Titel:
Verweigerung der Zusage zu einer Behandlung in einer sog. gemischten Anstalt
Normenketten:
VVG § 192 Abs. 1
MB/KK 2009 § 4 Abs. 5
BGB § 133, § 157, § 242, § 311 Abs. 1, § 780, § 781
Leitsätze:
1. Der Versicherungsnehmer einer Krankheitskostenversicherung hat keinen Anspruch auf die Zusage des Versicherers zur Behandlung in einer sog. gemischten Anstalt, da es sich insoweit gem. § 4 Abs. 5 MB/KK 2009 um eine Ermessensentscheidung handelt (vgl. OLG Koblenz BeckRS 2004, 12023). (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Ermessensmissbrauch liegt vor, wenn die Entscheidung offenkundig gegen Sinn und Zweck der versicherungsvertraglichen Bestimmung verstößt (hier verneint). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Bestimmung des § 4 Abs. 5 MB/KK 2009 ist wirksam (Bestätigung von OLG München BeckRS 2021, 63305; Anschluss an OLG Frankfurt a. M. BeckRS 1997, 15812; BeckRS 2006, 9735; OLG Hamm BeckRS 2012, 7610; vgl. auch BGH BeckRS 2003, 1924; s. dagegen zur Krankentagegeldversicherung OLG Oldenburg BeckRS 1997, 7501; OLG Köln r+s 1990, 213 = BeckRS 1990, 117029). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
4. Auch dann, wenn der Versicherer die Zusage zur Behandlung in einer gemischten Anstalt mit der Begründung verweigert, es fehle an der medizinischen Notwendigkeit der in Aussicht genommenen Behandlung und ergänzend erklärt, die Zusage werde "selbstverständlich dann erteilt, wenn die medizinische Notwendigkeit ... zweifelsfrei nachgewiesen ist", kann die im nachfolgenden Rechtsstreit erfolgte Ablehnung der Kostenerstattung unabhängig von einer medizinischen Notwendigkeit für die Behandlung in der gemischten Anstalt unter Berufung auf § 4 Abs. 5 MB/KK 2009 nicht ohne Weiteres als ein mit § 242 BGB unvereinbares widersprüchliches Verhalten gewertet werden. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Krankenversicherung, Krankheitskostenversicherung, gemischte Anstalt, gemischte Krankenanstalt, Zusage, Ermessen, Ermessensmissbrauch, Schuldversprechen, Schuldanerkenntnis
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 12.10.2022 – 23 O 2623/22
Fundstellen:
VersR 2023, 1520
r+s 2023, 767
BeckRS 2022, 48765
LSK 2022, 48765
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 12.10.2022, Az. 23 O 2623/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Entscheidungsgründe
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I. Die Entscheidung des Landgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
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Die Klägerin hat keinen Rechtsanspruch auf Versicherungsschutz für eine Behandlung ihrer Tochter in der Klinik am W.
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1. Ein solcher Anspruch folgt insbesondere nicht aus dem Versicherungsvertrag. § 4 Teil I Abs. 5 Satz 1 der vorliegend vereinbarten Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (fortan aus Vereinfachungsgründen: AVB) schränkt die Leistungspflicht der Beklagten dahingehend ein, dass ein Anspruch auf Erstattung von Kosten für medizinisch notwendige Heilbehandlungen in sogenannten „gemischten Krankenanstalten“ nur dann besteht, wenn die Beklagte vor Beginn der Behandlung Erstattungen schriftlich zusagt.
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1.1. Vorliegend handelt es sich bei der Klinik am W. unstreitig um eine gemischte Krankenanstalt. Die Beklagte hat eine Kostenerstattung nicht schriftlich zugesagt; sie hat sie vielmehr schriftlich abgelehnt.
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1.2. Durch das Schreiben der Beklagten vom 03.01.2022 wurde der Versicherungsvertrag nicht dahingehend geändert, dass der Beklagten kein Ermessen mehr zustände.
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Nach den für solche Individualerklärungen maßgeblichen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) ist zwischen den Parteien kein Änderungsvertrag im Sinne von § 311 Abs. 1 BGB zustande gekommen, der den von der Beklagten geschuldeten Versicherungsschutz auf die streitgegenständliche Behandlung im W. erweitert hätte. Schon die Anfrage seitens der Klägerin zielt nicht auf eine Vertragsänderung, sondern auf eine Zusage nach den vereinbarten Bedingungen ab. Dementsprechend geht auch aus dem Wortlaut der Antwort vom 03.01.2022 unverkennbar hervor, dass keine Änderung des Vertrags vereinbart werden sollte: Denn dazu bestand nach Lage der Dinge keinerlei Anlass.
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1.3. § 4 Teil I Abs. 5 Satz 1 AVB ist wirksam (zu § 4 Abs. 5 MB/KK: Senat, Urteil vom 10.08.2021 – Az. 25 U 2785/20; Senat – Beschluss vom 04.09.2018 – Az. 25 U 1802/18; OLG Frankfurt, OLGR 1998, 116; r+s 2007, 68 mwN; OLG Hamm, VersR 2012, 1290; Bach/Moser/Kalis, PKV, 5. Aufl., § 4 MB/KK Rn. 160; vgl. auch BGH, Urteil vom 29. Januar 2003 - IV ZR 257/01, r+s 2003, 204, 205; Rüffer|Halbach|Schimikowski, VersicherungsvertragsgesetzHK-VVG/Jens Rogler, 4. Aufl. 2020, MB/KK 2009 § 4 Rn. 13).
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1.4. Der Beklagten steht ein Ermessen zu, die Zusage gem. § 4 Teil I Abs. 5 Satz 1 AVB zu erteilen oder nicht. Vorliegend hat sie sich dagegen entschieden; zutreffend hat das Landgericht einen Ermessensmißbrauch nicht angenommen und Fallgruppen aufgezeigt, die zu einer Einschränkung des Ermessens führen, die hier aber allesamt nicht vorliegen (vgl. auch OLG Koblenz, Beschluss vom 14. 10. 2004 – 10 W 659/0, r + s 2006, 27, Leitsatz 1 sowie Gründe II 1a: Ein Anspruch auf eine mehrwöchige stationäre psychotherapeutische Heilbehandlung in einer so genannten „gemischten Anstalt” kann nach § 4 Abs. 5 MB/KK 94 nur dann bestehen, wenn die Leistung vor Antritt des Aufenthalts schriftlich zugesagt worden ist, wobei wiederum ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Zusage grundsätzlich nicht besteht. Über die Erteilung einer Leistungszusage hat der Versicherer nach seinem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden, wobei die Entscheidung nur dahingehend überprüfbar ist, ob ein Ermessensfehlgebrauch oder – z.B. in Notsituationen drohender Herzinfarkt – eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt).
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Durch das Schreiben vom 03.01.2022 hat die Beklagte ihr Ermessen noch nicht dahingehend ausgeübt, dass sie die Erstattung zusagt. Sie hat mit dem Schreiben eine Zusage abgelehnt, weil sie die Behandlung nicht für medizinisch notwendig hält.
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Durch das Schreiben ist das Recht der Beklagten, eine Ermessensentscheidung zu treffen, nicht eingeschränkt, auch wenn dort – bezogen auf die erforderliche Zustimmung – formuliert ist: „… Diese wird selbstverständlich dann erteilt, wenn die medizinische Notwendigkeit … zweifelsfrei nachgewiesen ist …“ . Diese Äußerung bindet die Beklagte nicht für die Zukunft; für eine Rechtsbindung liegen die notwendigen Voraussetzungen nicht vor (vgl. Ausführungen unter 1. 2., 2 und 3).
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Die Beklagte war daher berechtigt, – auch noch im laufenden Prozess – eine Ermessensentscheidung zu treffen und die Erstattung der Kosten für die Behandlung in der gemischten Anstalt – unabhängig von der medizinischen Notwendigkeit einer stationären Behandlung – abzulehnen. Den Zweck des Zustimmungserfordernisses hat das Landgericht im angefochtenen Urteil zutreffend dargelegt; auf diese Ausführungen wird Bezug genommen. Die Beklagte hat im Prozess für die Verweigerung ihrer Zustimmung ausdrücklich auch vom Zweck des Zustimmungserfordernisses umfasste Gründe angegeben.
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Scheidet, wie dargelegt, nach allgemeinen Regeln der Rechtsgeschäftslehre eine Bindung der Beklagten an die Äußerung im Schreiben vom 03.01.2022 („… Diese wird selbstverständlich dann erteilt, wenn die medizinische Notwendigkeit … zweifelsfrei nachgewiesen ist …“) aus, so kann die später erfolgte Änderung (die Beklagte hat im Prozess mitgeteilt, dass sie unabhängig von einer medizinischen Notwendigkeit für die Behandlung in der Klinik am W. keine Kosten erstatten will, da es sich um eine gemischte Krankenanstalt handelt) nicht ohne Weiteres als ein mit § 242 BGB unvereinbares widersprüchliches Verhalten der Beklagten gewertet werden. Widersprüchliches Verhalten ist nach der Rechtsordnung grundsätzlich zulässig; es ist aber rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen. Eine Rechtsausübung kann unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig erscheinen (BGH, Urteil vom 11. September 2019 – Az. IV ZR 20/18 –, Rn. 20, juris; BGH, Urteil vom 16.7.2014 – IV ZR 73/13 dort Rn. 33, BGH, Urteil vom 16.7.2014 – IV ZR 88/13 dort Rn. 25). Hier fehlt es schon an einem Vertrauenstatbestand; die Beklagte hat der Klägerin mitgeteilt, dass sie die Behandlung nicht bezahlen will.
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1.5. Da der Leistungsausschluss gemäß § 4 Teil I Abs. 5 Satz 1 AVB greift, kommt es auf die medizinische Notwendigkeit der Behandlung nicht an.
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2. Das Schreiben vom 03.01.2022 ist kein wirksames abstraktes Schuldversprechen bzw. -anerkenntnis; es fehlt schon an der erforderlichen Form (§ 780 bzw. § 781 BGB, jeweils S. 1 und 2).
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3. Auch ein kausales (bzw. „deklaratorisches“) und als solches nicht formbedürftiges Schuldversprechen bzw. -anerkenntnis scheidet hier aus. Das Schreiben vom 03.01.2022 ist ersichtlich gerade nicht als Willenserklärung auf die Herbeiführung einer vertraglichen Einigung über ein Schuldversprechen bzw. -anerkenntnis gerichtet; mit dem Schreiben wird eine Erstattung abgelehnt.
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II. Zu den Ausführungen in der Berufungsbegründung:
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1. Eine fehlerhafte Ermessensentscheidung liegt nicht vor; abgesehen davon dürfte ein Ermessensfehlgebrauch – wenn das Ermessen nicht auf O reduziert ist – nicht zu einer unmittelbaren Erstattungspflicht führen, sondern nur zu einem Anspruch auf eine fehlerfreie Ermessensentscheidung.
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Ein Ermessensmissbrauch liegt vor, wenn die Entscheidung offenkundig gegen Sinn und Zweck der versicherungsvertraglichen Bestimmung verstößt (Bach/Moser/Kalis, 5. Aufl. 2015, MB/KK § 4 Rn. 185). Das ist hier – wie dargelegt – nicht der Fall.
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2. Die von der Klägerin herangezogene Entscheidung des OLG Köln, Urteil vom 23. 6. 1994 – 5 U 142/93 (r + s 1995, 112, beck-online) lautet in den Leitsätzen wie folgt: „Ein Anspruch auf Leistungszusage für die Behandlung in einer gemischten Anstalt besteht grundsätzlich nicht.
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Diese liegt vielmehr im Ermessen des Versicherers.
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In Ausnahmefällen kann die Verweigerung der Leistungszusage rechtsmißbräuchlich sein. Ein Ermessensmißbrauch des Versicherers kann vorliegen, wenn seine Interessen durch den Aufenthalt des VersNehmers in einer gemischten Anstalt nicht berührt werden, Interessen des VersNehmers den Aufenthalt gebieten oder die Verweigerung offenkundig gegen Sinn und Zweck der versvertraglichen Bestimmungen verstößt.“ . Das OLG Köln hatte das einen Anspruch des Versicherten verneinende Urteil des Landgerichts bestätigt.
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Der hier zu beurteilende Fall ist – wie auch der Fall, der der Entscheidung des OLG Köln zugrunde lag – kein Ausnahmefall, in dem die Verweigerung der Zusage rechtsmissbräuchlich wäre. Es ist überhaupt nicht ersichtlich, dass die Behandlung der Tochter der Klägerin nicht in einem reinen Krankenhaus erfolgen könnte und in einer gemischten Krankenanstalt erfolgen muss. Die Klägerin meint, die Kosten seien vergleichbar. Darauf kommt es aber nicht an, da vergleichbare oder gar gleiche Kosten nicht zu einer Einschränkung des Ermessens führen. Die Beklagte hat ein Interesse daran, bei der Regulierung medizinischen Abgrenzungsschwierigkeiten aus dem Wege zu gehen und einen nachträglichen Streit über die Frage, welchem Bereich welche Leistungen zuzuordnen sind und inwieweit sie eintrittspflichtig ist, zu vermeiden.
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3. Zur Rechtsprechung des OLG Koblenz wird auf die Ausführungen unter 1.4. Bezug genommen; auch im von der Klägerin herangezogenen 1993 entschiedenen Fall (OLG Koblenz, Urteil vom 8. 1. 1993 – 10 U 1588/91, r + s 1993, 194, beck-online) hat das OLG Koblenz eine Erstattungspflicht des Versicherers verneint, weil kein Ermessensfehlgebrauch vorlag. Der Leitsatz:
„Der Versicherer darf die seinem Ermessen unterliegende Leistungszusage für den Aufenthalt in einer gemischten Anstalt nur dann ablehnen, wenn er nach den ihm vorliegenden Erkenntnisquellen bei sorgfältiger Prüfung begründeten Anlaß zu Zweifeln haben konnte, ob die in Rede stehende Behandlung eine Krankenhausbehandlung im herkömmlichen Sinne und als solche medizinisch notwendig war oder ob im Hinblick auf Grund und Ziel der Behandlung auch eine Kur oder Sanatoriumsbehandlung hätte genügen können.“
ist zum einen für die Entscheidung nicht tragend und steht zum anderen nicht mehr im Einklang mit der späteren – unter 1.4. zitierten – Rechtsprechung des OLG Koblenz.
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Der Versicherer darf danach – wovon auch der Senat ausgeht – ohne die im zitierten Leitsatz genannten Einschränkungen nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden.
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Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt der Senat aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).