Inhalt

LArbG München, Beschluss v. 31.08.2022 – 10 TaBV 65/21
Titel:

Bildung eines Wirtschaftsausschusses, Tendenzbetrieb

Normenketten:
BetrVG § 118 Abs.1 Satz 1 Nr. 1
GG Art. 5 Abs. 3
Leitsatz:
Bei der Bet. zu 2) konnte kein Wirtschaftsausschuss gebildet werden, da sie sich auf Tendenzschutz berufen kann. Sie dient unmittelbar und überwiegend künstlerischen Bestimmungen. Sie ist sowohl im Werk- als auch im Wirkbereich der Kunst tätig, wenn sie Künstler veröffentlicht.
Schlagworte:
Bildung eines Wirtschaftsausschusses, Tendenzbetrieb
Vorinstanz:
ArbG München, Beschluss vom 06.10.2021 – 5 BV 109/20
Fundstelle:
BeckRS 2022, 49170

Tenor

1. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 06.10.2021, Az.: 5 BV 109/20 wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.
1
Die Beteiligten streiten über die Bildung eines Wirtschaftsausschusses beim Beteiligten zu 1) und in diesem Zusammenhang darüber, ob die Beteiligte zu 2) ein Tendenzunternehmen ist.
2
Der Antragsteller und Beteiligte zu 1) ist der bei der Beteiligten zu 2) bestehende Gesamtbetriebsrat. Die Beteiligte zu 2) ist Teil der international tätigen Z. Geschäftsgegenstand der Beteiligten zu 2) ist laut Handelsregistereintrag (Anlage 1, Bl. 78 d. A.) und laut § 2 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags (Anlage 4, Bl. 324 ff. (325) d. A.) die Produktion, Vervielfältigung und Verbreitung von Tonträgern, Bildaufnahmen und Druckschriften sowie der Erwerb und die Vergabe von Auswertungsrechten hinsichtlich Ton- und Bildaufnahmen und Druckschriften; das Betreiben des Musikverlages und Merchandise Geschäfts sowie weitere Geschäfte im Medienbereich sowie das Halten der Beteiligungen an inländischen Tochtergesellschaften. Bei der Beteiligten zu 2) sind sog. Labels angesiedelt z.B. Y., X., W., V., etc. (vgl. Anlagenkonvolut 2, Bl. 84 ff. d. A.). Die unter Vertrag stehenden Künstler werden unter einem dieser Label veröffentlicht. Das gilt sowohl für nationale als auch internationale Künstler. Als nationale Künstler werden solche bezeichnet, die bei der Beklagten unter Vertrag stehen; als internationale solche, die bei einer ausländischen Schwestergesellschaft unter Vertrag stehen.
3
Der Gesamtbetriebsrat brachte der Beteiligten zu 2) am 25.06.2019 zur Kenntnis, dass er am 22.02.2019 beschlossen habe, einen Wirtschaftsausschuss zu bilden.
4
Die Beteiligte zu 2) hält sich für ein Unternehmen mit unmittelbar und überwiegend künstlerischer Zweckbestimmung und bestreitet dem Gesamtbetriebsrat daher die Befugnis zur Bildung eines Wirtschaftsausschusses. Demgegenüber vertritt der Gesamtbetriebsrat die Auffassung, die Beteiligte zu 2) sei kein Tendenzunternehmen im Sinne von § 118 BetrVG.
5
Der Gesamtbetriebsrat war vor dem Arbeitsgericht der Auffassung, die Benennung des Geschäftsgegenstands im Handelsregister sei keine Satzung. Er hat behauptet, 80 Prozent des Geschäftsvolumens der Beteiligten zu 2) bestehe im Bereich „International“. Hierbei handle es sich um Topveröffentlichungen, die aufgrund der Vorgaben der Konzernzentrale in den USA vorzunehmen seien. Bei der Beteiligten zu 2) existierten genau genommen drei Vertragsarten zur Vermarktung von Werken. Bei den Künstlerexklusivverträgen und der Tätigkeit der „Artist and Repertoire Scouts/Manager“ (A& Rs), ca. 18 Mitarbeitern der Beteiligten zu 2), handle es sich sicherlich eine unmittelbare künstlerische Tendenzverwirklichung. Es fehle jedoch an der überwiegenden Tätigkeit, denn der Anteil der Künstlerexklusivverträge liege bei etwa 10% der Verträge. Etwa 70% seien Bandübernahmeverträge. Dabei räume der Künstler die Auswertungsrechte an der fertigen Musikaufnahme ein und verpflichte sich, ein veröffentlichungsreifes Band abzuliefern. Er biete das Band der Beteiligten zu 2) zur Übernahme zum Zwecke des Vertriebes einschließlich der Gestaltung des Auftritts an. Etwa 20% der abgeschlossenen Verträge seien Distributionsverträge, mit denen fertige Musikwerke und Tonträger an andere Vermarktungsplattformen zum Zweck des Weiterverkaufs an Endkunden vermarktet würden. Die Beteiligte zu 2) trete wie ein Händler auf, ohne Entscheidung darüber, welches Werk vervielfältigt und verbreitet werden solle. Die bei der Beteiligten zu 2) bestehenden Labels dürften ab einer bestimmten finanziellen Vertragsgrenze auch nicht mehr selbst entscheiden, ob sie einen Künstler unter Vertrag nähmen. Der Vertrag müsse dann dem Hauptquartier in den USA zur Genehmigung vorgelegt werden, wo er rein nach Rentabilitätserwägungen geprüft werde. Es werde alles veröffentlicht, was rentabel sei und Geld bringe, sofern es nicht gesetzlich verboten sei. Das Unternehmen der Beteiligten zu 2) entscheide nicht selbst welches Tonwerk hergestellt werde, diese Entscheidung falle im Mutterkonzern, die Mitarbeiter der Beteiligten zu 2) erhielten entsprechende Weisungen. Die überwiegende Anzahl der Mitarbeiter sowie der Produktionsmittel dienten der reinen Umsatz- und Gewinnerzielung. Die Beteiligte zu 2) beschäftige (Stand Oktober 2020) rund 360 Mitarbeiter. 42% der Mitarbeiter, die sich direkt und indirekt mit Neuveröffentlichungen befassten, fänden sich in der „Frontline Music Division“. 34% seien in der Commercial Division, 10% im Management und den Stabsstellen und 14% in der Verwaltung tätig. Die Werke würden auch nicht an den Konsumenten direkt vertrieben, sondern nur an Händler zum Zweck der Endvermarktung. Bei der Beteiligten zu 2) stehe die Gewinnerzielungsabsicht im Fokus und nicht der künstlerische Zweck.
6
Der Beteiligte zu 1) hat – soweit für die Beschwerde relevant – beantragt,
Es wird festgestellt, dass der bestehende Wirtschaftsausschuss rechtmäßig gebildet wurde.
7
Die Beteiligte zu 2) hat beantragt,
Der Antrag wird abgewiesen.
8
Die Beteiligte zu 2) hat vorgetragen, Kern und Ausgangspunkt ihrer Wertschöpfungskette seien die Labels. Ca. 30,1% des Gesamtarbeitsvolumens würden dort erbracht. Zum Tätigkeitsinhalt innerhalb der Labels gehöre auch die Verhandlung und Vereinbarung der Zusammenarbeit mit den Künstlern. Dazu würden signifikante Beiträge bei der Entwicklung und Gestaltung der Musikwerke selbst geleistet. Musikwerke und -produkte entstünden im Zusammenwirken mit und unter Führung des zuständigen A& Rs. Das Label sei verantwortlich, die Veröffentlichungen auch inhaltlich zu gestalten und zu koordinieren. Daneben erfolge über entsprechende Medienarbeit in Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen die Vermarktung der Künstler. Die durch die Labels vorgenommene Entscheidung zur Auswahl der Künstler und der zu vermarktenden Musikwerke sei einem Verlag vergleichbar. Die Differenzierung nach Vertragstypen sei unerheblich, da die Beteiligte zu 2) in allen Vertragstypen im Werkbereich aktiv sei. Sie treffe die Entscheidung, welchen Künstler bzw. welche Kunstwerke sie überhaupt veröffentlichen und verbreiten wolle und auf welche Art die Darbietung der Werke und ihre Verbreitung erfolge. Selbst eine reine Fremdproduktion würde, läge sie vor, für den Tendenzschutz ausreichen. Die A& R Manager seien immer dann aktiv, wenn es um die Akquise und die Betreuung von Künstlern gehe, unabhängig davon, welche Vertragsform gewählt werde und ob ein Künstler neu entdeckt oder ein neues Album veröffentlicht werde. Auch im Rahmen von Bandübernahmeverträgen werde künstlerischer Einfluss ausgeübt. Der Gesamtbetriebsrat habe mit seiner Definition der Bandübernahmeverträge eingeräumt, dass die Beteiligte zu 2) auch die Gestaltung des Auftritts des jeweiligen Künstlers übernimmt. Künstlerischer Einfluss werde bei Bandübernahme- bzw. Distributionsverträgen auch ausgeübt, weil Künstler teils ins Studio begleitet und Musikaufnahmen gemeinsam gehört und bewertet würden. Im Rahmen solcher Verträge würden zum Teil auch Produzenten, Komponisten oder Duett-Partner an die Künstler vermittelt. Eine Klausel in den Bandübernahmeverträgen besage, dass die Künstler die Produktion der Aufnahmen so oft zu wiederholen hätten, bis sie die Beteiligte zu 2) künstlerisch und technisch abnehme. Auch bei den Distributionsverträgen erbringe die Beteiligte zu 2) zusätzliche Label-Leistungen, die auch von A& R Managern wahrgenommen würden. Bei den Distributionsverträgen werde nicht nur Vermarktung betrieben, sondern ein individuelles Konzept für jeden Künstler verfolgt. Weitere ca. 27,2% des Gesamtarbeitsvolumens entfielen auf Abteilungen, in denen labeltypische Aktivitäten übergreifend zusammengefasst seien. Abteilungen mit Verwaltungs- und Querschnittsfunktionen seien unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass die Tätigkeit im Werk- und Wirkbereich ausgeführt werden könne. Ein weiterer Abschnitt der Wertschöpfungskette sei der Verkauf von Musikprodukten über den Handel. In den entsprechenden Vertriebsabteilungen würden 8,5% des Gesamtarbeitsvolumens erbracht. Die Tätigkeit sei tendenzunterstützend.
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Die Behauptung, 80% des Geschäftsvolumens sei dem nicht beeinflussbaren Bereich „international“ zuzuordnen, sei unzutreffend. Der Umsatzanteil falle geringer aus, im Geschäftsjahr 2019/2020 seien es ca. 31% gewesen. Im Übrigen sei es unschädlich, wenn Veröffentlichungen aufgrund von Vorgaben der Konzernmutter erfolgten. Es sei gerade Ausdruck der eigenen Tendenz, wenn die Beteiligte zu 2) bei der Auswahl der von ihr veröffentlichten Werke Entscheidungen treffe, die einer bestimmten, vorgegebenen Richtung entsprächen. Wie bei anderen Unternehmensgruppen auch bestünden bei der Beteiligten zu 2) Richtlinien, nach denen ab einem bestimmten kommerziellen Schwellenwert eine Genehmigung eingeholt werden müsse. Der fehlende Handel an Endverbraucher sei ebenso wie die Gewinnerzielungsabsicht unschädlich. Im Übrigen sei es der Beteiligten zu 2) nicht egal, mit welchen Künstlern sie zusammenarbeite, denn sonst würde sie nicht so viel Arbeit und Aufwand in die Auswahl und Förderung der Künstler stecken. Bei der Auswahl der Künstler, mit denen die Beteiligte zu 2) zusammenarbeite würden künstlerische Faktoren einbezogen, der Künstler müsse zum Label, unter dem er veröffentlicht werde, auch passen. Die Breite des Angebots sei nicht tendenzschädigend.
10
Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen und ausgeführt, der zulässige Antrag des Gesamtbetriebsrates sei unbegründet. Die Bildung des Wirtschaftsausschusses sei unzulässig gewesen. Bei der Beteiligten zu 2) sei ein Wirtschaftsausschuss nicht zu errichten, da bei dieser die Voraussetzungen des § 106 Abs. 1 Satz 1 BetrVG vorliegen würden. Auf die Beteiligte zu 2) fänden die Vorschriften der §§ 106 bis 110 BetrVG über die Bildung eines Wirtschaftsausschusses nach § 118 Abs. 1 Satz 2 BetrVG keine Anwendung, da sie selbst unmittelbar und überwiegend künstlerischen Bestimmungen iSv. § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG diene. Der Tendenzschutz sichere unter anderem das Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG), weshalb für das Verständnis des Begriffes „künstlerische Bestimmung“ auf den Inhalt dieses Grundrechts abzustellen sei. Die Kunstfreiheitsgarantie betreffe in gleicher Weise den „Werkbereich“ und den „Wirkbereich“ des künstlerischen Schaffens, sodass nicht nur die künstlerische Betätigung (Werkbereich), sondern auch Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks (Wirkbereich) unter die Freiheitsgarantie fielen. Beide Bereiche würden eine unlösbare Einheit bilden. Der Werkbereich umfasse die eigentliche künstlerische Betätigung als freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zur unmittelbaren Anschauung gebracht würden. Der Wirkbereich bezeichne den Bereich, in dem der Öffentlichkeit Zugang zu dem Kunstwerk verschafft werde, also die Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks. Gerade dieser Wirkbereich sei der Boden, auf dem die Freiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 GG vor allem erwachsen sei. Soweit es daher zur Herstellung der Beziehungen zwischen Künstler und Publikum der publizistischen Medien bedürfe, seien auch die Personen durch die Kunstfreiheitsgarantie geschützt, die hier eine solche vermittelnde Tätigkeit ausüben (BAG 08.03.1983 – 1 ABR 44/81, NJW 1984, 1144). Die Beteiligte zu 2) verfolge unmittelbar künstlerische Zielsetzungen im Sinne des § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Sie diene unmittelbar künstlerischen Bestimmungen. Sie sei selbst ein Unternehmen und falle damit in den Schutzbereich des § 118 BetrVG. Dass sie Teil eines internationalen Konzerns sei, sei unerheblich. Die bei ihr beschäftigten A& Rs seien unstreitig beim Abschluss der Künstlerexklusivverträge genuin künstlerisch tätig. Bei Abschluss der Bandübernahmeverträge werde der Beteiligten zu 2) auch nach dem Vortrag des Gesamtbetriebsrates die Gestaltung des Auftritts der Künstler überlassen. Dies bedeute einen künstlerischen Spielraum für die Beteiligte zu 2), die sich somit auch hier im Werkbereich betätige. Darüber hinaus sei sie auch im Wirkbereich aktiv. Unternehmensgegenstand sei die Verbreitung künstlerischer Werke. Dass sie auch künstlerische Werke ohne eigenen Einfluss auf das Werk an Händler weiterverkaufe, zwinge nicht dazu, ihr den Tendenzschutz nicht zuzubilligen. Sie sei kein lediglich handelnder Betrieb ohne Mittlerfunktion. Von einem Handelsbetrieb unterscheide sie sich dadurch grundlegend, dass sie selbst entscheide, welches Kunstwerk hergestellt und welcher künstlerische Inhalt damit verbreitet werde. Sie treffe die jeweils eigene Entscheidung, welcher Künstler unter Vertrag genommen werde. Dass Verträge mit der Konzernmutter zugrunde liegen, stehe dem Tendenzbezug nicht entgegen, da sich aus dem Vorbringen des Gesamtbetriebsrats nicht entnehmen lasse, dass der Beteiligten zu 2) regelmäßig Vorgaben ohne jeglichen künstlerischen Gestaltungsspielraum gemacht würden. Rein fiskalische Vorgaben der Konzernmutter seien unschädlich. Bei der Beteiligten zu 2) handle es sich nicht um ein Mischunternehmen, sodass sich die Frage der überwiegenden Tätigkeit und des zahlenmäßigen Überwiegens von Tendenzträgern nicht stelle. Für ein Mischunternehmen sei kennzeichnend, dass es sowohl tendenzgeschützte als auch tendenzneutrale Zwecke verfolge. Die Beteiligte zu 2) arbeite jedoch nicht auf unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern, sondern ihr gesamter Unternehmenszweck sei auf die Tendenz ausgerichtet. Die bei ihr existierenden einzelnen Abteilungen seien nicht losgelöst voneinander zu betrachten. Sie würden keinen eigenen Zweck verfolgen, sondern alle der Erfüllung des Unternehmensgegenstandes durch Schaffung der technischen und verwaltenden Voraussetzungen dienen.
11
Wegen weiterer Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten sowie der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen (Bl. 258 ff d. A.).
12
Der Beschluss des Arbeitsgerichts wurde dem Beteiligten zu 1) am 18.10.2021 zugestellt. Er hat durch Schriftsatz vom 15.11.2021, eingegangen beim Landesarbeitsgericht München am selben Tag Beschwerde eingelegt und diese innerhalb verlängerter Frist am 18.01.2022 begründet. Die Beteiligte zu 2) hat innerhalb verlängerter Frist am 28.03.2022 erwidert.
13
Der Gesamtbetriebsrat ist der Ansicht, das Arbeitsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Beteiligte zu 2) ein Tendenzbetrieb sei. Sie habe das Vorliegen ihrer Tendenzeigenschaft nicht beweisen können. Die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG seien nicht gegeben, da ein „überwiegendes Dienen“ einer künstlerischen Bestimmung nicht gegeben sei. Es komme hier darauf an, in welcher Größenordnung das Unternehmen seine personellen und sonstigen Mittel zur Verwirklichung seiner tendenzgeschützten und seiner nichttendenzgeschützten Ziele regelmäßig einsetze. Bei personalintensiven Betätigungen sei in erster Linie auf den Personaleinsatz abzustellen d. h. auf die Arbeitsmenge, die regelmäßig zu Erreichung der verschiedenen Unternehmensziele aufgewendet werde. Wie vorgetragen würden nur im Bereich „National“, der nur etwa 20 – 30% des Geschäftsvolumens ausmache, überhaupt Tendenzarbeiten verwirklicht. Eine solche Tendenzverwirklichung sei allein im Segment der sogenannten Künstlerexklusivverträge festzustellen, welche einen Anteil von etwa 10% ausmachen würden. Bei den Bandübernahmeverträgen räume der Künstler die Auswertungsrechte an der fertigen Musikaufnahme ein. Er biete das Band der Beteiligten zu 2) zur Übernahme zum Zweck des Vertriebes einschließlich der Gestaltung des Auftritts des Künstlers an, in der Regel für einen begrenzten Zeitraum von 5 Jahren. Es liege somit keine unmittelbare künstlerische Tendenzverwirklichung nach § 118 BetrVG vor, da die Beteiligte zu 2) keinen Einfluss auf das Kunstwerk habe. Dass die Bandübernahmeverträge in der Regel sog. Optionsklauseln für weitere Werke enthalten würden, die von der Beteiligten zu 2) gezogen werden könnten oder auch nicht, ändere daran nichts. Werde eine weitere Option gezogen, gebe es Fälle, in denen der Künstler das Feedback einfordere und verwende. Es gebe jedoch auch Fälle, in denen der Künstler einfach ein fertiges neues Werk abliefere. Auch wenn man die Bandübernahmeverträge wegen der Gestaltung des Auftritts des Künstlers mitberücksichtigen wolle, so würde dies bei einem Gesamtanteil von 70% etwa 10% betreffen, also ca. 7%. Daneben gebe es die sogenannten Distributionsverträge, bei denen fertige Musikwerke und Tonträger schlichtweg an andere Vermarktungsplattformen wie stationäre Großhändler oder Onlinehändler zum Zweck des Weiterverkaufs an Endkunden vermarktet würden. Die Beteiligte zu 2) trete hier wie ein Händler auf, ohne dass sie eine Entscheidung darüber treffe, welches Tonkunstwerk überhaupt vervielfältigt und verbreitet werden solle. Den „Werkbereich“ verwirkliche die Beteiligte zu 2) nur im Bereich „National“ und nur durch die A& R. Der „Wirkbereich“ bestehe hingegen aus dem Vertrieb der vorgefertigten Produkte von U. ohne die Möglichkeit irgendeiner Einflussnahme seitens der Beteiligten zu 2). Bei internationalen Künstlern entwickle die Beteiligte zu 2) keine nationalen Konzepte und nehme keine vermittelnde Rolle zwischen Künstler und Publikum ein. Vielmehr würden die Veröffentlichungen in allen Territorien vom Rechteinhaber gesteuert. Die Beteiligte zu 2) habe die künstlerischen Produkte im Bereich „international“ anzunehmen und zu vertreiben, ob sie wolle oder nicht. Hierbei werde weder eine Tendenz erarbeitet noch beeinflusst. Dass die Beteiligte zu 2) entscheide, wie sie die Produkte vertreibe, stelle keine künstlerische Tätigkeit mehr dar, sondern sei reine Handelsaktivität. Auch kreatives Marketing bleibe Marketing. Der Großteil der Belegschaft diene mit seiner Arbeit nicht der Verwirklichung der tendenzgeschützten Bestimmungen der Beteiligten zu 2), da im Ergebnis max. 10% des Arbeitsanfalls Tendenztätigkeiten darstellen würden. Darüber hinaus diene die Beteiligte zu 2) entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts nicht unmittelbar künstlerischen Bestimmungen. Der Eintrag im Handelsregister sei für die Bewertung unbeachtlich und im Übrigen unzutreffend, da kein Musikverlag betrieben werde, in dem die Urheberrechte der schaffenden KünstlerInnen vermarktet würden. Auch sei Merchandising kein wesentliches Geschäftsmodell. Unzutreffend sei weiterhin die Bewertung des Arbeitsgerichts, das bei Abschluss von Bandübernahmeverträgen der Beteiligten zu 2) die Gestaltung des Auftritts des Künstlers überlassen bleibe. Es sei nicht zutreffend, dass bei Bandübernahmeverträgen immer und überwiegend die Gestaltung des Auftritts einhergehe. Richtig sei vielmehr, dass die meisten Bandübernahmen rein rechtlicher Natur seien. Nur bei Neu-Künstlern werde in das kreative Schaffen eingegriffen. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts sei es auch sehr wohl relevant, dass die Beteiligte zu 2) im Bereich „International“, der ca. 70-80% des Geschäftsvolumens ausmache, aufgrund von Vorgaben der Konzernmutter nicht die Möglichkeit habe Veröffentlichungen abzulehnen und weder Einfluss auf den Inhalt noch die äußere Form der Veröffentlichungen habe. Die Beteiligte zu 2) übernehme insoweit lediglich den Vertrieb von Produkten.
14
Der Beteiligte zu 1) beantragt,
1. Der Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 06.10.2021, Az:5 BV 109/20 wird abgeändert.
2. Es wird festgestellt, dass der bestehende Wirtschaftsausschuss rechtmäßig gebildet wurde.
15
Die Beteiligte zu 2) beantragt,
die Beschwerde gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 06.10.2021 – 5 BV 109/20 – zurückzuweisen.
16
Die Beteiligte zu 2) trägt vor, das Arbeitsgericht habe zutreffend erkannt, dass sie unmittelbar und ausschließlich tendenzgeschützte Zwecke im Werk- und Wirkbereich der Kunst verfolge, kein Mischunternehmen darstelle und damit künstlerischen Bestimmungen im Sinne von § 118 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BetrVG diene.
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Das Arbeitsgericht habe zutreffend erkannt, dass die Beteiligte zu 2) kein Mischunternehmen, sondern ein reines Tendenzunternehmen sei. Vor diesem Hintergrund sei nicht nachvollziehbar, wenn der Gesamtbetriebsrat meine, das Arbeitsgericht habe das Tatbestandsmerkmal einer „überwiegenden“ künstlerischen Bestimmung nicht geprüft. Diene ein Unternehmen, wie die Beteiligte zu 2), ausschließlich tendenzgeschützten Bestimmungen, fehle es an jeglicher Verfolgung nichttendenzgeschützter Zwecke. Auch sei die Beteiligte zu 2) kein bloßes Handelsunternehmen, das mit Musikprodukten handle. Vielmehr beeinflusse sie mit ihrer gesamten unternehmerischen Tätigkeit nicht nur Kunst inhaltlich (Werkbereich), sondern spiele auch eine elementare vermittelnde Rolle zwischen den bei ihr veröffentlichten Künstlern und dem Publikum (Wirkbereich). Sowohl im nationalen wie auch im internationalen Bereich nehme sie unmittelbar eine Mittlerrolle zwischen Publikum und Künstler wahr und werde somit selbst im Werkbereich der Kunst aktiv. Sie entwickle Künstleridentitäten und schaffe eine Plattform für die Kunst, auch durch ihre Vertriebs- und Marketingkonzepte. Sie nutze ihre grundgesetzlich geschützte Freiheit, insbesondere zu entscheiden, welche Künstler sie unter Vertrag nehme, wie sie einen Künstler (weiter-) entwickle, welche Titel sie veröffentliche, welches Profil sie ihren Labels gebe, welche Titel sie im Rahmen einer Zweit- oder Drittverwertung in welcher Form weiter veröffentliche, mit welchen Methoden und nach welchem Konzept sie ihren Künstlern eine breite Öffentlichkeit schaffe, welche Podcasts und Formate sie zur Vermarktung hierzu entwickle, usw. Die Beteiligte zu 2) akquiriere Künstler, betreue sie und nehme Einfluss auf ihre kreativen Prozesse bzw. gestaltete und koordiniere die Veröffentlichungen und den Marktauftritt bzw. die Vermarktung der jeweiligen Künstler (auch inhaltlich). Die entsprechenden Aktivitäten seien darauf gerichtet, den Künstlern die größtmögliche Öffentlichkeit für Ihre Kunst zu schaffen, durch die Entwicklung und Umsetzung nationaler Konzepte und Strategien zu Art und Inhalt der Vermarktung; durch die bestmögliche Platzierung der Künstler auf allen relevanten Plattformen, wobei die Beteiligte zu 2) auch eigene Inhalte im Rahmen musikgenrespezifischer Marken (z.B. „T…“, „S…“) produziere; durch Unterstützung der Künstler bei der Gestaltung ihres jeweiligen Außenauftritts im Internet; durch Entwicklung und Vermarktung eigener Produkte (sog. Compilations), die Kunstwerke verschiedener Künstler einem breiten Publikum zugänglich machen z.B. unter der eigenen Marke „R…“; durch die Organisation einer Vermarktung in ausländischen Märkten; durch eine Weitervermarktung von Musikstücken durch Neuzusammenstellung im Anschluss an eine erste Auswertungsphase. Unerheblich sei für die Frage des Tendenzschutzes die Differenzierung nach Vertragstypen. Die Beteiligte zu 2) übe bei allen Vertragstypen künstlerischen Einfluss aus und bewege sich im Werkbereich. Das gelte insbesondere auch bei den Bandübernahmeverträgen, bei denen – in unterschiedlichem Umfang – Einfluss auf die Werke der Künstler genommen werde, insbesondere auch wenn es um die Entscheidung gehe, ob die Option für ein weiteres bei Vertragsabschluss noch nicht existierendes Werk gezogen werde. Auch die vermittelnde Rolle zwischen Künstler und Publikum (Wirkbereich) sei evident und unabhängig vom gewählten Vertragstypus. Auch die Differenzierung zwischen „National“ und „International“ sei unerheblich. Die Beteiligte zu 2) diene auch dann einer künstlerischen Bestimmung, wenn sich ihre Aktivitäten auf internationale Künstler beziehen. Sie werde insoweit unmittelbar zumindest im Wirkbereich der Kunst aktiv, indem sie auch bei internationalen Künstlern lokale/nationale Konzepte und Strategien entwickle und umsetze, wie beispielsweise für die Künstler P. bzw. O. zu beschreiben sei (S. 5 im Schriftsatz vom 26.07.2022, Bl. 375 d. A., Protokoll vom 03.08.2022, Bl. 396 f. d. A.).
18
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten in der Beschwerde wird auf die gewechselten Schriftsätze vom 17.01.2022 (Bl. 289 ff. d. A.), vom 28.03.2022 (Bl. 313 ff. d. A.), vom 25.04.2022 (Bl. 329 ff. d. A.), vom 25.07.2022 (Bl. 366 ff d. A.), vom 26.07.2022 (Bl. 371 ff d. A.) sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 03.08.2022 (Bl. 393 ff. d. A.) Bezug genommen.
II.
19
Die zulässige Beschwerde des Beteiligten 1) ist unbegründet.
20
A. Die Beschwerde ist nach § 87 Abs. 1 ArbGG statthaft sowie frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 89 Abs. 1 und 2, 87 Abs. 2, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO).
21
B. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.
22
Der Antrag des Gesamtbetriebsrats ist zwar zulässig, da beim Bestehen von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Betriebspartnern darüber, ob in einem Unternehmen oder Betrieb zu Recht ein Wirtschaftsausschuss gebildet worden ist, dies durch einen entsprechenden Feststellungsantrag im Rahmen eines arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens geklärt werden kann (BAG 29.6.1988 – 7 ABR 15/87, BAGE 59, 120).
23
Der Antrag ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht erkannt, dass die Beteiligte zu 2) ein Tendenzunternehmen gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG ist und deshalb gemäß § 118 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ein Wirtschaftsausschuss nicht gebildet werden kann, da sie selbst unmittelbar und überwiegend künstlerischen Bestimmungen iSv. § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG dient.
24
1. Gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG finden die Bestimmungen über den Wirtschaftsausschuss (§§ 106 bis 110 BetrVG) keine Anwendung auf Unternehmen, die unmittelbar und überwiegend politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, karitativen, erzieherischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Bestimmungen dienen. Die Vorschrift normiert eine Ausnahme von der gesetzgeberischen Entscheidung zugunsten betrieblicher Mitbestimmung; daraus folgt ganz regelmäßig ein restriktives Verständnis der Norm (BVerfG 30.04.2015, 1 BvR 2274/12, Rd. 15, Juris).
25
Die Einschränkung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats ergibt sich nur, wenn das Tendenzunternehmen bzw. der Tendenzbetrieb unmittelbar und überwiegend einer geschützten Bestimmung dient. Der Unternehmenszweck selbst muss unmittelbar auf die Tendenz ausgerichtet sein, wobei ein Gewinnstreben nicht schadet (BAG, Beschluss vom 15.02.1989, 7 ABR 12/87, Rd. 23, Juris).
26
Der Tendenzschutz sichert u.a. das Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG). Für das Verständnis des Begriffes „künstlerische Bestimmung“ ist deshalb auf den Inhalt dieses Grundrechts abzustellen. Die betriebsverfassungsrechtliche Regelung dient der Sicherung der verfassungsrechtlich verbürgten Kunstfreiheit (BAG 15.02.1989, 7 ABR 12/87, Rd. 27, Juris). Kunst ist die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Alle künstlerische Tätigkeit ist ein Ineinander von bewussten und unbewussten Vorgängen, die rational nicht aufzulösen sind. Beim künstlerischen Schaffen wirken Intuition, Phantasie und Kunstverstand zusammen; es ist primär nicht Mitteilung, sondern Ausdruck und zwar unmittelbarster Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers (BVerfG, Beschluss vom 24.02.1971, 1 BvR 435/68, Rd. 48, Juris). Die Kunstfreiheitsgarantie betrifft in gleicher Weise den „Werkbereich“ und den „Wirkbereich“ des künstlerischen Schaffens, sodass nicht nur die künstlerische Betätigung (Werkbereich), sondern auch Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks (Wirkbereich) unter die Freiheitsgarantie fällt (BVerfG, Beschluss vom 24.02.1971, 1 BvR 435/68, Rd. 49, Juris). Beide Bereiche bilden eine unlösbare Einheit. Der Werkbereich umfasst die eigentliche künstlerische Betätigung als freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Der Wirkbereich bezeichnet den Bereich, in dem der Öffentlichkeit Zugang zu dem Kunstwerk verschafft wird, also die Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks. Gerade dieser Wirkbereich ist der Boden, auf dem die Freiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 GG vor allem erwachsen ist. Soweit es daher zur Herstellung der Beziehungen zwischen Künstler und Publikum der publizistischen Medien bedarf, sind auch die Personen durch die Kunstfreiheitsgarantie geschützt, die hier eine solche vermittelnde Tätigkeit ausüben (BAG, Beschluss vom 08.03.1983, 1 ABR 44/81, Rd. 29).
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Dem Werkbereich werden etwa die Vorbereitung, das Üben, der Materialerwerb, der Prozess des Herstellens und der Schutz des Werkergebnisses, ungeachtet seines Gelingens, zugerechnet. Der in gleicher Weise geschützte Wirkbereich erstreckt sich darüber hinaus auch auf die öffentliche Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks, d.h. die Vermittlung und Vermarktung an Dritte als Ausdruck des kommunikativen Aspekts der verfassungsrechtlich geschützten Kunstfreiheit. Zu den typisch grundrechtsgeschützten Handlungen zählen etwa die Ausstellung, die Präsentation und der Verkauf von Kunstwerken, das Konzert, die Aufführung, die Veröffentlichung etc, wobei auch die Werbung jeweils grundrechtlich geschützt ist (BeckOK GG/Kempen, 51. Ed. 15.5.2022, GG Art. 5 Rn. 169-174 m.w.N).). In persönlicher Hinsicht schützt Art. 5 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 GG sowohl die Person des Künstlers als unmittelbar Kunstschaffenden als auch denjenigen, der eine „unentbehrliche Mittlerfunktion“ (BVerfG, Beschluss vom 24.02.1971, 1 BvR 435/68, Rd 53, Juris) zwischen dem Künstler und dem Publikum ausübt. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht auch dem Schallplattenhersteller und dem Verleger grundsätzlich die Berufung auf das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gestattet, ebenso allen Personen, die daran mitwirken, ein Kunstwerk geschäftsmäßig zu vertreiben und auch die Berufung eines Tonträgerunternehmens auf das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG nicht generell ausgeschlossen (BVerfG, Beschluss vom 27.07.2005, 1 BvR 2501/04, Rd.23, Juris).
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2. Die Beteiligte zu 2) verfolgt unmittelbar künstlerische Zielsetzungen im Sinne des § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG.
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a) Die Beteiligte zu 2) dient unmittelbar künstlerischen Bestimmungen. Sie ist selbst ein Unternehmen und fällt damit in den Schutzbereich des § 118 BetrVG. Dass sie Teil eines internationalen Konzerns mit Sitz der Konzernmutter in den USA ist, ist unerheblich. Die gesellschaftsrechtliche Verflechtung eines Unternehmens mit anderen hat keine Auswirkung auf den Tendenzcharakter. Maßgeblich ist die Tendenzeigenschaft des jeweiligen Unternehmens (BAG, Beschluss vom 30.06.1981, 1 ABR 30/79, Rd.24 ff, Juris).
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Dem Tendenzschutz steht nicht entgegen, dass die Beteiligte zu 2) auch einen Erwerbszweck verfolgt. Ein Unternehmen kann einen Erwerbszweck verfolgen und gleichwohl einem geistig-ideellen Ziel dienen. Es kommt auf den Gegenstand des Unternehmens und nicht auf die persönliche Einstellung des Unternehmers an (BAG, Beschluss vom 27.07.1993, 1 ABR 8/93, Rd.29, Juris). Häufig ist ein Gewinnstreben sogar die notwendige Voraussetzung für eine geistig-ideelle Zielsetzung, da nur die Gewinnerzielung es ermöglicht, dass die Ziele verfolgt werden können. Damit ist es für die Tendenzeigenschaft irrelevant, wenn die Beteiligte zu 2) sich bei der Entscheidung welche Künstler sie unter Vertrag nimmt und wie deren Werke präsentiert werden von der Erwartung leiten lässt, dass dadurch Geld verdient wird. Auch die Tatsache, dass gegebenenfalls Künstler abgelehnt oder aus dem Programm genommen werden, wenn die Erwartung besteht, dass mit ihnen nicht ein angestrebtes wirtschaftliches Ziel erreicht werden kann, steht dies der Tendenzeigenschaft nicht entgegen. Im Gegensatz zu karitativen Einrichtungen ist ein Unternehmen, das künstlerische Ziele verfolgt, nicht verpflichtet lediglich ideelle Ziele zu verfolgen und „nur der Kunst zu leben“. So wenig es dem Tendenzschutz eines Verlages entgegensteht, dass er mit dem Verkauf seiner Bücher Geld verdienen will und dem eines Galeristen, dass er mit dem Verkauf von Bildern Gewinn machen will, steht es dem Tendenzschutz der Arbeitgeberin entgegen, dass sie mit dem Verkauf musikalischer Werke (möglichst viel) Geld verdienen will. Die Frage, ob die Beteiligte zu 2) künstlerisch tätig ist, hängt nicht davon ab, ob die von ihr veröffentlichten KünstlerInnen wirtschaftlich erfolgreich sind oder nicht.
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b) Die Beteiligte zu 2) ist sowohl im Werkbereich als auch im Wirkbereich tätig.
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aa) Auch der Gesamtbetriebsrat bezweifelt nicht, dass die Beteiligte zu 2) im Rahmen der sog. Künstlerexklusivverträge genuin künstlerisch tätig ist. In diesem Bereich produziert die Beteiligte zu 2) im Zusammenwirken mit dem Künstler dessen Musik und nimmt somit Einfluss auf das Werk.
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Die Beteiligte zu 2) wird entgegen der Ansicht des Gesamtbetriebsrats auch im Bereich „Compilations“ eigenständig künstlerisch tätig. Es stellt eine Tätigkeit im Werkbereich der Kunst dar, wenn aus verschiedenen Musiktiteln von Künstlern bzw. von verschiedenen Künstlern CDs zusammengestellt werden z.B. „R…“. Es entsteht dadurch ein „Gesamtkunstwerk“, dessen Inhalt die Beteiligte zu 2) insoweit gestaltet, als sie entscheidet welche Musikstücke von welchen Künstlern in welcher Reihenfolge und in welchem Zusammenhang mit anderen Musikstücken präsentiert werden. Der Gesamtbetriebsrat gesteht hier selbst zu, dass bei der Entscheidung über die Zusammensetzung der CD kategorisiert wird, welcher Künstler für ein bestimmtes Genre als passend erachtet wird und deshalb z.B. kein Lied der Sängerin N. auf eine Rock-CD kommen wird. Soweit der Gesamtbetriebsrat die Ansicht vertritt, der Bewertung als künstlerische Tätigkeit stehe entgegen, dass bei der Zusammenstellung verkaufsstrategische Belange berücksichtigt werden, so ist dies – wie oben ausgeführt – irrelevant, da Gewinnstreben dem Tendenzschutz nicht entgegensteht.
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Dasselbe gilt soweit die Beteiligte zu 2) bei der Zweit- oder Drittverwertung (mit) entscheidet welche Titel eines Künstlers wie in welcher Zusammenstellung veröffentlicht werden.
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Auch im Bereich der Produktion von Hörspielen für Kinder wird die Beteiligte zu 2) künstlerisch tätig. Diese Hörspiele werden im Auftrag der Beteiligten zu 2) geschrieben – wobei auch inhaltlicher Einfluss genommen wird –, produziert, aufgenommen und vertrieben. Unstreitig wirkt ein Produktmanager kreativ auf die Schaffung des Werkes ein. Dass er nicht der alleinige Schöpfer des Werkes oder der Urheber des Werkes ist, ist irrelevant, da die Erstellung eines Kunstwerkes nicht nur durch den Komponisten, Maler oder Sänger erfolgt.
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Es ist ausreichend, dass an der Erschaffung des Werks kreativ mitgewirkt wird.
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bb) Auch beim Abschluss der sogenannten Bandübernahmeverträge wird die Beteiligte zu 2) im sog. Werkbereich tätig. Bei diesen Verträgen räumt ein Künstler der Beteiligten zu 2) die Auswertungsrechte an einer Musikaufnahme ein. Teilweise sind diese Werke fertig, teilweise werden sie in Zusammenarbeit mit der Beteiligten zu 2) weiterentwickelt und anschließend aufgenommen. Unstreitig erwirbt die Beteiligte zu 2) gleichzeitig ein bis drei Optionen für weitere Werke, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch nicht existieren. In der Folge entscheidet die Beteiligte zu 2), ob sie eine weitere Option zieht. Tut sie dies, gibt es wiederum Fälle, in denen der Künstler ein fertiges neues Werk abgeliefert und Fälle, in denen er dieses in Zusammenarbeit mit der Beteiligten zu 2) entwickelt. Immer übernimmt die Beteiligte zu 2) nach der Fertigstellung eines Werkes den Vertrieb und die Gestaltung des Auftritts des Künstlers. Bei der Beteiligten zu 2) wird abgestimmt auf den jeweiligen Künstler festgelegt, wie das Werk promotet wird, wobei ein Gesamtkonzept über alle Vertriebskanäle erstellt wird.
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Die Beteiligte zu 2) hat im Rahmen dieser Bandübernahmeverträge somit einen künstlerischen Spielraum. In den Fällen, in denen die Beteiligte zu 2) das vom Künstler vorgelegte Werk weiterentwickelt und somit auf die zuletzt veröffentlichte Version Einfluss nimmt, liegt jedenfalls eine Tätigkeit im Werkbereich vor. Auch wenn man zugunsten des Gesamtbetriebsrats als wahr unterstellt, dass die Bandaufnahmen als solche überwiegend fertig von den Künstlern geliefert werden, so übernimmt die Beteiligte zu 2) unstreitig die Gestaltung des Auftritts des Künstlers. Dadurch gestaltet und beeinflusst sie das Werk, da dieses nicht nur auf das bloße Absingen oder Abspielen eines Musikstückes beschränkt ist, sondern auch die Präsentation umfasst. Überdies gesteht auch der Gesamtbetriebsrat zu, dass die Beteiligte zu 2) bei den Bandübernahmeverträgen Mitspracherechte hat, da er selbst ausführt, dass bei den Distributionsverträgen weniger Mitsprachemöglichkeiten existieren als bei den Bandübernahmeverträgen. Es bestehen also Mitspracherechte hinsichtlich der Erstellung des Werks.
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cc) Im Übrigen ist die Beteiligte zu 2) im Wirkbereich aktiv. Dies gilt sowohl, soweit sie im Rahmen von sog. Distributionsverträgen handelt als auch bei der Betreuung internationaler Künstler. Entgegen der Ansicht des Gesamtbetriebsrats betreibt sie nicht nur „kreatives Marketing“, vergleichbar mit dem Verkauf von Waschmaschinen.
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Wie oben ausgeführt bezeichnet der Wirkbereich der Kunst den Bereich, in dem der Öffentlichkeit Zugang zu einem Kunstwerk verschafft wird, also die Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks. Auch nach dem Vortrag des Gesamtbetriebsrats werden bei Distributionsverträgen fertige Musikwerke und Tonträger an Vermarktungsplattformen wie stationäre Großhändler oder Online-Händler zum Zweck des Weiterverkaufs an die Endkunden vermarktet. Die Beteiligte zu 2) wird somit zunächst schon allein dadurch im Wirkbereich tätig, dass sie eine Auswahl dahingehend trifft, was veröffentlicht wird. Sie entscheidet, welches Kunstwerk hergestellt und welcher künstlerische Inhalt damit verbreitet wird. Wie der Gesamtbetriebsrat selbst vorträgt, kann es dazu kommen, dass Lieder von Künstlern veröffentlicht werden, obwohl dies Mitarbeiter der Beteiligten zu 2) verhindern wollen z.B. Texte des Rappers „M.“. Nach dem Vortrag des Gesamtbetriebsrats hat der Geschäftsführer der Beteiligten zu 2) die Entscheidung getroffen, das Werk zu veröffentlichen. Er hat damit entschieden, der Öffentlichkeit Zugang zu diesem Werk zu verschaffen und sich im Wirkbereich der Kunst betätigt. Dass die Entscheidung (auch) dadurch beeinflusst wurde, dass die Hoffnung auf Gewinn bestand, ist irrelevant (vgl. oben Ziff. 2 a). Dasselbe gilt für das vom Gesamtbetriebsrat angeführte Beispiel der Entscheidung, den Rapper L nicht mehr unter Vertrag zu nehmen. Die Beteiligte zu 2) hat dadurch die Entscheidung getroffen der Öffentlichkeit keinen Zugang mehr zu diesem Künstler zu verschaffen. Ob diese Entscheidung monetär oder künstlerisch begründet ist, ist irrelevant. Jemand der entscheidet bestimmte Kunst zu veröffentlichen oder nicht zu veröffentlichen, bewegt sich im Wirkbereich der Kunst, da er darauf Einfluss nimmt, ob und wie ein Kunstwerk in die Öffentlichkeit gelangt – dies unabhängig davon, ob er das Werk für künstlerisch wertvoll oder nicht für künstlerisch wertvoll erachtet und ob er meint, damit Geld zu verdienen.
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Darüber hinaus werden sowohl bei Distributionsverträgen als auch bei der Veröffentlichung internationaler Künstler individuelle Vermarktungskonzepte erstellt. So gesteht auch der Gesamtbetriebsrat zu, dass z.B. hinsichtlich der Künstlerin O. und ihres Albums „O1“ lokale Marketingideen entwickelt und umgesetzt wurden wie z.B. die Anstrahlung des B. Tors und die Frage von Fernsehauftritten in bestimmten Shows wie z.B. „ ...?“ diskutiert wurde. Durch solche Konzepte nimmt die Beteiligte zu 2) darauf Einfluss, wie die KünstlerInnen bzw. die konkrete Künstlerin in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Allein die grundsätzliche Frage, ob eine Künstlerin wie O. bei einer Show wie „K“ oder bei „I“ auftreten soll, beeinflusst ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit, unabhängig davon, ob die Entscheidung letztlich umgesetzt wird oder nicht und ob die Konzernmutter darauf Einfluss genommen hat.
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3) Entgegen der Ansicht des Gesamtbetriebsrats handelt es sich bei der Beteiligten zu 2) auch nicht um ein Mischunternehmen, sodass sich die Frage der überwiegenden Tätigkeit oder des zahlenmäßigen Überwiegens von Tendenzträgern nicht stellt. Wie das Arbeitsgericht zu Recht ausgeführt hat, ist für ein Mischunternehmen kennzeichnend, dass es sowohl tendenzgeschützte als auch tendenzneutrale Zwecke verfolgt. Die Beteiligte zu 2) arbeitet jedoch nicht auf unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern, sondern ihr gesamter Unternehmenszweck ist auf die Tendenz der Schaffung und Verbreitung von Kunst ausgerichtet. Die bei ihr existierenden einzelnen Abteilungen können nicht losgelöst voneinander betrachtet werden. Sie verfolgen keinen eigenen Zweck, sondern dienen alle der Erfüllung des Unternehmensgegenstandes durch Schaffung der technischen und verwaltenden Voraussetzungen. So gesteht auch der Gesamtbetriebsrat zu, dass es nicht möglich ist zu sagen, dass eine bestimmte Anzahl von Personen oder Mannstunden auf den internationalen bzw. nationalen Bereich entfällt. Vielmehr seien alle Mitarbeiter für alle Bereiche tätig. Soweit der Gesamtbetriebsrat wiederholt darauf abstellt, dass das überwiegende Geschäft im internationalen Bereich generiert wird, so ist dies irrelevant. Auch im internationalen Bereich verfolgt die Beteiligte zu 2) den Unternehmenszweck der Schaffung und Verbreitung von Kunst.