Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 08.11.2022 – B 1 K 21.570
Titel:

Fahreignung, Verordnung von Medizinal-Cannabis, Überprüfung der ärztlichen Verordnung

Normenketten:
FeV § 11
Nrn. 9.4 und 9.6.2 Anlage 4 zur FeV
Sätze 1 und 2 BtMG § 13 Abs. 1
Schlagworte:
Fahreignung, Verordnung von Medizinal-Cannabis, Überprüfung der ärztlichen Verordnung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 49174

Tenor

1.    Die Klage wird abgewiesen. 
2.    Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. 
3.    Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. 

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen B, L und M.
2
Bei einer Durchsuchung der Wohnung des Klägers am 3. Mai 2019 wurden 13 Cannabispflanzen, Cannabis Samen sowie Marihuana-Dolden aufgefunden. Mit Urteil des Amtsgerichts … vom 30. September 2019 wurde der Kläger wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Geldstrafe von 110 Tagessätzen zu je 45 EUR verurteilt. In der Urteilsbegründung wird ausgeführt, dass der Kläger aufgrund eines schweren Fahrradunfalles vor einigen Jahren Schmerzpatient sei. Die Einnahme gängiger Schmerzmedikamente habe bei ihm zu einer linksseitigen Niereninsuffizienz geführt, weshalb er versucht habe, seine Schmerzen durch Selbstmedikation mit Cannabis zu lindern. Nunmehr erhalte er Cannabis-Medikamente ärztlich verschrieben.
3
Laut Sitzungsprotokoll legte der Kläger im Strafverfahren einen von Dr. H., in B., ausgestellten Opioid-Ausweis vom 20. September 2019 sowie ein ärztliches Attest der Allgemeinmedizinerin M. vom 24. Juli 2019 vor.
4
Nachdem der Kläger seine behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden hatte, forderte das Landratsamt von Herrn Dr. H. (DGS Schmerzzentrum) und Herrn Dr. Sch (Orthopäde) Stellungnahmen zur Erkrankung des Klägers einschließlich der bisherigen Behandlungsansätze bis 4. Februar 2020.
5
Dr. Sch teilte unter dem 15. Januar 2021 mit, dass beim Kläger u.a. folgende Diagnosen vorlägen: V.a. Thoracic-Outlet-Syndrom, Coxalgie, Z.n. Sprunggelenksluxationsfraktur, Zervikozephalgien und Myogelosen des Schulter- und Nackenbereichs. Eine Medikation durch ihn sei nicht erfolgt, jedoch sei eine Überweisung zum Schmerztherapeuten bei der Nachfrage auf Cannabinoide ausgestellt worden.
6
Mit Schreiben vom 6. Februar 2020 forderte das Landratsamt vom Kläger gemäß § 11 FeV und Nr. 10.1 der Anlage 4 zur FeV die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens eines verkehrsmedizinisch geschulten Arztes bei einer Begutachtungsstelle für Fahreignung wegen der angegebenen Nierenerkrankung.
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Unter dem 7. Februar 2020 (Eingang beim Landratsamt am 16. März 2020) führte Herr Dr. H. in seiner ärztlichen Stellungnahme aus, dass der Kläger vom 13. Juni bis 20. September 2019 in seiner ambulanten schmerzmedizinischen Behandlung gewesen sei. Als Diagnosen sind genannt: chronische Schmerzkrankheit bei zervikozephalem Syndrom und Schulterschmerz links, bei Z.n. Thoracic-Outlet-Syndrom und Leistenschmerz rechts und Fußschmerz rechts. Der Kläger habe – bevor er sich an ihn gewandt habe – eigenen Angaben zufolge (namentlich genannte) Schmerzmittel erhalten, darüber hinaus habe er sich mit Cannabis selbst versorgt. Zusätzlich habe er zuvor Injektionen, TENS und Akupunktur ohne Erfolg erhalten, mäßig erfolgreich seien Physiotherapie, Massagen und Reha gewesen, Wärme und manuelle Therapie seien als wirksam eingestuft worden, wie auch Cannabis. Wegen der als gut eingestuften Vorerfahrungen sei Cannabis als Medikation verordnet worden. Nach der Verordnung sei es zu keinen weiteren Vorstellungen gekommen.
8
Am 6. August 2020 legte der Kläger das geforderte Gutachten der TÜV S. L.mbH vom 4. August 2020 hinsichtlich der angegebenen Nierenerkrankung vor. Die Gutachterin kommt unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers im Rahmen der Anamnese und mehrerer vom Kläger vorgelegter ärztlicher Befundberichte, insbesondere eines nephrologischen Befundes des Dr. R. vom 20. Juni 2020, zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass keinerlei Hinweise auf eine Nierenerkrankung vorlägen. Es sei deutlich geworden, dass der Kläger bereits 2016 eine Cannabismedikation eingefordert und andere Schmerzmittel abgelehnt habe. Es liege keine internistische Erkrankung, insbesondere keine eignungseinschränkende Nierenerkrankung vor, jedoch bestünden Hinweise auf eine missbräuchliche Cannabiseinnahme im Sinn einer Selbstmedikation. Dies sei ggf. durch ein weiteres verkehrsmedizinisches oder medizinisch-psychologisches Gutachten zu klären.
9
Mit Schreiben vom 20. August 2020 forderte das Landratsamt vom Kläger die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens nach § 11 Abs. 1 und Abs. 2 FeV i.V.m. Nrn. 9.4 und 9.6.2 der Anlage 4 zur FeV. Aufgrund der Vorgeschichte des Klägers (rechtskräftige Verurteilung) und seiner Aussage, wegen einer Nierenerkrankung als Schmerzpatient nur medizinisches Cannabis konsumieren zu können, habe man erhebliche Zweifel an der Fahreignung. Es seien folgende Fragestellungen zu klären:
1. Liegt der Verordnung von medizinischem Cannabis eine Erkrankung zu Grunde, die nach Anlage 4 der FeV die Fahreignung in Frage stellt? Wenn ja, ist der Untersuchte in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen vollständig gerecht zu werden?
2. Lässt sich die aus aktenkundigen Tatsachen (BtM-Vorgeschichte, Einforderung einer Cannabismedikation und Ablehnung anderer Schmerzmittel) begründete Annahme einer missbräuchlichen Einnahme von medizinischem Cannabis bestätigen?
3. Liegt eine ausreichende Compliance (u.a. kein Beigebrauch anderer psychoaktiv wirkender Substanzen, regelmäßig überwachte Medizinal-Cannabiseinnahme, Hinweise auf – ggf. selbstinduzierte – Überdosierung) vor und wird diese auch umgesetzt (Adhärenz)?
4. …
10
Der Kläger teilte dem Landratsamt am 19. Oktober 2020 mit, dass er sich am 12. Oktober 2020 wegen langjähriger anhaltender Hüftbeschwerden im Sporthopädicum S. befunden habe und am 11. Januar 2021 das weitere Vorgehen besprochen werden solle. Dies sei bei der Begutachtung zu berücksichtigen.
11
Beim Landratsamt ging am 25. März 2021 das geforderte ärztliche Gutachten der TÜV S. L. Service GmbH vom 19. März 2021 ein.
12
Im Rahmen des ärztlichen Untersuchungsgesprächs habe der Kläger angegeben, dass ihm im Jahr 2017 (wohl gemeint: 2019) von seinem Orthopäden eine Cannabis-Medikation nicht verschrieben worden sei, weshalb er zu Dr. H. gegangen sei. Eine Initialphase habe es nicht gegeben, die Dosis sei aufgrund seiner früheren Erfahrungen festgelegt worden. Tagsüber helfe es ihm, die Schmerzen „wegzuatmen“, das Cannabis helfe ihm abends. Zu der geplanten Operation befragt, habe er angegeben, er lasse sich vielleicht im September 2021 operieren. Anderweitige Therapiemaßnahmen, z.B. Physiotherapie, seien nicht geplant, er komme gut zurecht.
13
In die Begutachtung einbezogen worden seien u.a. der orthopädische Befundbericht von PD Dr. …, … vom 11. Januar 2021 sowie eine Stellungnahme des Dr. H. vom 4. März 2021. Zusammenfassend ergebe sich folgendes Bild: das unter den vorbekannten Diagnosen neu aufgetauchte femoroazetabuläre Impingement stelle wahrscheinlich eine der wichtigsten Ursachen für eine mechanisch bedingte Arthrose der Hüfte dar. Im aktuellen orthopädischen Befundbericht sei u.a. auch ein operativer Eingriff vorgeschlagen worden, dem der Kläger bislang nicht nachkomme. Auffällig in der Zusammenschau seien die nach wie vor inkongruenten Beschwerden, die auf eine erhebliche psychische Komponente der Beschwerden hindeuteten, als auch der wiederholte Abbruch von Behandlungen nach ersten Konsultationen von Ärzten ohne konsequente Behandlungsweiterführung. Dies spreche dafür, dass der Leidensdruck des Klägers, anders als von ihm suggeriert werde, nicht sehr hoch sei. Es sei nicht nachvollziehbar, dass Cannabis medizinisch zwingend mangels anderer Alternativen verordnet werden müsse, wenn der Kläger bei Herrn Dr. H. angebe, dass Wärmebehandlung und manuelle Therapie ebenso erfolgsreich sei wie Cannabis und wenn der Kläger aktuell angebe, auf die – von ihm selbst als wirksam beschriebene und tatsächlich völlig nebenwirkungsfreie – Physiotherapie zu verzichten, da er diese nicht brauche und sich lieber auf sein Cannabis verlasse. Dies sei ein weiterer Hinweis auf eine missbräuchliche Cannabiseinnahme mit fortgesetzt suchtförderndem Effekt. Zudem habe sich die Cannabisdosis im Vergleich zum Vorgutachten mehr als verdoppelt. Dr. H. gehe fälschlicherweise immer noch davon aus, dass NSAR-Medikamente aufgrund einer Niereninsuffizienz nicht eingesetzt werden könnten. Hinsichtlich der psychischen Komponente – von der auch Dr. H. ausgehe – habe der Kläger nach wie vor keinen Behandlungsversuch unternommen. Nach der orthopädischen Diagnostik im Oktober 20202 habe der Kläger keine weiteren Schritte unternommen. Eine konsequente multimodale Schmerztherapie sei bislang nicht erfolgt. Darüber hinaus habe das aktuelle Urinscreening einen positiven Befund des Alkoholabbauprodukts EtG ergeben, der mit dem vom Kläger angegebenen Alkoholkonsum nicht vereinbar sei, was ein Hinweis auf eine mangelnde Compliance sei.
14
Es müsse davon ausgegangen werden, dass der Kläger fortgesetzt die ärztliche Verordnung von Medizinalcannabis unter Angabe medizinisch falscher (Niereninsuffizienz), nicht nachvollziehbarer und stark wechselnder Argumentation forciere, um in „legaler“ Weise seinem Cannabismissbrauch nachzugehen.
15
Die behördlichen Fragen seien wie folgt zu beantworten:
1. Der Verordnung von medizinischem Cannabis liegt keine objektivierbare Erkrankung zugrunde, die nach Anlage 4 der FeV die Fahreignung in Frage stellt.
2. Die aus aktenkundigen Tatsachen (BtM-Vorgeschichte, Einforderung einer Cannabis-Medikation und Ablehnung anderer Schmerzmittel) begründete Annahme einer missbräuchlichen Einnahme von medizinischem Cannabis lässt sich fortgesetzt und erweitert bestätigen.
3. Eine ausreichende (Compliance (u.a. kein Beigebrauch anderer psychoaktiver Substanzen, regelmäßige überwachte Medizinal-Cannabiseinnahme, Hinweise auf – ggf. selbstinduzierte – Überdosierung) liegt nicht vor und wird auch nicht umgesetzt (Adhärenz).
4. …
16
Nach Anhörung des Klägers entzog das Landratsamt mit Bescheid vom 9. April 2021 die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen (Nr. 1) und zog den am 12. November 2004 ausgestellten Führerschein der Klassen B, L und M ein (Nr. 2). Für den Fall, dass der Führerschein nicht innerhalb von 5 Tagen nach Zustellung des Bescheids abgegeben werde, wurde unmittelbarer Zwang angedroht (Nr. 3). Die sofortige Vollziehung der Nrn. 1, 2 und 3 wurde angeordnet (Nr. 4).
17
Zur Begründung verwies das Landratsamt auf die ärztlichen Gutachten der TÜV S.L. GmbH vom 4. August 2020 und vom 19. März 2021 und machte sich deren Ausführungen zu eigen. Der Kläger nehme als Selbstmedikation missbräuchlich Cannabis. Hinweise auf eine spezifische Indikation von Cannabis als einzige Alternative hätten sich nicht ergeben. Es liege keine internistische Erkrankung, insbesondere keine eignungseinschränkende Nierenerkrankung vor. Eine Ausnahme vom Regelfall nach Vorbemerkung 3 zur Anlage 4 der FeV sei nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen. Aufgrund der nachgewiesenen missbräuchlichen Einnahme von medizinischem Cannabis habe der Kläger seine Fahreignung verloren (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FeV i.V.m. Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV).
18
Die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins ergebe sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV.
19
Es sei notwendig, den Führerschein sofort durch unmittelbaren Zwang einzuziehen, wenn der Kläger zur freiwilligen Herausgabe nicht bereit sei, um eine Gefährdung für ihn und andere Verkehrsteilnehmer sicher auszuschließen. Weiter wurde die Anordnung des Sofortvollzugs begründet.
20
Der Kläger gab den Führerschein am 26. April 2021 ab.
21
Gegen den am 13. April 2021 zugestellten Bescheid ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten mit einem am 12. Mai 2021 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Klage erheben und beantragen,
den Bescheid vom 9. April 2021 aufzuheben.
22
Die Klage wurde unter dem 22. November 2021 begründet. Nicht nachvollziehbar sei die Ausführung des Landratsamts, der Kläger habe seinen verschreibenden Arzt Dr. H. nicht über das wahre Ausmaß seiner Vorerkrankungen und Erkrankungen in Kenntnis gesetzt. Der Beklagte greife in das zwischen Arzt und Patient bestehende Vertrauensverhältnis ein und maße sich Bewertungen und Schlussfolgerungen an, die in keiner Weise zutreffend seien. Fakt sei, dass der Kläger aufgrund ärztlicher Verschreibung eines entsprechenden Facharztes medizinisches Cannabis zur Behandlung erhalten habe. Soweit der Beklagte meine, dies sei nicht erforderlich, bedeute dies in der Konsequenz, dass der Arzt ohne medizinische Indikation Cannabis verschreibe. Auch die Ausführungen des Beklagten, der Kläger könne seine „Schmerzstörung“ durch andere Behandlungsmethoden angehen, sei eine Anmaßung medizinischer Erkenntnisse. Das Recht auf medizinische Behandlung und auf freie Arztwahl sei durch das Grundgesetz abgedeckt und könne nicht von der Führerscheinstelle vorgeschrieben werden. Die Dosierung beeinträchtige die Fahreignung nicht. Der Fahrerlaubnisentzug sei rechtswidrig, weil die Behörde dem Kläger eine bestimmte Art der Behandlung seiner Erkrankung vorschreiben wolle.
23
Beigefügt waren ein vorläufiger Entlassbericht und der Operationsbericht der Klinik B. vom 17. September 2021 über eine Hüftgelenksarthroskopie zur Behandlung eines femoroacetabulären CAM-Impingements sowie weiterer Erkrankungen rechts.
24
Mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2021 legte das Landratsamt die Akten vor und beantragte,
die Klage abzuweisen.
25
Im fahrerlaubnisrechtlichen Sinn liege eine missbräuchliche Einnahme von medizinischem Cannabis gem. Nr. 9.4 der FeV vor, wenn der Verschreibung kein ausreichendes medizinisches Erfordernis zugrunde liege und die Verschreibung durch falsche Angaben erwirkt worden sei. Hinweise auf eine missbräuchliche Einnahme ergäben sich aus dem Gutachten vom 4. August 2020, diese habe sich durch das weitere Gutachten vom 19. März 2021 bestätigt. Die Fahrerlaubnisbehörde maße sich keine medizinischen Kenntnisse an, vielmehr habe sie zur Entscheidungsfindung auf fachliche Expertise durch ärztliche Gutachten eines verkehrsmedizinisch geschulten Arztes zurückgegriffen. Der behandelnde Arzt sei in seiner Stellungnahme vom 4. März 2021 immer noch von einer Niereninsuffizienz ausgegangen, die gar nicht vorliege.
26
Daraufhin erwiderte der Klägerbevollmächtigte, der Kläger habe den Entlassbericht der Reha-Klinik … auch Dr. H. zur Verfügung gestellt. Darin werde unter 3.4 festgehalten, dass das linke Nierenparenchym deutlich verschmälert sei. Auch bei der nachfolgenden Schulter-OP 2017 habe man dem Kläger mitgeteilt, dass die Laborwerte nicht altersentsprechend seien und bei der Medikation Vorsicht geboten sei. Opiate und andere Schmerzmittel seien vor der Cannabis-Therapie verschrieben und nach Vorgabe eingenommen worden, die Nebenwirkungen seien höher als die Wirkung gewesen. Die Behauptung der Gutachterin, der Kläger habe bezüglich der Verschreibung bei der Cannabis-Medikation gelogen, sei unhaltbar. Die Behandlungshoheit obliege dem behandelnden Arzt.
27
Hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll vom 8. November 2022 verwiesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf die beigezogene Behördenakte und die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat keinen Erfolg.
29
Soweit sich die Klage gegen Nr. 3 des Bescheids (Androhung unmittelbaren Zwangs bei Nichtablieferung des Führerscheins) richtet, hat sich die Androhung dieses Zwangsmittels durch die freiwillige Abgabe des Füherscheins erledigt. Damit besteht insoweit kein Rechtsschutzbedürfnis mehr (stRspr., vgl. BayVGH, B.v. 6.10.2017 – 11 CS 17.953 – juris Rn. 10; B.v. 26.4.2012 – 11 CS 12.650 – juris Rn. 13 m.w.N.).
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Im Übrigen ist die Klage unbegründet, da sich der Bescheid des Landratsamts … vom 9. April 2021 als rechtmäßig erweist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
31
1. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung des Fahrerlaubnisinhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen begründen, finden gemäß § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung.
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a. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Fahreignung des Klägers und damit die Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung ist der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, mithin der Zeitpunkt der Bekanntgabe des streitgegenständlichen Bescheids vom 9. April 2021 (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 26.11.2014 – 11 CS 14.1895).
33
b. Das Landratsamt hat die Entziehung der Fahrerlaubnis auf die vom Kläger vorgelegten ärztlichen Gutachten vom 4. August 2020 und vom 19. März 2021 gestützt, die zusammenfassend zu dem Ergebnis kommen, dass eine Nierenerkrankung, die eine Behandlung der orthopädischen Beschwerden mit Schmerzmitteln ausschließen würde, nicht gegeben sei und der Verordnung von Medizinal-Cannabis insgesamt keine objektivierbaren, anderweitig nicht behandelbaren Erkrankungen zugrunde lägen. Eine missbräuchliche Cannabiseinnahme werde bestätigt. Diese Gutachten sind verwertbar und können der behördlichen und gerichtlichen Entscheidungsfindung zugrunde gelegt werden, ohne dass noch vertieft auf die Rechtmäßigkeit der Gutachtensanforderungen vom 6. Februar 2020 und vom 20. August 2020 eingegangen werden muss. Nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung hängt die Verwertbarkeit einer angeordneten medizinisch-psychologischen Begutachtung (und dementsprechend auch eines ärztlichen Gutachtens) nicht von der Rechtmäßigkeit der behördlichen Anordnung, insbesondere der ausreichenden Anlassbezogenheit und der Fragestellung ab, wenn sich der Fahrerlaubnisinhaber dieser Begutachtung gestellt hat und das Gutachten der Behörde vorliegt. Bei dem vorgelegten Gutachten handelt es sich um eine neue Tatsache, die selbständige Bedeutung hat (BVerwG, B.v. 19.3.1996 – 11 B 14/96 – juris Rn. 3; U.v. 28.4.2010 – 3 C 2/10 – juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 15.6.2009 – 11 CS 09.373 – juris Rn. 21 sowie B.v. 11.6.2014 – 11 CS 14.532 – juris Rn. 11). Maßgeblich ist daher vorliegend die Frage, ob sich der Kläger auf das sog. Arzneimittelprivileg berufen kann oder ob aufgrund der vorgelegten Gutachten von einem missbräuchlichen Cannabiskonsums auszugehen ist mit der Folge der fehlenden Fahreignung nach Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV.
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c. Nach Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV führt die regelmäßige Einnahme von Cannabis zur Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen. Nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ist bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet, wer den Konsum und das Fahren nicht trennen kann. Liegt ein Fall einer ärztlichen Verordnung von Medizinal-Cannabis vor, beurteilt sich die Fahreignung hingegen nach Nr. 9.4 und 9.6 der Anlage 4 zur Fev (vgl. BayVGH, B.v. 30.3.2021 – 11 ZB 20.1138, BeckRS 2021; B.v. 29.4.2019 – 11 B 18.2482 – juris Rn. 23).
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aa. Soll eine Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis, wie sie hier vorliegt, nicht zum Verlust der Fahreignung führen, setzt dies voraus, dass die Einnahme von Cannabis indiziert und ärztlich verordnet ist (Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Kommentar, 3. Aufl. 2018, S. 303 a.E.), das Medizinal-Cannabis zuverlässig nach der ärztlichen Verordnung eingenommen wird, keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit festzustellen sind, die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufweist, die eine sichere Verkehrsteilnahme beeinträchtigt, und nicht zu erwarten ist, dass der Betroffene in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird (vgl. Handlungsempfehlung der Ständigen Arbeitsgruppe Beurteilungskriterien zur Fahreignungsbegutachtung bei Cannabismedikation, Fassung August 2018, abgedruckt in Schubert/Huetten/Reimann/Graw, a.a.O. S. 443; BayVGH, B.v. 16.1.2020 – 11 CS 19.1535 – juris Rn. 22; B.v. 9.2.2021 – 11 ZB 20.1894 – beck-online Rn. 22; vgl. auch OVG NW, B.v. 5.7.2019 – 16 B 1544/18 – juris Rn. 4 ff.; VGH BW, B.v. 31.1.2017 – 10 S 1503/16 – juris Rn. 8).
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Danach kommt die Berufung auf das sog. Arzneimittelprivileg – also die vorrangige Anwendung der Nrn. 9.4 und 9.6.2 der Anlage 4 zur FeV im Falle einer ärztlichen Verschreibung von Medizinal-Cannabis – zugunsten eines Betroffenen nicht in Betracht, wenn die Verschreibung und Abgabe von Medizinal-Cannabis mangels medizinischer Begründetheit der Betäubungsmittel-Behandlung unter Verstoß gegen die betäubungsmittelrechtlichen Vorgaben des § 13 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BtMG erfolgt. Mit dem Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 6. März 2017 (BGBl. I S. 403) wurde Cannabis in die Anlage III zum BtMG aufgenommen, wodurch überhaupt erst seine Verkehrs- und Verschreibungsfähigkeit hergestellt wurde. Dies diente ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs dem Ziel, Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen nach entsprechender Indikationsstellung und bei fehlenden Therapiealternativen mit Cannabis zu behandeln (BT-Drs. 18/8965, S. 13). Liegen die Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BtMG nicht vor, beurteilt sich die Einnahme von ärztlich verschriebenem Medizinal-Cannabis wie die sonstige Einnahme von Cannabis nach den Maßstäben der Nr. 9.2 der Anlage 4 zur FeV, wobei im Falle einer verordneten täglichen Einnahme wegen eines regelmäßigen Konsums von der Ungeeignetheit auszugehen ist (vgl. Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV).
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bb. Soweit der Kläger vorbringt, dass sich das Landratsamt sowie die Gutachterin unberechtigterweise in das Patienten-Arzt-Verhältnis einmische und eine bestimmte Behandlungsmethode entgegen der fachlichen Beurteilung des behandelnden Arztes vorschreibe, ist dies unzutreffend.
38
Zwar soll nach der Handlungsempfehlung der Ständigen Arbeitsgruppe Beurteilungskriterien zur Fahreignungsbegutachtung bei Cannabismedikation zunächst von der Annahme einer medizinisch indizierten Cannabis-Therapie ausgegangen werden, sofern sich keine weiteren Bedenken aus der Vorgeschichte ableiten lassen (vgl. S. 443), jedoch ist den dortigen Ausführungen ebenfalls zu entnehmen, dass bei Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte die medizinische Begründetheit der Therapie im Sinne des § 13 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BtMG als Voraussetzung einer betäubungsmittelrechtlicher legalen Verschreibung durchaus zum Gegenstand einer medizinischen Fahreignung gemacht werden kann (VG Würzburg, B.v. 9.8.2021 – W 6 S 21.979 – BeckRS 2021,26499 Rn.39). Für die Frage der Fahreignung liegt danach die Verantwortung für eine individuell abgestimmte, Risiko vermeidende Therapie beim behandelnden Arzt. Das Betäubungsmittelgesetz legt diesem besondere Pflichten auf im Hinblick auf die medizinische Begründetheit der Verordnung und die Frage, ob keine alternativen Therapiemöglichkeiten bestehen. Zwar kommt dem Therapieregime des behandelnden Arztes eine zentrale Bedeutung zu, weshalb die Fragestellung nach der Indikation nicht primär als Gegenstand einer ärztlichen Begutachtung angeführt wird. Liegt jedoch eine fachlich-medizinische Beurteilung vor, die die medizinische Indikation widerlegt, kann es der Fahrerlaubnisbehörde nicht verwehrt sein, die Indikation des behandelnden Arztes durch ein ärztliches Gutachten zu überprüfen. Im Rahmen eines ärztlichen Gutachtens sind dabei vom Gutachter ex-post die gleichen Fragen zu beantworten wie sie sich der behandelnde Arzt ex-ante bei der Aufklärung des Patienten im Rahmen einer Verordnungsfähigkeit von Medizinal-Cannabis auch stellen muss, nämlich u.a. das Vorliegen einer gesundheitlichen Einschränkung und die Ausschöpfung herkömmlicher Therapiemethoden (vgl. Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, a.a.O., S. 318 f.).
39
Unstreitig hat der Kläger in der Vergangenheit illegal Cannabis konsumiert, wobei aufgrund seiner Angaben von einem regelmäßigen Konsum auszugehen ist. Erst im Rahmen des gegen ihn geführten Strafverfahrens hat er sich um eine Verschreibung von Medizinal-Cannabis bemüht und zur Notwendigkeit angegeben, dass aufgrund einer bestehenden Nierenerkrankung die Behandlung der Schmerzzustände auf herkömmliche Weise durch Schmerzmittel nicht möglich sei.
40
cc. Das ärztliche Gutachten vom 4. August 2020 führt hierzu aus, dass beim Kläger keine Nierenerkrankung vorliegt. Die vom Kläger im Rahmen der Begutachtung vorgelegten ärztlichen Unterlagen (insbesondere der Arztbrief der Asklepiosklinik S. vom 20. Juli 2016 und die nephrologischen Befunde des Dr. R. vom 16. August 2016 und vom 20. Juni 2020) verneinen eine Nierenproblematik. Laut Dr. R. müsse der Kläger hepatotoxische, d.h. leberschädigende, Substanzen meiden. Infolgedessen begründet das Gutachten vom 4. August 2020 nachvollziehbar, dass eine Nierenerkrankung nicht vorliegt. Zwar erscheint die der Begutachtung zugrundeliegende Begutachtungsaufforderung durch die nahezu lückenlose Schilderung des Sachverhalts (einschließlich der Cannabis-Problematik) auf den ersten Blick unübersichtlich, jedoch wird dann auf Seite 8 der Begutachtungsaufforderung hinreichend deutlich, dass es zunächst um die Frage einer die Fahreignung möglicherweise ausschließenden Nierenerkrankung an sich geht (Nr. 10 der Anlage 4 zur FeV). Diese Frage wurde von der Gutachterin auch beantwortet (S. 15 des Gutachtens). Nachdem aber nach den ärztlichen Attesten des Dr. H. eine Schmerzmedikation zur Behandlung der orthopädischen Beschwerden bereits deshalb nicht verordnet worden sei, weil der Kläger aufgrund einer – tatsächlich nicht bestehenden – Nierenerkrankung keine NSRA-Medikamente einnehmen dürfe, ergaben sich hinsichtlich dieser von Dr. H. gezogenen Schlussfolgerung und der Cannabis-Medikation gravierende Zweifel. Denn eine Kontraindikation für alle Schmerzmittel lässt sich den nephrologischen Befunden nicht entnehmen, wie auch die Gutachterin ausführt. Selbst der vom Kläger mehrfach angeführte Arztbrief der Asklepiosklinik S. führt nur aus, dass ein verkleinertes Nierenparenchym vorliege, weitere Konsequenzen im Sinn des Ausschlusses einer bestimmten Behandlungsmethode ist diesem auch in der mündlichen Verhandlung in Augenschein genommenen Dokument nicht zu entnehmen. Auf Seite 15 des Gutachtens vom 4. August 2020 weist die Gutachterin auf die Problematik hin, dass eine Indikation von Cannabis nur dann angezeigt sei, wenn diese als einzige Behandlungsalternative gegeben erscheint. Die von ihr ausgeschlossene Nierenerkrankung kann folglich nicht zur Begründung der Cannabis-Medikation als einzige Behandlungsalternative angesehen werden, abgesehen davon, dass auch von Dr. H. weitere Behandlungsansätze als wirksam eingestuft wurden.
41
dd. Vorliegend bestand daher hinreichender Anlass für die Anordnung eines weiteren ärztlichen Gutachtens zur Abklärung der weiterbestehenden Fahreignungszweifel. Zwar liegt eine die Fahreignung möglicherweise einschränkende Nierenerkrankung nicht vor, jedoch ergaben sich im Zusammenhang mit dem ärztlich verordneten Cannabis nach vorherigem illegalem Cannabis-Konsum und den Ausführungen der Gutachterin Zweifel, ob die Voraussetzungen für die Verschreibung von Medizinal-Cannabis vorliegen oder ob von einer missbräuchlichen Cannabiseinnahme ausgegangen werden muss.
42
Die dem weiteren Gutachten zugrunde liegende Fragestellung ist nicht zu beanstanden und hält sich in dem Rahmen, der von der Fahrerlaubnisbehörde abzuprüfen ist (vgl. Begutachtungsleitlinien zur Fahreignung, a.a.O., S. 318 f. S. 442 ff.). Das weitere Gutachten vom 19. März 2021 wurde vorgelegt und ist damit verwertbar. Es ist schlüssig und nachvollziehbar.
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Weder aus der im Rahmen der Begutachtung vorgelegten Stellungnahme des Dr. H. vom 4. März 2021 noch aus den Angaben des Klägers ergibt sich eine zwingende Notwendigkeit der Therapierung mit Medizinal-Cannabis nach § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 BtMG.
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Die vom Kläger vorgelegte weitere Stellungnahme des Dr. H. vom 4. März 2021 geht nach wie vor von einer früher diagnostizierten Niereninsuffizienz aus, weshalb die Verordnung von nichtsteroidalen Antiphlogistika (NSAR) kontraindiziert sei. Inwieweit Dr. H. diese Diagnose aus eigener Anschauung (erneut) getroffen hat, obwohl bereits das ärztliche Gutachten vom 4. August 2020 vorlag, das eine Nierenerkrankung ausschließt, bleibt unklar, obwohl er bereits im Schreiben des Landratsamts vom 11. November 2019 auf die Erheblichkeit der Frage einer bestehenden Niereninsuffizienz hingewiesen worden war. Jedenfalls hat er bereits in seiner ärztlichen Stellungnahme vom 7. Februar 2020 ausgeführt, dass er über den Zeitraum vor der Verschreibung des Medizinal-Cannabis keine Angaben habe. Nicht zu klären ist an dieser Stelle, aufgrund welchen Umstands Dr. H. von einer Niereninsuffizienz beim Kläger trotz des eine Nierenerkrankung verneinenden Gutachtens vom 4. August 2020 ausging bzw. immer noch ausgeht. Die von Dr. H. vorgelegte Stellungnahme vom 4. März 2021 ist daher nicht geeignet, die Verordnung von Medizinal-Cannabis dahingehend zu begründen, dass medikamentöse Behandlungsansätze für die orthopädischen Beschwerden nicht mehr möglich seien.
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Die Ausführungen und Schlussfolgerungen der Gutachterin sind nachvollziehbar und schlüssig.
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Für sie steht zunächst im Vordergrund, dass der Kläger in der Vergangenheit wiederholt nach ersten Konsultationen seiner Ärzte die Behandlung abgebrochen und nicht konsequent weitergeführt habe, was auf einen nicht sehr hohen Leidensdruck und eine erhebliche psychische Komponente hinweise. Gegen eine Notwendigkeit der Verordnung von Medizinal-Cannabis spreche weiterhin, dass andere Behandlungsalternativen vorlägen. Dr. H. habe attestiert, dass nach Klägerangaben Wärmebehandlung und manuelle Therapie ebenso erfolgreich seien wie Cannabis. Zudem habe der Kläger im Begutachtungsgespräch angegeben, dass er tagsüber, wenn objektiv die höheren und damit potenziell stärker schmerzprovozierenden Belastungen gerade im Rahmen der Hüftgelenksproblematik, vorhanden seien, die Schmerzen „wegatmen“ könne und kein Cannabis brauche. Außerdem habe der Kläger angegeben, auf die von ihm selbst als wirksam beschriebene und tatsächlich völlig nebenwirkungsfreie Physiotherapie zu verzichten, da er diese nicht brauche und sich lieber allein auf die Cannabis-Medikation verlasse. Zudem gehe Dr. H. immer noch von einer nicht vorliegenden Niereninsuffizienz aus, weshalb er eine Behandlung mit NSAR-Medikamenten ausschließe. Auch Dr. H. gehe in seiner aktuellen Stellungnahme von einer Schmerzstörung mit psychischer Komponente aus. Eine konsequente multimodale Schmerztherapie sei bisher nicht erfolgt.
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Zusammenfassend gesehen hat die Gutachterin auf eine Reihe von Ungereimtheiten hingewiesen und aufgezeigt, dass weitere Behandlungsmöglichkeiten vorhanden sind, die vom Kläger abgelehnt wurden. Damit hat die Gutachterin zu Recht die nach § 13 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BtMG zu fordernde Alternativlosigkeit der Cannabis-Medikation nicht anerkannt.
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Trotz ärztlicher Verordnung ist damit der Cannabiskonsum des Klägers nicht nach Nr. 9.4 und 9.6, sondern nach 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV zu beurteilen. Eine Wiedererlangung der Fahreignung im maßgeblichen Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung liegt nicht vor, so dass die Entziehung der Fahrerlaubnis zu Recht erfolgt ist. Es ist daher im vorliegenden Verfahren unerheblich, dass sich der Kläger mittlerweile einer Hüftoperation unterzogen hat und nach eigenen Angaben seit Dezember 2021 kein Cannabis mehr nimmt. Diese Aspekte sind im Rahmen einer Wiedererteilung der Fahrerlaubnis zu würdigen.
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2. Als rechtmäßig erweist sich auch die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins. Diese ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Als unterliegender Beteiligter hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO. Der Einräumung einer Abwendungsbefugnis bedurfte es angesichts der – wenn überhaupt anfallenden – jedenfalls geringen, vorläufig vollstreckbaren Aufwendungen der Beklagten nicht, zumal diese auch die Rückzahlung garantieren kann, sollte in der Sache eine Entscheidung mit anderer Kostentragungspflicht ergehen.