Inhalt

VG München, Beschluss v. 11.11.2022 – M 12 K0 22.2238
Titel:

Prozesskostenhilfe bei Erledigung vor Klageerhebung 

Normenketten:
VwGO § 166
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist im Fall eines Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage (sog. isolierter Prozesskostenhilfeantrag) nicht der Zeitpunkt der Bewilligungsreife, sondern der Zeitpunkt der Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Isolierter Prozesskostenhilfeantrag, Erledigung vor Entscheidung über den Antrag, Bewilligungsreife
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 07.06.2023 – 10 C 22.2480
Fundstelle:
BeckRS 2022, 48972

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt … … wird abgelehnt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine noch zu erhebende Versagungsgegenklage, welche auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichtet ist.
2
Die Antragstellerin ist kenianische Staatsangehörige und reiste am … August 2012 erstmals ohne gültigen Pass und ohne gültiges Visum in die Bundesrepublik Deutschland ein. Der Asylantrag der Antragstellerin wurde mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 10. Dezember 2015 mittlerweile rechtskräftig abgelehnt.
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Die Antragstellerin ist Mutter eines am … … 2016 geborenen Kindes, welches die deutsche Staatsangehörigkeit hat. In der Folge beantragte sie am .... November 2016, … August 2021 und .... September 2021 eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG.
4
Mit Bescheid vom 22. März 2022 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ab. Die Ablehnung wurde insbesondere damit begründet, dass die Einreise der Antragstellerin ohne das erforderliche Visum erfolgt und daher das Visumverfahren nachzuholen sei. Hinsichtlich der Einzelheiten der Begründung wird auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen.
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Am … April 2022 hat die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten beim Bayerischen Verwaltungsgericht München beantragt,
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ihr Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Rechtsbeistandes zu gewähren.
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Der Bevollmächtigte kündigte an, in dem dann zu erhebenden Klageverfahren unter Aufhebung des Bescheids des Antragsgegners vom 22. März 2022 zu beantragen, den Antragsgegner zu verpflichten, der Antragstellerin für die Dauer von einem Jahr eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen sowie deren Reisepass an die Antragstellerin herauszugeben. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Antragstellerin infolge des minderjährigen deutschen Kindes eine Ausreise aus der Bundesrepublik zur Nachholung des Visumverfahrens nicht zumutbar sei.
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Mit Schriftsatz vom .... Mai 2022 stellte der Bevollmächtigte der Antragstellerin klar, dass es sich vorliegend um einen isolierten Prozesskostenhilfeantrag handelt.
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Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 10. Mai 2022 sinngemäß beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung wurde auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen und die dortigen Ausführungen wurden vertieft.
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Mit Schriftsatz vom .... Juli 2022 nahm der Bevollmächtigte der Antragstellerin hierzu Stellung und vertiefte seinen eigenen Vortrag.
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Mit Schriftsatz vom .... August 2022 bat der Bevollmächtigte der Antragstellerin um Entscheidung des Prozesskostenhilfeantrags bis zum Ende des Monats und kündigte andernfalls die Einlegung einer Beschwerde an.
14
Mit gerichtlichem Schreiben vom 24. August 2022 wurde um Vorlage der notwendigen Unterlagen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Antragstellerin gebeten. 6 7 8 9 1
15
Die Unterlagen wurden mit Schriftsatz vom .... August 2022 vorgelegt.
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Mit gerichtlichem Schreiben vom 30. August 2022 wurde um Mitteilung gebeten, ob das Kind der Antragstellerin mittlerweile die Schule besucht.
17
Mit Schriftsatz vom .... September 2022 wurde die Bestätigung des Schulbesuchs des Kindes der Antragstellerin vorgelegt.
18
Daraufhin sicherte der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 29. September 2022 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG unter Verzicht auf die Nachholung des Visumverfahrens zu. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG sei infolge der Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG aufgrund des abgelehnten Asylverfahrens hingegen nicht möglich.
19
Mit gerichtlichem Schreiben vom 5. Oktober 2022 wurde der Bevollmächtigte der Antragstellerin um Abgabe einer prozessbeendenden Erklärung gebeten.
20
Mit Schriftsatz vom .... Oktober 2022 führte der Bevollmächtigte der Antragstellerin aus, dass die Entscheidung über die Prozesskostenhilfe ex tunc zu treffen sei. Sobald die Prozesskostenhilfe bewilligt werde, werde eine Erledigungserklärung abgegeben. Die Klage sei von Anfang an als aussichtsreich zu beurteilen gewesen. Die Frage der Schulzugehörigkeit habe mit den Erfolgsaussichten der Klage nichts zu tun. Jedem vernünftig denkenden Menschen müsse klar gewesen sein, dass ein 6-jähriges Kind aufgrund der gesetzlichen Schulpflicht die Schule besuchen müsse.
21
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
22
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat keinen Erfolg.
23
Gemäß § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO erhält auf Antrag diejenige Partei Prozesskostenhilfe, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Prozesskostenhilfe ist bereits dann zu gewähren, wenn nur hinreichende Erfolgsaussichten für den beabsichtigten Rechtsstreit bestehen. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit in dem Sinne, dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss, ist nicht erforderlich. Es genügt eine sich bei summarischer Prüfung ergebende Offenheit des Erfolgs.
24
Maßgeblich für die Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussichten ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Bewilligungs- oder Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags (stRspr; vgl. BayVGH, B.v. 10.1.2016 – 10 C 15.724 – juris Rn. 14 m.w.N.). Die Entscheidungsreife tritt regelmäßig nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen sowie nach einer Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO) ein (vgl. BVerwG, B.v. 12.9.2007 – 10 C 39.07 u.a. – juris Rn. 1; BayVGH, a.a.O.). Im Falle eines isolierten Prozesskostenhilfeverfahrens – wie im vorliegenden Fall – wird bei Vorliegen der Voraussetzung Prozesskostenhilfe für eine erst „beabsichtigte“ Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung gewährt. Für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist in solchen Fällen dann kein Raum mehr, wenn bereits vor Beginn der kostenverursachenden Instanz durch ein erledigendes Ereignis zuvor möglicherweise bestehende Erfolgsaussichten weggefallen sind (vgl. OVG NW, B.v. 28.2.2020 – 4 B 946/18 – juris Rn. 25 m.w.N.). Maßgeblicher Beurteilungszeitraum ist in diesen Fällen ausnahmsweise nicht die Bewilligungsreife, sondern der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch (BayVGH, B.v. 9.3.2020 – 11 ZB 19.991 – juris Rn. 11 m.w.N.). Da Kosten für das erst beabsichtigte und bereits erledigte Klageverfahren bislang noch gar nicht angefallen sind, sind Veränderungen, die zu einer Erledigung des angestrebten Rechtsstreits führen und erst nach der Bewilligungsreife eingetreten sind, ausnahmsweise zulasten des Antragstellers zu berücksichtigen (BayVGH, B.v. 9.3.2020 – 11 ZB 19.991 – juris Rn. 11; OVG NW, B.v. 28.2.2020 – 4 B 946/18 – juris Rn. 25; Riese in Schoch/Schneider Verwaltungsrecht, Stand: Februar 2022, VwGO § 166 Rn. 123).
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So liegt es im vorliegenden Fall. Die Antragstellerin verfolgt mit der beabsichtigten Rechtsverfolgung das Ziel, eine Aufenthaltserlaubnis für die Dauer eines Jahres zu erhalten. Dies wurde zuletzt auf humanitäre Gründe gestützt, da die Nachholung eines Visumverfahrens unzumutbar sei. Mit Schriftsatz vom 29. September 2022 hat der Antragsgegner die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zugesichert, womit das angestrebte Rechtsschutzziel erreicht ist. Auch der Bevollmächtigte der Antragstellerin hat angekündigt, nach der Bewilligung von Prozesskostenhilfe den Rechtsstreit für erledigt zu erklären. Die beabsichtigte Klage hat sich damit bereits vor ihrer Erhebung erledigt und wäre nunmehr unzulässig. Anhaltspunkte für das Bestehen eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses sind nicht gegeben. Daher ist entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten nach den dargestellten Grundsätzen vorliegend ausnahmsweise auf die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage im Zeitpunkt der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag und nicht auf den Eintritt der Bewilligungsreife abzustellen. Soweit der Bevollmächtigte davon ausgeht, dass die zitierte Rechtsprechung allein Fälle betreffe, in denen im Laufe des Verfahrens neue Tatsachen aufgetreten seien, ist dies nicht nachvollziehbar. Es kommt vielmehr entscheidend allein darauf an, ob sich das Klagebegehren erledigt hat und eine künftig einzureichende Klage unzulässig geworden ist. Dies ist nach der abgegebenen Zusicherung des Antragsgegners vorliegend der Fall, da die beabsichtigte Klage nicht mehr geeignet wäre, die Rechtsstellung der Antragstellerin zu verbessern. Damit fehlt ihr nunmehr das notwendige Rechtsschutzbedürfnis. In der Folge fehlt es der beabsichtigten Rechtsverfolgung zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt an den notwendigen Erfolgsaussichten, weshalb der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abzulehnen ist.
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Liegen die Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht vor, ist der Antragstellerin auch kein Rechtsanwalt gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO beizuordnen.