Titel:
Unbeachtlichkeit von "ins Blaue hinein" gehaltenem Vortrag der nicht darlegungs- und beweisbelasteten Partei
Normenketten:
VVG § 203 Abs. 2 S. 1
ZPO § 138
GG Art. 103 Abs. 1
Leitsätze:
1. Eine Unbeachtlichkeit von „ins Blaue hinein“ gehaltenem Vortrag kann auch bei derjenigen Partei in Betracht kommen, die weder die Darlegungs- noch die Beweislast für eine Tatsache trägt, wenn deren Vorgehen im Einzelfall als willkürlich einzustufen ist. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dies kommt beispielsweise dann in Betracht, wenn der Vortrag einen ganz spezifischen Sachverhalt aus einem Rechtsstreit herausgreift und ohne, dass greifbare Anhaltspunkte für die Übertragbarkeit des Sachverhalts bestehen würden, in Verfahren textbausteinartig gegen andere Prozessgegner (hier: Verfahren betreffend die Wirksamkeit von Beitragsanpassungen in der privaten Krankenversicherung) einstreut. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Zwar sind die Möglichkeiten des Versicherungsnehmers einer privaten Krankenversicherung zur Überprüfung der materiellen Rechtmäßigkeit der vom Versicherer vorgenommenen Beitragsanpassungen ohne Möglichkeit einer Einsichtnahme in den entsprechenden Vorgang begrenzt. Dieser Umstand legitimiert aber nicht dazu, letztlich ohne Einzelfallbezug bestimmte detaillierte Behauptungen bezüglich einer angeblich fehlerhaften Information des Treuhänders "auf's Geratewohl" aufzustellen. Soweit ein derartiges, letztlich willkürliches Vorgehen im Einzelfall feststellbar wird (hier bejaht), ist kein Sachgrund dafür erkennbar, einen solchen Vortrag entgegen allgemeiner Grundsätze für beachtlich zu halten, nur weil die Anforderungen an ein etwaig beachtliches Bestreiten bei einem anders gelagerten Sachvortrag als nicht allzu hoch anzusetzen gewesen wären. Zu beurteilen ist und bleibt insoweit der konkrete Sachvortrag im jeweils zu entscheidenden Prozess. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Krankenversicherung, Beitragsanpassung, Prämienanpassung, Behauptung ins Blaue, Bestreiten, Textbaustein, Willkür
Weiterführende Hinweise:
Berufung OLG München 14 U 7026/22 e (Zurückweisung § 522 Abs. 2 ZPO)
Fundstelle:
BeckRS 2022, 48892
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in einem zwischen den Parteien bestehenden privaten Krankenversicherungsvertrag.
2
Die Parteien sind durch einen Vertrag über eine private Krankenversicherung vertraglich verbunden.
3
Die Klagepartei beruft sich im vorliegenden Rechtsstreit darauf, dass bestimmte Beitragserhöhungen der Beklagten materiell-rechtlich unwirksam seien, weil nach dem Klägervortrag die Ordnungsgemäßheit der Information des Treuhänders in bestimmten Punkten in Zweifel gezogen wird. Es wird zum einen die Feststellung der Unwirksamkeit der Beitragserhöhungen begehrt (Ziff. 1), die Rückzahlung einer behaupteten Überzahlung von 498,24 € (Ziff. 2) sowie die Feststellung, die Beklagte sei zur Herausgabe von hieraus gezogenen Nutzungen verpflichtet (Ziff. 3).
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Der Kläger behauptet in diesem Zusammenhang:
„Die Klägerseite macht vorsorglich und unter Verwahrung gegen die Beweislast die folgenden rechtlichen Defizite an den Prüfunterlagen geltend:
- Es wird bestritten, dass aus den dem Treuhänder vorgelegten Unterlagen ersichtlich ist, dass bei der Prüfung der Verteilung der erfolgsunabhängigen Beitragsrückerstattungen die gesetzlichen Voraussetzungen des § 150 Abs. 4 S. 1 VAG eingehalten worden sind.
- Es wird bestritten, dass ersichtlich ist, dass die Verteilung der Mittel im Rahmen des § 150 Abs. 4 VAG nur an Krankheitskostentarife und die freiwilligen Pflegekrankenversicherungstarife erfolgte.
- Es wird bestritten, dass ersichtlich ist, dass die Verteilung der Mittel im Rahmen des § 150 Abs. 4 VAG nur an Versicherte geflossen ist, die am Bilanzstichtag das 65. Lebensjahr vollendet haben.
- Es wird bestritten, dass ersichtlich ist, dass die verteilten Mittel im Rahmen des § 150 Abs. 4 VAG innerhalb der gesetzlich vorgesehenen drei Jahre erfolgten.
- Es wird bestritten, dass aus den dem Treuhänder überreichten Unterlagen ersichtlich ist, ob Tarifgruppen bei der Verwendung von Limitierungsmitteln bevorzugt oder vernachlässigt wurden.
- Es wird bestritten, dass der genaue Leistungsinhalt, der von der Verteilung der Limitierungsmittel betroffenen Tarife ausgewiesen wurde.
- Es wird bestritten, dass die Verteilung der Limitierungsmittel innerhalb verschiedener Leistungszweige (Krankenzusatzversicherungen, Krankheitskostenversicherung etc.) ausgewiesen wurde.
- Es wird bestritten, dass aus den dem Treuhänder überreichten Unterlagen die durchschnittliche Altersverteilung der von der Verteilung der Limitierungsmittel betroffenen Tarife erkennbar war.
- Es wird bestritten, dass aus den dem Treuhänder überreichten Unterlagen das durchschnittliche Preisniveau der von der Verteilung der Limitierungsmittel betroffenen Tarife erkennbar war.
- Es wird bestritten, dass aus den dem Treuhänder überreichten Unterlagen ersichtlich ist, in welchem Verhältnis die Limitierungsmittel pro Tarif zu der Anzahl der Versicherten in diesem Tarif stehen.
- Es wird bestritten, dass aus den dem Treuhänder überreichten Unterlagen erkennbar war, ob die von der Verteilung der Limitierungsmittel betroffenen Tarife solche waren, die für Neukunden noch zur Verfügung stehen (sog. offene Tarife) oder solche die nur noch für den bereits vorhandenen Versichertenbestand zur Verfügung stehen (sog. geschlossene Tarife).
- Es wird bestritten, dass in den dem Treuhänder überreichten Unterlagen, die Verteilung der Limitierungsmittel zwischen demjenigen Versichertenbestand, der einer Erhebung des gesetzlichen Zuschlags i. S. d. § 149 VAG widersprochen hat und demjenigen bei dem ein gesetzlicher Zuschlag erhoben wurde, ausgewiesen wurde.
- Es wird bestritten, dass in den dem Treuhänder überreichten Unterlagen, die Verteilung der Limitierungsmittel zwischen demjenigen Versichertenbestand, der älter als 65. Jahre ist und demjenigen der jünger ist, ausgewiesen wurde.“
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Zu diesem Vorbringen trägt die Beklagte vor:
„Die Klägervertreter haben einen neuen Textbaustein zur vermeintlichen Unvollständigkeit der Prüfunterlagen erstellt. Dazu ist zunächst anzumerken, dass sie diesen Textbaustein undifferenziert und wortgleich nunmehr gegen alle Krankenversicherer verwenden, obwohl sie die Treuhänder-Unterlagen in keinem einzigen Fall gesichtet haben und obwohl sie jedenfalls Unterlagen der hiesigen Beklagten noch nie gesehen haben. […] Die Klägervertreter haben ein Einzelfallurteil des OLG Stuttgart gefunden, welches gegen einen anderen Krankenversicherer ergangen ist. In diesem Einzelfallurteil war das OLG Stuttgart nach sachverständiger Beratung nicht zu der Überzeugung gelangt, dass die im dortigen Verfahren vom dort beklagten Versicherer vorgelegten Kalkulationsunterlagen zur Prüfung des Limitierungskonzepts ausreichend waren.
Bereits dieses Urteil und der dortige Verfahrensverlauf – mit aufwändiger Beweisaufnahme einschließlich mündlicher Anhörung des Sachverständigen – sollten den Klägervertretern zeigen, dass ihr Kalkül nicht aufgehen kann. Denn die Klägervertreter wollen ja ausdrücklich keine Sachverständigengutachten.“
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Der Kläger hat das beklagtenseits geschilderte Vorgehen in tatsächlicher Hinsicht – auch nach entsprechendem richterlichen Hinweis – letztlich nicht in Abrede gestellt, ist aber der Ansicht, sein Vorbringen sei prozessual zulässig, da die Darlegungs- und Beweislast für die Wirksamkeit der Beitragserhöhungen bei der Beklagten liege.
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Weiterhin begehrt der Kläger mit seinen Anträgen zu 4. bis 7. Auskunft über Beitragsanpassungen in den Jahren 2013 bis 2018 (Ziff. 4), sowie die Feststellung der Unwirksamkeit der sich hieraus (etwaig) ergebenden Beitragserhöhungen (Ziff. 5), die Rückerstattung hieraus folgender etwaig bestehender Überzahlungen (Ziff. 6) sowie hieraus gezogener Nutzungen (Ziff. 7).
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Der Kläger beantragt zuletzt, 1) Es wird festgestellt, dass folgende Neufestsetzungen der Prämien in der zwischen der Klägerseite und der Beklagten bestehenden Kranken-/Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer X unwirksam sind:
a) die Erhöhung des Beitrags im Tarif A zum 01.01.2020 in Höhe von 7,88 €
b) die Erhöhung des Beitrags im Tarif B zum 01.01.2020 in Höhe von 5,16 €
c) die Erhöhung des Beitrags im Tarif D/ 30,00 zum 01.01.2020 in Höhe von 1,64 €
d) die Erhöhung des Beitrags im Tarif A zum 01.09.2020 in Höhe von 7,01 €
e) die Erhöhung des Beitrags im Tarif C zum 01.09.2020 in Höhe von 0,47 €
f) die Erhöhung des Beitrags im Tarif B zum 01.09.2020 in Höhe von 7,16 €
g) die Erhöhung des Beitrags im Tarif D/ 30,00 zum 01.01.2021 in Höhe von 3,62 €
und die Klägerseite nicht zur Zahlung des jeweiligen Differenzbetrages verpflichtet war.
2) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite 498,24 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
3) Es wird festgestellt, dass die Beklagte
a) der Klägerseite zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerseite auf die unter 1) aufgeführten Beitragserhöhungen gezahlt hat,
b) die nach 3a) herauszugebenden Nutzungen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu verzinsen hat.
4) Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerseite Auskunft über alle Beitragsanpassungen zu erteilen, die die Beklagte in dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag in den Jahren 2013, 2014, 2015, 2016, 2017, 2018, zur Versicherungsnummer X vorgenommen hat und hierzu geeignete Unterlagen zur Verfügung zu stellen, in denen mindestens die folgenden Angaben enthalten sind:
a) die Höhe der Beitragsanpassungen für die Jahre 2013, 2014, 2015, 2016, 2017, 2018, unter Benennung der jeweiligen Tarife im Versicherungsverhältnis der Klägerseite,
b) die der Klägerseite zu diesem Zwecke übermittelten Informationen in Form von Versicherungsscheinen und Nachträgen zum Versicherungsschein der Jahre 2013, 2014, 2015, 2016, 2017, 2018, sowie
c) die jeweilige Höhe der auslösenden Faktoren für die Neukalkulation der Prämien in sämtlichen ehemaligen und derzeitigen Tarifen des Versicherungsvertrages mit der Versicherungsnummer X seit dem 01.01.2020.
5) Es wird festgestellt, dass die nach Erteilung der Auskunft gemäß dem Antrag zu 4) noch genauer zu bezeichnenden Neufestsetzungen der Prämien in der zwischen der Klägerseite und der Beklagten bestehenden Krankenversicherung mit der Versicherungsnummer X unwirksam sind und die Klägerseite nicht zur Zahlung des jeweiligen Differenzbetrages verpflichtet war.
6) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite einen nach Erteilung der Auskunft gemäß dem Antrag zu 4) noch zu beziffernden Betrag nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
7) Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerseite die Nutzungen in der nach Erteilung der Auskunft gemäß dem Antrag zu 4) noch zu beziffernden Höhe herauszugeben, die die Beklagte bis zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerseite auf die unter 5) noch aufzuführenden Beitragsanpassungen gezahlt.
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Die Beklagte beantragt
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Sie ist im Wesentlichen der Ansicht, dass der klägerische Vortrag unbeachtlich sei, da er ins Blaue hinein erfolge. Für die geltend gemachten Auskunftsansprüche sei zudem keine Anspruchsgrundlage erkennbar.
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Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Parteivertreter und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17.10.2022.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist unbegründet und kann daher keinen Erfolg haben.
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1. Die Anträge zu 1 und 2 sind unbegründet, da der Kläger – auch nach richterlichem Hinweis in der Verfügung vom 24.08.2022 – keine greifbaren Anhaltspunkte für die von ihm in den Raum gestellten Behauptungen für das Vorliegen einer materiellen Rechtswidrigkeit der Beitragsanpassungen dargelegt hat, weshalb insoweit keine Beweiserhebung geboten war.
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Nach der im Rahmen von „Massenverfahren“ in den letzten Jahren in dieser Hinsicht weiter konkretisierten zutreffenden obergerichtlichen Rechtsprechung ist ein auf Vermutungen gestützter Sachvortrag einer Partei im Rahmen des § 138 ZPO dann unbeachtlich, wenn die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt (siehe beispielhaft und mwN BGH, Urteil vom 26.04.2022, VI ZR 435/20, juris – Rn. 12). Soweit in der Rechtsprechung darauf hingewiesen wird, die Annahme einer Unbeachtlichkeit von Parteivortrag aus diesem Grunde habe mit Zurückhaltung zu erfolgen, so geht auch das Gericht selbstverständlich im Grundsatz hiervon aus, gibt aber zu bedenken, dass Entscheidungen älteren Datums, die dann zumeist nicht zu einem Vortrag „ins Blaue hinein“ gelangten, sich nicht mit dem Phänomen beschäftigen mussten, dass Parteivortrag letztlich kaum bis nicht mehr auf das konkrete Verfahren zugeschnitten erscheint, sondern sich in wesentlichen Teilen aus Textbausteinen zusammensetzt, deren Bezug zum jeweiligen Verfahren nicht hinreichend erkennbar wird und die scheinbar für eine Vielzahl von thematischen verwandten, inhaltlich aber unterschiedlichen Sachverhalten (jedenfalls) ohne (wesentliche) Differenzierung zum Einsatz kommen.
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Bei der Feststellung eines im Rahmen des § 138 ZPO unbeachtlichen Parteivortrags kann es insbesondere ein erhebliches Indiz darstellen, wenn die Partei gleichartigen Vortrag – letztlich wahllos – gegen verschiedene Beklagtenparteien und überdies ohne Differenzierung hinsichtlich des streitgegenständlichen Produktes / Objektes aufstellt (s. zu einem Vortrag „ins Blaue hinein“ bei im Wesentlichen gleichartigen Behauptungen gegenüber verschiedenen Fahrzeugherstellern und / oder unterschiedlichen Motoren siehe lediglich beispielhaft OLG München, Beschluss vom 29.08.2019, 8 U 1449/19; OLG Brandenburg, Beschluss vom 20.04.2020, 1 U 103/19, juris – Rn. 20; OLG Naumburg, Urteil vom 21.09.2020, 12 U 46/20, juris – Rn. 64; OLG Stuttgart, Beschluss vom 14.12.2020, 16a U 155/19, juris – Rn. 51 ff.).
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Insoweit kann aber kein anderer Maßstab gelten, wenn streitgegenständlich nicht die in der Rechtsprechung der vergangenen Jahre vielfach erörterten behaupteten Manipulationen an einem Motor sind, die undifferenziert gegenüber verschiedenen Herstellern unterschiedlicher Fahrzeuge und Motoren vorgebracht werden, sondern wenn – ebenso scheinbar detailliert vorgebrachte, aber gleichzeitig ohne erkennbare Anhaltspunkte für den jeweiligen Fall gegriffene – Behauptungen einer vermeintlich fehlerhaften Information des Treuhänders bei der Anpassung verschiedener Tarife unterschiedlicher privater Krankenversicherungsunternehmen in den Raum gestellt werden.
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Dass klägerseits vorliegend derartige Textbausteine – nicht nach Versicherungsunternehmen und Tarifen differenzierend – verwendet werden, ist beklagtenseits vorgebracht und letztlich auch auf entsprechenden Hinweis des Gerichts nicht bestritten worden. Hierbei zeigt sich ein Vorgehen „ins Blaue hinein“ allerdings nicht bereits daran, dass vorformulierte Textbausteine zur Verwendung kommen, sondern vielmehr erst daran, dass diese nicht auf den Einzelfall bezogen zur Anwendung kommen – vorliegend ist es unstreitig geblieben, dass die hier erhobenen tatsächlichen Behauptungen „undifferenziert und wortgleich nunmehr gegen alle Krankenversicherer“ in den Raum gestellt werden. Somit liegt es nahe, dass der konkrete Einzelfall keinen greifbaren Anhaltspunkt dafür ergibt, der ein entsprechend detailliertes Bestreiten einzelner Umstände bei der Information des konkreten Treuhänders rechtfertigen könnte, sondern das Bestreiten vielmehr auf einer jenseits des jeweiligen Sachverhalts getroffenen Entscheidung beruht, entsprechenden Sachvortrag beliebig und ohne Rücksicht auf Versicherungsunternehmen und Tarife in eine Vielzahl von Prozesse einzubringen. Dies erfolgt letztlich willkürlich und ist demnach auch dann unbeachtlich, wenn hinsichtlich einzelner Punkte auch ein einfaches Bestreiten oder eine Erklärung mit Nichtwissen ausreichen würde (Musielak/Voit/Stadler 19. Aufl. 2022 § 138 Rn. 16 unter Verweis auf BGH, Urteil vom 07.07.1988, III ZR 111/87).
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Die hier vertretene Anwendung des § 138 ZPO stellt nicht nur die konsequente Folge der im Rahmen der „Abgas“-Fälle weiterentwickelten Rechtsprechung zur Unbeachtlichkeit von Vortrag „ins Blaue hinein“ dar, sondern fügt sich auch zwanglos in die Rechtsprechung zur Beachtlichkeit von Parteivorbringen in anderen, ebenfalls selbstverständlich dem Anwendungsbereich des § 138 ZPO unterfallenden Rechtsgebieten dar. Hierzu ein Beispiel: Der Bauunternehmer hat im Rahmen der Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten oftmals eine Vielzahl technischer Regeln, so zB einschlägiger DIN-Normen, zu beachten. Macht der Besteller nunmehr zur Begründung eines Gewährleitsungsanspruchs oder zur Abwendung der Vergütungsforderung im Prozess die Nichtbeachtung dieser technischen Regeln geltend, so werden entsprechende Behauptungen nicht schon dann relevant, wenn der Besteller die Einhaltung sämtlicher technischen Regeln spiegelstrichartig in Abrede stellt, er muss vielmehr nach der dort vertretenen „Symptomtheorie“ (vgl. nur BGH, Urteil vom 05.06.2014, VII ZR 276/13) aufzeigen, wie sich ein etwaiger Mangel des Werkes äußert. Der Zivilprozess dient eben nicht der Abarbeitung eines von einer Partei abstrakt entwickelten und standardmäßig in vergleichbaren Verfahren eingeworfenen Prüfprogrammes, sondern macht Beweiserhebungen dort erforderlich, wo greifbare Anhaltspunkte für deren Relevanz bestehen.
21
Das Gericht geht nicht davon aus, dass gerade im Bereich der Wirksamkeit von Beitragsanpassungen die Grundsätze zur Unbeachtlichkeit von Vorbringen „ins Blaue hinein“ keine Geltung beanspruchen sollten – vielmehr hat der für Versicherungsverhältnisse zuständige IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs deren Bedeutung gerade in diesem Kontext in seinem Urteil vom 09.12.2015, IV ZR 272/15, Rn. 24) ausdrücklich betont. Der Bewertung des Klägervortrags als vor diesem Hintergrund unbeachtlich steht auch nicht entgegen, dass im Falle eines beachtlichen Bestreitens der materiellen Rechtmäßigkeit durch den Versicherungsnehmer die Darlegungs- und Beweislast beim Versicherer liegen würde. Denn auch für diejenige Partei, die nicht darlegungs- und beweisverpflichtet ist, gilt, dass ein – sofern im Rahmen der tatrichterlichen Würdigung des Parteivortrags im Einzelfall feststellbar – ein Bestreiten „ins Blaue hinein“ als unbeachtlich zu bewerten ist (s. zum „Bestreiten ins Blaue hinein“ beispielhaft OLG Köln, Urteil vom 27.02.1991, 2 U 89/90; Urteil vom 12.06.1995, 18 U 1/95, juris – Rn. 4; Urteil vom 25.04.2012, 13 U 67/11, juris – Rn. 92; OLG München, Urteil vom 27.04.2006, 19 U 3717/04, juris – Rn. 24; Beschluss vom 02.08.2019, 28 U 442/19, juris – Rn. 128).
22
Auch ist sich das Gericht bei der Bewertung des klägerischen Vortrags darüber im Klaren, dass die Möglichkeiten des Versicherungsnehmers zur Überprüfung der materiellen Rechtmäßigkeit der Beitragsanpassungen ohne Möglichkeit einer Einsichtnahme in den entsprechenden Vorgang begrenzt sind. Gleichzeitig legitimiert dieser Umstand aber nicht dazu, letztlich ohne Einzelfallbezug bestimmte detaillierte Behauptungen bezüglich einer angeblich fehlerhaften Information des Treuhänders auf's Geratewohl aufzustellen. Soweit jedoch ein solches, letztlich willkürliches Vorgehen – wie vorliegend – im Einzelfall feststellbar wird, wird kein Sachgrund dafür erkennbar, einen solchen Vortrag entgegen der allgemeinen Grundsätze für beachtlich zu halten, nur weil die Anforderungen an ein etwaig beachtliches Bestreiten bei einem anders gelagerten Sachvortrag als nicht allzu hoch anzusetzen gewesen wären. Zu beurteilen ist und bleibt insoweit der konkrete Sachvortrag im jeweils zu entscheidenden Prozess.
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Der Ausschluss der Berücksichtigung eines ohne greifbaren Anhaltspunkte gehaltenen Vortrags verletzt die jeweilige Partei auch nicht in ihrem verfahrensrechtlichen Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG. Denn hieraus kann gerade kein Recht abgeleitet werden, Vortrag ohne jedweden Anhaltspunkt in den Raum zu stellen und diesen einer Überprüfung zu unterziehen.
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Soweit man es in der Folge für kein tragbares Ergebnis halten sollte, dass es nicht jedem Versicherungsnehmer offenstehen würde, ohne Darlegung eines konkreten Anhaltspunktes für deren Unrichtigkeit die materielle Berechnung der Beitragserhöhung in einem Zivilprozess einer Überprüfung zu unterziehen, was nach aus Sicht des Gerichts auf Grund des die Objektivität gewährleistenden Treuhänders ein prinzipiell hinzunehmender Umstand wäre, wäre letztlich wohl eher zu erwägen, ob hier – wie in diversen anderen Rechtsbereichen – der Gesetzgeber gehalten wäre, entsprechende Auskunftsansprüche vorzusehen. Aus dem Umstand, dass das nach geltendem Recht nicht der Fall ist, kann indes nicht abgeleitet werden, dass die sonst geltenden Grundsätze des § 138 ZPO (Unbeachtlichkeit eines Vortrags „ins Blaue hinein“) im Rahmen der Überprüfung der materiellen Rechtmäßigkeit von Beitragsanpassungen keine Geltung beanspruchen.
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Letztlich bleibt im konkreten Fall zudem unklar, warum der Kläger seine etwaigen Zweifel an der Richtigkeit der Beitragsanpassung lediglich – zur Überzeugung des Gerichts ohne erkennbaren Grund – an einer fehlerhaften Information des Treuhänders und nicht an etwaig denkbaren Berechnungsfehlern festmachen will (so ausdrücklich Replik, Seite 10), was aus Sicht des Gerichts ebenfalls das hier festzustellende Vorgehen ins Blaue hinein illustriert (woher will der Kläger wissen, dass ein etwaiger Fehler bei der Information der Treuhänders und nicht bei der Berechnung passiert sein soll?). Zudem erschiene nicht gewährleistet, dass die Ordnungsgemäßheit der Unterlagen sowie die Auswirkungen von etwaigen Fehlern auf das Verfahren des Treuhänders vom Gericht abschließend – unter Ausblendung des weiteren Treuhänderverfahrens und ohne sachverständige Begutachtung – beurteilt werden können.
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Greifbare Anhaltspunkte für eine Relevanz des Klägervortrags ergeben sich schließlich auch nicht aus dem im Termin am 17.10.2022 vom Klägervertreter genannten Umständen, dass entsprechende Tatsachen bekannt seien, aber auf Grund von Verschwiegenheitsklauseln nicht benannt werden dürften. Die Validität dieser Behauptung lässt sich durch das Gericht nicht überprüfen, wobei zugleich nicht erklärbar wäre, warum dann detaillierte, gleichartige Behauptungen ab einem bestimmten Zeitpunkt gegenüber einer Vielzahl von Versicherungsunternehmen erhoben werden. Wenn die Klägervertreter auf Grund der Vielzahl der von ihnen betreuten Mandate im Bereich der Beitragsanpassungen entsprechende Kenntnisse des Krankenversicherungsmarktes erworben haben, könnte es ihnen wohl doch möglich sein – auch unter Wahrung etwaig vereinbarter Verschwiegensheitsklauseln – diejenigen Tarife zu benennen, bei denen tatsächlich konkrete Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Anpassung bestehen, etwa weil diese erheblich über Beitragsanpassungen von Mitbewerbern bei vergleichbaren Tarifen im jeweiligen Jahr hinausgehen (dies nachvollziehbar als greifbaren Anhaltspunkt für eine etwaige Fehlerhaftigkeit der Beitragsanpassung bewertend LG Arnsberg, Urteil vom 16.05.2019, 1 O 127/18). Dieser Ausgangspunkt würde dann zwar dazu führen, dass ggf. nur ein kleiner Teil der derzeit angestrengten Klageverfahren eingeleitet werden würden, entspräche aber dem Grundansatz, dass nur das einer gerichtlichen Überprüfung zuzuführen ist, was tatsächlich untersuchenswert erscheint.
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Im Rahmen der durchzuführenden tatrichterlichen Würdigung des klägerischen Vortrags im konkreten vorliegenden Fall erscheint das Bestreiten der Ordnungsgemäßheit der Information des Treuhänders im Ergebnis als unbeachtlicher Vortrag ins Blaue hinein, was sich aus Sicht des Gerichts im konkreten Fall bereits und insbesondere daraus ergibt, dass die konkreten Einzelumstände im Rahmen eines standardisierten und ohne Prüfung des Einzelfalls in den Raum gestellten Katalogs von Behauptungen geltend gemacht werden.
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2. Mangels Erfolges der Anträge zu 1 und 2 kann auch der Antrag auf Herausgabe von Nutzungen in 2. Ziff. 3 keinen Erfolg haben, da dieser die – jedenfalls teilweise – Begründetheit der vorgenannten Anträge voraussetzen würde.
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3. Hinsichtlich der Tarife A und B kann eine Erhöhung zum 01.01.2020 nicht ohne weiteres festgestellt werden, insbesondere da der Versicherungsschein eine Erhöhung zu diesem Zeitpunkt nicht erwähnt. Allein aus dem Umstand, dass zum 01.01.2019 ein niedrigerer Beitrag bestand, folgt nicht, dass zum 01.01.2020 erhöht wurde – die Erhöhung könnte ebenso gut in den Monaten Februar bis November 2019 erfolgt sein. Zur Darlegung und Nachweis eines bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruchs des Klägers wäre aber wenigstens erforderlich gewesen, den relevanten Zeitpunkt darzulegen und nachzuweisen. Nach den Ausführungen unter Ziff. 1 kommt es auf diese Thematik aber im Ergebnis nicht an.
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4. Die geltend gemachten Auskunftsansprüche (und im Rahmen der Stufenklage anschließenden unbezifferten Leistungsanträge) gemäß Ziff. 4 bis 7 können aus den in der Entscheidung des OLG München, Beschluss vom 24.11.2021, 14 U 6205/21, die sich mit möglicher Weise relevanten Anspruchsgrundlagen umfassend auseinandersetzt, genannten Gründen keinen Erfolg haben (vgl. auch OLG Nürnberg, Urteil vom 14.03.2022, 8 U 2907/21).
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Im Übrigen hat der Kläger bereits nicht dargelegt, dass es ihm nicht ohne weiteres möglich wäre, die begehrten Auskünfte einfach über das Online-Kundenportal der Beklagten zu erhalten (Seite 15 der Klageerwiderung unten), womit ein (ohnehin nicht bestehender) weitergehender Auskunftsanspruch ausscheiden dürfte. Selbst wenn man dies anders sehen dürfte, wird ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers für die begehrten Auskünfte nicht erkennbar.
32
Auch hinsichtlich der Auskunftsansprüche kann sich das Gericht des Eindrucks nicht erwehren, dass – wie beklagtenseits vorgetragen und klägerseits letztlich auch insoweit nicht in Abrede gestellt – Textbausteine ohne hinreichende Abstimmung auf den konkreten Sachverhalt zur Begründung des klägerischen Anspruchs herangezogen werden. Dies scheint (auch hier) vor dem Hintergrund von § 138 ZPO nicht unproblematisch, worauf es aber diesbezüglich nicht durchgreifend ankommt.
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5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
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6. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Sätze 1 und 2 ZPO.