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OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss v. 05.05.2022 – 8 U 1487/21
Titel:

Coronavirus, SARS-CoV-2, Versicherungsvertrag, Vertragsschluss, Versicherungsschutz, Rechtsmittel, Berufung, Versicherungsbedingungen, Versicherungsschein, Berufungsverfahren, Beendigung, Anspruch, Umfang, Rechtsverletzung, Zeitpunkt, Schriftsatz, erstinstanzliche Entscheidung, Aussicht auf Erfolg, konkrete Anhaltspunkte

Schlagworte:
Coronavirus, SARS-CoV-2, Versicherungsvertrag, Vertragsschluss, Versicherungsschutz, Rechtsmittel, Berufung, Versicherungsbedingungen, Versicherungsschein, Berufungsverfahren, Beendigung, Anspruch, Umfang, Rechtsverletzung, Zeitpunkt, Schriftsatz, erstinstanzliche Entscheidung, Aussicht auf Erfolg, konkrete Anhaltspunkte
Vorinstanz:
LG Regensburg, Urteil vom 14.04.2021 – 31 O 1884/20
Fundstelle:
BeckRS 2022, 48777

Tenor

Nachdem eine gütliche Beendigung des Rechtsstreits nach § 278 Abs. 6 ZPO nicht festgestellt werden kann (vgl. dazu Senatshinweis vom 29.03.2022, Bl. 348 d.A.) und die Klagepartei mit Schriftsatz vom 03.05.2022 erklärt hat, ihr Rechtsmittel aufrechterhalten zu wollen, ist das Berufungsverfahren nunmehr streitig fortzuführen.
Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 14.04.2021, Az. 31 O 1884/20, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei und mit zutreffenden Erwägungen Ansprüche der Klägerin aus der bei der Beklagten zu VS-Nr. 3… gehaltenen Betriebsschließungsversicherung abgelehnt und die Klage als unbegründet abgewiesen.
Es wird zunächst Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Urteils, die den Senat überzeugen.
Ergänzend ist zur kurzen Begründung der Bestätigung der angefochtenen Entscheidung (vgl. § 540 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) im Hinblick auf die Berufungsbegründung vom 30.06.2021 und das ergänzende Berufungsvorbringen aus dem Schriftsatz vom 03.05.2022 noch auszuführen:

Entscheidungsgründe

1
1. Die Klägerin hat weder neue berücksichtigungsfähige Tatsachen vorgetragen (§ 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) noch konkrete Anhaltspunkte aufgezeigt, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Tatsachenfeststellungen des Landgerichts begründen würden (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Es ist daher von dem im angefochtenen Urteil zugrunde gelegten Sachverhalt auszugehen. Dieser rechtfertigt weder eine andere Entscheidung noch ist eine Rechtsverletzung vorgetragen, auf der die erstinstanzliche Entscheidung beruhen würde (§ 513 Abs. 1 ZPO).
2
2. Das Landgericht hat zu Recht festgestellt, dass vertragliche Leistungsansprüche der Klagepartei nicht bestehen, weil das Risiko einer behördlich angeordneten Betriebsschließung im Rahmen eines sog. 'lock down' im Frühjahr 2020 wegen des Coronavirus nicht vom Versicherungsschutz umfasst sei.
3
Hinsichtlich der Begründung wird auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26.01.2022, IV ZR 144/21 (Pressemitteilung Nr. 012/2022 vom 26.01.2022), sowie auf die Urteile des Senats vom 15.11.2021, 8 U 322/21, BeckRS 2020, 37392/juris, vom 22.11.2021, 8 U 469/21, und vom 29.11.2021, 8 U 184/21, BeckRS 2020, 37386, verwiesen. Sämtlichen Entscheidungen lagen dem streitgegenständlichen Versicherungsvertrag vergleichbare Vertragsbedingungen zugrunde.
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3. Die Auffassung der Klägerin, die Beklagte müsse sich aber mit Blick auf ihre öffentlichen Äußerungen im Frühjahr 2020 (vgl. dazu KV-Schriftsatz vom 31.03.2021 nebst Scans und Anlagen, Bl. 189 ff. d.A.; Hinweis des erkennenden Senats: entgegen dem Klagevortrag sind diese Internet-Veröffentlichungen nicht schon in der zur Akte gereichten „Anlage K 2“ enthalten) an ihrer damaligen Auffassung festhalten lassen, wonach das Coronavirus vom Versicherungsschutz ihrer Betriebsschließungsversicherung umfasst sei, trifft nicht zu.
5
Selbst wenn auf der vorgenannten Internetseite der Beklagten im Februar/März 2020 die Auffassung vertreten wurde, das Coronavirus sei „über die bestehende Betriebsschließungsversicherung mitversichert“ und damit – unter bestimmten Bedingungen – vom Versicherungsschutz umfasst, kann die Klägerin hieraus keinen Anspruch aus dem Versicherungsvertrag herleiten, weil sich aus diesen deutlich nach Vertragsschluss erfolgten Äußerungen keinerlei Rückschluss dahin ziehen lässt, wie die Rechtsauffassung der Beklagten bzw. der für sie handelnden Personen betreffend das Klauselverständnis zum maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses gewesen ist. Für den Umfang des Versicherungsschutzes ist aber allein die rechtliche Einschätzung der Parteien bei Vertragsschluss bzw. bei einer nachträglichen Vertragsänderung maßgebend.
6
Eine nachträgliche Einigung der Parteien über den Bedeutungsgehalt der fraglichen Vertragsklausel ergibt sich aus diesen – einseitigen – Internetäußerungen nicht. Denn die Auslegung von Versicherungsbedingungen hat grundsätzlich nach einem objektiv-generalisierenden Maßstab, ausgerichtet am Willen und Interesse der beteiligten Verkehrskreise und unter Berücksichtigung des Verständnisses eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers zu erfolgen. Eine Einschränkung erfährt dieser Grundsatz nur dann, wenn sich Verwender und Kunde (bzw. hier Versicherter) im Einzelfall über ein von dem Ergebnis der objektiven Auslegung abweichendes Verständnis des Sinngehalts der Regelung – auch durch schlüssiges Handeln – geeinigt haben; (nur) dann geht diese übereinstimmende Vorstellung wie eine Individualvereinbarung dem Ergebnis der objektiven Auslegung vor. Dabei ist eine über den Klauselinhalt hinausgehende, rechtsgeschäftliche Vereinbarung zwischen den jeweiligen Parteien erforderlich, durch die der Sinn der streitigen Klausel speziell im Verhältnis zwischen den Parteien für diese verbindlich festgelegt wird (vgl. BGH, Urteil vom 14.06.2006 – IV ZR 55/05 –, Rn. 13, 14 juris). Dass eine solche bindende Vereinbarung zwischen den Parteien über den Sinngehalt des § 1 Ziff. 2 AVB und den sich infolgedessen ergebenden erweiterten Versicherungsumfang getroffen worden wäre, ist jedoch weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
7
Die – nach dem Vorbringen der Klägerin lediglich einseitigen – Erklärungen des Beklagten bzw. seiner verantwortlich handelnden Mitarbeiter zum Umfang der streitgegenständlichen Betriebsschließungsversicherung reichen für ein vom objektiven Sinngehalt der Allgemeinen Versicherungsbedingungen, insbesondere von § 1 Ziff. 2 AVB, abweichendes Verständnis aus den dargelegten Gründen nicht aus.
8
Bei der fraglichen Veröffentlichung steht der „Werbecharakter“ gegenüber einer unbekannten Mehrzahl von „Usern“ im Vordergrund, einen wie auch immer gearteten Rechtsbindungswillen des Versicherers enthält diese plakative Aussage nicht.
9
Eine rechtswirksame inhaltliche Vertragsanpassung von bestehenden „Altverträgen“ lässt sich daraus nicht ableiten – weder generell noch im Einzelfall der Klägerin.
10
Auch ein auf die fraglichen Veröffentlichungen gestützter Einwand rechtsmissbräuchlichen bzw. widersprüchlichen Verhaltens (§ 242 BGB) greift nicht durch (vgl. zum Ganzen: Schreier, Bindung des Versicherers an Äußerungen zur Mitversicherung des Coronavirus in der Betriebsschließungsversicherung, r+s 2022, 130-135, m.w.N.; OLG Oldenburg, Beschluss vom 04. Oktober 2021, 1 U 118/21 Rn. 8 juris und nachfolgend Beschluss vom 15. November 2021, 1 U 118/21 Rn. 22 – 23, juris; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 16.03.2022, 1 U 152/21, BeckRS 2022, 5163 Rn. 13-16).
11
Die von der Klägerin vorgetragene und mittels Nachtrag vom 04.03.2020 zum Versicherungsschein (vgl. Anl. K 1) dokumentierte einvernehmliche Vertragsänderung betraf lediglich den Punkt „Erhöhung der Tagesentschädigung / Verlängerung der Haftzeit“, wie sich aus dem Dokument unter der Rubrik „GRUND DER AUSFERTIGUNG“ ergibt. Hingegen sollten ausdrücklich die „gegenseitigen Rechte und Pflichten“ durch die – unveränderten – „VERTRAGSBESTIMMUNGEN“ geregelt werden, hier insbesondere durch die „AVB-BS – Allgemeine Bedingungen für die Betriebsschließungsversicherung – Stand 01.01.2015“ und durch die „BBR für BSV Besondere Bedingungen für die Betriebsschließungsversicherung – Stand 01.01.2015 (BBR-BS)“.
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Damit ist evident, dass eine nachträgliche deckungserweiternde Inhaltsänderung im Risikobereich nicht Gegenstand der mit Wirkung ab 04.03.2020 getroffenen Parteivereinbarungen war.
13
4. Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
14
Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.