzeichen 3 O 969/19, die Haftungsquote des Unfallgegners mit 40% festgesetzt. Bei der Berechnung des Unfallschadens wurden in diesem Urteil Reparaturkosten von 7.002,04 € netto, ein unfallbedingt verminderter Wert des Klägerfahrzeugs in Höhe von 250,00 € sowie vorgerichtliche Sachverständigenkosten für das Schadensgutachten der D. vom 23.09.2019 in Höhe von 727,33 € zugrunde gelegt. Die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners hat insgesamt auf sämtliche Schadenspositionen mittlerweile 3.273,75 € bezahlt. Nach Zahlung der Haftpflichtversicherung nahm der Kläger die Beklagte erstmals mit anwaltlichem Schriftsatz vom 08.04.2021 (vgl. Anlage K5) als Vollkaskoversicherung auf Zahlung von Reparaturkosten in Höhe von 7.304,67 € nach dem vom Kläger eingeholten Schadensgutachten, des Minderwerts in Höhe von 250 €, Sachverständigenkosten in Höhe von 727,33 € und Rechtsverfolgungskosten von 627,13 €, also insgesamt 8.909,13 €, unter Abzug der vorgerichtlichen Zahlungen der Haftpflichtversicherung mit einem Betrag von 5.799,00 € mit Frist bis 22.04.2021 in Anspruch. Die Beklagte hat darauf aufgrund des Abrechnungsschreibens vom 15.04.2021 3.362,48 € bezahlt (vgl. Anlage K4). Dabei legte diese u.a. einen Wiederbeschaffungswert von 9.564,80 € zugrunde. Mit Schriftsatz vom 04.05.2021 (vgl. Anlage K5) forderte der Klägervertreter die Beklagte zur Zahlung der Klageforderung / Restforderung bis 12.05.2021 auf. Eine weitere Zahlung durch die Beklagte erfolgte nicht.
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Der Kläger und Berufungskläger vertrat erstinstanzlich die Auffassung, dass die Beklagte auch den Differenzbetrag in Höhe von 1.809,39 € auf die Schadenspositionen sowie vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten bezahlen müsse. Bei der Abrechnung der Beklagten werde das Quotenvorrecht des Klägers nicht berücksichtigt. Darüber hinaus sei der in der Abrechnung angesetzte Restwert unzutreffend, es sei laut D.-Gutachten von einem Restwert in Höhe von 3.900,00 € auszugehen.
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Die Beklagte und Berufungsbeklagte vertrat erstinstanzlich die Ansicht, das Quotenvorrecht sei allein im Schadensersatzrecht zu verorten. Die Beklagte habe vertragsgemäß reguliert. Die Reparaturkosten seien bis zur Höhe des um den Restwert, welcher 4.688,00 € betrage, verminderten Wiederbeschaffungswert bezahlt worden. Die vom Kläger geforderte Wertminderung des Fahrzeugs sei nicht von der zwischen den Parteien bestehenden Vollkaskoversicherung gedeckt.
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Mit Endurteil vom 17.09.2021, auf dessen tatsächliche Feststellungen gem. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, wies das Amtsgericht Passau die Klage ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass die berechtigten Ansprüche des Klägers durch die vorgerichtliche Zahlung der Beklagten erloschen seien. Im vorliegenden Falle sei maßgeblich auf die zwischen den Parteien bestehenden vertraglichen Regelungen abzustellen. Für den streitgegenständlichen Anspruch aus dem Kaskovertrag fänden die gesetzlichen Vorschriften zum Schadensersatz keine Anwendung.
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Das Urteil des Amtsgerichts Passau wurde der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 20.09.2021 zugestellt.
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Hiergegen legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 24.09.2021, eingegangen bei dem Landgericht Passau am selben Tag, Berufung ein. Mit weiterem Schriftsatz vom 24.09.2021, eingegangen beim Amtsgericht Passau am selben Tag, beantragte der Kläger die Berichtigung des Tatbestandes des amtsgerichtlichen Urteils. Entgegen den ursprünglichen amtsgerichtlichen Feststellungen im Tatbestand des angefochtenen Urteils seien von der Haftpflichtversicherung des Gegners keine Zahlungen auf die Rechtsverfolgungskosten-Kasko erfolgt. Nach Stellungnahmemöglichkeit für die Beklagte wurde der Tatbestand des angefochtenen Urteils des Amtsgerichts Passau mit Beschluss vom 14.10.2021 antragsgemäß berichtigt. Mit Schriftsatz vom 12.11.2021, eingegangen bei dem Landgericht Passau am selben Tag, wurde die Berufung nach entsprechend gewährter Fristverlängerung begründet.
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Der Kläger und Berufungskläger rügt die Verletzung materiellen Rechts. Im Wesentlichen wurde erneut vorgebracht, dass bei der Abrechnung durch die Beklagte das Quotenvorrecht des Klägers nicht ausreichend berücksichtigt worden sei, v.a. könne die Beklagte sich nicht auf den vereinbarten Selbstbehalt des Klägers berufen. Würde dieser bei der Berechnung des Anspruchs des Klägers berücksichtigt, so würde das Quotenvorrecht unterlaufen. Dass die Regeln zum Quotenvorrecht im vorliegenden Fall auch anwendbar sind, habe auch die Beklagte erkannt, nachdem im eigenen Abrechnungsschreiben vom 15.04.2021 die Gutachterkosten genannt werden und dies kein Versehen dargestellt habe. Hierfür wurde eine Sachbearbeiterin der Beklagten als Zeugin angeboten. Weiterhin sei beim erstinstanzlichen Urteil ein falscher Restwert zugrunde gelegt worden. Der Kläger habe auf den im D.-Gutachten angegebenen Restwert i.H.v. 3.900,00 € vertrauen dürfen, zumal das höhere Restwertangebot, auf das sich die Beklagte stützt, erst nach Abschluss der Reparatur und nicht von der Beklagten, sondern von der Haftpflichtversicherung des Unfallgegners gemacht worden sei. Das diesbezüglich erstmals in zweiter Instanz angebotene Sachverständigengutachten zum Beweis des Restwerts i.H.v. 3.900,00 € könne auch nicht als verspätet zurückgewiesen werden, da bei rechtzeitiger Einholung des Sachverständigengutachtens durch die Kammer eine Verzögerung des Verfahrens nicht eingetreten wäre.
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Der Prozessbevollmächtigte des Klägers und Berufungsklägers beantragt,
1. Unter Abänderung des am 17.09.2021 verkündeten Urteils des Amtsgerichts Passau, Az. 16 C7 185/21,
a) die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.809,39 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 13.05.2021 zu zahlen.
b) die Beklagte zu verurteilen, an den Klägervertreter 627,13 € an vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten (Vollkasko-Regulierung) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 13.05.2021 zu zahlen.
2. Hilfsweise zu Ziffer 1.: das am 17.09.2021 verkündete Urteil des Amtsgerichts Passau, Az. 16 C 185/21, aufzuheben und den Rechtsstreit an das Erstgericht zurückzuverweisen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
5. Rein vorsorglich: Die Revision wird zugelassen.
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Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten und Berufungsbeklagten beantragt,
die Berufung kostenfällig zurückzuweisen.
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Die Beklagte hält an ihrer Rechtsauffassung aus erster Instanz nur teilweise fest, nach neuerer Berechnung stehe dem Kläger ein weiterer Betrag in Höhe von 425,14 € zu. Bei der Berechnung des dem Kläger zustehenden Betrags müsse insbesondere der vereinbarte Selbstbehalt berücksichtigt werden. Zu einer Zahlung dieses Betrags im Laufe des zweitinstanzlichen Verfahrens kam es allerdings nicht.
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Hinsichtlich der Einzelheiten sowie zur Vervollständigung des Tatbestands wird Bezug genommen auf die Verfahrensakte des Amtsgerichts Passau, Az.: 16 C 785/21.
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Die Berufung ist zulässig.
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1. Das Landgericht Passau ist für die Entscheidung über die Berufung sachlich zuständig, § 72 Abs. 1 GVG.
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2. Die Berufung gegen das Endurteil des Amtsgerichts Passau vom 17.09.2021, zugestellt am 20.09.2021, wurde durch Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 24.09.2019, eingegangen beim Landgericht Passau am selben Tag, fristgerecht eingelegt (s. § 517 ZPO) und mit weiterem Schriftsatz vom 12.11.2021, eingegangen am Landgericht Passau am selben Tag, nach gewährter Fristverlängerung fristgerecht begründet (vgl. § 520 ZPO).
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3. Die Berufung ist gem. § 511 Abs. 1 ZPO auch statthaft; die Berufungssumme nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist erreicht.
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Die Berufung des Klägers erweist sich in der Sache selbst als teilweise begründet. Das Urteil des Amtsgerichts Passau vom 17.09.2021 war daher entsprechend abzuändern. Unter Berücksichtigung der Regeln des Quotenvorrechts ergibt sich für den Kläger ein weiterer Anspruch (neben der bereits vorprozessual geleisteten Zahlung) i.H.v. 514,32 €. Weiterhin steht dem Kläger ein Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 159,93 € zu.
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1. Eine Berufung kann nur darauf gestützt werden, dass die erstinstanzliche Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 513 Abs. 1 Alt. 1 i. V. m. § 546 ZPO), dass eine Tatsachenfeststellung unrichtig ist (§ 513 Abs. 1 Alt. 2 i. V. m. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) oder dass neue berücksichtigungsfähige Angriffs- und Verteidigungsmittel vorliegen (§ 513 Abs. 1 Alt. 2 i. V. m. §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO).
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2. Es ergeben sich keine Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der festgestellten Tatsachen, jedenfalls nach erfolgter Berichtigung des Tatbestands durch Beschluss vom 14.10.2021. Hinsichtlich des für das Berufungsgericht im Rahmen seiner Beurteilung maßgebenden Tatsachenvortrags ist zunächst festzuhalten, dass die Kammer nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die Beweiswürdigung sowie die Feststellungen des Erstgerichts gebunden ist, wenn nicht konkrete Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung (unrichtiges Beweismaß, Verstöße gegen Denk- und Naturgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, Widersprüche zwischen einer protokollierten Aussage und den Urteilsgründen oder Mängel der Darstellung des Meinungsbildungsprozesses wie Lückenhaftigkeit oder Widersprüche) vorgetragen werden (vgl. BGH VersR 2005, 945), durch die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit entscheidungserheblicher Tatsachenfeststellungen begründet werden (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 39. Aufl. 2018, § 529 Rn. 2 ff.). Konkreter Anhaltspunkt in diesem Sinne ist jeder objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen (vgl. BGH NJW 2006, 152). Bloße subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte genügen nicht (vgl. BGH, a.a.O.). Ein solcher konkreter Anhaltspunkt für die Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Beweiswürdigung wird von der Berufung nicht mit Erfolg aufgezeigt.
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3. Weiterhin liegen auch kein neuen berücksichtigungsfähigen Angriffs- und Verteidigungsmittel vor (§ 513 Abs. 1 Alt. 2 i. V. m. §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO).
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Dies gilt v.a. im Hinblick auf das Beweisangebot eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens bzgl. des Restwerts auf dem regionalen Markt zum damals maßgeblichen Zeitpunkt i.H.v. 3.900,00 € und der Vernehmung der Sachbearbeiterin der Beklagten zur versehentlichen bzw. absichtlichen Angabe der Sachverständigenkosten im Abrechnungsschreiben vom 15.04.2021.
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Diese beiden Beweisangebote wurden jeweils erstmals in der Berufungsbegründung gemacht. Die Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 S. 1 ZPO zu deren Zulassung liegen nicht vor. Das Sachverständigengutachten hinsichtlich des Restwerts wurde erstmals in der Berufungsbegründung angeboten. Dass dies nicht auf einer Nachlässigkeit der Klägerseite beruht, wird nicht vorgetragen und ist auch nicht ersichtlich. Der vom Kläger angegebene bzw. seiner Berechnung zugrunde gelegte Restwert war von Anfang an streitig, so dass von Beginn des Prozesses an für die Klägerseite klar war, dass hierfür Beweis anzubieten wäre, spätestens nach dem gerichtlichen Hinweis auf das bisher fehlende Beweisangebot in der mündlichen Verhandlung vom 26.08.2021. Soweit sich der Kläger darauf beruft, das in zweiter Instanz angebotene Sachverständigengutachten dürfe nicht als verspätet zurückgewiesen werden, da es der Kammer möglich gewesen wäre, eine Verzögerung des Verfahrens durch rechtzeitige Ladung eines Sachverständigen zu verhindern, so kann er damit nicht durchdringen. Was im ersten Rechtszug infolge nachlässiger Prozessführung nicht oder verspätet vorgetragen wurde, soll grds. im zweiten Rechtszug nicht nachgebracht oder wiederholt werden können, und zwar ohne Rücksicht auf eine eventuell verzögerliche Wirkung; darin unterscheidet sich das geltende Recht bewusst von den früheren Präklusionsregeln des § 528 (a.F.) Abs. 1, 2 ZPO (vgl. MüKo ZPO, 6. Auflage 2020, § 531 Rn. 1; Thomas/Putzo, ZPO, 43. Auflage, § 531 Rn. 17). Die vom Klägervertreter zitierte Kommentarstelle zu § 296 ZPO und die zitierte Entscheidung des BVerfG, Beschluss vom 21.02.1990, Az.: 1 BvR 1117/89, welche zu § 528 (a.F.) Abs. 1, 2 ZPO erging, sind daher hier nicht einschlägig.
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Auch die beantragte Zeugenvernehmung der Sachbearbeiterin der Beklagten ist gem. § 531 Abs. 2 S. 1 ZPO nicht zuzulassen. In erster Instanz wurde durchgehend darüber gestritten, inwiefern die Regeln zum „Quotenvorrecht“ anwendbar sein sollen oder nicht, so dass ein etwaiges diesbezügliches Beweisangebot bereits in erster Instanz gemacht hätte werden können und müssen. Darüber hinaus ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass etwaige Angaben der Zeugin ohnehin nicht entscheidungserheblich sind, da die Frage, ob im vorliegenden Fall das „Quotenvorrecht“ zu berücksichtigen ist oder nicht eine rechtliche Frage ist und nicht davon abhängt, ob von deren Anwendbarkeit bei der Regulierung durch die Beklagte ausgegangen wurde oder nicht. D.h. selbst wenn dieses Beweisangebot zuzulassen wäre, hätte eine Vernehmung der Zeugin mangels Entscheidungserheblichkeit unterbleiben können.
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4. Auf Basis der festgestellten, im Berufungsverfahren als maßgeblich zu berücksichtigenden Tatsachen, an die das Berufungsgericht gebunden ist (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), weist die amtsgerichtliche Entscheidung teilweise Rechtsfehler i.S.v. § 513 Abs. 1 Alt. 1 i.V.m. § 546 ZPO auf.
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Für den streitgegenständlichen Anspruch aus dem Kaskovertrag finden die gesetzlichen Vorschriften zum Schadensersatz keine Anwendung. Maßgeblich ist allein das vertragliche Leistungsversprechen des Versicherten (vgl. BGH NJW 2016, 314). Maßgebender Schaden ist deshalb nicht die nach zivilrechltichen Vorschriften zu bestimmende Vermögenseinbuße, sondern der im Vertragsverhältnis zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer vereinbarte oder festgesetzte normierte Versicherungsschaden.
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Nach Ansicht der Kammer sind aber auch die Regeln zum „Quotenvorrecht“ entgegen der Annahme des Amtsgerichts im vorliegenden Fall anwendbar, in dem vom Kläger zunächst die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners und im Anschluss daran die eigene Vollkaskoversicherung in Anspruch genommen wurde (s. Langheid/Wandt, Münchener Kommentar zum VVG, 2. Auflage 2017, Band 3, 2. Teil., 3. Kapitel, 420. Kaskoversicherung, Rn. 233 ff.; Schulz, Das umgekehrte Quotenvorrecht, NJW 2021, 2944).
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a) Unter Berücksichtigung der Regeln des Quotenvorrechts ergibt sich für den Kläger ein weiterer Anspruch (neben der bereits vorprozessual geleisteten Zahlung) i.H.v. 514,32 €.
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Bzgl. des Anspruchs des Klägers gegen die Beklagte ergibt sich daher im vorliegenden Fall nach Ansicht der Kammer folgende Berechnung (der Rechenweg orientiert sich an der Darstellung bei Langheid/Wandt, a.a.O.):
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aa) Erstattung Kfz-Haftpflicht (s. hierzu rechtskräftiges Urteil des LG Passau vom 26.02.2021, Az.: 3 O 969/19, Anlage K1)
Reparaturkosten: 7.002,04 €
Nutzungsausfall: 180,00 €
Gesamt: 8.184,37 € Haftungsanteil Kfz-Haftpflicht (40%): 3.273,75 €
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Die angegebenen Werte / Schadenspositionen und die Haftungsverteilung wurden jeweils dem überzeugenden und rechtskräftigen Urteil des LG Passau vom 26.02.2021, Az.: 3 O 969/19, Anlage K1, entnommen und in der Folge auch der hiesigen Berechnung zugrunde gelegt.
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bb) Entschädigung Kaskoversicherung (Beklagte):
Reparaturkosten (begrenzt auf Wiederbeschaffungsaufwand): 4.876,80 €
abzgl. Selbstbehalt 1.000,00 €
Entschädigung Kasko gesamt: 3.876,80 €
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Der Umfang der (maximalen) Entschädigungspflicht der Beklagten als Vollkaskoversicherung ergibt sich aus den dem Vertrag zugrunde liegenden AKB (Anlage B1). A.2.7.1 der AKB lautet: „Wird das Fahrzeug beschädigt, zahlen wir die für die Reparatur erforderlichen Kosten bis zu folgenden Obergrenzen: (…) b) Wird das Fahrzeug nicht oder nicht vollständig repariert, zahlen wir die erforderlichen Kosten einer vollständigen Reparatur bis zur Höhe des um den Restwert verminderten Wiederbeschaffungswerts.“ Der klägerische Pkw wurde unstreitig in Eigenregie repariert, eine Rechnung wurde nicht vorgelegt. Die Abrechnung erfolgte auf Gutachtenbasis. In einem solchen Fall ist A.2.7.1 b) der AKB anwendbar (vgl. BGH NJW 2016, 314 Rn. 20). Gem. A.2.6.7 der AKB ist der Wiederbeschaffungswert der Preis, den der Versicherungsnehmer für den Kauf eines gleichwertigen gebrauchten Fahrzeugs am Tag des Schadensereignisses bezahlen muss. Gem. A.2.6.8 ist der Restwert der Veräußerungswert des Fahrzeugs im beschädigten oder zerstörten Zustand.
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Die Reparaturkosten ergeben sich aus dem rechtskräftigen Urteil des LG Passau vom 26.02.2021, Az.: 3 O 969/19, und betragen 7.002,04 €, s.o.. Der Wiederbeschaffungswert des klägerischen Pkws beträgt unstreitig 9.564,80 € netto. Als Restwert sind hier nach Ansicht der Kammer die von Beklagtenseite zugrunde gelegten 4.688,00 € anzusetzen. Hinsichtlich der Frage nach dem zugrunde zu legenden Restwert bei der Berechnung des Wiederbeschaffungsaufwands schließt sich das Gericht daher dem Amtsgericht an, auch unter Berücksichtigung von BGH NJW-RR 2021, 756. Für die substantiiert bestrittene Behauptung des Klägers, dass beim beschädigten klägerischen Pkw nur ein Restwert in Höhe von 3.900,00 € erzielbar gewesen wäre (entgegen der Beklagten, welche von 4.688,00 € ausgeht), wurde von dem beweisbelasteten Kläger in erster Instanz kein Beweis angeboten, was sich, da er die Beweislast hierfür trägt, zu seinen Lasten auswirkt und daher der von Beklagtenseite angegebene Restwert der Berechnung zugrunde zu legen ist. Das im Berufungsverfahren angebotene Sachverständigengutachten ist wegen Verspätung nicht zu erholen, s.o. III. 3..
34
Auch wenn man die zum Restwert im Bereich des Schadensersatzrechts entwickelten Grundsätze auf den hiesigen Fall anwendet, ergibt sich kein abweichendes Ergebnis. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass im vorgelegten D.-Gutachten vom 23.09.2021 keine drei Angebote vom regionalen Markt eingeholt wurden (das dritte Angebot stammt aus Polen). Eine korrekte Wertermittlung auf dem regionalen Markt erfordert aber in der Regel die Einholung von drei Restwertangeboten (vgl. Grüneberg, BGB, 81. Auflage, § 249 Rn. 17). Der Kläger durfte daher auch nicht auf diesen Restwert im D.-Gutachten vertrauen, da dieses erkennbar keine ordnungsgemäße Wertermittlung enthält. Er hätte daher den behaupteten Restwert unter Beweis stellen müssen. Es ist daher auch unerheblich, wenn man unterstellt, das höhere Restwertangebot (des Haftpflichtversicherers) sei dem Kläger erst nach erfolgter Reparatur in Eigenregie zugegangen, da er auf die Wertangaben im D.-Gutachten eben nicht vertrauen durfte. Schon aus diesem Grund ist somit auch unerheblich, dass das höhere Restwertangebot nicht von der Beklagten, sondern von der Haftpflichtversicherung des Unfallgegners übersandt wurde. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte vor Beginn der Reparatur in Eigenregie durch den Kläger offenbar überhaupt keine Kenntnis hatte, dass sie auch in Anspruch genommen werden soll. Ausweislich der als Anlage K5 vorgelegten Schriftsätze des Klägervertreters wurde erst nach dem Urteil des LG Passau vom 26.02.2021, Az.: 3 O 969/19, an die Beklagte mit etwaigen Ansprüchen herangetreten. Es ist daher auch nicht zu beanstanden, wenn sich die Beklagte die Restwertangabe der Haftpflichtversicherung zu eigen macht. Der Kläger hätte den von ihm behaupteten Restwert unter Beweis stellen müssen, was in erster Instanz unterblieben ist, so dass das Amtsgericht in nicht zu beanstandender Weise den Restwert von 4.688,00 € bei seinen Berechnungen zugrunde legte.
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Die von der Beklagten grundsätzlich zu erstattenden Reparaturkosten sind daher vorliegend begrenzt auf den Wiederbeschaffungsaufwand, da der Pkw des Klägers in Eigenregie repariert wurde. Der Wiederbeschaffungsaufwand beträgt hier 4.876,80 € (9.564,80 € – 4.688,00 €).
36
Gem. A.2.13 wird, soweit eine Selbstbeteiligung vereinbart ist, diese für jedes versicherte Fahrzeug und jedes Schadensereignis in Abzug gebracht. Zwischen den Parteien wurde unstreitig eine Selbstbeteiligung von 1.000,00 € vereinbart (s. Anlage B1), so dass diese bei der grundsätzlichen Berechnung des Leistungsanspruchs gegenüber der Beklagten in Abzug zu bringen ist. Ein Verzicht auf die Selbstbeteiligung oder Ähnliches kann aus dem Abrechnungsschreiben der Beklagten vom 15.04.2021 (vgl. Anlage K4) nicht mit Sicherheit entnommen werden, auch wenn dort die Selbstbeteiligung nicht erwähnt wird. Es erscheint zumindest als möglich, dass diese versehentlich nicht mit aufgenommen wurde. Hierfür spricht auch der Vortrag der Beklagtenseite im Berufungsverfahren.
37
In A.2.7.4 heißt es unter anderem: „(…) Ist der Schaden nach Ablauf des vierten Jahres nach Erstzulassung des Pkw eingetreten, erstatten wird keine Wertminderung. (…)“. Der klägerische Pkw wurde ausweislich des D.-Gutachtens vom 23.09.2019 am 21.10.2011 erstmals zugelassen, so dass keine Wertminderung geschuldet wird.
38
A.2.9 der AKB lautet: „Die Kosten eines Sachverständigen erstatten wir nur, wenn wir dessen Beauftragung veranlasst oder ihr zugestimmt haben.“ Diese Voraussetzungen liegen im vorliegenden Fall unstreitig nicht vor, so dass von der Beklagten grundsätzlich keine Sachverständigenkosten zu ersetzen sind.
39
Für den Kaskoversicherer ergibt sich dessen Leistungsgrenze aus seinem maximalen vertraglichen Leistungsversprechen (vgl. Schulz, Das umgekehrte Quotenvorrecht, NJW 2021, 2944 Rn. 16, 17, 25; Langheid/Wandt, a.a.O.), im vorliegenden Fall daher 3.876,80 €. Gegenteiliges ergibt sich nach Ansicht der Kammer auch nicht aus BGH NJW 2010, 677 bzw. aus Laschke, Haftungsfallen im Verkehrszivilrecht, AnwBl 2007, 372 ff..
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Insbesondere im vorgenannten Aufsatz aus dem AnwBl heißt es unter I.1.b) u.a.:
„Abrechnung gegenüber dem Kaskoversicherer
Reparaturkosten 10.000,- €
./. Selbstbeteiligung 1.000,- €
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Auch dort wird also bei der Berechnung der maximalen Leistungspflicht des Kaskoversicherers die Selbstbeteiligung abgezogen. Im zitierten Urteil des BGH wird nicht näher zur Leistungsgrenze des Kaskoversicherers ausgeführt.
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cc) Quotenbevorrechtigte Positionen sind:
restliche Reparaturkosten (inkl. Selbstbeteiligung): 3.125,24 €
Sachverständigen-Kosten: 727,33 €
Summe der kongruenten Positionen: 4.102,57 €
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Die restlichen Reparaturkosten inkl. Selbstbeteiligung sind grundsätzlich quotenbervorrechtigt (vgl. Langheid/Wandt, a.a.O.). Sie berechnen sich wie folgt: 7.002,04 € – 3.876,80 € = 3.125,24 €, d.h. aus der Differenz zwischen den verschiedenen Abrechnungsmethoden unter Berücksichtigung der Selbstbeteiligung. Die unstreitige Wertminderung und die unstreitigen Sachverständigen-Kosten ergeben sich auch aus dem Urteil des LG Passau vom 26.02.2021, Az.: 3 O 969/19.
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dd) Nicht quotenbevorrechtigte Positionen sind:
Nutzungsausfall (40%): 72,00 €
Summe der nichtkongruenten Positionen: 82,00 €
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ee) Der Kläger hat gegen den Unfallgegner Anspruch auf 3.273,75 €. Nun erfolgt die Abrechnung gegenüber dem Kaskoversicherer (Beklagte). Dabei ist von den vom Kaskoversicherer zu begleichenden 3.876,80 € grundsätzlich nicht die gesamte Leistung des Haftpflichtversicherers i.H.v. 3.273,75 € abzuziehen – hier würde das Quotenvorrecht nicht berücksichtigt. Die quotenbevorrechtigten Positionen belaufen sich entsprechen obiger Darstellung auf insgesamt 4.102,57 €. Dem Kläger stehen damit grundsätzlich quotenbevorrechtigt 4.102,57 € und weitere 40% aus den nicht kongruenten Positionen, also 82,00 €, und damit insgesamt 4.184,57 € zu. Nur der Betrag, um den die quotenbevorrechtigten Positionen hinter den 3.273,75 € zurückbleiben, würde dem Kaskoversicherer zustehen und wäre von den von ihm zu begleichenden 3.876,80 € in Abzug zu bringen. Nachdem die Summe der kongruenten Positionen 3.273,75 € übersteigt, ist kein Abzug von den vom Kaskoversicherer zu begleichenden 3.876,80 € zu machen. Der Anspruch gegen die Beklagte beträgt daher 3.876,80 €, dies stellt auch die Leistungsgrenze der Beklagten (maximales vertragliches Leistungsversprechen) dar, s.o.. Hierauf hat die Beklagte bereits unstreitig 3.362,48 € bezahlt, so dass sich ein Restanspruch in Höhe von 514,32 € ergibt.
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b) Als Verzugsschaden gem. §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB zu ersetzen sind auch die vorgerichtlichen Anwaltskosten bzgl. der vorgerichtlichen Rechtsverfolgung gegenüber der Beklagten als Nebenforderung. Die Regeln des „Quotenvorrechts“ spielen hier keine Rolle. Die erstattungsfähigen vorgerichtlichen Anwaltskosten errechnen sich auf Grundlage des berechtigten Hauptsachebetrags im hiesigen Verfahren als Gegenstandswert (vgl. BGH NJW 2008, 1888; hier: 514,32 €) und betragen inklusive MWSt. 159,93 € (1,3 Geschäftsgebühr i.H.v. 114,40 € + 20 € + 19% MWSt.). Gem. § 257 BGB kann der Kläger die Freistellung von dieser Verbindlichkeit verlangen.
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c) Soweit die Klageforderung besteht, ist sie auch gem. § 288 Abs. 1 BGB ab Verzugsbeginn zu verzinsen. Mit Schriftsatz vom 04.05.2021 (Anlage K5) forderte der Klägervertreter die Beklagte zur Zahlung der Klageforderung / Restforderung bis 12.05.2021 auf. Eine weitere Zahlung durch die Beklagte erfolgte nicht. Zinsbeginn ist gem. § 187 Abs. 1 BGB (analog) der 13.05.2021.
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1. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Die Kostenquote errechnet sich anhand des Obsiegens / Unterliegens im Verhältnis zum Streitwert in Höhe von 1.809,39 €.
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2. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Revision wird zugelassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO erfüllt sind. Die vorliegende Sache hat eine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung, nachdem es sich bei der Abrechnung von Kfz-Unfällen und die in diesem Zusammenhang ggf. zu berücksichtigenden Regeln des „Quotenvorrechts“ um ein Massengeschäft handelt. Die Frage der maximalen Leistungspflicht eines Vollkaskoversicherers in diesem Zusammenhang dürfte in vielen weiteren Fällen ebenfalls von Bedeutung sein, insbesondere beim sog. „umgekehrten Quotenvorrecht“. Aus diesen Gründen erfordert auch die Fortbildung des Rechts bzw. die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.
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Die Festsetzung des Streitwerts basiert auf § 47 Abs. 1 GKG.