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AG Augsburg, Endurteil v. 15.02.2022 – 20 C 2413/20
Titel:

Leistungen, Arzt, Versicherungsnehmer, Ermessen, Versicherer, Gutachten, Anspruch, Leistung, Verordnungsgeber, Berechnung, Krankheitskostenversicherung, Forderung, Klage, Aufwendungen, billigem Ermessen

Schlagworte:
Leistungen, Arzt, Versicherungsnehmer, Ermessen, Versicherer, Gutachten, Anspruch, Leistung, Verordnungsgeber, Berechnung, Krankheitskostenversicherung, Forderung, Klage, Aufwendungen, billigem Ermessen
Fundstelle:
BeckRS 2022, 48837

Tenor

1 Die Klage wird abgewiesen
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Die Kosten der Nebenintervention hat der Streithelfer selbst zu tragen
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Hohe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 3.197,27 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Der Kläger macht eine Forderung aus einer bei der Beklagten abgeschlossenen Krankheitskostenvollversicherung geltend.
2
Der Kläger unterhält bei der Beklagten einem privaten Krankenversicherungsvertrag für Arzte, unter anderem den Tarif AMA 105 für ambulante Heilbehandlung mit einer jährlichen Selbstbeteiligung von 306,78 €, die für das Jahr 2017 bereits ausgeschöpft ist, sowie den Tarif STA 100 für stationäre Heilbehandlung.
3
Der Kläger wurde im Universitätsklinikum Augsburg strahlentherapeutisch behandelt. Hierzu stellte ihm das Universitätsklinikum Augsburg drei Rechnungen. Es handelte sich hierbei um eine ambulante Bestrahlungsrechnung über einen Zahlbetrag in Höhe von 8.212,10 € (Rechnungnummer 34897/201704/00314 vom 02.05.2017) und 2 stationäre Bestrahlungsrechnungen über Zahlbeträge in Höhe von 2.440,51 € (Rechnungnummer 34897/201704/00315 vom 02.05.2017) und in Höhe von 2.512,87 € (Rechnungnummer 34897/20 01.07.2004/00313 vom 02.05.2017).
4
Die Beklagte forderte am 27.07.2017 die Bestrahlungsunterlagen von den Behandlern an und leistete hiernach eine Abschlagszahlung in Höhe von 6.000 € an den Kläger. Die Beklagte leitete die von den behandelnden Ärzten erstellten Behandlungsunterlagen am 25.09.2017 zur Begutachtung weiter. Nach Erstattung des Gutachtens erstattete die Beklagte auf die streitgegenständliche Rechnungen folgende Beträge:

Rechnungs Nr. 34897/201704/00313 (ambulant).

1.969,94 €

Rechnungs Nr. 34897/201704/00314 (stationär).

6.161,02 €

Rechnungs Nr. 34897/201704/00315 (stationär):

1.837,25 €

5
Der Kläger behauptet, die bei dem Kläger erste durchgeführte Bestrahlungsfraktion sei sowohl zeit- als auch personalaufwendiger als alle nachfolgenden Bestrahlungszeiten. Der 1,4- bzw. 1,5 fache Faktor sei in allen Rechnungen gerechtfertigt.
6
Der Kläger beantragt:
die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.197,27 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.11.2017 zu bezahlen.
7
Die Beklagte beantragt, die Klage kostenpflichtig abzuweisen.
8
Die Beklagte trägt vor, dass die GOÄ-Ziff. A 5855 sieben Mal mit dem Faktor 1,2, zweimal mit dem Faktor 1,1 und 15 mal mit dem Faktor 1,0 abgerechnet werden kann. Sie ist daher der Auffassung, dass ihr Regulierungsverhalten nicht zu beanstanden sei und daher dem Kläger ein weitergehende Anspruch nicht zusteht.
9
Mit Schriftsatz vom 30.12.2020, dem Streitverkündeten zugestellt am 20.01.2021 verkündete der Kläger dem Streitverkundeten den Streit. Dieser trat dem Rechtsstreit mit Schriftsatz vom 18.02.2021, eingegangen bei Gericht am selben Tag, auf Seiten des Klägers bei.
10
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Sachverständigen …. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das schriftliche Gutachten vom 17.05.2021, die Ergänzungen vom 26.08.2021 sowie auf das Protokoll vom 18.01.2022 verwiesen Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

11
Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
12
Die Klage ist zulässig Die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Augsburg ergibt sich aus §§ 1 ZPO, 23 Nr. 1 GVG Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 215 Abs. 1 VVG.
II.
13
Der Kläger hat keinen Anspruch aus der mit der Beklagten abgeschlossenen Krankheitskostenvollversicherung.
14
1. Aufwendungsersatz schuldet der Beklagte nur in der Hohe, in der der Behandler – die Streithelferin des Klägers – eine Vergütung beanspruchen kann.
15
Die Krankheitskostenversicherung als Passivenversicherung verpflichtet den Versicherer gegenüber dem Versicherungsnehmer nur zum Ersatz derjenigen Aufwendungen, die diesem in Bezug auf das versicherte Risiko zur Erfüllung von Verpflichtungen aus berechtigten Ansprüchen Dritter erwachsen sind (BGH, Urteil vom 12. März 2003 – IV ZR 278/01, BGHZ 154, 154-171, juris, Rn. 11).
16
Die Vergütung für ärztliche Leistungen bestimmt sich nach der GOÄ (§ 1 GOÄ), die Gebühren richten sich nach dem Gebührenverzeichnis (§ 4 Abs. 1 GOÄ) Unstreitig ist, dass die GOÄ-Ziffer A 5855 gem. § 6 Abs. 2 GOÄ Anwendung findet.
17
Allgemein bemisst sich die Höhe der einzelnen Gebühr für persönlich-ärztliche Leistungen nach dem Einfachen bis Dreieinhalbfachen des Gebührensatzes (§ 5 I 1 GOÄ). Für medizinischtechnische Leistungen gilt nach § 5 III GOÄ ein Gebührenrahmen zwischen dem Einfachen und dem Zweieinhalbfachen des Gebührensatzes. Bei der Gebührenzifffer 5855 ist nach § 5 Abs. 3 S. 2 in Verbindung mit Abs. 2 S. 4 GOÄ in der Regel höchstens der Steigerungsfaktor 1,8 anzuwenden, weil sie zum Abschnitt 0 des Gebührenverzeichnisses der GOÄ gehört. Innerhalb des Gebuhrenrahmens hat der Arzt die Gebühren unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und des Zeitaufwands der einzelnen Leistungen sowie der Umstände bei der Ausführung nach billigem Ermessen zu bestimmen (§ 5 II 1 GOÄ). Vor diesem Hintergrund war die Berechnung des erhöhten Steigerungsfaktor von 1,4 bzw. 1,5 ermessensfehlerhaft.
18
Nach den Ausführungen des Sachverständigen … lautet der Text der Ziffer 5855 Analog GOÄ wie folgt:
„Intensitätsmodulierte Strahlentherapie (IMRT) mit bildgeführte Überprüfung der Zielvolumina (IGRT) einschließlich aller Planungsschritte und individuell angepasster Ausblendung, je Bestrahlungssitzung. Die Intensitätsmodulierte Strahlentherapie analog Nr. 5855 GOÄ ist höchstens mit dem 1,8 fachen Gebührensatz berechnungsfahig. Neben der Intensitätsmodulierten Strahlentherapie analog Nummer 5855 GOÄ sind Leistungen aus dem Kapitel 0 IV und Leistungen nach den Nrn. 5377, 5378, 5733 und A5830 in demselben Behandlungsfall nicht berechnungsfahig.
Der Sachverständige führt weiter aus, dass die analog Ziffer 5855 GOÄ bereits eine hochbewertete Ziffer sei Diese umfasse auch alle Planungsleistungen. Ebenfalls umfasst seien Kontrollleistungen Bei dem hier streitgegenständlichen Fall handele es sich um eine einfache Bestrahlung. Es handelte sich um eine Bestrahlung mit einem einfachen Zielvolumen. Es seien für ihn keine besonderen Vorkommnisse ersichtlich. Zudem sei auch nicht an jedem Tag eine bildgebende Kontrolle durchgeführt worden. Der Patient sei nach den Unterlagen auch nicht schwer lagerbar gewesen. Aus seiner sachverständigen Sicht könne er sagen, dass es sich um eine normale Bestrahlung handelt, die keinen Steigerungsfaktor rechtfertigen wurde Auch die VMAT-Technik führe nicht automatisch zu einer Verkomplizierung der IMRT. Es komme vielmehr darauf an, wann die VMAT-Technik bei der jeweiligen Einrichtung eingeführt würde. Zunächst sei natürlich beim „Einlernen“ dieser Technik ein erhöhter Aufwand erforderlich. Dieser würde aber im Laufe der Zeit abflachen und im Anschluss hieran sei der Planungsaufwand und der Zeitaufwand für die VMAT-Technik einfacher als für die IMRT Der Sachverständige kommt daher zu dem Ergebnis, dass die von der Streithelferin angewendeten Steigerungsfaktoren medizinisch nicht gerechtfertigt seien. Vielmehr seien Steigerungsfaktoren von 1,0, 1,1 bzw. 1,2 angemessen. Aus seiner Sicht sei daher ein Abzug von 542,96 € (Rechnungsnummer 313) 2.051,17 € (Rechnungsnummer 314) und 603,29 € (Rechnungsnummer 315) gerechtfertigt. Ob es sich allerdings um einen Ermessensfehlgebrauch handele sei sodann eine juristische Frage. Dem Sachverständigen konnte durch das Gericht gefolgt werden. Seine Ausführungen waren in sich stimmig und nachvollziehbar Insbesondere erklärte er für das Gericht nachvollziehbar, dass es erheblich aufwändigere Strahlentherapien gibt, die ebenfalls mit der Analog-Ziffer A 5855 GOÄ abgerechnet werden. In diesen Fällen sei aus seiner Sicht selbstverständlich ein erhöhter Steigerungsfaktor anwendbar.“
19
Der BGH vermag zwar keinen Ermessensfehlgebrauch darin zu sehen, wenn persönlichärztliche Leistungen, die sich in einem Bereich durchschnittlicher Schwierigkeit befinden, zum Schwellenwert abgerechnet werden (ähnl. OLG Koblenz, NJW 1988, 2309; vgl. auch Senat, BGHZ 151, 102 [115] = NJW 2002, 2948, der von einer solchen Praxis – ohne Stellung hierzu zu nehmen – ausgeht). Dem scheint zwar der Wortlaut des § 5 II 4 GOÄ entgegenzustehen. Ohne eine nähere Begründungspflicht im Bereich der Regelspanne ist es jedoch nicht praktikabel und vom Verordnungsgeber offenbar nicht gewollt, den für eine durchschnittliche Leistung angemessenen Faktor zu ermitteln oder anderweitig festzulegen Soweit in einzelnen Entscheidungen (vgl. etwa AG Essen, NJW 1988, 1525) und in der Literatur (Dedié, NJW 1985, 689 [690]; Miebach, NJW 2001, 3386 [3387] und ders., in: Uleer/Miebach/Patt, § 5 Rdnr. 40) die Auffassung vertreten wird, eine durchschnittlich schwierige Leistung müsse mit dem Mittelwert der Regelspanne, also mit dem 1,65-Fachen bei persönlich-ärztlichen Leistungen und mit dem 1,4-Fachen bei medizinisch-technischen Leistungen oder – wie das BerGer. – mit einem auf das 1,8-Fache bzw. 1,6-Fache angehobenen Wert abgerechnet werden, vermag der Senat dem nicht zu folgen Der Verordnungsgeber hat einen solchen Mittelwert nicht vorgesehen, und er würde die entsprechende ärztliche Tätigkeit im Ansatz auch nicht angemessen entgelten, weil aus dem gesamten Fallspektrum ohne hinreichenden Grund die Fälle ausgenommen werden, in denen der Schwellenwert überschritten werden darf (vgl. auch Haberstroh, VersR 2000, 538 [540]). Es tritt hinzu, dass dem Verordnungsgeber die Abrechnungspraxis seit vielen Jahren bekannt ist (vgl. den bereits angeführten Erfahrungsbericht der BReg. v 27.12.1985 zur Gebührenordnung für Arzte v. 12.11.1982, BR-Dr 625/85, S. 17 ff.) und er davon abgesehen hat, den Bereich der Regelspanne deutlicher abzugrenzen. Er hat sich zwar gegen eine schematische Anwendung der Schwellenwerte ausgesprochen, was auch in der Begründung zur Gebührenordnung für Zahnärzte deutlich geworden ist (BR-Dr. 276/87, S. 69 f.) und aus der Sicht des Senats vor allem eine Aufforderung an den Arzt darstellt, in einfachen Fällen nur das Einfache des Gebührensatzes zu berechnen. Er hat es aber offenbar hingenommen, dass persönlich-ärztliche Leistungen durchschnittlicher Schwierigkeit zum Schwellenwert abgerechnet werden, und dementsprechend nach § 12 III GOÄ eine Begründung des Arztes nur für erforderlich gehalten, wenn der Schwellenwert überschritten wird (BGH, Urteil vom 8.11.2007 – III ZR 54/07 (LG Hamburg)).
20
Eine richtige Ermessensausübung erfordert allerdings, für den nach allen Bemessungskriterien einfachst gelagerten Fall den Einfachsatz zu bemessen. Denn andernfalls ergäbe es keinen Sinn, Steigerungsfaktoren von 1,0 bis 1,8 zu ermöglichen. Wenn wie im vorliegenden Fall bewiesen ist, dass ein Fall einfachster Art bzw. ein Fall, der unterhalb des Durchschnitts aller Fälle der jeweiligen Gebührenziffer vorliegt – wie es den Ausführungen des Sachverständigen entnommen werden kann – ist es auch ermessensfehlerhaft, einen erhöhten Steigerungsfaktor heranzuziehen. Dass sich im Jahr 2017 die VMAT-Technik im Universitätsklinikum Augsburg noch in der Anfangsphase befand wurde weder vorgetragen noch ist ersichtlich.
21
Angesichts dessen war die Klage abzuweisen.
22
Die Nebenforderung teilt das Schicksal der Hauptforderung, weshalb auch insoweit Klageabweisung erfolgte.
III.
23
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 101 ZPO.
24
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.