Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 29.06.2022 – Au 3 K 20.31411
Titel:

Coronavirus, SARS-CoV-2, Abschiebung, Asylantrag, Einkommen, Bescheid, Freiheitsstrafe, Einreise, Ausreise, Asylanerkennung, Bundesamt, Abschiebungsverbote, Abschiebungsverbot, Anklage, Staatsanwaltschaft, Verfolgung, Kosten des Verfahrens, Furcht vor Verfolgung, medizinische Versorgung

Schlagworte:
Coronavirus, SARS-CoV-2, Abschiebung, Asylantrag, Einkommen, Bescheid, Freiheitsstrafe, Einreise, Ausreise, Asylanerkennung, Bundesamt, Abschiebungsverbote, Abschiebungsverbot, Anklage, Staatsanwaltschaft, Verfolgung, Kosten des Verfahrens, Furcht vor Verfolgung, medizinische Versorgung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 49054

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Kläger begehren mit ihrer Klage die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, des subsidiären Schutzstatus und die Feststellung von Abschiebungsverboten.
2
Sie sind nach den Feststellungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) türkische Staatsangehörige kurdischer Volks- und alevitischer Religionszugehörigkeit. Die Kläger zu 1) und 2) reisten nach eigenen Angaben am 11. Februar 2017 über Frankreich in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 21. Februar 2017 Asylanträge beim Bundesamt. Für die am *. * 2017 in * geborene Klägerin zu 3) gilt gemäß § 14a Abs. 2 AsylG ein Asylantrag als gestellt.
3
Die Asylerstanträge der Kläger wurden mit Bescheid des Bundesamts vom 19. Juli 2017 abgelehnt, wobei die Abschiebung in die Türkei angedroht wurde. Die hiergegen gerichtete Klage wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 11. Juli 2019 (Au 6 K 17.34147) rechtskräftig abgewiesen.
4
Am 22. Januar 2020 stellten die Kläger Folgeanträge. Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, dass ein Festnahmebefehl, ein Gerichtsbeschluss sowie Polizeiprotokolle vorlägen. Der Kläger zu 2) habe in der Türkei einen Rechtsanwalt beauftragt. Dieser habe ihm ca. Ende November 2019 mitgeteilt, dass in der Türkei mehrere Strafverfahren gegen ihn anhängig seien. Ein Verfahren sei eingestellt, ein weiteres ein sog. Open-Source-Verfahren. Der türkische Rechtsanwalt nehme an, dass die laufenden Verfahren derzeit noch im Ermittlungsstadium seien. Der Rechtsanwalt sei über das Anwaltsportal UYAP an diese Informationen gekommen. Gegen den Kläger zu 2) werde u.a. wegen „Propaganda für eine Terrororganisation“ ermittelt. In den letzten Monaten sei – möglicherweise aufgrund des Festnahmebefehls – die Zivilpolizei zweimal zum Elternhaus des Klägers zu 2) gekommen und habe nach ihm gefragt. Im Falle einer Rückkehr stehe zu befürchten, dass der Kläger zu 2) sofort festgenommen, inhaftiert und gefoltert werden würde. Daher sei die ganze Familie in Gefahr.
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Bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt am 3. August 2020 gab der Kläger zu 2) im Wesentlichen an: Im Juni 2019 sei gegen ihn eine Klage in der Türkei eröffnet worden. Es liege auch ein Festnahmebefehl gegen ihn vor. Bereits zuvor habe er Probleme in der Türkei gehabt, weshalb er vor ca. vier Jahren einen Asylantrag in Deutschland gestellt habe. Die neuen Unterlagen wolle er nun ergänzend hinzufügen. Wenn er in die Türkei zurückkehre, würden sie wieder Probleme haben. Auf Vorhalt des Bundesamts, das sich aus den eingereichten Unterlagen keine Anklage, sondern nur Ermittlungsunterlagen und ein Festnahmebefehl ergäben, gab der Kläger zu 2) an, dass in letzter Zeit die Polizei zweimal zu ihm nach Hause gekommen sei. Nur wenn er bei der Polizei aussage, könne eine Anklage gegen ihn erhoben werden. Da sie ihn nicht hätten auffinden können, sei dies bisher nicht möglich gewesen. Sein Anwalt in der Türkei habe ihm gesagt, dass er, wenn er in die Türkei zurückkehre, inhaftiert werde, auch wenn in den Unterlagen stünde, dass er nur vernommen werden solle. Nach seiner Einschätzung würde er eine Strafe von drei bis sechs Jahren erhalten. Auf Frage, wie er in den Besitz der Unterlagen gekommen sei, gab der Kläger zu 2) an, er habe seinem Anwalt in der Türkei eine Vollmacht erteilt. Die Unterlagen habe ihm dann sein Anwalt aus der Türkei zugeschickt. Auf Frage, was ihn dazu veranlasst habe, einen Anwalt zu beauftragen, gab der Kläger zu 2) an, er habe nicht gewusst, dass eine Klage gegen ihn vorliege. Im Juli oder August 2019 habe er seine Gerichtsverhandlung wegen seines Asylantrags in Deutschland gehabt. Hätte er damals schon gewusst, dass eine Klage gegen ihn vorliege, hätte er diese schon damals eingereicht. Erst nachdem die Polizei zu seiner Wohnung gekommen sei, habe er es erfahren. Daraufhin habe er seinen Anwalt in der Türkei kontaktiert. Er habe ihn gefragt, ob etwas gegen ihn vorliege. Sein Anwalt habe im UYAP-System nachgeschaut und gesagt, dass gegen ihn Ermittlungen liefen. Er habe gesagt, wenn er diese Unterlagen benötige, müsse er ihm eine Vollmacht geben. Auf Frage, ob er diese Unterlagen selbst über e-Devlet/UYAP einsehen könne, gab der Kläger zu 2) an, dass er zwar einmal einen Zugang gehabt habe. Nach einer gewissen Zeit müsse man das Passwort allerdings aktualisieren, was er nicht gemacht habe. Wenn man ein neues Passwort wolle, müsse man in der Türkei zur Post gehen. Man werfe ihm Terrorpropaganda vor, da er in den sozialen Medien Beiträge und Kommentare veröffentlicht habe. Aus seiner Sicht sei dies freie Meinungsäußerung. Er glaube nicht, dass dies irgendeine Straftat darstellen dürfe. In der Türkei könne man seine Meinung nicht frei äußern. Er sei in der Türkei seit 2011 Aktivist der Halkların Demokratik Partisi (HDP). Er habe in der Partei gearbeitet und Wahlkampf für die HDP in den sozialen Medien geführt. Er habe sich dort ferner für die Freilassung von Demirtas eingesetzt und zur Kurdenproblematik geäußert. Auf Nachfrage bestätigte der Kläger zu 2), dass der in den türkischen Unterlagen genannte Twitter-Account (https://twitter.com/*) sowie der Facebook-Account (https://facebook.com/*) jeweils sein Account sei. Auf Facebook teile er nicht mehr so viel, auf Twitter indes schon. Auf Vorhalt, dass bei einem Aufruf des Facebook-Accounts der Hinweis erscheine, dass der angeklickte Link entweder nicht funktioniere oder die Seite entfernt worden sei, gab der Kläger zu 2) an, er habe seinen Facebook-Account so eingestellt, dass er für Dritte nicht mehr sichtbar sei. Auf Nachfrage, ob die in den Unterlagen erhobenen Vorwürfe gerechtfertigt seien, dass er am 24. Juni 2019 sowohl über Twitter als auch über Facebook die Partiya Karkerên Kurdistanê (PKK) bzw. Koma Civakên Kurdistan (KCK) in lobender Weise erwähnt und die Beiträge auch geteilt habe, gab der Kläger zu 2) an, er habe Fotos von YPG-Märtyrern geteilt oder auf Twitter re-tweetet. Er habe auch eine Nachricht geteilt, dass man in Deutschland die Flagge der YPG frei zeigen könne. Zu diesem Zeitpunkt habe er sich bereits in Deutschland befunden. Er selbst habe die türkische Regierung in seinen Kommentaren kritisiert, z.B. weshalb die Regierung im Südosten der Türkei Operationen und Razzien veranlasse und auch Angriffe der türkischen Armee auf die Kurden im Irak und Syrien. Es seien aber auch Beiträge dabei gewesen, die er geteilt habe. Er glaube nicht, dass er Terrorpropaganda betreibe. Die Personen, deren Fotos er geteilt habe, seien selbst keine Terroristen. Menschen, deren Häuser zerstört worden seien und die sich dann selbst verteidigen würden, seien nach seiner Meinung auch keine Terroristen. Er würde die PKK nicht als Terrororganisation definieren. Im Grunde sei sie eine Arbeiterpartei, die die Kurdenrechte verteidige. Erst nachdem auf die Partei Druck ausgeübt worden sei, habe sie angefangen, sich mit Waffen zu verteidigen. In Deutschland habe er Demonstrationen zusammen mit der MLP organisiert, z.B. für Kobane. Er glaube, dass er bei einer Rückkehr in die Türkei festgenommen, inhaftiert und gefoltert werde. Auf Frage, warum man ihn foltern solle, wenn in dem Festnahmebefehl lediglich stehe, dass er vernommen und anschließend wieder freigelassen werden solle, gab der Kläger zu 2) an, ein Beispiel sei „Demirtas“. Gegen ihn lägen keine Beweise vor und er sei trotzdem im Gefängnis. So werde es auch ihm ergehen. Auch wenn sie keine Beweise hätten, würden sie ihn so lange festhalten, bis sie Beweise gefunden hätten. Zudem habe er auch schon in der Vergangenheit Probleme gehabt. Man werde ihn vernehmen. Wenn er zu dem stehe, was er geteilt habe und auch zu seiner politischen Ansicht, werde man ihn foltern. Bevor er nach Deutschland gekommen sei, sei die Polizei zu ihm nach Hause gekommen. Es sei nicht schön gewesen, wie die Polizei seine Eltern und seine Ehefrau behandelt habe. Seine beiden minderjährigen Kinder hätten keine eigenen Asylgründe. Er habe die Befürchtung, dass Informationen über ihn von Deutschland aus in die Türkei weitergegeben würden. Immer, wenn er hier einen Termin gehabt habe, sei die Polizei zu seinen Eltern in der Türkei gekommen. Dies sei schon zu seinem Anhörungstermin vor Corona so gewesen und auch jetzt der Fall.
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Die Klägerin zu 1) gab in ihrer Anhörung vor dem Bundesamt am 3. August 2020 im Wesentlichen an, sie sei psychisch erkrankt und erhalte Medikamente. Der Grund für ihren Folgeantrag sei, dass ihr Ehemann einen Anwalt in der Türkei kontaktiert habe, der ihm Unterlagen zugeschickt habe. Sie persönlich habe keine Probleme. Die Polizei könne sie aber wegen ihres Ehemannes befragen, wenn sie in die Türkei zurückkehren würde. Es gebe solche Beispiele. Sie würde allgemein Probleme wegen ihres Ehemannes bekommen. Sie sei Krankenschwester und würde keine Arbeit mehr finden. Ihre beiden minderjährigen Kinder hätten keine eigenen Asylgründe. Sie seien bereits seit vier Jahren hier in Deutschland, dies sei eine lange Zeit. Sie seien nicht aus wirtschaftlichen Gründen hier. Sowohl sie als auch ihr Ehemann hätten ein gutes Einkommen in der Türkei gehabt. Sie hätten nie das Ziel gehabt oder den Traum, nach Deutschland zu kommen. Sie seien Menschen, die ihr Vaterland lieben würden. Sie sei Krankenschwester und es sei ihr gut gegangen in der Türkei. Jetzt bekomme sie als Flüchtling 320 EUR pro Monat. Darüber beklage sie sich nicht und dies sei für sie auch nicht ausschlaggebend, in Deutschland zu bleiben. Sie habe ihre Familie, ihre Arbeit und Karriere hinter sich gelassen. Sie habe seit dem elften Lebensjahr für den Beruf der Krankenschwester gelernt. Dieser Beruf sei in der Türkei hoch angesehen. Hier in Deutschland habe sie ein Trauma erlitten. Sie habe sogar Suizidversuche unternommen. Sie habe sterben wollen. Sie glaube, das sei der tiefste Punkt, an dem ein Mensch angelangen könne. In der Türkei könnten sie nirgendwo anders leben. Wenn man im Visier des türkischen Staates sei, ginge das nicht. Deutschland sei ein Rechtsund Sozialstaat. Es gehe ihnen nur um ihre Lebenssicherheit.
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Als Beweismittel wurden u.a. folgende Unterlagen vorgelegt:
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- Undatierter Untersuchungsbericht
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– Untersuchungsbericht des Polizeipräsidiums Van vom 26. Juni 2019
10
– Ermittlungsdokument vom 26. Juni 2019
11
– Verhandlungsprotokoll des Staatsanwalts der gerichtlichen Einheit vom 28. Juni 2019
12
– Schreiben des Gouverneursamts Van an die Oberstaatsanwaltschaft Van vom 1. Juli 2019
13
– Unzuständigkeitsbeschluss der Oberstaatsanwaltschaft Van vom 18. Juli 2019
14
– Schreiben der Oberstaatsanwaltschaft Gaziantep vom 21. Oktober 2019
15
– Festnahmebefehl vom 1. November 2019
16
– Ärztliches Attest vom 27. August 2020 für die Klägerin zu 1).
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Mit Bescheid vom 5. Oktober 2020 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung und auf subsidiären Schutz ab (Nr. 1 bis 3), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen (Nr. 4) und drohte die Abschiebung in die Türkei an (Nr. 5). Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens seien gegeben. Es liege der Wiederaufgreifensgrund der Sachlagenänderung vor. Aus Sicht des Bundesamts lägen keine offensichtlichen, gegen die Echtheit der vorgelegten Unterlagen der türkischen Ermittlungsbehörden und des Festnahmebefehls sprechenden Merkmale vor. Der Kläger zu 2) habe nachvollziehbar schildern können, wie er in den Besitz dieser Unterlagen gekommen sei. Auch weise der vorgelegte Festnahmebefehl keine augenscheinlichen Auffälligkeiten auf, was Form, Schrift oder die aufgeführten türkischen Rechtsnormen anbelange. Der Kläger zu 2) müsse sich aber den berechtigten Vorwurf gefallen lassen, nicht alles in seiner Macht Stehende unternommen zu haben, um die Regelvermutung des § 28 Abs. 2 AsylG zu widerlegen, da er die Unterlagen nicht über seinen e-Devlet-Zugang habe vorzeigen können. Die Kläger seien keine Flüchtlinge. Der Kläger zu 2) könne sich nicht darauf berufen, in der Türkei wegen seiner Aktivität in den sozialen Medien politisch verfolgt zu werden, da die Gefahr politischer Verfolgung auf Umständen beruhe, die er selbst nach dem Verlassen seines Herkunftsstaates aus eigenem Entschluss geschaffen habe. Die vom Kläger zu 2) vorgelegten Tweets aus Twitter datierten, mit Ausnahme von vier Tweets, sämtlich nach seiner Einreise in das Bundesgebiet. Diese vier Tweets aus den Jahren 2015 und 2017 seien jedoch nicht Bestandteil des Ermittlungsverfahrens. Aus den vorgelegten Unterlagen gehe hervor, dass gegen den Kläger zu 2) wegen Propagierens für eine Terrororganisation ermittelt werde aufgrund Artikel 7 Absatz 2 des Antiterrorgesetzes 3713, der eine Freiheitsstrafe von einem bis fünf Jahren vorsehe. Grundlage für diese Ermittlungen sei eine Anzeige gewesen, die am 24. Juni 2019 bei der Abteilungsleitung für elektronische Fernmeldetechnik eingegangen sei. Aus diesen Ermittlungsunterlagen sei nicht ersichtlich, dass durch diese Beiträge in den sozialen Medien eine Verbindung zu der vorgetragenen HDP-Vergangenheit, die bereits im Erstverfahren des Klägers zu 2) gewürdigt worden sei, hergestellt werde. Der Kläger zu 2) habe in seiner informatorischen Anhörung am 3. August 2020 zwar erneut dieses Ermittlungsverfahren in Zusammenhang mit seiner HDP-Vergangenheit gebracht, dies jedoch nicht glaubhaft machen können. So habe er nach seinen eigenen Angaben in der Türkei Wahlkampf für die HDP in den sozialen Medien geführt, sich für die Freilassung von Demirtas eingesetzt und zur Kurdenproblematik geäußert, dies spiegle sich jedoch nicht in den vorgelegten übersetzten Tweets aus diesem Zeitraum wider. Dem Kläger zu 2) sei es nicht gelungen, die gesetzliche Missbrauchsvermutung zu widerlegen. Er habe seine exilpolitischen Tätigkeiten bewusst intensiviert, um ganz offensichtlich die Voraussetzungen für eine Flüchtlingsanerkennung zu schaffen. So habe er beispielsweise erst auf Nachfrage angeben, dass er sich, neben seinen Beiträgen in den sozialen Medien, auch anderweitig in Deutschland politisch engagiert habe, indem er Demonstrationen mitorganisiert habe, z.B. für Kobane. Dieses Vorbringen wirke jedoch nicht glaubhaft, sondern übersteigert, zumal er hierfür auch keine verwertbaren Belege habe erbringen können. Öffentliche Äußerungen, auch in sozialen Netzwerken, Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange seien zudem nach türkischem Recht nur dann strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen gewertet werden könnten. Auch das Vorbringen des Klägers zu 2), dass bereits eine Klage gegen ihn in der Türkei erhoben worden sei, entspreche ausweislich der vorgelegten Unterlagen nicht der Wahrheit. Erst auf Vorhalt habe der Kläger zu 2) eingeräumt, dass doch noch keine Anklage gegen ihn erhoben worden sei. Es könne auch kein Politmalus angenommen werden, der die Annahme zuließe, dass das laufende Ermittlungsverfahren gegen Kläger zu 2) nicht nach rechtsstaatlichen Grundsätzen erfolge. So sei dem türkischen Anwalt komplette Akteneinsicht gewährt und nicht etwa ein richterlicher Beschränkungsbeschluss nach Artikel 153 Abs. 2 CMK (türkische Strafprozessordnung) erlassen worden, was bei Ermittlungsverfahren wegen Terrorverdachts in der Türkei seit dem Putschversuch verstärkt Praxis sei. Auch die von der Polizei in der Türkei durchgeführten Ermittlungen ergäben keinerlei Hinweise auf ein nicht-rechtsstaatliches Verfahren. Nach dem Ermittlungsdokument der Generaldirektion für das Polizeiwesen vom 26. Juni 2019 sei sogar eher davon auszugehen, dass das laufende Verfahren gegen den Kläger zu 2) zu keiner Anklage führen werde, da es laut dieses Ermittlungsberichts aufgrund der Natur des Internets keine Möglichkeit gebe, die Richtigkeit der Informationen, die durch offene Quellen erlangt worden seien, zu bestätigen. An dieser Einschätzung ändere auch der vorgelegte Festnahmebefehl nichts. Nach der türkischen Strafprozessordnung (Artikel 98) solle der Kläger zu 2) festgenommen und vernommen werden. Nach seiner Vernehmung sei er freizulassen. Dass der türkische Anwalt des Klägers zu 2) ihm etwas Gegenteiliges gesagt habe, nämlich, dass man ihn nach seiner Vernehmung trotzdem in Haft lasse, möge die Einschätzung des Anwalts sein, entspreche jedoch nicht der Realität, genauso wie die Befürchtung des Klägers zu 2), dass man ihn foltern werde. Es sei in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein in die Türkei zurückgekehrter Asylwerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten – dies gelte auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen – gefoltert oder misshandelt worden sei. Für die Klägerin zu 1) bestehe keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer flüchtlingsrelevanten Verfolgung. Ihre Angabe, man könne sie wegen ihres Ehemannes befragen, stelle keine Verfolgungshandlung im Sinne des Gesetzes dar, zumal die Klägerin zu 1) nach Artikel 45 Abs. 1 b) CMK von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen könne. Für die Klägerin zu 3) seien durch die beiden Elternteile keine eigenen Asylgründe vorgebracht worden.
18
Am 22. Oktober 2020 ließen die Kläger hiergegen Klage erheben. Sie beantragen,
19
unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 5. Oktober 2020 ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise den subsidiären Schutz zu gewähren und weiter hilfsweise Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG festzustellen.
20
Das Bundesamt hat die elektronische Verfahrensakte vorgelegt und beantragt,
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die Klage abzuweisen.
22
Mit Schriftsatz vom 7. April 2022 hat der Kläger zu 2) weitere Unterlagen vorgelegt: 
23
- Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft * vom *: * 2020
24
- „Haftbefehl“ vom *. * 2020
25
- Beschluss der vierten Strafkammer des Amtsgerichts * vom +. * 2020
26
- Bewilligungsschreiben des türkischen Justizministeriums vom *. * 2021
27
- Anklageschrift der Staatsanwaltschaft * vom *. * 2021
28
- Prozessleitende Verfügung der *. Strafkammer des Amtsgerichts * vom *. * 2021
29
- Ankündigungsschreiben der *. Strafkammer des Amtsgerichts * über einen Verhandlungstermin am *. * 2022
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Mit Beschluss vom 16. März 2022 hat die Kammer den Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen. 
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In der mündlichen Verhandlung vom 12. April 2022 hat der Kläger zu 2) sich in UYAP eingeloggt und dort u.a. Unterlagen eines gegen ihn wegen Beleidigung des türkischen Staatspräsidenten geführten Strafverfahrens aufgerufen.
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Mit Beschluss vom 28. April 2022 hat der Einzelrichter den Rechtsstreit aufgrund einer wesentlichen Änderung der Prozesslage wegen grundsätzlicher Bedeutung auf die Kammer rückübertragen. 
33
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Behördenakten. Weiter wird Bezug genommen auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 12. April 2022 und 29. Juni 2022 sowie die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisgrundlagen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat keinen Erfolg.
35
A) Sie ist bereits unzulässig, soweit sie darauf gerichtet ist, dass das Gericht selbst den Klägern unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 5. Oktober 2020 die Flüchtlingseigenschaft zuerkennen, hilfsweise subsidiären Schutz gewähren und weiter hilfsweise Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG feststellen soll. Bei verständiger Auslegung des klägerischen Begehrens (§ 88 VwGO) ist hierin als Minus der Antrag auf Verpflichtung der Beklagten, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen und weiter hilfsweise Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG festzustellen, enthalten.
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B) Die in diesem Umfang zulässige Klage ist allerdings unbegründet.
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Die Kläger haben zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf die Gewährung subsidiären Schutzes oder auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 bzw. 7 AufenthG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 5. Oktober 2020 ist daher rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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I. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
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Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet.
40
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist, gilt einheitlich der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“), der demjenigen der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – juris) entspricht. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 32).
41
Es ist Sache des Betroffenen, die tatsächlichen Umstände, die seine Furcht vor Verfolgung rechtfertigen sollen, in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, wobei in der Regel eine Glaubhaftmachung ausreicht. Voraussetzung hierfür ist allerdings ein detaillierter und in sich stimmiger Sachvortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
42
Gemessen hieran droht den Klägern auch unter Berücksichtigung ihres individuellen Vortrags in der Türkei nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrelevante Verfolgung. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist das Gericht davon überzeugt (§ 108 Abs. 1 VwGO), dass die Kläger ihr Heimatland nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung verlassen haben. Denn die Angaben der Kläger sind nicht geeignet, die Annahme einer vor ihrer Ausreise tatsächlich erlittenen oder unmittelbar drohenden flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung zu rechtfertigen. Die Kläger haben darüber hinaus auch bei einer Rückkehr in die Türkei eine solche Verfolgung nicht zu erwarten.
43
1. Eine Gruppenverfolgung allein wegen einer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden haben Asylbewerber aus der Türkei nicht zu befürchten. Kurden gehören zu einer weit verbreiteten Bevölkerungsgruppe in der Türkei. Anhaltspunkte für eine staatliche oder staatlich geduldete Gruppenverfolgung ethnischer Kurden liegen nicht vor (vgl. SächsOVG, B.v. 9.4.2019 – 3 A 358/19 – juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 10.2.2020 – 24 ZB 20.30271 – juris Rn. 6).
44
2. Aus dem individuellen Vortrag des Klägers zu 2) ergibt sich nicht, dass ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in der Türkei eine flüchtlingsrelevante Verfolgung droht.
45
a) Zu Unrecht geht das Bundesamt in seinem Bescheid vom 5. Oktober 2020 allerdings davon aus, dass der Kläger zu 2) der Regelvermutung des § 28 Abs. 2 AsylG unterliege und diese nicht habe entkräften können. Nach § 28 Abs. 2 AsylG kann einem Ausländer, der nach unanfechtbarer Ablehnung eines Asylantrags erneut einen Asylantrag stellt und diesen auf Umstände stützt, die er nach unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrags selbst geschaffen hat, in einem Folgeverfahren in der Regel die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden. Diese Konstellation liegt hier nicht vor: Die nach der Vorschrift entscheidende zeitliche Zäsur liegt in dem (erfolglosen) Abschluss des Erstverfahrens (BVerwG, U.v. 18.12.2008 – 10 C 27/07 – NVwZ 2009, 730 Rn. 14). Die unanfechtbare Ablehnung des Asylerstantrags des Klägers zu 2) ist mit Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 11. Juli 2019 am 27. August 2019 eingetreten. Grundlage der Folgeantragsbegründung sind Strafverfahren des türkischen Staates, die – namentlich im Hinblick auf den Tatbestand der Beleidigung des türkischen Staatspräsidenten – an Veröffentlichungen des Klägers zu 2) vor dem 27. August 2019 anknüpfen. Insoweit kommt es für den selbst geschaffenen Umstand i.S.d. § 28 Abs. 2 AsylG auch nicht auf den Zeitpunkt der Ermittlungshandlungen des türkischen Staates an, da der Kläger zu 2) hierauf keinen Einfluss haben dürfte, sondern auf seine Veröffentlichungen am *. Dezember 2017 und *. März 2018, die Anlass und Grundlage der Strafverfahren sind.
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b) Der Kläger zu 2) konnte das Gericht nicht davon überzeugen, dass gegen ihn ein Strafverfahren wegen Terrorpropaganda geführt wird. Die Kammer hält die insoweit anlässlich der Folgeantragsbegründung vorgelegten Unterlagen im Rahmen einer umfassenden Gesamtwürdigung für gefälscht. So konnte der Kläger zu 2) diese Unterlagen in der mündlichen Verhandlung – anders als diejenigen im Strafverfahren wegen Beleidigung des türkischen Staatspräsidenten – nicht in UYAP abrufen, obwohl kein Geheimhaltungsbeschluss besteht. Es kommt hinzu, dass der Begriff „temin edilebilmesi“ in einem angeblichen Verhandlungsprotokoll der Staatsanwaltschaft und einem Untersuchungsbericht des Polizeipräsidiums fehlerhaft verwendet wird, weil dieser Begriff nach den übereinstimmenden Angaben der beiden Übersetzerinnen des Bundesamts und der Dolmetscherin in der mündlichen Verhandlung für Gegenstände und nicht für Personen verwendet wird. Daneben sind Teile der vorgelegten Dokumente an entscheidenden Stellen nicht lesbar und der Beglaubigungsvermerk „ASLI GIBIDIR“ lässt den Aussteller in keiner Weise erkennen. Vielmehr weist auf die beglaubigende Person nur ein nicht lesbares Namenszeichen hin. Bei der türkischen Justiz ist es indes üblich, dass die – hier fehlende – Personenkennnummer des handelnden Mitarbeiters angegeben wird. Gegen die Echtheit spricht schließlich, dass bei den zum angeblichen Ermittlungsverfahren wegen Terrorpropaganda eingereichten Unterlagen – anders als in den Unterlagen wegen Präsidentenbeleidigung – kein konkreter nach Tatzeit und Tathandlung umgrenzter Tatvorwurf, sondern – etwa im Ermittlungsdokument vom *. * 2019 – nur die allgemeine Floskel „Straftaten und/oder Straftatbestände“ enthalten ist. Im Übrigen ist die Aussage des Klägers zu 2) nicht glaubhaft, dass es kein Protokoll über die angebliche Polizeirazzia im Jahr 2016 und die dabei beschlagnahmten Gegenstände gebe, weil es sich um eine willkürliche Polizeirazzia gehandelt habe. Insoweit hätten zumindest die Eltern des Klägers zu 2) oder dessen Anwalt einen Antrag auf Ausstellung entsprechender Dokumente stellen können. Nach Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe wird der von der Durchsuchung betroffenen Person bzw. den Familienangehörigen gemäß Artikel 121 der türkischen Strafprozessordnung eine Bestätigung der Durchsuchung (arama tutanagi) ausgehändigt. Ferner können die Personen, die bei der Durchsuchung anwesend sind, auf Verlangen eine Liste der beschlagnahmten Güter erhalten (SFH, Türkei: Zugang für Familienangehörige zu Hausdurchsuchungs-, Beschlagnahmungs- und Haftbefehlen vom *.*..2019, S. 6 f.).
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Soweit der Kläger zu 2) in der mündlichen Verhandlung beantragt hat, die von ihm bei seiner Anhörung durch die Beklagte vorgelegten Unterlagen aus dem Jahr 2019 durch eine vereidigte Übersetzerin übersetzen zu lassen und im Falle einer Abweichung zur Übersetzung durch die Beklagte die Unterlagen sprachsachverständig prüfen zu lassen, ist ergänzend zu den bereits in der mündlichen Verhandlung mitgeteilten Gründen des Ablehnungsbeschlusses darauf hinzuweisen, dass es sich mangels Angabe einer zu beweisenden Tatsache bereits nicht um einen tauglichen Beweisantrag handelt. Bei dem Antrag auf Übersetzung und sachverständige Prüfung der klägerischen Unterlagen handelt es sich der Sache nach lediglich um eine Beweisanregung, der die Kammer auch unter Berücksichtigung ihrer Ermittlungspflicht nicht nachkommen musste. Die vom Kläger zu 2) vorgetragene „Unüberprüfbarkeit der Angaben des Bundesamts“ gibt keinen Anlass dazu, die entsprechenden Dokumente erneut übersetzen und ggf. sachverständig überprüfen zu lassen. Die Kammer hat keine Anhaltspunkte dafür, dass sowohl die beiden Übersetzerinnen des Bundesamts als auch die in der mündlichen Verhandlung anwesende Dolmetscherin die entscheidenden Passagen fehlerhaft übersetzt haben. Solche Anhaltspunkte hat der Kläger zu 2) auch nicht substantiiert vorgetragen. Der Antrag auf erneute Übersetzung und sprachsachverständige Prüfung der Dokumente stellt sich insoweit als Ausforschungsversuch dar, mit dem das gewünschte Ergebnis erst ermittelt werden soll.
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Soweit der Kläger zu 2) beantragt hat, die in der mündlichen Verhandlung eingesetzte Dolmetscherin wegen Befangenheit abzulehnen, weist die Kammer ergänzend zu den bereits in der mündlichen Verhandlung mitgeteilten Gründen des Ablehnungsbeschlusses darauf hin, dass die vorgetragenen Gründe keine Besorgnis der Befangenheit der Dolmetscherin rechtfertigen. Gemäß § 55 VwGO in Verbindung mit § 191 GVG und § 406 ZPO können dieselben Gründe, die bei einem Richter zur Ausschließung und zur Ablehnung führen, die Ablehnung des Dolmetschers rechtfertigen (BVerwG, B.v. 29.8.1984 – 9 B 11247/82 – juris Rn. 5). Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit setzt voraus, dass ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Dolmetschers zu rechtfertigen, nicht dagegen, dass der Dolmetscher tatsächlich befangen, voreingenommen oder parteiisch ist. Es genügt, wenn vom Standpunkt eines Beteiligten aus gesehen hinreichend objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass geben, an seiner Unparteilichkeit zu zweifeln. Die rein subjektive Besorgnis, für die bei Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist, reicht dagegen nicht aus. Der Ablehnungsgrund ist substantiiert darzulegen (zum Ganzen im Hinblick auf die Befangenheit eines Richters BVerwG, B.v. 28.2.2022 – 9 A 12/21 – NVwZ 2022, 884 Rn. 20 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Kläger zu 2) hat selbst nicht vorgetragen, welche konkreten Äußerungen der Dolmetscherin Anlass zur Befangenheit geben sollen. Er hat vielmehr lediglich darauf verwiesen, dass die Dolmetscherin aufgrund ihrer Haltung zur türkischen Invasion in Syrien sowie aufgrund ihrer Haltung zum Umgang des türkischen Regimes mit Oppositionellen und schließlich ihrer Äußerungen im türkisch-kurdischen Konflikt aus der SPD ausgeschlossen worden sei. Dieser Vortrag ist bereits inhaltlich unrichtig und rechtfertigt auch im Übrigen nicht die Besorgnis der Befangenheit. Der Vortrag ist unzutreffend, soweit er den Ausschluss der Dolmetscherin aus der * behauptet, da die Dolmetscherin ausweislich der entsprechenden Presseerklärung vom 18. Dezember 2019 lediglich die *Fraktion im Bezirksausschuss * * auf deren Wunsch hin verlassen hat (*…). Auslöser sei gewesen, dass sie in exponierter Position bei der anstehenden Kommunalwahl auf einer anderen Liste für den * Stadtrat kandidiere. Lediglich ergänzend wird angegeben, dass man sich auch inhaltlich in letzter Zeit auseinanderentwickelt habe: Ihre Haltung zum Umgang des türkischen Regimes mit Oppositionellen, zum Angriff der Türkei auf Syrien sowie ihre Äußerungen zum türkisch-kurdischen Konflikt seien für die * mit den Grundwerten der Sozialdemokratie nicht zu vereinen. Dieser Umstand rechtfertigt keine Besorgnis der Befangenheit. Die politische Einstellung der Dolmetscherin rechtfertigt nicht den Schluss, dass sie zum Nachteil von regierungskritischen Kurden im Allgemeinen und zum Nachteil des Klägers zu 2) im Besonderen übersetzt, zumal sie selbst kurdischer Abstammung ist. Hierfür haben sich in der mündlichen Verhandlung keine Anhaltspunkte ergeben. Im Übrigen wurde der konkrete Wortlaut der beanstandeten Äußerungen durch den Kläger zu 2) nicht benannt. Vielmehr handelt es sich um Angaben durch einen Dritten, der zudem mit der Veröffentlichung einer entsprechenden Erklärung eigene Interessen verfolgt hat. Letztlich leitet der Kläger zu 2) die Besorgnis der Befangenheit daraus her, dass ein Dritter (die *-Fraktion im Bezirksausschuss * *) nicht näher benannte Äußerungen der Dolmetscherin als mit Grundwerten einer Partei unvereinbar angesehen hat. Eine eigene Betroffenheit hat der Kläger zu 2) hingegen nicht substantiiert dargelegt.
49
c) Soweit der Kläger zu 2) im Klageverfahren erstmals Unterlagen über ein Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung des türkischen Staatspräsidenten vorgelegt hat, sind diese ebenfalls nicht geeignet, eine flüchtlingsrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen.
50
Zwar hält die Kammer diese Unterlagen – im Unterschied zu denen, die sich auf eine angebliche Verfolgung wegen Terrorpropaganda beziehen (s.o.) – für echt, da der Kläger zu 2) sie in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar in UYAP vorzeigen konnte. Das sich daraus ergebende Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen Präsidentenbeleidigung ist allerdings nicht geeignet, eine flüchtlingsrelevante Verfolgung zu begründen.
51
Die Kammer verkennt dabei nicht, dass die zweite Sektion des EGMR in einer jüngeren Entscheidung die auch gegen den Kläger angewandte Strafnorm des § 299 tStGB für mit Art. 10 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) unvereinbar erklärt hat (EGMR, U.v. 19.10.2021 – 42048/19 – insbes. Rn. 54). Daraus folgt nach Ansicht der Kammer allerdings nicht, dass dem Kläger zu 2) allein wegen eines auf Grundlage einer für konventionswidrig erklärten Norm geführten Strafverfahrens die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen wäre (a.A. VG Augsburg, U.v. 15.12.2021 – Au 6 K 21.30988). Zwar sind Entscheidungen des EGMR von den nationalen Gerichten zu berücksichtigen, d.h. sie sind grundsätzlich daran gebunden (vgl. grundlegend BVerfG, B.v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 – NJW 2004, 3407). Vorliegend besteht allerdings die Besonderheit einer Divergenz zwischen einzelnen Sektionen des EGMR. Dieser hat sich bereits mehrfach mit der Konventionswidrigkeit von Strafverfahren wegen Beleidigung eines Staatsoberhauptes befasst. Allerdings stellte etwa die dritte Sektion in einer Entscheidung aus Anlass einer Beleidigung des spanischen Königs noch auf die konkrete Strafe ab (U.v. 15.3.2011 – 2034/07 – NJOZ 2012, 833). Die Entscheidung der vierten Sektion vom 26. September 2007 (75510/01) zum damaligen Art. 158 tStGB im Hinblick auf die Beleidigung des türkischen Staatspräsidenten verwies zwar bereits darauf, dass eine Privilegierung bzw. ein besonderer Schutz eines Staatsoberhauptes im Hinblick auf das Recht auf Information und Meinungsäußerung nicht gerechtfertigt sei, enthält aber – anders als die Entscheidung der zweiten Sektion vom *. * 2021 (42048/19) – noch nicht den Hinweis, dass erst ein Angleichen des innerstaatlichen Rechts an die oben genannte Bestimmung der Konvention eine angemessene Form der Wiedergutmachung darstellen würde und den festgestellten Verstoß beenden könne. Die Entscheidung der zweiten Sektion vom *. * geht auf diese Abweichung zu den Entscheidungen der dritten und vierten Sektion nicht ausdrücklich ein, insbesondere wurde die Rechtssache offenbar nicht gem. Art. 30 EMRK an die große Kammer abgegeben. Wegen der dargestellten divergierenden Rechtsprechung einzelner Sektionen des EGMR scheidet eine Bindungswirkung für die nationalen Gerichte aus.
52
Die Kammer teilt die Auffassung der zweiten Sektion des EGMR nicht. Auch im deutschen Recht ermöglichen die §§ 90 und 188 StGB eine schärfere Bestrafung von Beleidigungen gegenüber dem Bundespräsidenten oder Personen des politischen Lebens. Die Androhung einer Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren nach § 90 StGB liegt sogar über derjenigen nach Art. 299 Abs. 1 und 3 tStGB, der bei öffentlicher Tatbegehung eine Höchststrafe von 4 Jahren und 8 Monaten vorsieht. § 188 StGB wurde sogar erst mit Artikel 1 des Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vom 30. März 2021 (BGBl I S. 441) neu gefasst, wobei der Tatbestand der Beleidigung und die kommunale Ebene einbezogen wurden. Ein Verstoß gegen die EMRK wurde darin auch nicht ansatzweise gesehen. Im Übrigen geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass die Gewährung eines besonderen strafrechtlichen Ehrenschutzes für die im politischen Leben des Volkes stehenden Personen nicht gegen das Grundgesetz verstößt (BVerfG, B.v. 30.11.1955 – 1 BvL 120/53 – NJW 1956, 99).
53
Unabhängig davon stellt der zur Grundlage der Anklageschrift vom *. * 2021 gemachte Straftatbestand einer „Präsidentenbeleidigung“ nach Art. 299 Abs. 1 und 3 tStGB bei der vorliegenden Fallkonstellation auch bei Annahme einer Konventionsverletzung keine Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 AsylG dar. Nicht jede Konventionsverletzung ist bereits als flüchtlingsrelevante Verfolgungshandlung anzusehen (vgl. Kluth in BeckOK AuslR, AsylG, 32. Ed., Stand 1.1.2022, § 3a Rn. 5). Hierfür genügen nach § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG nur solche Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist. Dies kann hier nicht angenommen werden. Die im Raum stehende Verletzung der durch Art. 10 EMRK geschützten Meinungsfreiheit des Klägers zu 2) gehört nicht zu den notstandsfesten Menschenrechten nach Art. 15 Abs. 2 EMRK. Auch wenn darüber hinaus weitere Menschenrechte grundlegend i.S.d. Norm sein können („insbesondere“), fehlt es vorliegend an einer schwerwiegenden Verletzung. Selbst wenn man davon ausgeht, dass es sich wegen der Konventionswidrigkeit von § 299 tStGB um diskriminierende Strafverfolgung handelt, führt unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung nach der Systematik des § 3a AsylG nicht per se zu einer flüchtlingsrelevanten Verfolgungshandlung; sie kann lediglich als Verfolgung i.S.d. § 3a Abs. 1 AsylG gelten. Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft kommt es folglich auf die Formulierung der Strafnorm nicht entscheidend an, sondern ausschlaggebend ist die konkrete Anwendung in ständiger Strafrechtspraxis (Bergmann in ders./Dienelt, AsylG, 13. Aufl. 2020, § 3a Rn. 6). Dafür, dass es sich bei der vorliegenden Fallkonstellation nicht um eine schwerwiegende Verletzung i.S.d. § 3a Abs. 1 AsylG handelt, spricht schließlich, dass der Bundesgesetzgeber die schärfere Bestrafung von Beleidigungen gegenüber dem Bundespräsidenten oder Personen des politischen Lebens gemäß §§ 90 und 188 StGB selbst als legitim erachtet.
54
Die Strafverfolgung gegen den Kläger zu 2) lässt vorliegend keine Unverhältnismäßigkeit oder Diskriminierung erkennen. Zwar wurde gegen ihn ein Festnahmebefehl erlassen. Dieser dient jedoch nur der Vernehmung, wobei der Kläger zu 2) anschließend ausdrücklich freizulassen ist. Insoweit handelt es sich bereits nicht um eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Verfolgung, da eine Vernehmung zur Klärung des Tatvorwurfs legitim ist. Das gilt gleichermaßen hinsichtlich des angesetzten Termins zur Hauptverhandlung. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass es insoweit zu Folter oder Misshandlungen kommen würde, liegen nicht vor, zumal dem Kläger zu 2) keine Terrorpropaganda vorgeworfen wird. Auch der Umstand, dass es nur in einem relativ kleinen Teil der wegen Präsidentenbeleidigung eingeleiteten Strafverfahren zu einer Verurteilung kommt (s.u.), lässt auf eine relativ milde Strafverfolgungspraxis schließen.
55
Auch eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Bestrafung droht dem Kläger zu 2) nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass es nur in einem relativ kleinen Teil der wegen Beleidigung des türkischen Staatspräsidenten geführten Verfahren zu einer Verurteilung kommt: Im Jahr 2019 wurden nach Medienangaben insgesamt 36.066 Strafverfahren wegen Beleidigung des Staatspräsidenten gemäß Art. 299 tStGB eingeleitet. Zusammen mit Verfahren nach Art. 300 tStGB (Verunglimpfung staatlicher Hoheitszeichen) und Art. 301 tStGB (Herabsetzung der türkischen Nation, der Republik Türkei, der staatlichen Institutionen und Organe) wurden im Jahr 2019 in 12.474 Fällen Entscheidungen gefällt (davon 4.291 Verurteilungen, 1.970 Freisprüche, 4.394 Aufschiebungen der Urteilsverkündung und 1.819 sonstige Beschlüsse, so BTDrs.19/23548 S. 8). Demnach droht dem Kläger zu 2) nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Bestrafung wegen Präsidentenbeleidigung. Dies gilt umso mehr, da die Beleidigungen erst nach Asylantragstellung in Deutschland begangen wurden und sich so auch den türkischen Strafverfolgungsorganen aufdrängen müsste, dass die Beleidigungen im Wesentlichen asyltaktisch motiviert sind.
56
Unabhängig davon ist zu berücksichtigen, dass die Türkei die EMRK ratifiziert und sich zudem der Gerichtsbarkeit des EGMR unterworfen hat. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass türkische Strafgerichte vor diesem Hintergrund den durch den EGMR festgestellten Konventionsverstoß nicht – wie durch die zweite Sektion des EGMR in ihrer Entscheidung vom, * 2021 angeregt – durch eine konventionskonforme Auslegung der Strafnorm im Wege einer Strafrahmenangleichung beseitigen würden, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Schon jetzt dürfte es nur in seltenen Ausnahmefällen wegen Beleidigung des türkischen Staatspräsidenten zu einer Bestrafung kommen, die die maximal mögliche Strafe einer „normalen“ Beleidigung überschreitet.
57
3. Der Klägerin zu 1) droht ebenfalls keine flüchtlingsrelevante Verfolgung. Ihr Vortrag, sie könne wegen ihres Mannes vernommen werden, begründet nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer diskriminierenden Verfolgung. Konkrete Anhaltspunkte hierfür sind weder substantiiert vorgetragen noch ersichtlich. Letztlich handelt es sich um bloße Spekulation. Im Übrigen lassen sich den in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln substantiierte Anhaltspunkte für eine „Sippenhaft“ von Familienangehörigen von Regimekritikern nicht entnehmen (vgl. auch VG Augsburg, U.v. 30.4.2019 – Au 6 K 17.33876 – juris Rn. 49; B.v. 1.4.2019 – Au 6 S 19.30430 – juris Rn. 27).
58
4. Hinsichtlich der in Deutschland geborenen Klägerin zu 3) sind eigene Fluchtgründe weder vorgetragen noch ersichtlich.
59
Im Übrigen wird Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG).
60
II. Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG, § 60 Abs. 2 AufenthG. Sie haben auch in der mündlichen Verhandlung keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihnen bei einer Rückkehr in die Türkei ein ernsthafter Schaden i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 AsylG droht. Im Übrigen wird ergänzend auf die Begründung des angefochtenen Bescheids des Bundesamts verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
61
III. Weiter besteht auch kein Anspruch auf Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.
62
Die Kläger würden im Fall ihrer Abschiebung in die Türkei keiner besonderen Ausnahmesituation ausgesetzt sein, die mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dazu führen würde, dass ihre elementarsten Bedürfnisse im Sinne eines absoluten Existenzminimums nicht gesichert wären. Der gesunde und erwerbsfähige Kläger zu 2) war vor seiner Ausreise in der Lage, den Lebensunterhalt für sich und seine Familie zu sichern, wobei er die wirtschaftliche Situation der Familie als gut bis durchschnittlich bezeichnete. Es ist nicht erkennbar, dass dies nach einer Rückkehr – jedenfalls mit Hilfe der Unterstützung der Familien der Kläger – nicht wieder der Fall sein sollte. Die Grundversorgung und die medizinische Versorgung sind nach Überzeugung des Gerichts für Rückkehrer in der Türkei jedenfalls im Umfang des absoluten Existenzminimums gesichert (vgl. VG Augsburg, U.v. 28.1.2020 – Au 6 K 17.35104 – juris Rn. 62 f. m.w.N.).
63
Die Kläger würden im Fall einer Abschiebung in die Türkei schließlich auch nicht wegen einer Asylantragstellung unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden (vgl. VG Augsburg, U.v. 28.1.2020 – Au 6 K 17.35104 – juris Rn. 65 ff. m.w.N.).
64
Ein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 ff. AufenthG wegen einer zielstaatsbezogenen erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben liegt im Fall der Kläger ebenfalls nicht vor. Die geltend gemachten gesundheitlichen Probleme der Klägerin zu 1) führen nicht zu einem Abschiebungsverbot. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Die geltend gemachte posttraumatische Belastungsstörung bzw. schwere depressive Episode ist jeweils auch in der Türkei behandelbar.
65
Im Übrigen wird gem. § 60a Abs. 2c AufenthG gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Das hierzu vorgelegte ärztliche Attest vom 27. August 2020 genügt diesen Anforderungen nicht.
66
Im Übrigen wird ergänzend auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheids des Bundesamts verwiesen, der das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG).
67
IV. Die Entscheidung des Bundesamts, das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung zu befristen, weist keine Rechtsfehler auf. Die Länge der Frist liegt im Rahmen des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG. Dass insoweit besondere Umstände vorlägen, die eine Verkürzung der Frist als geboten erscheinen ließen, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich.
68
V. Der Ausspruch über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.