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OLG München, Hinweisbeschluss v. 15.02.2022 – 25 U 41/22
Titel:

Leistungen, Erkrankung, Erfolgsaussicht, Heilbehandlung, Arzneimittel, Behandlungskosten, Versicherer, Berufung, Therapie, Gutachten, Erstattung, Behandlung, Krankheitsverlauf, Verschlimmerung, medizinisch notwendige Heilbehandlung, Aussicht auf Erfolg, keine Aussicht auf Erfolg

Schlagworte:
Leistungen, Erkrankung, Erfolgsaussicht, Heilbehandlung, Arzneimittel, Behandlungskosten, Versicherer, Berufung, Therapie, Gutachten, Erstattung, Behandlung, Krankheitsverlauf, Verschlimmerung, medizinisch notwendige Heilbehandlung, Aussicht auf Erfolg, keine Aussicht auf Erfolg
Vorinstanz:
LG Landshut, Endurteil vom 16.12.2021 – 82 O 3792/20
Fundstelle:
BeckRS 2022, 48829

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 16.12.2021, Az. 82 O 3792/20, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Entscheidungsgründe

1
Das Landgericht hat zutreffend entschieden, dass die beim Kläger durchgeführte Protonenstrahlentherapie als eine nicht medizinisch notwendige Heilbehandlung anzusehen ist.
2
1. Der Kläger litt unstreitig an einem Prostatakarzinom; es war auch medizinisch notwendig, das Prostatakarzinom zu behandeln (Gutachten des Sachverständigen Dr. D. vom 03.07.2021, S. 5/7, Bl. 65/67 d.A.).
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Allerdings ist die Art der gewählten Heilbehandlung nicht eine medizinisch notwendige im Sinn der vereinbarten Bedingungen.
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In § 4 Abs. 6 der hier vereinbarten Bedingungen (Anlage B 1, vgl. auch Anlage K 2) ist folgendes vereinbart:
„Der Versicherer leistet im vertraglichen Umfang für Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden und Arzneimittel, die von der Schulmedizin überwiegend anerkannt sind. Er leistet darüber hinaus für Methoden und Arzneimittel, die sich in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt haben oder die angewandt werden, weil keine schulmedizinischen Methoden oder Arzneimittel zur Verfügung stehen; der Versicherer kann jedoch seine Leistungen auf den Betrag herabsetzen, der bei der Anwendung vorhandener schulmedizinischer Methoden oder Arzneimittel angefallen wäre.“
5
Die vom Kläger gewählte Methode, die Protonenstrahlentherapie, ist beim Prostatakarzinom keine anerkannte Therapie nach der maßgebenden Leitlinie (S3 – Leitlinie Prostatakarzinom, GA vom 03.07.2021, S. 5ff, Bl. 65ff., insbesondere Bl. 68 d.A.). Bei der Protonenstrahlentherapie handelt es sich um eine alternative physikalische Art der perkutanen Bestrahlung (einer von außen auf den Körper applizierten Bestrahlung), für deren Anwendung es auch bestimmte – im Gutachten dargestellte, hier aber nicht vorliegende – Indikationen gibt (GA S. 9,10, Bl. 69,70 d.A.).
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Vorliegend gibt es – worauf das Landgericht mit Recht hinweist – 3 von der Schulmedizin anerkannte Behandlungsmöglichkeiten, die voll umfänglich geeignet sind, das Prostatakarzinom des Klägers zu behandeln:
- die radikale Prostatektomie, Entfernen der Prostata
- die perkutane Photonen – Strahlentherapie
- die HDR-Brachytherapie (dort wird die Strahlenquelle nach der Behandlung wieder entfernt).
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Zu den Einzelheiten ist zu verweisen auf das gerichtliche Gutachten vom 03.07.2021, S. 5ff, Bl. 65ff. und das Ergänzungsgutachten vom 09.10.2021 Bl. 102 d.A..
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Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass es sich um eine Methode handelt, die sich in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt hat, weil es keine ausreichenden Nutzenbelege für die Therapie beim Prostatakarzinom gibt und erst Langzeitergebnisse aus entsprechenden Studien erforderlich sind (zu den Einzelheiten ist zu verweisen auf das gerichtliche Gutachten vom 03.07.2021, S. 8,9 Bl. 68,69 d.A.); einen Mehrnutzen oder einen Vorteil gegenüber der perkutanen Photonenstrahlentherapie hat die Protonenstrahlentherapie bei dem beim Kläger vorliegenden Krankheitsbild nicht (Ergänzungsgutachten vom 09.10.2021, Bl. 102 d.A.).
9
Damit hat der Kläger keinen versicherungsvertraglichen Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Behandlungskosten.
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2. Soweit die Berufung die Auffassung vertritt wegen der Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung sei hier die Protonenstrahlentherapie als medizinisch notwendige Behandlung anzusehen, teilt der Senat diese Auffassung nicht.
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Zwar bestand bei der Behandlung mittels Protonenbestrahlung eine gute Aussicht auf Heilung oder jedenfalls auf einen positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf (GA S. 10, Bl. 70 d.A.) – es standen jedoch – wie dargelegt – 3 schulmedizinisch anerkannte Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung Bei unheilbaren schweren, lebensbedrohenden oder gar lebenszerstörenden Krankheiten, für die es keine allgemein anerkannte Therapie gibt, kommt jeder gleichwohl durchgeführten Behandlung zwangsläufig Versuchscharakter zu. Die objektive Vertretbarkeit der Behandlung ist in solchen Fällen bereits dann zu bejahen, wenn die Behandlung nach medizinischen Erkenntnissen im Zeitpunkt ihrer Vornahme als wahrscheinlich geeignet angesehen werden konnte, auf eine Verhinderung der Verschlimmerung der Erkrankung oder zumindest auf ihre Verlangsamung hinzuwirken. Dabei ist jedenfalls bei schweren, lebensbedrohenden oder lebenszerstörenden Erkrankungen nicht zu fordern, dass der Behandlungserfolg näher liegt als sein Ausbleiben. Es reicht vielmehr aus, wenn die Behandlung mit nicht nur ganz geringer Erfolgsaussicht die Erreichung des Behandlungsziels als möglich erscheinen lässt (BGH, Beschluss vom 30.10.2013 – IV ZR 307/12, NJW-RR 2014, 295, beck-online; BGH, Urteil vom 10.07.1996 – Az. IV ZR 133/95, BGHZ 133, 208-219). Das ist aber hier gerade nicht der Fall, da es schulmedizinisch anerkannte Behandlungsmöglichkeiten gibt.
12
Aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 30.10.2013 – IV ZR 307/12 (NJW-RR 2014, 295, beck-online), in der der Bundesgerichtshof auch ausführt: „Von der medizinischen Notwendigkeit einer Behandlung ist im Allgemeinen dann auszugehen, wenn sich eine Behandlungsmethode dazu eignet, die Krankheit zu heilen, zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegenzuwirken (vgl. Senat, BGHZ 133, 208 [214] = NJW 1996, 3074; BGHZ 99, 228 [233 f.] = NJW 1987, 703). Steht diese Eignung nach medizinischen Erkenntnissen fest, ist der Versicherer eintrittspflichtig.“, ergibt sich, dass maßgeblich auf die medizinischen Erkenntnisse abzustellen ist. Diese kommen in den medizinischen Leitlinien (hier: S3 – Leitlinie Prostatakarzinom) zum Ausdruck. Alleine, dass eine Maßnahme Aussicht auf einen positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf hat, genügt, vor allem wenn man auf die unter 1. dargestellte Vereinbarung der Parteien abstellt, nicht, um eine medizinische Notwendigkeit bejahen zu können.
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Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt der Senat aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).