Inhalt

VG Bayreuth, Gerichtsbescheid v. 09.09.2022 – B 1 K 21.1201
Titel:

Verfristung, unzulässige Klage, Wiedereinsetzung, Zustellungsurkunde als Beweis, Besitzrecht aus bestandskräftigem Bescheid, Fortnahme von Tieren, zwei gleichlautende Verwaltungsakte

Normenketten:
VwGO §§ 60 Abs. 1, 74 Abs. 1 S. 2
BayVwVfG Art. 41 Abs. 5
VwZVG Art. 3
ZPO §§ 182 Abs. 1 S. 2, 418 Abs. 1
BGB analog § 985
Leitsatz:
Auch dem juristisch nicht vorgebildeten Beteiligten ist es grundsätzlich zumutbar, sich über Beginn und Ende von Rechtbehelfsfristen zu informieren.
Schlagworte:
Verfristung, unzulässige Klage, Wiedereinsetzung, Zustellungsurkunde als Beweis, Besitzrecht aus bestandskräftigem Bescheid, Fortnahme von Tieren, zwei gleichlautende Verwaltungsakte
Fundstelle:
BeckRS 2022, 49173

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Herausgabe der ihr und ihrer Mutter am 11. Mai 2021 fortgenommenen Katzen (Maine Coon) und Hunde.
2
Der Sachverhaltsschilderung des Landratsamts ist Folgendes zu entnehmen: Am 27. April 2021 sei dem Landratsamt von einer Anruferin mitgeteilt worden, dass diese eine junge Katze bei der Klägerin bzw. deren Mutter habe abholen wollen. Im Haus habe sie einen starken Gestank wahrgenommen (wird näher ausgeführt). Der Amtstierarzt Herr Dr. B. habe am selben Tag die Wohnung aufgesucht, die Mutter der Klägerin habe aber die Überprüfung der Tierhaltung verweigert. Er habe am 5. Mai 2021 einen neuen Kontrollversuch unternommen. Am 11. Mai 2021 sei er mit POM P. und Frau M. (vom Fachbereich Jugend, Familie und Soziales) und einer Duldungsanordnung erschienen. Es wurden 1 Kater, 3 weibliche Katzen, 12 Kitten und zwei Hunde fortgenommen.
3
Mit Bescheid vom 17. Mai 2021 bestätigte das Landratsamt gegenüber der Klägerin (und mit gleichlautendem Bescheid vom selben Tag gegenüber ihrer Mutter) die mündliche Anordnung vom 11. Mai 2021 und ordnete die Fortnahme und anderweitige pflegliche Unterbringung aller Hunde und Katzen aus der Wohnung der Klägerin auf deren Kosten als Notstandsmaßnahme an (Ziffer 1). Die Klägerin habe bis zum 1. Juni 2021 ihre Wohnung in einen Zustand zu versetzen, der den Anforderungen des § 2 Tierschutzgesetz entspreche. Dies beinhalte insbesondere, dass sämtlicher Unrat und Kot aus den Aufenthaltsbereichen der Tiere restlos zu entfernen sei (Ziffer 2.1), dass die Fußböden, die Wände sowie das Mobiliar der von den Tieren genutzten Räume so zu sanieren seien, dass von ihnen keine Geruchsemmission mehr ausgehe (Ziffer 2.2), dass sicherzustellen sei, dass die Räume jederzeit ausreichend mit Frischluft versorgt seien (Ziffer 2.3), dass Katzentoiletten, die den Bedürfnissen von Katzen entsprächen, in ausreichender Anzahl zu beschaffen und den Bedürfnissen der Tiere entsprechend zu positionieren seien (Ziffer 2.4).
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Die Klägerin habe bis spätestens 1. Juni 2021 dem Landratsamt einen Sachkundenachweis vorzulegen, aus dem eindeutig hervorgehe, dass sie über die für die Haltung und Betreuung von Hunden und die Haltung, Betreuung und Zucht von Katzen erforderliche Sachkunde verfüge. Die Rückgabe der fortgenommenen und anderweitig pfleglich untergebrachten Hunde und Katzen erfolge nur unter der Bedingung, dass die Anforderung nach Satz 1 vollumfänglich erfüllt sei (Ziffer 3.1) und sämtliche an den fortgenommenen, anderweitig pfleglich untergebrachten Tieren festgestellten Defizite vollständig vor der Rückgabe an die Klägerin beseitigt seien (Ziffer 3.2). Sollte sich zu gegebener Zeit herausstellen, dass nach fachlicher tierärztlicher Einschätzung eine vollständige Beseitigung der festgestellten Defizite nicht möglich sei, würden die Tiere endgültig eingezogen (Ziffer 3). Die Klägerin habe ihre Tierhaltung bis zum 5. Juni 2021 jederzeit zu den üblichen Geschäftszeiten von Mitarbeitern des Landratsamtes kontrollieren zu lassen (Ziffer 4). Die Klägerin habe bei der Haltung von Katzen bis zum 1. Juni 2021 die Anforderungen des Merkblattes Nr. 43 der Tierärztlichen Vereinigung, Mindestanforderungen an Katzenhaltungen, sowie des Merkblattes Nr. 139, Empfehlungen zur Katzenhaltung in privaten Haushalten, einzuhalten (Ziffer 5). Die Klägerin habe bei der Haltung von Hunden bis zum 1. Juni 2021 die Anforderungen der Tierschutz-Hundeverordnung in der jeweils geltenden Fassung einzuhalten. Insbesondere habe sie im Aufenthaltsbereich der Hunde den Kot täglich zu entfernen (Ziffer 6). Die Ziffern 1 bis 6 würden für sofort vollziehbar erklärt (Ziffer 7). Sollte die Klägerin ihren Verpflichtungen nach Ziffer 2, Unterziffern 2.1, 2.2, 2.3, 2.4 und Ziffer 3, Unterziffern 3.1, 3.2 nicht fristgerecht nachkommen, werde das Landratsamt von seinem Veräußerungsrecht der anderweitig untergebrachten Tiere iSv § 16a Satz 2 Nr. 2 TierSchG Gebrauch machen (Ziffer 8). Sollte die Klägerin Kontrollen ihrer Tierhaltung nach Ziffer 4 nicht zulassen, werde ein Zwangsgeld von 1.000,00 Euro fällig (Ziffer 9). Sollte die Klägerin die Anforderungen der Ziffer 5 nicht erfüllen, werde ein Zwangsgeld von 500,00 Euro fällig (Ziffer 10). Sollte die Klägerin die Anforderungen der Ziffer 6 nicht erfüllen, werde ein Zwangsgeld von 500,00 Euro fällig (Ziffer 11). Die Klägerin habe die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gebühr werde auf 100,00 Euro festgesetzt, die Auslagen würden 4,00 Euro betragen (Ziffer 12).
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Mit Schreiben vom 2. Juni 2021 gestattete der Beklagte dem Tierschutzverein, in dessen Tierheim die Tiere untergebracht waren, die Tiere zu veräußern.
6
Mit am 17. November 2021 eingegangenen Schriftsatz beantragt die Klägerin,
1.
die Beklagte zu verurteilen, die Tiere (Katzen und Hunde) an die Klägerin zurückzugeben.
2.
der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.
3.
das Urteil – notfalls gegen Sicherheitsleistung – für vorläufig vollstreckbar zu erklären.
4.
hilfsweise – für den Fall des Unterliegens – der Klägerin Vollstreckungsschutz zu gewähren.
7
Im Hinblick auf die Klagebegründung schloss sich die Klägerin mit Schreiben vom 21. Dezember 2021 gänzlich der Klagebegründung ihrer Mutter an. Zur Begründung führt diese (zur Sache) aus, es habe keinen Grund gegeben ihr die Tiere wegzunehmen (Tierquälerei, da einer Mutterkatze ihre Kitten im Alter von drei Wochen weggenommen worden seien, die noch nicht alleine lebensfähig seien). Am 11. Mai 2021 sei Herr Dr. … mit fünf bis sechs Polizisten gekommen, sie hätten im Hof herumgeschrien, an die Tür und Fenster geklopft. Sie habe gesagt, sie müsse die Hunde erst wegsperren. Sie hätten dann die Tür von außen aufgesperrt und sie mit Gewalt aus dem Haus gezerrt und dabei verletzt. Sie habe gesagt, die Tiere würden da bleiben. Ein Anruf am 21. Juni beim Tierheim habe ergeben, dass alle Katzen verkauft seien. Sie hätten mehrmals dort und beim Veterinäramt angerufen, um zu wissen wie es ihren Tieren gehe und immer um Rückgabe gebeten. Sie sei jeweils auf die andere Stelle verwiesen worden, das Tierheim habe gesagt, es würde die Tiere ohne schriftliche Zusage des Landratsamtes nicht herausgeben. Die Katze …, die jetzt … heiße, hätten sie heute (Brief datiert auf den 16. September 2021) auf der Internetseite gefunden, obwohl der Beklagte behaupte, die Tiere seien verkauft.
8
Der Beklagte beantragt mit Schriftsatz vom 20. November 2021,
die Klage abzuweisen.
9
Der Fortnahmebescheid sei bereits am 17. Mai 2021 erlassen worden. Die Klagefrist von einem Monat sei überschritten und die Klage damit unzulässig.
10
Die Parteien wurden mit Schreiben vom 20. April 2022 zum Gerichtsbescheid angehört.
11
Mit Schriftsatz vom 23. April 2022 gab die Klägerin an, ihr sei kein Fortnahmebescheid des Landratsamts zugestellt worden. Weiterhin sei ihr nicht bekannt gewesen, dass eine Klage von ihr notwendig gewesen sei, da ihre Mutter bereits gegen den Bescheid klagen würde.
12
Gegen den ablehnenden Prozesskostenhilfebeschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 25. April 2022 legte die Klägerin Beschwerde ein. Die Beschwerde wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 8. August 2022 zurückgewiesen. Die Klägerin wurde daraufhin nochmals mit Schreiben vom 23. August 2022 zum Gerichtsbescheid angehört.
13
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gemäß § 84 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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1. Die Klage auf Herausgabe der Tiere, die gleichzeitig dahingehend auszulegen ist, dass die Klägerin die Aufhebung des Bescheids und die Rückgängigmachung der Vollzugsfolgen begehrt (§ 88 VwGO, § 113 Abs. 1 Satz 3 VwGO), ist bereits unzulässig, da sie verfristet erhoben wurde und Gründe für eine Wiedereinsetzung nach § 60 VwGO weder vorgetragen noch ersichtlich sind.
15
Gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO muss eine Anfechtungsklage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes erhoben werden. Der Fortnahmebescheid des Landratsamts … vom 17. Mai 2021 wurde der Antragstellerin ausweislich der Postzustellungsurkunde am 19. Mai 2021 zugestellt und damit bekanntgegeben, Art. 41 Abs. 5 BayVwVfG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 und 2 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz und § 180 ZPO. Die Zustellungsurkunde begründet als öffentliche Urkunde den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen, §§ 182 Abs. 1 Satz 2, 418 Abs. 1 ZPO. Der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsache ist zwar möglich, wurde aber vorliegend nicht erbracht. Wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 8. August 2022 ausgeführt hat, muss der Beweispflichtige hierfür zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Unrichtigkeit der bezeugten Tatsache im Sinne eines anderen Geschehensablaufs, etwa ein Fehlverhalten des Postzustellers bei der Zustellung und damit eine inhaltlich falsche Beurkundung in der Postzustellungsurkunde darlegen (vgl. auch BVerwG, B.v. 1.10.1996 – 4 B 181.96 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 3.2.2017 – 10 ZB 16.2180 – juris Rn. 10). Der bloße Vortrag der Klägerin, sie habe den Fortnahmebescheid nicht erhalten, entspricht mangels substantiierter Darlegung diesen Anforderungen nicht.
16
Die Klagefrist begann somit gemäß §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO und 187 Abs. 1 BGB am 20. Mai 2021 zu laufen und endete gemäß §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO und 188 Abs. 2 VwGO grundsätzlich mit Ablauf des 19. Juni 2021. Jedoch ist hier zu beachten, dass der 19. Juni 2021 ein Samstag ist. Nach §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 2 ZPO endet die Frist mit dem Ablauf des nächsten Werktags, sofern das Ende einer Frist auf einen Sonnabend, Sonntag oder Feiertag fällt. Folglich endet hier die Klagefrist mit Ablauf des 21. Juni 2021. Die Klageerhebung mit Schriftsatz vom 16. November 2021, der am 17. November 2021 beim Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangen ist, erfolgte nicht fristgerecht. Der Bescheid vom 17. Mai 2021 wurde gegenüber der Klägerin folglich bestandskräftig.
17
Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 Abs. 1 VwGO sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Eine Wiedereinsetzung ist nur dann möglich, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Das Vorbringen der Klägerin, ihr sei nicht bewusst gewesen, dass es einer Klage ihrerseits bedurft habe, da bereits ihre Mutter als Mithalterin der Tiere gegen einen gleichlautenden Bescheid des Landratsamts Klage erhoben habe, begründet nicht die Annahme, dass die Klagefrist ohne Verschulden nicht eingehalten wurde. Auch dem juristisch nicht vorgebildeten Beteiligten ist es grundsätzlich zumutbar, sich über Beginn und Ende von Rechtsbehelfsfristen, über Zustellungen und Möglichkeiten von Rechtsbehelfen zu informieren (so BayVGH, B.v. 8.8.2022 – 23 C 22.1129, mit dem die Beschwerde gegen den Prozesskostenhilfebeschluss zurückgewiesen wurde; vgl. auch BVerwG, B.v. 21.9.1992 – 9 B 188.92 – BayVBl 1993, 30, 31; BGH, B.v. 22.10.1986 – VIII ZB 40/86 – NJW 1987, 440, 441). In der Rechtsbehelfsbelehrungdes streitgegenständlichen Fortnahmebescheids wurde darauf hingewiesen, dass gegen diesen Bescheid binnen eines Monats Klage zu erheben ist.
18
2. Sofern die Klägerin unabhängig von der Aufhebung des Bescheids die Herausgabe der fortgenommenen Tiere begehrt, so ist die Klage darüber hinaus unbegründet. Als Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin kommt der Folgenbeseitigungsanspruch sowie der öffentlich-rechtliche Herausgabeanspruch analog § 985 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB in Betracht. Dem Herausgabeanspruch der Klägerin steht vorliegend ein Besitzrecht des Beklagten aus dem ihm den Besitz zuweisenden Hoheitsakt, dem bestandskräftigen Bescheid vom 17. Mai 2021, mit dem die Fortnahme der Tiere angeordnet wurde, die am 11. Mai 2021 vollzogen wurde, entgegen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens trägt.
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4. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung basiert auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V. m. § 708 Nr. 11 Zivilprozessordnung (ZPO).