Inhalt

LG Bamberg, Endurteil v. 22.08.2022 – 22 O 223/21 Miet
Titel:

Konkludenter Mietvertragsschluss über Gewerberäume

Normenkette:
BGB § 133, § 157, § 536b, § 550
Leitsätze:
1. Verträge sind grundsätzlich so auszulegen, wie Treu und Glauben es mit Rücksicht auf die Verkehrssitte erfordern. Vertragsbestimmungen und andere rechtsgeschäftliche Regelungen sind dabei so zu verstehen, dass sie sich nicht als einseitige Interessendurchsetzung darstellen, sondern eine angemessene Berücksichtigung der Interessen der jeweiligen Gegenseite ermöglichen. Insoweit ist eine umfassende Abwägung der Parteiinteressen erforderlich. (Rn. 31 – 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist ein als Mietvorvertrag für gewerbliche Nutzung überschriebenes Vertragsdokument nicht als Mietvertrag auszulegen, wird das Mietverhältnis aber tatsächlich wie dort zugrunde gelegt gelebt, kommt dadurch zwischen den Parteien konkludent ein Mietvertrag zustande. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei der fristlosen Kündigung eines Gewerberaummietverhältnisses umfasst der Anspruch des Vermieters grundsätzlich den vollständigen Gewinn, den er bei ordnungsgemäßer Vertragserfüllung für die vereinbarte feste Vertragsdauer oder bis zum erstmöglichen Termin für eine ordentliche Kündigung erzielt hätte. Der Schaden besteht letztlich in der Nettomiete, welche dem Vermieter bis zum Ablauf der vorgenannten Vertragslaufzeit entgangen ist, unter Berücksichtigung einer etwaigen Vorteilsausgleichung (ersparte Aufwendungen) sowie durch anderweitige Verwertung (Neuvermietung) Erlangtes. (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)
4. Gemäß § 550 BGB bedarf der Abschluss eines Mietvertrags für längere Zeit als ein Jahr der Schriftform. Daran fehlt es, wenn der Mietvertrag nur ein konkludent zustande gekommen ist. Das Mietverhältnis gilt dann auf unbestimmte Zeit vereinbart. (Rn. 56 – 57) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gewerbemietvertrag, Auslegung, Konkludenter Vertragsschluss, Schriftform, Vertragslaufzeit, Fristlose Kündigung, Schadensersatz
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Bamberg, Beschluss vom 16.12.2022 – 11 U 148/22
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 17.05.2023 – XII ZB 533/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 49049

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag i. H. v. 19.872,35 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag von 1.987,40 € seit dem 04.03.2020, aus einem weiteren Betrag von 1.987,40 € seit dem 04.04.2020, aus einem weiteren Betrag von 1.987,40 € seit dem 04.05.2020, aus einem weiteren Betrag von 1.987,40 € seit dem 04.06.2020, aus einem weiteren Betrag von 1.888,84 € seit dem 04.07.2020, aus einem weiteren Betrag von 1.020,01 € seit dem 04.08.2020, aus einem weiteren Betrag von 1.159,21 € seit dem 04.09.2020, aus einem weiteren Betrag von 3.904,51 € seit dem 04.10.2020 sowie aus einem weiteren Betrag von 3.950,18 € seit dem 04.11.2020 an den Kläger zu zahlen. 
2. Die Beklagte wird verurteilt, einen weiteren Betrag i.H.v. 18.118,17 € nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 08.07.2022 zu bezahlen.  
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 
4. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 66 % und die Beklagte 34 % zu tragen.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar. 
Beschluss
Der Streitwert wird auf 111.019,64 € festgesetzt. 

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über Forderungen aus der Nutzung von Gewerberäumlichkeiten.
2
Die Parteien schlossen am 23.04.2019 einen als „Mietvorvertrag für gewerbliche Nutzung“ überschriebenen Vertrag betreffend die Gewerberäume 1. Obergeschoss des damals im Bau befindlichen Gewerbeanwesens … in … (Anlage K1).
3
Dieses Dokument enthält folgende wesentlichen Vereinbarungen:
- voraussichtliche Laufzeit des Mietverhältnisses von 01.02.2020 bis 31.12.2023
- monatliche Nettogesamtmiete i.H.v. 3.350,50 €
- Mietkaution i.H.v. 5.882,00 €
- nachträgliche Änderungen und Ergänzungen des Vertrages bedürfen der Schriftform
4
Der Bezug durch die Beklagte war für die Zeit unmittelbar nach der Fertigstellung der gegenständlichen Gewerbeeinheit im Februar 2020 geplant. Der Einzug der Beklagten erfolgte schließlich im März 2020, wobei die Fertigstellung der Gesamtanlage zu diesem Zeitpunkt bereits erheblich verzögert war.
5
Die Raumaufteilung der Gewerbeeinheit im 1 Obergeschoss wurde durch die Beklagte festgelegt. Aufgrund der tatsächlichen Raumaufteilung ergab sich für die Einheit der Beklagten im Vergleich zum als Mietvorvertrag überschriebenen Dokument eine geringere Quadratmeterfläche, weshalb der dort festgelegte Mietzins auf 3.138,31 € zzgl. USt. reduziert wurde.
6
Die Beklagte zahlte schon ab März 2020 mit der Begründung, es lägen Mängel an der von ihr genutzten Gewerbeeinheit vor, nur einen reduzierten Mietzins. Dieser belief sich im Zeitraum von März bis Juli 2020 auf 1.922,12 €, von August bis September 2020 auf 2.790,97 € und für Oktober 2020 auf 45,67 €.
7
Die Kaution wurde von der Beklagten – trotz Mahnung – nicht bezahlt, sodass der Kläger deswegen mit Schreiben vom 03.11.2020 die fristlose außerordentliche Kündigung gegenüber der Beklagten aussprach (Anlage K3).
8
Die Rückgabe der gegenständlichen Gewerbeeinheit erfolgte Ende November 2020.
9
Ein Ein-Raum-Büro innerhalb der streitgegenständlichen Gewerbeeinheit wurde von 01.12.2020 bis einschließlich August 2021 anderweitig für 550,00 € netto im Monat vermietet.
10
Der Kläger ist der Auffassung, dass das als Mietvorvertrag bezeichnete Dokument schon so hinreichend bestimmt sei, dass dem Antritt des Mietverhältnisses für die Mietparteien keine tatsächlichen und rechtlichen Hindernisse entgegenstanden hätten, vor allem stelle die Objektgröße keinen wesentlichen Vertragsbestandteil dar. Damit läge ein wirksamer Mietvertrag und nicht nur ein Vorvertrag vor.
11
Der zwischen den Parteien avisierte „neue Mietvertrag“ habe nur der genaueren Beschreibung von Mietfläche und Betriebskostenumlage dienen sollen.
12
Soweit sich die Beklagte auf Mängel berufe, würden diese jedenfalls nicht die vorgenommenen Abzüge rechtfertigen. Schließlich habe die Beklagte von Anfang an gewusst, dass sie auf eine Baustelle ziehen würde. Soweit es sich um Mängel handle, die nach dem Einzug der Beklagten aufgetreten seien, fehle es an einer Mängelrüge. Die nunmehr geltend gemachten Mängel seien erstmals mit einer E-Mail vom 09.11.2020 angezeigt worden.
13
Überdies beruft sich die Klägerin auf einen Haftungsausschluss für Mängel aus dem als Mietvorvertrag überschriebenen Dokument, wobei sich die Klausel auch nicht gemäß § 307 BGB als unwirksam darstelle.
14
Der Kläger beantragt zuletzt,
I. Die Beklagte wird dazu verurteilt, an den Kläger einen Betrag i. H. v. 19.872,35 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
- aus einem Betrag von 1.987,40 € seit dem 04.03.2020,
- aus einem weiteren Betrag von 1.987,40 € seit dem 04.04.2020,
- aus einem weiteren Betrag von 1.987,40 € seit dem 04.05.2020,
- aus einem weiteren Betrag von 1.987,40 € seit dem 04.06.2020,
- aus einem weiteren Betrag von 1.888,84 € seit dem 04.07.2020,
- aus einem weiteren Betrag von 1.020,01 € seit dem 04.08.2020,
- aus einem weiteren Betrag von 1.159,21 € seit dem 04.09.2020,
- aus einem weiteren Betrag von 3.904,51 € seit dem 04.10.2020 sowie
- aus einem weiteren Betrag von 3.950,18 € seit dem 04.11.2020
an den Kläger zu zahlen.
II. Die Beklagte wird dazu verurteilt, einen Betrag i.H.v. 35.665,95 € nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 8.7.2022 zu bezahlen.
III. Es wird festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger gegenüber verpflichtet ist, die infolge der Kündigung beim Kläger noch eintretenden Mietausfallschäden ab dem Monat August 2022 bis zum 31.12.2023 zu ersetzen.
IV. Die Beklagte wird dazu verurteilt, den Kläger von der Gebührenforderung für die außergerichtliche Anwaltstätigkeit in Höhe von 2.417,90 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.12.2020 freizustellen.
15
Die Beklagte beantragt,
Klageabweisung.
16
Die Beklagte ist der Ansicht, dass der als solcher auch so bezeichnete Mietvorvertrag keinen endgültigen Mietvertrag darstelle. Hintergrund des Mietvorvertrages sei gewesen, dass die wesentlichen Vertragsbestandteile vorab geklärt werden sollten, es aber diesbezüglich noch reichlich Klärungsbedarf gegeben habe, sodass deswegen kein Mietvertrag unterzeichnet worden sei. Insbesondere sei die Objektgröße nicht bekannt gewesen.
17
Es sei stets ein Anliegen des Klägers gewesen, im Nachgang einen „neuen Mietvertrag“ auszuarbeiten und diesen mit der Beklagten abzuschließen, wozu es im Ergebnis aber nicht gekommen ist.
18
Es hab sowohl in der gegenständlichen Gewerbeeinheit sowie im Gesamtobjekt zahlreiche Mängel gegeben, die die Nutzung für die Beklagte unzumutbar gemacht hätten.
19
Da zwischen den Parteien kein Mietvertrag geschlossen worden sei, müsse die Beklagte nur eine Nutzungsentschädigung nach der ortsüblichen Vergleichsmiete zahlen. Diese orientiere sich an dem nunmehr erzielten Mieterlös in Höhe von 550,00 €.
20
Die Klageschrift wurde der Beklagten am 17.08.2021 zugestellt.
21
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einvernahme des Zeugen …. Hinsichtlich des Inhalts der Vernehmung wird auf die Sitzungsniederschrift vom 18.07.2022 vollumfänglich Bezug genommen. Weiter hat das Gericht den Kläger und die Geschäftsführerin der Beklagten informatorisch angehört. Bezüglich des Inhalts der informatorischen Anhörungen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 14.03.2022 verwiesen.
22
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen, auf die Sitzungsniederschrift vom 14.03.2022 (Bl. 50 bis 53 der Akte) und vom 18.07.2022 (Bl. 68 bis 83 d.A.) sowie auf den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.
23
Die Klage ist zulässig, jedoch nur teilweise begründet.
I.
24
Die Klage ist zulässig, insbesondere handelt es sich bei der Klageänderung vom 08.07.2022 sowie der geänderten Antragstellung im Termin vom 18.07.2022 um stets zulässige Klageänderungen gemäß § 264 Nr. 2 ZPO, die einer Zustimmung der Gegenseite nicht bedarf.
25
Die Klageanträge waren – worauf das Gericht in der mündlichen Verhandlung vom 14.03.2022 hinwies (vgl. Sitzungsniederschrift vom 14.03.2022, Seiten 3/Bl. 52 d.A.) – hinsichtlich des Zahlenwerkes zunächst nicht nachvollziehbar, nicht aber von vorneherein unbegründet, wie die Beklagte meint.
26
Die Klagepartei schlüsselte auf gerichtlichen Hinweis sodann mit Schriftsatz vom 08.07.2022 den Zahlbetrag zu Ziffer 1 der Klageschrift auf. Weiterhin beantragte sie unter Ziffer 2 nunmehr einen erhöhten Zahlbetrag und passte den Feststellungsantrag zu Ziffer 3 dementsprechend an.
27
Eine Klagerücknahme, die der Zustimmung der Beklagten bedurft hätte, lag in der geänderten Antragstellung zu Ziffer 2 und Ziffer 3 aber gerade nicht vor. Vielmehr reagierte die Klagepartei mit den geänderten Anträgen auf die tatsächlichen Gegebenheiten, da der Feststellungsantrag mit Zeitablauf näher konkretisierbar war, weil sich weitere Mietausfälle realisierten, und daher auf einen Leistungsantrag umgestellt werden musste.
II.
28
Die Klage ist hinsichtlich der noch ausstehenden Zahlung eines monatlichen Mietzinses bis einschließlich November 2020 begründet. Hinsichtlich des weiterhin geltend gemachten Mietausfallschadens ist die Klage nur teilweise begründet. Der Feststellungsantrag erweist sich indes als vollständig unbegründet.
29
1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Mietzins in der jeweils geltend gemachten Höhe, da zwischen den Parteien ein Mietverhältnis über die gegenständliche Gewerbeeinheit zustande gekommen ist.
30
a) Entgegen der Auffassung des Klägers ist das als „Mietvorvertrag für gewerbliche Nutzung“ überschriebene Vertragsdokument nicht als Mietvertrag auszulegen.
31
Verträge sind grundsätzlich so auszulegen, wie Treu und Glauben es mit Rücksicht auf die Verkehrssitte erfordern. Das durch Willensermittlung und Erforschung des Empfängerhorizonts gewonnene Interpretationsergebnis muss nämlich bei der Vertragsauslegung eine Überprüfung dahingehend erfahren, ob es mit Treu und Glauben vereinbar ist, wobei hier die Verkehrssitte zu berücksichtigen ist (MüKoBGB/Busche, 8. Aufl. 2018 Rn. 3, BGB § 157 Rn. 3).
32
Vertragsbestimmungen und andere rechtsgeschäftliche Regelungen sind so zu verstehen, dass sie sich nicht als einseitige Interessendurchsetzung darstellen, sondern eine angemessene Berücksichtigung der Interessen der jeweiligen Gegenseite ermöglichen. Insoweit ist eine umfassende Abwägung der Parteiinteressen erforderlich (MüKoBGB/Busche, 8. Aufl. 2018, BGB § 157 Rn. 7).
33
Nach einer in der Rechtsprechung eingebürgerten Definition ist Verkehrssitte die „den Verkehr tatsächlich beherrschende Übung“. Sie ist daher nicht selbst Rechtsnorm, sondern ein die Auslegung bestimmendes tatsächliches Moment mit Regelcharakter (MüKoBGB/Busche, 8. Aufl. 2018, BGB § 157 Rn. 16).
34
Zwar ist der Klägerseite zuzugeben, dass bereits der Vorvertrag ein hohes Maß an Bestimmtheit aufweist, weil bereits wesentliche Vertragsbestandteile Eingang gefunden haben, jedoch spricht schon der eindeutige Wortlaut gegen die Annahme eines bloßen Vorvertrages. Das Dokument gemäß Anlage K1 ist zweifelsfrei als Mietvorvertrag überschrieben.
35
Soweit sich der Kläger in seiner Argumentation darauf stützt, dass im übrigen Vertragstext stets die Rede von einem Mietvertrag ist, dringt er im Ergebnis damit nicht durch. Von einer bloßen Falschbezeichnung kann nicht ausgegangen werden. Hierfür spricht vor allem die Tatsache, dass es zwischen den Parteien offenbar zu Vertragsverhandlungen gekommen ist und mit Mail vom 26.02.2020 ein Mietvertrag zwecks Unterzeichnung an die Beklagte übersandt wurde (Anlage B 0.2). Dieser unterschied sich ausweislich der Angaben des Zeugen …, denen das Gericht Glauben schenkt, in diversen Regelungen von dem „Mietvorvertrag“ (Sitzungsniederschrift vom 18.07.2022, Seite 7/Bl. 74 d.A.).
36
Gerade hinsichtlich des Mietbeginns, der ausweislich der Angaben der Geschäftsführerin der Beklagten bereits für November 2019 avisiert war, bestanden noch erhebliche Unsicherheiten, weil weder die Gewerbeeinheit noch das Gesamtobjekt im Zeitpunkt der Unterzeichnung des Vertragsdokumentes fertiggestellt war.
37
Tatsächlich erfolgte der Einzug nach den Angaben des Zeugen … und ausweislich des Vortrages der Beklagten, dass Mietzahlungen ab März 2020 flossen, im März 2020 und damit einen Monat später als im „Mietvorvertrag“ als voraussichtlich festgelegt.
38
Weiter folgt das Gericht insoweit den für glaubhaft erachteten Angaben des Zeugen …, der ausführte, dass man ursprünglich noch einen Mietvertrag habe unterschreiben wollen und man hierauf bereits im Vorfeld bedacht gewesen sei. Die Beklagte hätte auch eine überarbeitete Version zugesandt bekommen, welche aber zahlreiche Änderungen im Vergleich zum Vorvertrag enthielt. Von dem damals mit der Vertragsüberprüfung beauftragten Rechtsanwalt sei ihnen allerdings von der Unterzeichnung abgeraten worden. Letztendlich sei keine Einigung erzielt worden (Sitzungsniederschrift vom 18.07.2022, Seite 7/Bl. 74 d.A.).
39
Er führte weiter aus, dass die Beklagte von Anfang gerne einen Mietvertrag unterschrieben hätte. Dieser hätte aber nicht konkret ausgestaltet werden können, weil es hinsichtlich Fläche und Mietpreis Unklarheiten gegeben habe. Nur deswegen sei dann der Weg über einen Vorvertrag gewählt worden, wobei diese Idee vom Kläger gestammt hätte. Gerade auch wegen eines verlässlichen Einzugstermins hätte sich die Beklagte bereits im Vorfeld den Abschluss eines Mietvertrages gewünscht. Hintergrund sei der gewesen, dass die alten Räumlichkeiten bereits gekündigt gewesen seien und man sich zur Überbrückung Räumlichkeiten im Medical Valley habe suchen müssen, welche aber nur für einen bestimmten kurzen Zeitraum hätten angemietet werden können (Sitzungsniederschrift vom 18.07.2022, Seite 8/Bl. 75 d.A.).
40
Auch die E-Mail vom 26.02.2020 (Anlage B 0.2) zeige – so der Zeuge … weiter – dass auch der Kläger von einem Vorvertrag ausgegangen sei. Man habe auch nie über irgendetwas anderes gesprochen. Es sei immer klar gewesen, dass ein ordentlicher Mietvertrag noch nachgeschoben werden müsse, worüber man sich auch verständigt habe. Es sei beiden Seiten klar gewesen, dass der Mietvorvertrag auch nur einen Mietvorvertrag darstelle (Sitzungsniederschrift vom 18.07.2022, Seite 10/Bl. 77 d.A.).
41
Diese nachvollziehbaren und glaubhaften Angaben des Zeugen … legt das Gericht der Auslegung des Vertragsdokumentes zugrunde, sodass letztlich nicht vom Abschluss eines Mietvertrages durch Unterzeichnung des als Mietvorvertrag bezeichneten Dokuments auszugehen ist.
42
b) Allerdings geht das Gericht weiter davon aus, dass zwischen den Parteien konkludent ein Mietvertrag zustande gekommen ist, weil das Mietverhältnis tatsächlich – wie im Mietvorvertrag zugrunde gelegt – gelebt wurde. Beide Parteien hatten den übereinstimmenden Willen, dass der Beklagten die gegenständliche Gewerbeeinheit gegen monatliche Zahlung zur Verfügung gestellt werden sollte, wobei auch aufgrund der vorgelegten Korrespondenz zwischen den Parteien davon auszugehen ist, dass hier rechtliche Verbindlichkeiten begründet werden sollten.
43
Hinsichtlich des Mietzinses ist davon auszugehen, dass dieser in Höhe von tatsächlich 3.138,31 € netto vereinbart und dieser zum 3. Werktages eines jeden Monats fällig war (zu diesem Zeitpunkt erfolgten die Mietzahlungen), da die Beklagte ausgehend von diesem Betrag anteilig die Zahlungen an den Kläger minderte.
44
c) Allerdings ist die Beklagte bereits von Gesetzes wegen mit ihrem Recht auf Minderung gemäß § 536b BGB ausgeschlossen.
45
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass das Gesamtobjekt bei Unterzeichnung des Mietvorvertrages noch im Bau befindlich war und auch in der streitgegenständlichen Gewerbeeinheit Unzulänglichkeiten bestanden. Diese waren damit bereits bei dem Einzug der Beklagten und damit in einem Zeitpunkt bekannt, als das Mietverhältnis tatsächlich gelebt wurde und damit ein konkludenter Mietvertrag zwischen den Parteien zustande gekommen ist. In Kenntnis dieser Mängel an der Mietsache ist die Beklagte dennoch – in nachvollziehbarer Weise und mangels Alternativen – eingezogen, ohne sich diese jedoch vorzubehalten.
46
Hinsichtlich weiterer – angeblich erst nach dem Einzug aufgetretener – Mängel an der Mietsache ist der Beklagtenvortrag bereits nicht hinreichend substantiiert. Zumindest fehlt es an einem konkreten Vortrag, welcher Mangel wann genau gegenüber dem Kläger oder einem Bevollmächtigten des Klägers angezeigt wurde, von einer Frist zur Beseitigung der angezeigten Mängel ganz zu schweigen.
47
Damit kann eine weitere Minderung – außer die vom Kläger selbst als berechtigt anerkannten Beträge – nicht vorgenommen werden.
48
Als Minderung sind daher folgende Beträge anzusetzen: Für die Monate März 2020 bis einschließlich Juni 2020 einen Betrag von 357,00 € (brutto) pro Monat und für die Monate Juli und August 2020 einen Betrag von 348,00 € (brutto) pro Monat sowie für die Monate September bis November 2020 einen Betrag von 208,80 € (brutto) pro Monat.
49
d) Damit kann der Kläger offene Mietzins für die Monate März bis Juni 2020 i.H.v. 1.987,40 € (brutto) pro Monat, für Juli 2020 der Betrag von 1.888,84 € (brutto), für August 2020 der Betrag von 1.020,01 € (brutto), für September 2020 der Betrag von 1.159,21 € (brutto), für Oktober 2020 der Betrag von 3.904,51 € (brutto) und für November 2020 der Betrag von 3.950,18 € (brutto). Dies ergibt die eingeklagte und unter Ziffer I tenorierte Summe von 19.872,35 €.
50
2. Allerdings steht dem Kläger der weiterhin geltend gemachte Anspruch auf Mietausfallschaden nur teilweise zu.
51
a) Bei der fristlosen Kündigung eines Gewerberaummietverhältnisses umfasst der Anspruch des Vermieters grundsätzlich den vollständigen Gewinn, den der Vermieter bei ordnungsgemäßer Vertragserfüllung für die vereinbarte feste Vertragsdauer oder bis zum erstmöglichen Termin für eine ordentliche Kündigung erzielt hätte. Der Schaden besteht letztlich in der Nettomiete, welche dem Vermieter bis zum Ablauf der vorgenannten Vertragslaufzeit entgangen ist, unter Berücksichtigung einer etwaigen Vorteilsausgleichung (ersparte Aufwendungen) sowie durch anderweitige Verwertung (Neuvermietung) Erlangtes (NZM 2004, 446, beck-online).
52
b) Die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 03.11.2020 wurde beklagtenseits nicht bestritten und die Kündigung auch akzeptiert.
53
Da das Mietverhältnis zwischen den Parteien gelebt wurde, ist davon auszugehen, dass die Beklagte – wie dies grundsätzlich in Mietverhältnissen üblich ist und auch im Mietvorvertrag vorgesehen war, welcher hier zur Auslegung des Vertragsinhaltes des konkludent abgeschlossenen Mietvertrages herangezogen werden kann – auch eine Kaution in Höhe von 5.882,00 € schuldete.
54
Durch die Nichtzahlung der Mietsicherheit war der Kläger berechtigt, das Mietverhältnis außerordentlich fristlos aus wichtigem Grund gemäß § 543 Abs. 3 BGB zu kündigen.
55
c) Allerdings steht dem Kläger kein Anspruch auf Ersatz des Mietausfallschadens bis einschließlich 31.12.2023 zu.
56
Gemäß § 550 BGB bedarf der Abschluss eines Mietvertrags für längere Zeit als ein Jahr der Schriftform, welcher vorliegend, da nur ein konkludenter Mietvertrag zustande gekommen ist und der Mietvorvertrag diesbezüglich nicht herangezogen werden kann, jedoch nicht erfüllt ist.
57
Damit gilt das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit vereinbart.
58
d) Der erstmögliche Termin für eine ordentliche Kündigung ergibt sich vorliegend für Geschäftsräume aus § 580a Abs. 2 BGB, welcher für die Geschäftsraummiete eine unabhängig von der Bemessung der Miete bestehende einheitliche, lange Kündigungsfrist bestimmt. Die Kündigung kann nur zum Quartalsbeginn, bis zum dritten Werktag (Karenzzeit), erklärt werden und wirkt zum Ende des darauf folgenden Quartals (MüKoBGB/Artz, 8. Aufl. 2020, BGB § 580a Rn. 8).
59
Geschäftsräume sind Räume, die im weitesten Sinne Erwerbszwecken dienen, worunter gewerbliche bzw. kaufmännische Zwecke ebenso zu fassen sind wie freiberufliche (MüKoBGB/Artz, 8. Aufl. 2020, BGB § 580a Rn. 7). Um solche geht es vorliegend zweifelsfrei.
60
Damit kann der Kläger für den Zeitraum von Dezember 2020 bis einschließlich Juni 2021 den Ersatz des Mietausfallschadens in Höhe von insgesamt 18.118,17 € (monatliche Nettogesamtmiete von 2.588,31 € abzgl. anderweitig erzielter Mietzins von 550,00 € netto für sieben Monate) verlangen.
61
Der vom Kläger anderweitig erzielte Mietzins wurde von der Beklagten nicht bestritten und gilt damit als zugestanden, § 138 Abs. 3 ZPO. Dass der Kläger hier einen höheren Mietzins hätte erzielen können oder keine hinreichenden Bemühungen zur Minderung des Mietausfallschadens vorgenommen hat, wurde beklagtenseits nicht behauptet.
62
3. Die begehrte Feststellung war nicht auszusprechen, da für den Zeitraum ab Juli 2021 kein Anspruch auf einen Mietausfallschaden mehr besteht.
63
4. Die Forderungen des Klägers sind unter dem Gesichtspunkt des Verzuges zu verzinsen.
64
Hinsichtlich des Mietzinses ist von einer Fälligkeit zum 3. Werktag eines Monats auszugehen (s.o.), sodass sich der Verzug aus § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB ergibt.
65
Hinsichtlich des Mietausfallschadens ergibt sich der Zinsanspruch aus § 291 BGB.
66
Der Zinssatz ergibt sich aus § 288 Abs. 2 BGB, weil es sich bei beiden Parteien um Unternehmer i.S.d. § 14 BGB handelt.
67
5. Allerdings steht dem Kläger kein Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu, weil mit Schreiben vom 16.12.2020 (Anlage K4) auch unberechtigte Forderungen gegenüber der Beklagten geltend gemacht wurden, auf die die Beklagte keine Zahlung leisten musste.
B.
68
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO.
C.
69
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
D.
70
Der Streitwert wurde gemäß § 3 ZPO festgesetzt.
71
Hinsichtlich des Feststellungsantrags wurde ein Betrag von zunächst 87.387,61 € angesetzt, der dann mit den Anträgen vom 18.07.2022 (Bl. 69 d.A.) niedriger zu bemessen war. Da jedoch in gleichem Maße der Zahlungsanspruch zu Ziffer 2 heraufzusetzen war, ergab sich an dem Gesamtstreitwert keine Veränderung.