Inhalt

LG Ingolstadt, Urteil v. 28.10.2022 – J Ns 12 Js 11726/18 jug
Titel:

Lügen des Angeklagten; Kompensation wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung

Normenketten:
StGB § 174 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 1, § 176 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 1
EMRK Art. 6 Abs. 1
StPO § 261
Leitsätze:
1. Widerlegte Sacheinlassungen eines Angeklagten können grundsätzlich nicht als belastendes Indiz gewertet werden, weil auch ein Unschuldiger vor Gericht Zuflucht zur Lüge nehmen kann und ein solches Verhalten nicht ohne Weiteres tragfähige Rückschlüsse darauf gestattet, was sich in Wirklichkeit ereignet hat. (Rn. 173) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung bleiben notwendige und verfahrensfördernde Maßnahmen unberücksichtigt, deren Erledigung jeweils eine angemessene Zeit beanspruchen darf. Zu beachten ist ferner, dass besonders zügige Verfahrensbearbeitung an anderer Stelle eine Verzögerung bei einem Verfahrensschritt ausgleichen kann. (Rn. 213) (redaktioneller Leitsatz)
3. Art und Höhe der Kompensation sind an der Intensität der Beeinträchtigung des subjektiven Rechts des Betroffenen aus Art. 6 Abs. 1 EMRK auszurichten. Dabei sind die Umstände des Einzelfalls, wie der Umfang der staatlich zu verantwortenden Verzögerung, das Maß des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane sowie die Auswirkungen all dessen auf den Angeklagten entscheidend. (Rn. 223) (redaktioneller Leitsatz)
4. In den Blick zu nehmen ist, dass die Verfahrensdauer als solche sowie die damit verbundenen Belastungen des Angeklagten bereits strafmildernd im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt wurden. Folglich zielt die Kompensation nur mehr auf einen Ausgleich gerade der rechtsstaatswidrigen Verursachung der Verzögerung ab. (Rn. 223) (redaktioneller Leitsatz)
5. In der Regel ist eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung schon durch ihre bloße Feststellung ausgeglichen. Einer weitergehenden Kompensation als derjenigen, dass die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung festgestellt wird, bedarf es nicht, wenn der Angeklagte während der Verfahrensverzögerung nicht inhaftiert und auch sonst eine besondere Belastung nicht erkennbar ist. Lediglich in schwerwiegenden Fällen ist zum Ausgleich erforderlich, dass ein – allerdings eher „geringer“ – Bruchteil der Strafe für vollstreckt erklärt wird. (Rn. 224) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
sexueller Missbrauch von Kindern, sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen, Beweiswürdigung, widerlegte Sacheinlassungen, rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung, verfahrensfördernde Maßnahmen, Verfahrensdauer, Strafzumessung, weitergehende Kompensation
Rechtsmittelinstanz:
BayObLG, Beschluss vom 31.05.2023 – 207 StRR 135/23
Fundstelle:
BeckRS 2022, 48515

Tenor

1. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage wird das Urteil des Amtsgerichts Ingolstadt vom 26.11.2019 aufgehoben.
2. Der Angeklagte S2. G1. Kl. N., geboren am … 1995, ist schuldig des sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen.
3. Er wird daher zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
4. Von dieser Freiheitsstrafe gelten drei Monate als Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer als vollstreckt.
5. Im Übrigen wird der Angeklagte freigesprochen.
6. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens, soweit er verurteilt wurde. Soweit er freigesprochen wurde, fallen die Kosten der Staatskasse zu Last. Die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin A. K. hat der Angeklagte zu tragen.
7. Die durch den Adhäsionsantrag der Nebenklägerin A. K. entstandenen Kosten und notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Nebenklägerin.

Entscheidungsgründe

1
Am 06.07.2018 war der Angeklagte zwischen 13:38 Uhr und 14:00 Uhr mit seiner damals fünfjährigen Tochter A2. allein in einem Wald bei E., Landkreis Eichstätt. Dort stimulierte er vor seiner Tochter seinen Penis bis zum Samenerguss und ejakulierte auf den Brustbereich von A. s T-Shirt.
2
Entgegen der Anklage konnte sich die Kammer keine sichere Überzeugung dahingehend bilden, dass A. den Angeklagten auch oral befriedigen musste.
3
Die Kammer stützte ihre Überzeugung auf die Spermaspuren des Angeklagten auf A. s T-Shirt sowie auf die Angaben von Sa. N., der Ehefrau des Angeklagten, die die Einlassung des Angeklagten zur Verursachung der Spermaspuren jedenfalls teilweise widerlegen.
4
Die Kammer hat den Angeklagten daher wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern durch sexuelle Handlungen vor dem Kind in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen schuldig gesprochen und ihn zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Da sich die Kammer entgegen der Anklage keine sichere Überzeugung dahingehend bilden konnte, dass A. den Penis des Angeklagten in den Mund nehmen musste, wurde die Tat nicht als schwerer sexueller Missbrauch von Kindern verurteilt. Wegen der überlangen Verfahrensdauer von vier Jahren und vier Monaten hat die Kammer drei Monate der gegen den Angeklagten verhängten Freiheitsstrafe für vollstreckt erklärt.
5
Soweit dem Angeklagten darüber hinaus Besitz von kinderpornographischen Schriften in Tateinheit mit Besitz von jugendpornographischen Schriften zur Last lag, war er freizusprechen. Insoweit konnte sich die Kammer nicht sicher davon überzeugen, dass der Angeklagte bewusst die inkriminierten Bilddateien angesehen hat, die in seinem Browser-Cache abgespeichert waren.
A. Verfahrensgang
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Am 06.07.2018 gegen 22 Uhr zeigte L. K. den Angeklagten gegenüber der Polizeiinspektion Ei. wegen sexuellen Missbrauchs an ihrer gemeinsamen fünfjährige Tochter A2. an.
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Durch Spurengutachten des Bayerischen Landeskriminalamts vom 08.08.2018 wurden an A. s T-Shirt Spermaspuren des Angeklagten festgestellt. Am 14.08.2018 erließ das Amtsgericht Ingolstadt deshalb Haftbefehl gegen den Angeklagten.
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Am 07.11.2018 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Angeklagten zum Amtsgericht Ingolstadt – Jugendschöffengericht wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tatmehrheit mit Besitz von kinderpornographischen Schriften in Tateinheit mit Besitz von jugendpornographischen Schriften. In ihrer Anklage ging die Staatsanwaltschaft davon aus, dass A. am 06.07.2018 zwischen 13:38 Uhr und 14:00 Uhr in einem Wald bei E. den Penis des Anklagten in den Mund nehmen musste.
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Mit Beschluss vom 13.11.2018 hob das Amtsgericht Ingolstadt den Haftbefehl wieder auf.
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Das Amtsgericht begründete dies mit dem aussagepsychologischen Gutachten der Sachverständigen D. P. Ar. vom 09.10.2018 zur Glaubhaftigkeit von A. s Aussagen, woraus sich aus aussagepsychologischer Sicht ein Erlebnisbezug nicht mit der notwendigen Sicherheit bejahen lasse.
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Mit Schlussbericht vom 18.12.2018 schloss die Kriminalpolizei In. die Ermittlungen ab. Nachgereicht wurden eine Stellungnahme des IT-Sachverständigen G2. H2. vom 23.01.2019 sowie ein Gutachten des Bayerischen Landeskriminalamts vom 18.02.2019.
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Mit Schriftsatz vom 01.02.2019 erklärte der Nebenklagevertreter den Anschluss der Nebenklage.
13
Mit Schriftsatz vom 17.04.2019 machte der Nebenklagevertreter im Wege eines Adhäsionsantrags Schadensersatzansprüche von A. gegen den Angeklagten geltend.
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Mit Beschluss vom 07.06.2019 lehnte das Amtsgericht die Eröffnung des Verfahrens ab.
15
Auf sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft sowie der Nebenklägerin eröffnete das Landgericht Ingolstadt am 26.06.2019 das Verfahren zum Amtsgericht Ingolstadt – Jugendschöffengericht.
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Mit Urteil vom 26.11.2019 sprach das Amtsgericht Ingolstadt – Jugendschöffengericht den Angeklagten wegen aller Anklagepunkte frei.
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Die Staatsanwaltschaft hat gegen das Urteil Berufung eingelegt mit dem Ziel, eine Verurteilung des Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tatmehrheit mit Besitz von kinderpornographischen Schriften in Tateinheit mit Besitz von jugendpornographischen Schriften zu erreichen. Die Nebenklage hat gegen das Urteil Berufung eingelegt mit dem Ziel, eine Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zu erreichen.
18
Das Berufungsverfahren wurde am 14.01.2020 der Kammer vorgelegt. Mit Verfügung und Beschluss vom 06.04.2020 beauftragte die Kammer weitere Nachermittlungen, nämlich die Nachvernehmung weiterer Zeugen sowie ein rechtsmedizinisches Gutachten, die am 27.07.2020 abgeschlossen waren.
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Mit Schriftsatz vom 25.02.2021 wurde der Adhäsionsantrag vollständig zurückgenommen.
20
Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 10.12.2020 wurde Termin zur Hauptverhandlung auf den 03.03.2021 bestimmt. Dieser Termin wurde abgesetzt, da mit Schreiben des Nebenklagevertreters vom 02.03.2021 bekannt wurde, dass sich A. erneut gegenüber ihrer Mutter L. K. zu den Tatvorwürfen geäußert habe und zu einer erneuten Begutachtung durch die aussagepsychologische Sachverständige bereit sei. Daher wurde mit Verfügung der Kammer vom 03.03.2021 eine erneute aussagepsychologische Begutachtung von A. beauftragt. Diese verzögerte sich infolge eines Unfalls von A. und konnte erst am 01.12.2021 fertiggestellt werden.
21
Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 11.05.2022 wurde sodann Termin zur Hauptverhandlung am 19.09.2022 bestimmt. Eine vorherige Terminierung war aufgrund zahlreicher vorrangiger Haftsachen nicht möglich.
B. Persönliche Verhältnisse
I. Lebenslauf des Angeklagten
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Der Angeklagte wurde am … 1995 in W. in Bayern geboren. Er wuchs bei seinen beiden Eltern in M. einem jüngeren Pflegebruder auf.
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Nach der Grundschule in M. besuchte er die Hauptschule in Ei., wo er 2010 den qualifizierenden Hauptschulabschluss erlangte. Anschließend machte er eine dreijährige Ausbildung zum Servicemechaniker bei der Firma Autohaus L. in Tr.. Nach Abschluss seiner Ausbildung war der Angeklagte dort fünf Monate bis Januar 2014 als Kfz-Aufbereiter angestellt. Anschließend arbeitete er übergangsweise für einige Monate bei der Firma Haus- und Heimservice Kr. im Landschafts- und Gartenbau. Sodann war er ab August 2014 bei einer Personaldienstleistungsfirma angestellt, über die er schließlich den Zugang zur A3. AG in In. fand. Dort arbeitete er in Wechselschichten in der Fertigung am Band. Ab 15.04.2015 war er unmittelbar bei der A3. AG angestellt. Dieses Arbeitsverhältnis kündigte die A3. AG dem Angeklagten aufgrund seiner Untersuchungshaft in dieser Sache. Nach seiner Inhaftierung war der Angeklagte längere Zeit arbeitssuchend. Seit Anfang 2022 arbeitet er auf 450-Euro-Basis bei der Firma B… Baumaschinenservice in Ka.; zugleich macht er derzeit eine Ausbildung zum Berufskraftfahrer mit dem Ziel einer Vollzeitbeschäftigung bei der Firma B… Baumaschinenservice.
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Ab 2011 führte der Angeklagte eine Beziehung mit L. K.. Daraus ging die am … 2012 geborene gemeinsame Tochter A2. hervor. In diesem Zeitraum wohnte der Angeklagte gemeinsam mit L. K. in einem Einfamilienhaus in We…. Im November 2016 trennte sich L. K. vom Angeklagten. Nach der Trennung zog der Angeklagte wieder in sein Elternhaus nach M. zurück. Infolge der Trennung war das Verhältnis zwischen dem Angeklagten und L. K. von gegenseitiger Abneigung belastet.
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Im November 2016 lernte der Angeklagte S3. N. (geb. Ge.) kennen und ging mit ihr eine Beziehung ein. Sa. N. zog im Juni 2017 zum Angeklagten in dessen Elternhaus nach M.. Am … 2017 heiratete das Paar und am … 2017 kam die gemeinsame Tochter Z. zur Welt. Wegen Differenzen über finanzielle Fragen, aber auch aufgrund der Tatvorwürfe in diesem Verfahren trennte sich Sa. N. im Februar 2020 vom Angeklagten und zog gemeinsam mit der Tochter Z. aus.
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Der Angeklagte wohnt bis heute in seinem Elternhaus in M., das seinem Vater gehört. Er zahlt dort keine Miete. Seine Mutter verstarb 2022. Zu seinen beiden Töchtern und zu seinen Geschwistern hat der Angeklagte aufgrund der Tatvorwürfe in diesem Verfahren keinen Kontakt mehr.
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Der Angeklagte hat Schulden in Höhe von rund 12.000 Euro aus privaten Krediten. Für seine beiden Töchter A2. und Z. leistet er keinen Unterhalt.
II. Vorahndungen des Angeklagten
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Der Angeklagte ist bislang einmal strafrechtlich in Erscheinung getreten:
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Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Würzburg vom 23.11.2017 (Aktenzeichen 162 Cs 811 Js 6159/17), rechtskräftig seit 14.12.2017, wurde er zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 50 Euro wegen vorsätzlichen unerlaubten Besitzes in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubtem Führen einer Schusswaffe verurteilt, weil er am 02.03.2017 gegen 22:45 Uhr im Kofferraum seines Pkw auf der Autobahn A3 an der Ausfahrt Würzburg-Heidingsfeld eine CO₂-Waffe Magnum Research ohne Kennzeichnung nebst Magazin und einer Patrone unerlaubt mit sich führte.
III. Gesundheitszustand und Rauschmittelkonsum
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An ernstlichen Erkrankungen leidet der Angeklagte nicht. Auch bestehen keine schwerwiegenden früheren Verletzungen. Er nimmt weder Drogen noch andere Rauschmittel. Alkohol konsumiert er allenfalls in maßvollem Umfang.
IV. Haftdaten
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Der Angeklagte wurde in diesem Verfahren am 07.07.2018 gegen 04:35 Uhr vorläufig polizeilich festgenommen und am selben Tag gegen 15:15 Uhr wieder entlassen.
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Am 16.08.2018 wurde er in U… (Nordrhein-Westphalen) aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Ingolstadt vom 14.08.2018 (Aktenzeichen 5 Gs 1795/18) erneut festgenommen. Von 16.08.2018 bis 13.11.2018 war der Angeklagte in Untersuchungshaft in der JVA A.-G.. Mit Beschluss des Amtsgerichts Ingolstadt vom 13.11.2018 wurde der Haftbefehl aufgehoben und der Angeklagte am selben Tag aus der Untersuchungshaft entlassen.
C. Sachverhalt
I. A. s Lebensumstände
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A. K. ist die gemeinsame Tochter des Angeklagten mit L. K.. Sie wurde am … .2012 geboren. Nach der Trennung ihrer Eltern und dem Auszug des Angeklagten im November 2016 lebte sie bei ihrer allein sorgeberechtigten Mutter L. K. in We… . Infolge dieser Trennung hatte sie zunächst kaum mehr Kontakt zum Angeklagten. Das Verhältnis ihrer Eltern zueinander war von gegenseitiger Abneigung belastet. Ab Januar 2018 holte der Angeklagte nach entsprechender Vereinbarung mit L. K. A. gelegentlich in We… ab, um gemeinsam mit ihr den Tag zu verbringen. Feste Besuchstage beim Angeklagten gab es nicht. Gegen Abend brachte er A. dann jeweils wieder zu L. K. zurück. Für die Besuche beim Angeklagten gab L. K. A. jeweils einen Satz frischer Wechselkleidung mit, da A. sich in diesem Zeitraum noch gelegentlich tagsüber einnässte.
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Bis September 2017 besuchte A. den Kindergarten in We…, danach einen schulvorbereitenden Förderkindergarten in Ei.. Neben dem gelegentlichen Einnässen zeigte A. kognitive Entwicklungsverzögerungen und Verhaltensauffälligkeiten wie Dyslalie und zum Teil kleinkindliches Verhalten; Schulreife war nicht vorhanden. Sie war deshalb in kinder- und jugendpsychiatrischer Behandlung. Diese Verhaltensauffälligkeiten bestanden schon vor dem 06.07.2018.
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Der Angeklagte versuchte ab 2018, das Sorgerecht für A. zu erlangen, was L. K., wie der Angeklagte wusste, verhindern wollte.
II. Tatgeschehen
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Am Freitag, den 06.07.2018 um 13:00 Uhr holte der Angeklagte seine damals fünfjährige Tochter A2. mit seinem Pkw von ihrer Mutter L. K. in We… ab. Von L. K. erhielt er einen Satz frische Wechselwäsche für A. mit. Er fuhr mit A. sodann zu sich nach Hause Richtung M.. Unterwegs hielt er um 13:38 Uhr in einem Wald nahe der Ortsverbindungsstraße zwischen En. und M. (Landkreis Eichstätt) auf einem W1.weg an. Er stieg mit A. aus dem Pkw aus und begab sich mit dieser ein Stück in den Wald. Dort stimulierte der Angeklagte seinen Penis vor seiner Tochter bis zum Samenerguss und ejakulierte vorne mittig auf den Brustbereich des braunen T-Shirts, das A. in diesem Moment trug. Der Angeklagte war sich dabei der Anwesenheit seiner Tochter und der Tatsache bewusst, dass A. seine Selbstbefriedigung bis zum Samenerguss wahrnahm. Bei Begehung der Tat kam es dem Angeklagten für seine sexuelle Erregung maßgeblich darauf an, dass A. die Tat wahrnehmen konnte.
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Um 14:00 Uhr setzte der Angeklagte die Fahrt nach M. zusammen mit A. fort, wo sie um 14:07 Uhr ankamen.
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Bei der Tatausführung war die Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit des Angeklagten weder aufgehoben noch war erstere erheblich beeinträchtigt.
III. Nachtatgeschehen
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Anschließend verbrachte der Angeklagte den Nachmittag zusammen mit A. , seiner Ehefrau Sa. N. sowie seiner damals acht Monate alte Tochter Z.. Am späten Nachmittag nahm Sa. N. gemeinsam mit A. und Z. ein Bad in der Badewanne, während der Angeklagte mit im Badezimmer war. Nach dem Baden erhielt A. die frische Wechselwäsche zum Anziehen, insbesondere ein frisches T-Shirt. Um 18:25 Uhr fuhr der Angeklagte A2. zu L. K. nach We… zurück, wo er sie um 18:37 Uhr ablieferte.
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Eine kausal durch die Tat hervorgerufene Traumatisierung von A. war nicht festzustellen.
D. Beweiswürdigung
I. Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen
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Die Feststellungen zum Lebenslauf des Angeklagten, zu seinem Gesundheitszustand und zu seinem Rauschmittelkonsumverhalten beruhen auf den Angaben des Angeklagten. Diese wurden bestätigt durch die Aussage seiner Ehefrau Sa. N.. Die Kammer hatte insoweit keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln.
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Die Feststellungen der Kammer zum strafrechtlichen Vorleben des Angeklagten beruhen auf dem in der Hauptverhandlung verlesenen Auszug aus dem Bundeszentralregister vom 03.06.2022. Den Strafbefehl des Amtsgerichts Würzburg vom 23.11.2017 (Aktenzeichen 162 Cs 811 Js 6159/17), aus welchem sich der zugrundeliegende Sachverhalt ergibt, hat die Kammer in der Hauptverhandlung verlesen; dieser wurde vom Angeklagten als richtig anerkannt.
II. Feststellungen zum Sachverhalt
1. Einlassungen des Angeklagten
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Der Angeklagte bestritt die Tatvorwürfe in der Berufungshauptverhandlung und machte dazu wie schon in der ersten Instanz keine weiteren Angaben. Während des Ermittlungsverfahrens ließ er sich wie folgt ein:
a) Einlassung in der polizeilichen Vernehmung vom 07.07.2018
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Am 07.07.2018 wurde der Angeklagte von der Kriminalpolizei In. erstmalig zum Tatvorwurf vernommen. Dort machte er im Wesentlichen folgende Angaben, die über den Vernehmungsbeamten KHK Si. eingeführt wurden:
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Der Angeklagte bestritt den Tatvorwurf. Er habe A. am 06.07.2018 gegen 13:00 Uhr bei L. K. abgeholt und sei mit A. zu sich nach Hause nach M. gefahren. Während der Fahrt habe er einen beißenden Geruch wahrgenommen; A. habe sich eingenässt. Sie sei patschnass gewesen. Deshalb habe er unterwegs in einem Wald angehalten und sei mit A. ausgestiegen. Er habe ihr die Hose und Unterhose heruntergezogen. Da A. im Genitalbereich verdreckt und gerötet gewesen sei, habe er sie dort mit einem Taschentuch und mit Spucke abgetupft. Man werde deshalb sicher seine DNA an A. finden. Anschließend sei er mit A. noch etwas im Wald herumgegangen und habe sich mit A. eine verfallene Waldhütte angeschaut. Den Rest des Tages habe er gemeinsam mit A. , seiner Ehefrau Sa. N. sowie seiner jüngeren Tochter Z. verbracht. Am späteren Nachmittag habe er A. in der Badewanne gebadet, wobei er mit A. herumgeschäkert habe. Er selbst habe nicht gebadet. Währenddessen habe er sich immer wieder unter seiner Jeans in seinem Genitalbereich gekratzt, weil er dort frisch rasiert gewesen sei. Gegen 18:35 Uhr habe er A. zu L. K. zurückgebracht.
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Ein Ejakulieren auf einen Wäschehaufen im Badezimmer (siehe sogleich) erwähnte der Angeklagte gegenüber KHK Si. nicht.
b) Einlassung in der richterlichen Vernehmung vom 17.08.2018
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Nach seiner zweiten Festnahme wurde der Angeklagte am 17.08.2018 von Richterin am Amtsgericht S4. vom Amtsgericht Unna vernommen. Das Protokoll dieser Vernehmung ist im Selbstleseverfahren eingeführt worden. Der Angeklagte wurde dort erstmalig mit den Spermaspuren auf A. s T-Shirt konfrontiert. Er machte im Wesentlichen folgende Angaben:
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Wenngleich das Ejakulat auf A. s T-Shirt tatsächlich von ihm stamme, habe sich die Sache anders zugetragen: Er habe A. mit dem Pkw in We… abgeholt. A. habe dabei eine Jacke getragen, weil es kühl und regnerisch gewesen sei; diese sei auf jeden Fall geschlossen gewesen. Während der Fahrt habe er beißenden Geruch festgestellt. Deshalb habe er angehalten und sei mit A. ausgestiegen, um sie zu säubern und abzutrocknen. Ihm sei dabei aufgefallen, dass A. im Genitalbereich gerötet und verdreckt gewesen sei. Aus diesem Grund habe er den Genitalbereich von A. mit Spucke und einem Taschentuch gesäubert. Danach habe er A. wieder angezogen. Sodann habe er A. s Kindersitz sowie das Auto mit Reinigungsmittel gereinigt, welches er im Auto dabeigehabt habe. Anschließend sei er selbst zum Urinieren im Wald gewesen. Schließlich sei er mit A. noch etwas im Wald herumspaziert und habe eine dort befindliche verfallene Waldhütte besichtigt. Den Rest des Nachmittags habe er mit A. , seiner Ehefrau Sa. N. sowie seiner jüngeren Tochter Z. in M. verbracht. Am späteren Nachmittag habe er A. in der Badewanne gebadet; er selbst sei aber nicht in der Badewanne gewesen. A. habe ihre Kleidung auf einen Wäschehaufen im Badezimmer gelegt. Auch seine Ehefrau Sa. habe mit in der Badewanne gebadet. Nach dem Bad sei er noch allein im Badezimmer geblieben. Dabei sei er sexuell erregt gewesen, da er seine Ehefrau nackt gesehen habe. Er habe deshalb onaniert und auf den Wäschehaufen im Badezimmer ejakuliert. Der Wäschehaufen sei gerade günstig gelegen. Er mache das immer so, da die Wäsche sowieso gewaschen werden müsse. Seine Ehefrau habe dies auch gewusst. Anschließend habe er A. die frische Wechselkleidung angezogen und A. eine halbe Stunde später wieder zu L. K. nach We… gefahren. Zuvor habe er A. s getragene Kleidung, die auf dem Wäschehaufen gelegen sei, in einen Stoffbeutel getan; daran sei ihm in der Eile nichts aufgefallen. Den Stoffbeutel habe er L. K. übergeben.
c) Unverwertbarkeit der Vernehmungen des Angeklagten
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Die K1. hat die Einlassungen des Angeklagten in seinen beiden Vernehmungen vom 07.07.2018 und vom 17.08.2018 nicht zu Lasten des Angeklagten verwertet. Bei beiden Vernehmungen war kein Verteidiger anwesend, obwohl im Zeitpunkt der jeweiligen Vernehmungen ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO und bezogen auf die Vernehmung vom 17.08.2018 auch gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO vorlag.
d) Angaben gegenüber Sa. N.
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Im Nachgang zu seiner zweiten Festnahme äußerte sich der Angeklagte gegenüber seiner Ehefrau Sa. N. zum Tatvorwurf. Diese Angaben wurden durch die uneidliche Einvernahme von Sa. N. als Zeugin eingeführt, die anders als noch in der 1. Instanz erstmals als Zeugin aussagte. Der Angeklagte machte gegenüber Sa. N. im Wesentlichen folgende Angaben zum Tatvorwurf:
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Der Angeklagte habe seine Unschuld beteuert. Das Sperma auf dem von A. am Tattag getragenen T-Shirt stamme zwar von ihm. Er habe aber im Badezimmer auf die Wäsche onaniert, wodurch seine Spermaspuren auf A. s T-Shirt gelangt seien, das A. dorthin abgelegt habe.
2. Feststellungen zu A. s Lebensumständen
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Die Feststellungen zu A. s Lebensumständen beruhen auf den übereinstimmenden Aussagen von Sa. N., von A. s Förderlehrerin Al. Se., der für A. zuständigen Jugendamtsmitarbeiterin K. vom Jugendamt Pf. a.d. I. und A. s behandelnden Ärztin der Kinder- und Jugendpsychiatrie N. a.d. D. Dr. K.. Für die Kammer ergaben sich insoweit keine Anhaltspunkte für Zweifel.
3. Feststellungen zum Tatgeschehen
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Die Kammer ist von dem unter C.II. dargestellten Tatgeschehen zweifelsfrei überzeugt.
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Die Zusammenschau und Gesamtwürdigung der nachfolgenden Indiztatsachen begründen für die Kammer die sichere Überzeugung, dass der Angeklagte am 06.07.2018 zwischen 13:38 Uhr und 14:00 Uhr in einem Wald nahe En... seinen Penis bis zum Samenerguss stimulierte und auf den Brustbereich des T-Shirts seiner damals fünfjährigen Tochter A2. ejakulierte. Diese Überzeugung stützt die Kammer im Wesentlichen auf die vom Angeklagten stammenden Spermaspuren auf dem T-Shirt, das A. zur Tatzeit trug. Die Einlassung des Angeklagten, er habe im Badezimmer auf das T-Shirt onaniert, sieht die Kammer als abwegige Schutzbehauptung. Zudem wird die Einlassung durch die glaubhaften Angaben von Sa. N. teilweise widerlegt.
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Die Kammer hat dabei weder die Aussagen von A. noch ihrer Mutter L. K. zu dieser Überzeugungsbildung herangezogen.
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A. s Aussagen waren insgesamt einer kritischen gerichtlichen Überprüfung nicht zugänglich. Wie die aussagepsychologische Sachverständige D. P. Si. Ar. in der Hauptverhandlung nachvollziehbar erläuterte, weist A. s Aussage aufgrund ihres jungen Alters zur Tatzeit die notwendigen Mindestanforderungen an erlebnisgestützte Aussagen nicht in ausreichender Qualität auf; ein Erlebnisbezug lässt sich daher nicht sicher bejahen. Schließlich ist die Aussagetüchtigkeit von A. aufgrund ihrer beschriebenen kognitiven Entwicklungsverzögerungen als problematisch zu beurteilen. Auch konnte die Kammer eine mögliche Beeinflussung durch ihre Mutter L. K. nicht sicher ausschließen.
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Auch die Aussage von L. K. hat die Kammer bei ihrer Überzeugungsbildung außer Betracht gelassen, da sie insoweit eine Falschbelastung nicht zuverlässig ausschließen konnte: L. K. zeigte nach dem Eindruck der Kammer deutliche Belastungstendenzen. Ihr Verhältnis zum Angeklagten war bereits vor der Tat schlecht. So wollte sie beispielsweise verhindern, dass der Angeklagte das Sorgerecht für A. erlangt. Die Kammer konnte folglich eine Falschbelastung nicht sicher ausschließen. Sie hat daher die Angaben von L. K. nicht zu Lasten des Angeklagten herangezogen.
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Da die Kammer im Ergebnis weder die Aussagen von A. noch von L. K. berücksichtigt hat, war entgegen der Anklage kein Nachweis dafür zu führen, dass A. bei der Tat am 06.07.2018 auch den Penis des Angeklagten im Mund hatte. Ein entsprechender Tatnachweis hätte sich ausschließlich auf die Aussage von A. stützen können.
a) Allgemeine Feststellungen zum Tattag
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Die Feststellungen der Kammer zum Tattag beruhen auf den Angaben von Sa. N.. Demnach holte der Angeklagte am 06.07.2018 A. mittags gegen 13 Uhr mit dem Pkw von ihrer Mutter L. K. in We… ab und fuhr mit A. zu sich nach Hause nach M.. Den Nachmittag habe man gemeinsam – der Angeklagte, Sa. N. sowie die beiden Mädchen A. und Z. – dort verbracht. Am späten Nachmittag habe Sa. N. mit A. und Z. ein Bad genommen. Der Angeklagte sei mit im Badezimmer gewesen. Nach dem Baden habe A. frische Wechselwäsche, insbesondere ein frisches Wechsel-T-Shirt erhalten. Danach habe der Angeklagte A2. wieder zurück nach We… gefahren.
b) Für die Tatbegehung sprechende Umstände
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Die Zusammenschau und Gesamtwürdigung der nachfolgenden Indiztatsachen begründen für die Kammer die sichere Überzeugung des unter C.II. geschilderten Sachverhalts:
aa) Sperma des Angeklagten auf A. s am Tattag getragenen T-Shirt
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Wesentliches Indiz für die Tatbegehung sind die vom Angeklagten stammenden Spermaspuren vorne mittig auf dem Brustbereich des von A. am Tattag getragenen T-Shirts.
(1) Herrühren des Spermas vom Angeklagten
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Der Angeklagte hat selbst gegenüber seiner Ehefrau Sa. N. eingeräumt, dass die Spermaspuren auf dem von A. am Tattag getragenen T-Shirt von ihm stammen (siehe oben unter D.II.1.d)).
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Zum selben Ergebnis gelangt auch das Spurengutachten des Bayerischen Landeskriminalamtes, Kriminaltechnisches Institut – Sachgebeit 203/Forensische DNAAnalytik vom 08.08.2018, das im Selbstleseverfahren eingeführt wurde. An vier vorne mittig im Brustbereich des T-Shirts genommenen Proben reagierten demnach sowohl der PSA-Test (zum immunohistochemischen Nachweis des prostataspezifischen AntigensPSA) als auch der Saure-Phosphatase-Test (zum Nachweis der Aktivität des Enzyms Saure-Phosphatase) positiv. Laut dem Spurengutachten war daher davon auszugehen, dass es sich bei den vier am T-Shirt genommenen Proben tatsächlich um Ejakulat handelte.
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Diese Proben wurden sodann mit der DNA des Angeklagten abgeglichen, die diesem von KHK Si. am 07.07.2018 entnommenen worden ist. Dies teilte KHK Si. in der Hauptverhandlung mit.
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Im Abgleich mit der DNA des Angeklagten kommt dieser laut Spurengutachten bei zwei der Proben auf dem T-Shirt als Alleinverursacher und bei den beiden anderen Proben als Hauptverursacher jeweils mit höchster Wahrscheinlichkeit in Betracht, d.h. mit einer statistischen Häufigkeit der entsprechenden übereinstimmenden Genotypenkombination in der nicht verwandten mitteleuropäischen Bevölkerung von weniger als eins zu einer Billiarde (1:1….). Weiter stützt sich das Spurengutachten auf die YSTR-Werte (Mannspezifischen Werte). Demnach war an allen vier auf dem T-Shirt genommenen Proben jeweils nur ein vollständiges Mannspezifisches Muster nachweisbar, welches demjenigen des Angeklagten – oder einem in der genetischen männlichen Verwandtschaftslinie liegendem Verwandten, beispielsweise Vater, Sohn oder leiblichem Bruder – vollständig entspricht. Die Kammer macht sich diese nachvollziehbaren und in sich schlüssigen Ausführungen nach einer kritischen Überprüfung zu eigen.
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Das T-Shirt wurde am 07.07.2018 gegen 10:30 Uhr von KKin Sch. im Haushalt der Familie K. sichergestellt. Zum Zeitpunkt der Sicherstellung war dieses T-Shirt im Haushalt K. bei der Schmutzwäsche, wie KKin Sch. in der Hauptverhandlung berichtete. Die Kammer hat in der Hauptverhandlung Lichtbilder dieses T-Shirts Blatt 546/547 der Akte in Augenschein genommen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf diese Lichtbilder Bezug genommen.
67
Auf diesem T-Shirt fanden sich vorne mittig im Brustbereich Spermaspuren, die vom Angeklagten stammen. Überlegungen dahingehend, dass KKin Sch. falsche Kleidung übergeben wurde, hat die Kammer verworfen, da der Angeklagte selbst gegenüber Sa. N. eingeräumt hat, dass A. das T-Shirt mit seinen Spermaspuren am Tattag getragen hat.
68
Im Ergebnis ist die Kammer daher der sicheren Überzeugung, dass die Spermaspuren vorne mittig im Brustbereich des von A. am Tattag getragenen T-Shirts vom Angeklagten herrühren.
(2) Spermaspuren auf T-Shirt durch Ejakulation des Angeklagten
69
Die K1. kann ausschließen, dass die Spermaspuren durch Übertragung in Form von Wisch- oder Schmierspuren auf das T-Shirt von A. gelangt sind. Die Kammer geht daher sicher davon aus, dass die Spermaspuren auf A. s T-Shirt durch eine Ejakulation des Angeklagten entstanden sind.
70
Auch diesbezüglich räumte der Angeklagten gegenüber seiner Ehefrau Sa. N. ein, dass er auf A. s T-Shirt ejakuliert habe (siehe oben unter D.II.1.d)).
71
Seine Angaben werden durch das Spurenbild auf A. s T-Shirt bestätigt:
72
Nach dem bereits erwähnten Spurengutachten des Bayerischen Landeskriminalamts, Kriminaltechnisches Institut – SG 203/Forensische DNA-Analytik vom 08.08.2018 waren die getrockneten Spermaspuren auf dem T-Shirt unter Normallicht zunächst nicht sichtbar. Das T-Shirt wurde zur Untersuchung mit einer Phosphatase-Lösung – einem Ejakulat-Nachweis – besprüht, wodurch sich die betroffenen Stellen lila verfärbten.
73
In der Folge wurde das dadurch erschienene Spurenbild mit Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der LMU M. vom 27.04.2020, das im Selbstleseverfahren eingeführt wurde, untersucht. Demnach sei das Spurenbild „sehr gut“ mit einem Heruntertropfen von Sperma vereinbar.
74
Aus eigener Anschauung kann die Kammer dies ohne Weiteres nachvollziehen. Auf dem mit Phosphatase behandelten T-Shirt zeigen sich vorne mittig im Brustbereich deutlich erkennbar mehrere jeweils scharf abgrenzbare Tropfen und Abrinnspuren. Anzeichen für Verschmierungen sind nicht erkennbar. Auch insoweit wird gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf die Lichtbilder Blatt 546/547 der Akte verwiesen.
75
Ergänzend hält es die Kammer schließlich für unplausibel, dass eine dritte Person das Sperma – beispielsweise um den Angeklagten fälschlich zu belasten – auf das T-Shirt getropft haben könnte. Zwar wären entsprechende Falschbelastungsmotive z.B. in der Person der L. K. aufgrund ihres Sorgerechtsstreits mit dem Angeklagten zumindest denkbar. Dies würde freilich voraussetzen, dass eine dritte Person – etwa L. K. – flüssiges Sperma des Angeklagten verfügbar gehabt hätte, was die Kammer für abwegig hält; dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass L. K. spätestens seit ihrer Trennung im November 2016 und dem Auszug des Angeklagten aus der gemeinsamen Wohnung keinen sexuellen Kontakt mehr zum Angeklagten hatte. Im Übrigen waren die getrockneten Spermaspuren im Zeitpunkt der Sicherstellung unter Normallicht unsichtbar und wurden nach Aussage des polizeilichen Hauptsachbearbeiters KHK Gr. vor ihrer Sichtbarmachung durch die Phosphatase-Lösung von niemandem thematisiert, was aber – eine entsprechende Falschbelastungsmotivation unterstellt – zu erwarten gewesen wäre.
76
Zusammenfassend ist die Kammer daher der Überzeugung, dass die Spermaspuren auf A. s T-Shirt durch eine Ejakulation des Angeklagten auf das T-Shirt entstanden sind. Sie können insbesondere nicht durch Übertragung von Wisch- oder Schmierspuren und auch nicht von dritten Personen angebracht worden sein.
bb) Tatbegehung im Wald
77
Ein weiteres wesentliches Indiz für die Tatbegehung stellt der Umstand dar, dass sich der Angeklagte in der Zeit von 13:38 bis 14:00 Uhr am 06.07.2018 mit seiner Tochter in einem Wald zwischen En… und M. befand und dort die Gelegenheit zur Tatbegehung hatte. Zudem sind die Angaben des Angeklagten zum Grund für den Halt nach Überzeugung der Kammer widerlegt, sodass es keinen anderen Anlass für den Aufenthalt im Wald gab außer zur Tatbegehung.
(1) Aufenthalt des Angeklagten mit A. im Wald
78
Die Kammer ist davon überzeugt, dass der Angeklagte sich am 06.07.2018 zwischen 13:38 Uhr und 14:00 Uhr allein mit A. im Wald zwischen En... und M. aufhielt.
79
Dieser Aufenthalt steht zur sicheren Überzeugung der Kammer fest aufgrund der Auswertung der Fahrdaten (sog. „C.-C.-Daten“) des Fahrzeugs des Angeklagten durch den IT-Sachverständigen G2. H2. von der Firma R2. I1. GmbH & Co. KG in In.. Hierdurch konnten sämtliche Fahrbewegungen seines Fahrzeugs am Tattag zusammen mit den jeweiligen Standortdaten rekonstruiert werden. Der IT-Sachverständige G2. H2. erstattete dazu in der Hauptverhandlung nachvollziehbar und in sich schlüssig ein mündliches Gutachten:
80
Laut Sachverständigem habe der Angeklagte auf seinem Smartphone die App „C.C.“ verwendet, um auf diese Weise ein digitales Fahrtenbuch seiner PkwFahrten zu erstellen. Diese App habe über Bluetooth Kontakt zu einem Bluetooth-Gerät („Telekom-C. C.-Adapter“) gehalten, das in Form eines kleinen Steckers mit der Diagnoseschnittstelle des Fahrzeugs des Angeklagten verbunden gewesen sei.
81
Das Smartphone des Angeklagten und der entsprechende Bluetooth-Stecker wurde nach den Angaben von KHKin Li. beim Angeklagten am 07.07.2018 sichergestellt.
82
Wie der Sachverständige H2. weiter ausführte, habe die App in Kombination mit dem GPS-Empfänger (Positionsdatenempfänger) im Smartphone des Angeklagten die jeweils zurückgelegten Wegstrecken dokumentiert. Die gewonnenen Daten habe die App auf einem per Internet verbundenen Server abgelegt. Um auf diese Fahrdaten zugreifen zu können, habe der Sachverständige H2. die App auf einem eigenen Test-Smartphone installiert und dieses per Internet mit dem „C. C.“-Server verbunden. Zur Anmeldung am „C. C.“-Server habe er die Mobilfunknummer des Angeklagten (+49 1514 2367443) und als Kennwort die Zeichenkette „Wurzel234“ (ohne Anführungszeichen) verwendet – letztere habe er aus den gespeicherten Autofill-Daten der Browseranwendung „GoogleChrome“ auf dem Smartphone des Angeklagten entnommen. Mithilfe dieser Zugangsdaten habe er die Verbindung zum „C. C.“Konto des Angeklagten erfolgreich hergestellt.
83
Die Auswertung der „C. C.“-Daten habe ergeben, dass dort ein einziges Fahrzeug hinterlegt gewesen sei. Am 06.07.2018 seien folgende acht Fahrten von „C. C.“ protokolliert worden:
Fahrtzeit: 10.02 Uhr bis 10.46 Uhr
Startadresse: H1. straße 7, 9… M2.
Zieladresse: O. straße 18, 9… G3. Entfernung: 39,6 km
Fahrtzeit: 11.09 Uhr bis 11.44 Uhr
Startadresse: O. straße 18, 9… G3. Zieladresse: St2217 1, 9… S5.
Entfernung: 37,4 km
Fahrtzeit: 11.48 Uhr bis 11.56Uhr
Startadresse: St2217 1, 9… S5.
Zieladresse: H1. straße 6. 9. M1.
Entfernung: 7,8 km
Fahrtzeit: 12.45 Uhr bis 13.00 Uhr
Startadresse: H1. straße 6, 9… M1.
Zieladresse: H3. Straße 9. 9. W2.: 15,8 km
Fahrtzeit: 13.30 Uhr bis 13.38 Uhr
Startadresse: H3. Straße 9, 9… W3. Zieladresse: Unnamed Road, 9… M1.
Entfernung: 6.9 km
Fahrtzeit: 14.00 Uhr bis 14.07 Uhr
Startadresse: Unnamed Road, 9… M1.
Zieladresse: H1. straße 6. 9. M1.
Entfernung: 4,4 km
Fahrtzeit: 18.25 Uhr bis 18.37 Uhr
Startadresse: H1. straße 6, 9… M1.
Zieladresse: H3. Straße 9, 9… W3. Entfernung: 11 km
Fahrtzeit: 18.48 Uhr bis 19.00 Uhr
Startadresse: H3. Straße 9, 9… W3.
Zieladresse: H1. straße 7, 9… M1.
Entfernung: 11.2 km
84
Die Fahrdaten zeigen laut dem Sachverständigen H2. einen Halt zwischen 13:38 Uhr und 14:00 Uhr („unnamed road“). Die exakte Position konnte der Sachverständige mithilfe der Wegstreckenkarte der „C. C.“-App ermitteln mit 48,843444° Nord; 11,011722°Ost. Es handele sich dabei um die Einfahrt zu einem W1.weg in einem Waldstück zwischen En... und M.. Der Sachverständige H2. ist der Kammer aus zahlreichen Verfahren als zuverlässig und kompetent bekannt. Die Kammer macht sich daher nach einer kritischen Überprüfung die Ausführungen des Sachverständigen zu eigen.
85
Zur Feststellung der genauen Lage dieses Anhalteorts nahm die Kammer die von KKin Sch. erstellten Luftaufnahmen und Kartenausschnitte in Augenschein; hinsichtlich der Einzelheiten wird gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf die Lichtbilder Bl. 230/232 und 241 der Akte Bezug genommen. Hierüber konnte die Kammer nachvollziehen, dass der Anhalteort nahe der kürzesten Straßenverbindung zwischen M. und We… liegt.
86
Zusammenfassend kann die Kammer aus den vorgenannten Indizien folgende Fahrbewegungen des Angeklagten am 06.07.2018 rekonstruieren:
87
Der Angeklagte fuhr am 06.07.2018 von 12:45 Uhr bis 13:00 Uhr mit seinem Pkw von seiner Wohnadresse in M. nach We… zur Wohnung der Familie K. (Fahrstrecke: 15,8 km; Fahrzeit: 15 Minten), um seine Tochter A2. von dort abzuholen. Um 13:30 Uhr machte er sich zusammen mit A. wieder auf den Rückweg, hielt aber unterwegs nach acht Minuten bzw. 6,9 Kilometern im Wald zwischen En... und M.. Dort verbrachte er 22 Minuten mit A. . Um 14:00 Uhr fuhr der Angeklagte sodann mit A. weiter zu seiner Wohnadresse, wo er um 14:07 Uhr eintraf (Fahrstrecke: 4,4 km; Fahrzeit: 7 Minuten).
(2) Kein Anlass für Aufenthalt im Wald abgesehen von der Tatbegehung
88
Gewichtig gegen den Angeklagten spricht, dass abgesehen von der Tatbegehung kein anderer plausibler Anlass für das Anhalten im Wald ersichtlich ist.
89
Soweit der Angeklagte das Anhalten im Wald damit begründete, dass A. sich eingenässt habe, glaubt die Kammer dem Angeklagten schon nicht (dazu sogleich unter (a)) .
90
Doch selbst wenn man dies anders sehen wollte, könnte ein solches Einnässen das Anhalten im Wald ohnehin nicht plausibel erklären (dazu unter (b)).
91
Schließlich hat die Kammer geprüft, ob das Anhalten im Wald auch durch andere Gründe veranlasst gewesen sein könnte; hierfür war aber nichts ersichtlich (dazu unter (c)).
(a) Kein Einnässen von A.
92
Der Angeklagte ließ sich im Ermittlungsverfahren dahingehend ein, dass A. während der Fahrt eingenässt habe. Er habe deshalb in einem Wald angehalten, um A. zu säubern (siehe unter D.II.1.a) und b)). Trotz der Unverwertbarkeit der Angaben des Angeklagten hatte die Kammer diese vom Angeklagten zu seiner Entlastung vorgebrachte Einlassung zu berücksichtigen. Sie schenkt ihr jedoch aus den nachfolgenden Gründen keinen Glauben.
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Aus der Gesamtschau der nachfolgenden Indizien konnte sich die Kammer die sichere Überzeugung dahingehend bilden, dass sich A. am Tattag nicht eingenässt hat, wenn auch einschränkend zu sehen ist, dass A. sich im Tatzeitraum noch gelegentlich tagsüber einnässte. Dies war indes am 06.07.2018 nicht der Fall:
94
Für wenig wahrscheinlich erscheint der Kammer schon, dass A. sich während der kurzen Fahrstrecke von nur acht Minuten (13:30 Uhr bis 13:38 Uhr) in dem vom Angeklagten geschilderten Umfang eingenässt haben könnte – d.h. dass diese Zeitspanne dazu ausgereicht haben könnte, dass A. „patschnass“ bzw. „völlig durchnässt“ gewesen und „beißender Geruch“ entstanden sei; außerdem seien auch der Auto- und Kindersitz nass gewesen. Dabei geht die Kammer davon aus, dass A. bei Fahrtantritt um 13:30 Uhr noch trocken bzw. zumindest noch nicht äußerlich feststellbar durchnässt war. Denn andernfalls wäre es naheliegend gewesen, sie schon vor Fahrtantritt zu Hause abzutrocknen und umzuziehen.
95
Auch im Übrigen wirkt das Verhalten des Angeklagten als Reaktion auf ein Einnässen von A. ungereimt: Obwohl A. an Unterhose und Hose „völlig durchnässt“ gewesen sei und obwohl dem Angeklagten von L2. K. genau für den Fall des Einnässens ein Satz frischer Wechselwäsche für A. übergeben worden ist – so übereinstimmend der Angeklagte und Sa. N. – habe der Angeklagte nach eigener Einlassung A. in der „völlig durchnässten“ Kleidung belassen und sei mit ihr im Wald herumgegangen.
96
Die frische Wechselwäsche – diese hatte A. genau für den Fall des Einnässens dabei – erhielt sie nach übereinstimmenden Angaben des Angeklagten sowie Sa. N.s erst am späten Nachmittag nach dem Baden.
97
Obgleich Sa. N. den Nachmittag des 06.07.2018 zusammen mit A. verbrachte, konnte sie weder deren „völlig durchnässte“ Kleidung noch einen „beißenden Geruch“ an ihr feststellen. Dies erscheint höchst ungewöhnlich, weil der Angeklagte erstens im Wald nicht die Möglichkeit gehabt haben dürfte, A. vollständig zu säubern und A. zweitens die frische Wechselwäsche wie erwähnt erst am späten Nachmittag nach dem Baden erhielt. Weiter verwundert, dass der Angeklagte am Tattag das angebliche Einnässen gegenüber keiner weiteren Person erwähnte, insbesondere auch nicht gegenüber Sa. N., mit der er den ganzen Nachmittag zusammen war. Dies berichtete Sa. N. der Kammer.
98
Inkonsistent mit dem behaupteten Einnässen von A. erscheint in diesem Zusammenhang auch ein Wh.A.-Chat auf dem Smartphone des Angeklagten mit seiner Ehefrau Sa. N., dort abgespeichert unter dem Namen „Peaches <3“, welchen der IT-Sachverständige H2. ausgelesen hat. Darin erklärte der Angeklagte am Tattag um 13:39 Uhr sein Ausbleiben damit, dass A. sich noch was „angucken“ wolle:
Zeitpunkt: 06.07.2018 13.39 Uhr
Sender: S. (Angeklagter) Nachricht:
Kommen gleich
A. will sich was angucken
Zeitpunkt: 06.07.2018 13.40 Uhr
Sender: Peaches <3 Nachricht:
Kein Thema <Zwinker-Smiley>
Haben ja keinen Zeitdruck <Herzchen>
99
Nach Bekunden des IT-Sachverständigen H2. verschickte der Angeklagte seine Nachricht circa 30 Sekunden nach dem Anhalten im Wald. Dies passt nicht zu seiner Einlassung, wonach er in diesem Moment festgestellt habe, dass A. sich eingenässt habe und dieses Einnässen der Anlass für das Anhalten gewesen sei.
100
Schließlich konnte an der von A. am Tattag getragenen Hose keine Urinspuren mehr gefunden werden. Die am Tattag von A. getragene Hose wurde am 07.07.2018 zusammen mit dem T-Shirt von KKin Schi. im Haushalt K. sichergestellt. Auch hier geht die Kammer davon aus, dass es sich um die tatsächlich von A. am Tattag getragene Hose gehandelt hat, da es völlig fernliegend erscheint, dass KKin Sch. das richtige T-Shirt, aber die falsche Hose gezeigt wurde. Die von A. am Tattag getragene Hose wurde durch Gutachten des Bayerischen Landeskriminalamts, Kriminaltechnisches Institut/SG 203 – Forensische DNA-Analytik vom 18.02.2019 auf Urinrückstände untersucht. Das Gutachten wurde im Selbstleseverfahren eingeführt. Im Rahmen dieser Untersuchung wurden acht Proben im Schritt- und Gesäßbereich der Hose genommen. Der Nachweis von Urin an diesen Proben erfolgte mit dem RSID-UrinTest. An sämtlichen untersuchten Proben reagierte der RSID-Urin-Test negativ; Urin konnte nicht nachgewiesen werden. Ein Einnässen von A. hätte laut dem Gutachten jedoch zu großflächigen Urinanhaftungen an der Hose und damit zu einem positiven Ergebnis des RSID-Urin-Tests führen müssen. Die Kammer macht sich diese nach vollziehbaren und in sich schlüssigen Ausführungen nach einer kritischen Überprüfung zu eigen.
101
Zusammengefasst – und obwohl A. im Tatzeitraum tatsächlich noch gelegentlich tagsüber inkontinent war – hält es die Kammer aus den voranstehenden Gründen für eine reine Schutzbehauptung des Angeklagten, dass A. sich am 06.07.2018 während der Fahrt nach M. eingenässt habe.
(b) Aufenthalt im Wald auch bei unterstelltem Einnässen unplausibel
102
Selbst wenn man dies anders sehen wollte: Ein unterstelltes Einnässen von A. könnte im Übrigen jedenfalls den Aufenthalt im Wald kaum plausibel erklären.
103
Denn wie sich aus den oben unter D.II.3.b) bb) (1)) dargestellten Fahrstrecken ergibt, war der Angeklagte am Anhalteort nur noch sieben Minuten von seiner Wohnung entfernt, wo er ohne Weiteres die Möglichkeit gehabt hätte, A. adäquat zu waschen, abzutrocknen und umzuziehen. Weshalb er stattdessen lieber 22 Minuten lang im Wald verweilte, erscheint vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar.
104
Daher konnte selbst ein – unterstelltes – Einnässen keinen sinnvollen Anlass für den Halt im Wald bieten.
(c) Kein sonstiger Anlass für Aufenthalt im Wald ersichtlich
105
Im Übrigen waren auch sonst keine nachvollziehbaren Gründe für ein Anhalten des Angeklagten im Wald ersichtlich. Insbesondere konnte das Anhalten nicht damit erklärt werden, dass A. etwas besichtigen wollte.
106
Einziger Anhaltspunkt für Letzteres ist ein WhatsApp-Chat des Angeklagten mit seiner Ehefrau vom 06.07.2018, 13:39 Uhr (siehe oben unter D.II.3.b) bb) (2) (a)), worin er seine Verspätung damit begründete, dass A. „sich was angucken“ wolle. Allerdings konnte die Kammer auch dies nicht als tragfähigen Grund für das Anhalten im Wald in Betracht ziehen: Zwar befand sich, wie KKin Sch. in der Hauptverhandlung mitteilte, in der Nähe des Anhalteortes eine verfallene kleine Waldhütte, welche grundsätzlich die Neugier von Kindern in A. s Alter wecken konnte. Hierzu wurden auch die Lichtbilder Blatt 243/251 der Akte in Augenschein genommen, auf die gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO Bezug genommen wird. Diese Hütte konnte aber schon deswegen nicht Anlass zum Anhalten gewesen sein, da sie nach den Beobachtungen von KKin Sch. von der Straße aus nicht zu sehen ist. A. konnte diese Hütte folglich erst bemerkt haben, als sie sich bereits im Wald befand.
107
Sonstige Gründe, die ein Anhalten im Wald notwendig oder zumindest sinnvoll erscheinen hätten lassen, waren für die Kammer nicht ersichtlich.
(3) Keine andere Gelegenheit zur Tatbegehung
108
Die Kammer konnte weiter ausschließen, dass der Angeklagte außerhalb des 22minütigen Aufenthalts im Wald Gelegenheit zur Tatbegehung hatte.
109
Nach den glaubhaften Angaben der Zeugin S3. N. war der Angeklagte während des Aufenthalts in M. nicht allein mit A. . Für die Rückfahrstrecke (elf km) nach We… benötigte der Angeklagte nach den Ausführungen des Sachverständigen H2. entsprechend den ausgewerteten „C. C.“-Daten zwölf Minuten. Damit war am Tattag zwischen 13:38 Uhr und 14:00 Uhr der einzige Zeitraum, in dem der Angeklagte die Gelegenheit zur Tatbegehung hatte.
110
Zusammenfassend hat die Kammer daraus gefolgert, dass die Tat nur zwischen 13:38 Uhr und 14:00 Uhr im Wald zwischen En... und M. stattgefunden haben kann.
c) Gegen die Tatbegehung sprechende Umstände
111
Die Kammer hat sämtliche Umstände geprüft, die gegen eine Tatbegehung sprechen.
112
Diese dringen jedoch weder einzeln noch in ihrer Gesamtschau durch.
aa) Behauptetes Ejakulieren des Angeklagten im Badezimmer
113
Der Angeklagte hat sich zu seiner Entlastung sowohl in der ermittlungsrichterlichen Vernehmung vom 17.08.2018 als auch gegenüber seiner Ehefrau dahingehend eingelassen, er habe im Badezimmer auf A. s T-Shirt ejakuliert, das zu diesem Zeitpunkt auf einem Wäschehaufen gelegen sei (siehe oben unter D.II.1.b) und d)).
114
Die Kammer hatte sich mit dieser vom Angeklagten zu seiner Entlastung vorgebrachten Einlassung, unabhängig von der Frage der Verwertbarkeit, auseinanderzusetzen – hält sie jedoch für eine fernliegende Schutzbehauptung ohne zureichende objektive Anhaltspunkte. Zudem wird die Einlassung durch die glaubhaften Angaben der Zeugin S3. N. teilweise widerlegt. Sie war daher zu verwerfen.
115
Die Kammer hat bei ihrer Würdigung zugrunde gelegt, dass entlastende Angaben eines Angeklagten, für deren Richtigkeit es keine zureichenden objektiven Anhaltspunkte gibt, nicht ohne Weiteres als unwiderlegt hinzunehmen sind. Weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst ist es geboten, zu Gunsten des Angeklagten auf fernliegende hypothetische Möglichkeiten abzustellen, für deren Vorliegen keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte bestehen. Vielmehr ist auch die Einlassung eines Angeklagten auf ihre Plausibilität und ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Die Zurückweisung einer entlastenden Einlassung des Angeklagten erfordert folglich nicht, dass sich diese widerlegen oder gar ihr Gegenteil positiv feststellen lässt (vgl. BGH, Urteil vom 18.09.2008 – 5 StR 224/08; BGH, Urteil vom 07.09.2016 – 2 StR 101/16; BGH, Beschluss vom 19.09.2017 – 1 StR 436/17; BGH, Urteil vom 05.11.2020 − 4 StR 381/20; BGH, Urteil vom 28.07.2021 – 6 StR 125/21; BGH, Urteil vom 10.11.2021 – 5 StR 127/21; BGH, Beschluss vom 10.11.2021 – 2 StR 19/21).
(1) Kein regelmäßiges Ejakulieren auf Wäschehaufen
116
Entgegen seiner Einlassung, regelmäßig auf den Wäschehaufen zu ejakulieren, konnte die Kammer schon keine Anhaltspunkte dafür finden, dass der Angeklagte regelmäßig auf Schmutzwäsche ejakulierte.
117
Sa. N., die im Haushalt des Angeklagten die Wäsche machte, fiel nach eigener Aussage nie etwas dergleichen auf. Die Kammer hält es dabei für ausgeschlossen, dass Sa. N. ein regelmäßiges Ejakulieren des Angeklagten auf die Schmutzwäsche vollständig entgangen wäre.
118
Die Kammer hält die von Sa. N. getätigte Zeugenaussage für uneingeschränkt glaubhaft. Die Kammer konnte sowohl die Möglichkeit einer bewussten Falschaussage als auch die Möglichkeit von Erinnerungsfehlern ausschließen.
(a) Angaben von Sa. N. in der Berufungsverhandlung
119
In der Berufungsverhandlung wurde Sa. N. uneidlich einvernommen. Anders als noch in der 1. Instanz sagte sie erstmals als Zeugin aus. Dabei machte sie im Wesentlichen folgende Angaben:
120
Seit Anfang 2018 habe der Angeklagte gelegentlichen Kontakt zu A. gehabt. Der Angeklagte habe dann A. jeweils bei L. K. abgeholt, so auch am 06.07.2018. An diesem Tag sei warmes Sommerwetter gewesen. An die Kleidung von A. an diesem Tag konnte sich die Zeugin nicht mehr erinnern; auch sei ihr daran nichts Ungewöhnliches aufgefallen. Sie konnte sich auch nicht daran erinnern, ob A. eine Jacke getragen habe. Jedenfalls habe A. frische Wechselkleidung dabeigehabt. Von einem Einnässen von A. sei an diesem Tag nicht gesprochen worden. Ihr sei diesbezüglich auch nichts an A. aufgefallen. Sie habe den Nachmittag gemeinsam mit dem Angeklagten, A. und Z. in M. verbracht. Am späten Nachmittag habe sie gemeinsam mit A. und Z. ein Bad in der Badewanne genommen. Alle drei seien unbekleidet gewesen. Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, ob A. im Scheidenbereich gerötet oder entzündet gewesen sei. Der Angeklagte sei mit im Badezimmer gewesen, habe aber nicht gebadet. Die Kleidung, die A. an diesem Tag getragen habe, sei im Badezimmer mittig auf dem Boden gelegen. Nach dem Baden habe sie A. dabei geholfen, die frische Wechselkleidung anzuziehen. Anschließend habe sie mit A. zu Abend gegessen. Der Angeklagte sei da für einige Zeit abwesend gewesen. Etwa eine halbe Stunde später habe der Angeklagte A2. wie üblich zu L. K. zurückgefahren; er habe dabei die von A. getragene Kleidung mitgenommen. Im Haushalt habe sie die Wäsche gemacht. Dabei habe sie nie Spermaspuren an der Wäsche festgestellt. Nach seiner zweiten Verhaftung habe der Angeklagte gegenüber der Zeugin seine Unschuld beteuert. Er habe ihr erzählt, dass er im Badezimmer auf die Wäsche ejakuliert habe, wodurch seine Spermaspuren auf A. s T-Shirt gelangt seien, das A. dorthin abgelegt habe. Sie habe diesbezüglich immer ihre Zweifel gehabt. Ihre Zweifel an der Unschuld des Angeklagten hätten auch bei der Trennung vom Angeklagten eine Rolle gespielt. Der Anlass für die Trennung vom Angeklagten sei aber dessen Konsumverhalten gewesen, das aus ihrer Sicht die wirtschaftlichen Verhältnisse der Familie überstieg.
(b) Möglichkeit einer Falschbelastung durch Sa. N.
121
Die Kammer hatte sich mit der Möglichkeit auseinander zu setzen, dass Sa. N. als Zeugin in der Hauptverhandlung zum Nachteil des Angeklagten bewusst falsche Angaben gemacht haben könnte.
122
Denkbares Motiv für eine Falschbelastung könnte die Trennung zwischen Sa. N. und ihrem Ehemann sein. Hierfür spielten – neben finanziellen Divergenzen – auch die Tatvorwürfe eine Rolle. Der Angeklagte zahlt keinen Unterhalt für die gemeinsame Tochter Z.. Darüber hinaus stand Sa. N. nach eigenem Bekunden während des Ermittlungsverfahrens auch mit L. K. in Kontakt, sodass insoweit eine Beeinflussung nicht auszuschließen war.
123
Die Kammer musste sich daher mit der Möglichkeit auseinandersetzen, dass Sa. N. den Angeklagten zu Unrecht belastet hat.
124
Die Kammer konnte jedoch keine Anzeichen für eine bewusste Falschbelastung der Zeugin S3. N. erkennen. Dagegen sprach schon, dass Sa. N. sich ihre Aussage nach dem Eindruck der Kammer geradezu abringen musste. Über die Tat selbst zeigte sie sich unschlüssig und weder von Schuld noch von Unschuld ihres Ehemannes restlos überzeugt, sondern an einer Aufklärung der Geschehnisse des 06.07.2018 interessiert. Die Zeugin ließ nach Einschätzung der Kammer auch keine Abneigung gegen den Angeklagten erkennen. Außerdem bestätigte Sa. N. zu weiten Teilen die Einlassungen ihres Ehemanns, insbesondere zum Ablauf des Tages im Hause N.. Lediglich punktuell und nur zu einzelnen Aspekten wich ihre Aussage davon ab. Soweit sie sich an Details nicht mehr erinnern konnte – etwa ob A. eine Jacke getragen habe – räumte sie dies offen ein.
125
Die Kammer hat weiter gesehen, dass die abweichenden Angaben der Zeugin nur einzelne Aspekte des Ablaufs des Tages im Hause N. betrafen, bei denen nicht von vornherein ersichtlich war, dass diese den Angeklagten belasten, so etwa der Umstand, dass die Kleidung von A. am Boden und nicht auf einem Wäschehaufen lag.
126
Darüber hinaus hat die Zeugin auch entlastende Umstände mitgeteilt. So sagte sie aus, dass der Angeklagte nach dem Baden für einige Zeit abwesend gewesen sei.
127
Aus diesen Gründen hat die Kammer die Möglichkeit einer bewussten Falschaussage von Sa. N. ausgeschlossen.
(c) Möglichkeit von Erinnerungsfehlern von Sa. N.
128
Für eine fehlerhafte Erinnerung Sa. N.s könnte sprechen, dass die Tat bereits über vier Jahre zurücklag.
129
Die Kammer hatte daher die Möglichkeit von Erinnerungsfehlern bei Sa. N. zu prüfen.
130
Da Sa. N. von der Kammer erstmals zu den Tatvorwürfen gegen ihren Ehemann vernommen wurde, waren weder eine Überprüfung ihrer Aussagekonstanz anhand früherer Angaben noch gedächtnisunterstützende Vorhalte möglich.
131
Gegen Erinnerungsfehler spricht jedoch, dass Sa. N. zu weiten Teilen die Einlassungen ihres Ehemanns – insbesondere die wesentlichen Details zum Tagesablauf des 06.07.2018 – bestätigte. Davon abgesehen teilte sie offen mit, wenn sie sich an Einzelheiten nicht mehr erinnern konnte, beispielsweise ob A. eine Jacke getragen habe oder ob sie im Scheidenbereich rot und entzündet gewesen sei. Darüber hinaus geht die Kammer davon aus, dass die beiden Verhaftungen ihres Ehemannes aufgrund der Tatvorwürfe am 07.07.2018 und am 16.07.2018 für Sa. N. äußerste einprägsame Ereignisse gewesen sein dürften.
132
In der Gesamtschau sieht die Kammer keine Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Erinnerung der Zeugin S3. N.
133
Zusammenfassend hält die Kammer daher die Angaben von Sa. N. für uneingeschränkt glaubhaft.
134
Durch diese Aussage sind die Angaben des Angeklagten, er habe regelmäßig auf den Wäschehaufen ejakuliert, somit widerlegt.
(2) Angaben des Angeklagten zum Lageort des T-Shirts widerlegt
135
Auch die Angaben des Angeklagten zum Lageort des von A. getragenen T-Shirts werden durch die Aussage von Sa. N. widerlegt.
136
Wie Sa. N. in der Hauptverhandlung aussagte, lag A. s am Tattag getragene Kleidung beim Baden im Badezimmer nicht etwa – wie vom Angeklagten angegeben – auf einem Wäschehaufen, sondern mittig auf dem Boden des Badezimmers. Dies hält die Kammer für nachvollziehbar. So bestand keine Veranlassung, A. s Kleidung zur Wäsche des Haushalts N. zu geben, da A. s getragene Kleidung nach den Besuchen jeweils wieder zur Familie K. zurückgebracht wurde. Die Kammer hält die Angaben von Sa. N. wie bereits ausgeführt für uneingeschränkt glaubhaft. Daher sind die Angaben des Angeklagten auch insofern widerlegt.
(3) Behauptetes Verhalten im Übrigen abwegig
137
Auch im Übrigen erscheint das vom Angeklagten zu seiner Entlastung geschilderte Verhalten kaum plausibel.
138
So erscheint schon wenig überzeugend, dass dem Angeklagten beim Onanieren nicht aufgefallen sein will, dass auf dem Wäschehaufen – seine Einlassung unterstellt – A. s T-Shirt lag. Demnach hätte sich der Angeklagte dafür entschieden, auf das TShirt seiner Tochter zu ejakulieren in dem Bewusstsein, dass er das T-Shirt wie üblich etwa eine halbe Stunde später wieder zu L. K. zurückbringen würde.
139
Ebenso unplausibel erscheint, dass der Angeklagte sich offenbar nicht mehr an das Ejakulieren auf den Wäschehaufen erinnern konnte, als er A. s T-Shirt circa eine halbe Stunde später wieder von demselben Wäschehaufen genommen und zu L. K. mitgenommen hat. Spätestens in diesem Moment hätte der Angeklagte sich naheliegend daran erinnern müssen, dass er circa eine halbe Stunde zuvor auf denselben Wäschehaufen ejakuliert hat. Warum er das T-Shirt in dieser Situation gleichwohl zu L. K. mitgenommen hat, erscheint nicht nur wegen des Sorgerechtsstreits irritierend.
140
Wollte man schließlich entsprechend der Angaben von Sa. N. annehmen, dass der Angeklagte nicht etwa auf einen Wäschehaufen, sondern auf das mittig am Boden liegende T-Shirt ejakuliert habe – der Angeklagte selbst hat dies tatsächlich so nicht gesagt – wäre für ein entsprechendes Verhalten keine sinnvolle Erklärung ersichtlich.
(4) Zwischenergebnis
141
Zusammenfassend war für die Kammer nichts ersichtlich, das für die Richtigkeit der Einlassung des Angeklagten sprechen konnte. Sie erschien im Übrigen fernliegend. Deshalb war sie nach den Maßstäben der oben zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung zu verwerfen.
bb) Jacke über T-Shirt
142
Die Kammer hatte sich ferner mit der Einlassung des Angeklagten auseinanderzusetzen, wonach A. im Wald eine geschlossene Jacke über ihrem T-Shirt getragen habe (siehe unter D.II.1.b)). In diesem Fall hätten nämlich keine Spermaspuren auf A. s TShirt entstehen können.
143
Dass A. zu diesem Zeitpunkt eine Jacke trug, konnte die Kammer zwar einerseits nicht gänzlich ausschließen. Andererseits waren nach der oben zitierten Rechtsprechung für die Richtigkeit dieser Einlassung keine weiteren Anhaltspunkte ersichtlich. Hiergegen sprach schon das Wetter zur Tatzeit: Laut einer Abfrage des polizeilichen Hauptsachbearbeiters KOK Gr. beim Deutschen Wetterdienst herrschten am Nachmittag des 06.07.2018 im Raum Eichstätt Temperaturen zwischen 20°C und 23°C bei mittlerer Bewölkung; entgegen der Einlassung des Angeklagten regnete es an diesem Nachmittag nicht. Dies teilte KHK Gr. in der Hauptverhandlung mit. Sa. N. bestätigte zwar die Ermittlungen von KOK Gr. zum Wetter am Tattag, konnte sich jedoch nicht mehr daran erinnern, ob A. eine Jacke anhatte oder nicht.
144
Einziger Anhaltspunkt dafür, dass A. eine Jacke trug, bleibt somit die entsprechende Einlassung des Angeklagten zum Aufenthalt im Wald. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass sowohl seine Einlassung zu den Umständen des Aufenthalts im Wald – wie oben dargestellt (siehe unter D.II.3.b) bb) (2)) – als auch seine Einlassung zu Temperatur und Witterung als widerlegte Schutzbehauptungen anzusehen waren.
145
Im Ergebnis konnte die entsprechende Einlassung des Angeklagten daher die Überzeugung der Kammer nicht erschüttern.
cc) Spermaspuren ohne Verwischungen durch Sicherheitsgurt
146
Als entlastendes Indiz hat die Kammer gewertet, dass die Spermaspur auf A. s TShirt keine Verwischungen aufwies, was aber durch ein Angurten mit dem Sicherheitsgurt im Pkw des Angeklagten auf der Fahrt vom Wald zur Wohnung des Angeklagten nach M. naheliegend zu erwarten gewesen wäre.
147
So liegen die Sicherheitsgurte von handelsüblichen Kindersitzen in der Regel über dem Brustbereich des Kindes. Aus diesem Grund wären Verwischungen an der Spermaspur auf A. s T-Shirt durch den Sicherheitsgurt zu erwarten gewesen; solche konnten jedoch gerade nicht festgestellt werden (siehe unter D.II.3.b) aa) (2)).
148
Auch wenn daher im Ergebnis das Fehlen solcher Verwischungen eher gegen die Schuld des Angeklagten spricht, schließt dies die Tatbegehung gleichwohl nicht aus:
149
Zum einen dauerte die Fahrstrecke vom Wald zur Wohnadresse des Angeklagten nur sieben Minuten und damit relativ kurz (zur Fahrstrecke siehe unter D.II.3.b) bb) (1)). Somit war auch der Zeitraum, in dem mögliche Verwischungen hätten entstehen können, entsprechend begrenzt. Zum anderen kann auch ein Einziehen des Spermas in das TShirt dazu geführt haben, dass es zu keinen Verwischungen gekommen ist.
150
Zusammenfassend ist daher das Fehlen von Verwischungen an den Spermaspuren als entlastendes Indiz zu werten, welches andererseits jedoch die Tatbegehung auch nicht zwingend ausschließen kann.
dd) Persönlichkeitsfremdheit der Tat
151
Als entlastend hat die Kammer ferner zugunsten des Angeklagten gewertet, dass abgesehen vom Tatgeschehen keine Anhaltspunkte für eine pädophile Neigung oder Veranlagung des Angeklagten bezogen auf vorpubertäre Kinder ersichtlich waren.
152
Vielmehr führte der Angeklagte bisher zwei jeweils langjährige Beziehungen zu (erwachsenen) Frauen: Mit der etwa gleichaltrigen L. K. (geboren am ... 1997) war der Angeklagte über fünf Jahre liiert. Seine Ehefrau Sa. N. (geboren am ... 1989) ist sechs Jahre älter als der Angeklagte.
153
Die Tat stellte sich daher als persönlichkeitsfremd dar. Dies sprach gegen die Tatbegehung.
ee) Sichtbarkeit der Spermaspuren
154
Gegen die Tatbegehung spricht die Überlegung, dass sichtbare Spermaspuren auf A. s T-Shirt anderen Personen – etwa Sa. N. – im Laufe des Nachmittags des 06.07.2018 hätten auffallen müssen. Sa. N. fiel nach ihrem eigenen Bekunden jedoch kein Sperma auf A. s Kleidung auf.
155
Dieses Indiz ist jedoch insofern von eingeschränktem Gewicht, als die getrockneten Spermaspuren auf A. s T-Shirt unter Normallicht nicht sichtbar waren. Dies geht aus dem im Selbstleseverfahren eingeführten Spurengutachten des Bayerischen Landeskriminalamt, Kriminaltechnisches Institut/SG 203 – Forensische DNA-Analytik vom 18.08.2018 hervor. Erst unter kurzwelligem Licht mit einer Wellenlänge von 445 nm und Orange-Filter hätten sich demnach fluoreszierende Anhaftungen gezeigt, die in der Folge beprobt worden seien. Das gesamte Spurenbild auf dem T-Shirt sei erst mithilfe des Phosphatase-Tests sichtbar gemacht worden. Die Kammer macht sich diese nachvollziehbaren Ausführungen nach einer kritischen Überprüfung zu eigen.
156
Vor diesem Hintergrund geht die Kammer davon aus, dass die Spermaspuren auf A. s T-Shirt im Laufe des Nachmittags getrocknet sind und damit unsichtbar wurden.
157
Insbesondere bei dem am 06.07.2018 herrschenden warmen und trockenen Sommerwetter (zum Wetter am Tattag siehe unter D.II.3.c) bb)) geht die Kammer davon aus, dass die Spermaspuren nach wenigen Stunden getrocknet sein dürften.
158
Schließlich beschränkte sich der Personenkreis, dem A. am Nachmittag des 06.07.2018 begegnete und dem entsprechende Spermaspuren auf A. s T-Shirt hätte auffallen können, auf den Angeklagten, Sa. N. und die acht Monate alten Z..
159
Weiter ist einschränkend zu sehen, dass Sa. N. – für den Fall, dass sie tatsächlich feuchte Flecken auf A. s T-Shirt hätte wahrnehmen können – keine Veranlassung gehabt haben dürfe anzunehmen, dass es sich um Ejakulat handelte.
160
Zusammenfassend kann die Sichtbarkeit von Spermaspuren auf A. s T-Shirt die Tatbegehung nicht ausschließen. Dass Sa. N. die noch nicht getrockneten Spermaspuren auf A. s T-Shirt nicht aufgefallen sind, spricht gegen die Tatbegehung; dies jedoch mit der Einschränkung, dass diese Spermaspuren nach wenigen Stunden unsichtbar geworden sein dürften.
ff) Keine Spermaspuren an anderen Kleidungsstücken von A.
161
Nicht als entlastendes Indiz war dagegen zu werten, dass an anderen Kleidungsstücken von A. kein Ejakulat aufgefunden werden konnte.
162
So waren etwa an einer Hose, die KKin Sch. am 07.07.2018 zusammen mit dem TShirt sichergestellt hat, kein Sperma feststellbar.
163
Dass Ejakulat ausschließlich an einem T-Shirt von A. aufgefunden wurde, spricht jedoch jedenfalls nicht durchgreifend gegen die Tatbegehung. So ist ein Auffinden von Spermaspuren auch an anderen Kleidungsstücken keinesfalls zwingende Voraussetzung für die Tatbegehung. Anhand des Spurenbildes am T-Shirt wären Tropf- und Abrinnspuren auf anderen Kleidungstücken – d.h. auf der zum Tatzeit getragenen Hose – zwar denkbar, aber keineswegs zwingend zu erwarten oder auch nur naheliegend. Die mit Phosphatase sichtbar gemachten Tropf- und Abrinnspuren verjüngen sich nach unten hin und enden einige Zentimeter oberhalb des unteren Saumes des T-Shirts. Es war daher auch nicht naheliegend zu erwarten, dass sich die Spuren an anderen Kleidungsstücken (sprich: einer Hose) fortsetzen.
164
Freilich hätte das Auffinden von Spermaspuren, die sich auf anderen Kleidungsstücken von A. passgenau fortsetzen, gewichtig gegen den Angeklagten gesprochen. In diesem Falle wäre nämlich seine Einlassung, wonach er im Badezimmer auf das T-Shirt onaniert habe, als sicher widerlegt anzusehen gewesen. Auf eine Widerlegung dieser Einlassung kam es jedoch wie oben gezeigt schon nicht an.
165
Im Ergebnis spricht daher nicht gegen die Tatbegehung, dass Spermaspuren nur am TShirt aufgefunden wurden.
gg) Keine Entlastung durch Aussagen von L. K. oder A.
166
Die Kammer hat, wie dargestellt, die Aussagen von L. K. und von A. nicht zu Lasten des Angeklagten herangezogen, da sie insofern die Gefahr einer Falschbelastung des Angeklagten nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen konnte.
167
Dagegen musste die Kammer die entsprechenden Aussagen auf mögliche entlastende Gesichtspunkte hin überprüfen. Aus den Angaben von L. K. oder von A. waren keine Umstände ersichtlich, die den Angeklagten vom Tatvorwurf hätten entlasten können.
168
Die Zeugin L2. K2. wurde in der Hauptverhandlung vernommen. Die Angaben von A. während des Ermittlungsverfahrens wurden über die aussagepsychogische Sachverständige D. P. Ar. sowie die polizeilichen Vernehmungsbeamten KHK Gr. und PHMin Pr. eingeführt; schließlich wurde die Videoaufzeichnung einer ermittlungsrichterlichen Vernehmung von A. in Augenschein genommen. A. wurde nicht selbst als Zeugin vernommen.
169
Hieraus ergaben sich keine weiteren, zugunsten des Angeklagten sprechenden Aspekte.
hh) Zwischenergebnis
170
Zwar sprechen mehrere entlastende Indizien zugunsten des Angeklagten. Diese können jedoch weder einzeln betrachtet noch in ihrer Gesamtschau die Tatbegehung ausschließen oder gewichtig gegen sie sprechen.
d) Zusammenfassende Würdigung
171
Die Kammer hat die vorstehenden, für und gegen eine Tatbegehung durch den Angeklagten sprechenden Indizien zusammenfassend gewürdigt.
172
Jedes einzelne belastende Indiz lässt zwar grundsätzlich auch einen anderen Geschehensablauf zu, der nicht zwingend die Schuld des Angeklagten voraussetzt. In ihrer Gesamtschau vermitteln sämtliche be- und entlastenden Umstände der Kammer aber die sichere Überzeugung, dass der Angeklagte am 06.07.2018 zwischen 13:38 Uhr und 14:00 Uhr vor seiner fünfjährigen Tochter A2. seinen Penis bis zum Samenerguss stimuliert und auf ihr T-Shirt ejakuliert hat.
173
Vorangestellt betont die Kammer, dass sie die teilweise Widerlegung der Einlassung des Angeklagten nicht als Indiz für seine Schuld herangezogen hat. Widerlegte Sacheinlassungen eines Angeklagten können grundsätzlich nicht als belastendes Indiz gewertet werden. Stets ist zu bedenken, dass im Rahmen zulässigen Verteidigungsverhaltens auch ein Unschuldiger Zuflucht zur Lüge nehmen kann (vgl. BGH, Urteil vom 21.01.1998 – 5 StR 469/97; BGH, Urteil vom 21.01. 2004 – 1 StR 364/03; BGH, Beschluss vom 11.12.2018 – 2 StR 487/18).
Im Einzelnen:
174
Gewichtig gegen den Angeklagten sprechen zum einen die Spermaspuren des Angeklagten auf dem Brustbereich des T-Shirts, das A. am Tattag getragen hat (D.II.3.b) aa) (1)). Diese Spermaspuren konnten nur durch eine Ejakulation des Angeklagten entstanden sein (D.II.3.b) aa) (2)).
175
Zum anderen spricht der Aufenthalt des Angeklagten am Tattag allein mit A. im Wald gegen den Angeklagten (D.II.3.b) bb) (1)). Für diesen 22-minütigen Aufenthalt im Wald ist abgesehen von der Tatbegehung kein nachvollziehbarer Grund ersichtlich. Die vom Angeklagten zu seiner Entlastung angebotene Begründung für den Aufenthalt im Wald – ein Einnässen von A. – ist weder glaubhaft (D.II.3.b) bb) (2) (a)) noch kann sie den Aufenthalt im Wald sinnvoll erklären (D.II.3.b) bb) (2) (b)). Ansonsten war der Angeklagte am Tattag nicht mehr mit A. allein, sodass die Möglichkeit der Tatbegehung auf den Aufenthalt im Wald eingegrenzt werden konnte.
176
Die Kammer hatte sich weiter mit zumindest hypothetisch denkbaren Geschehensabläufen auseinanderzusetzen, die eine Schuld des Angeklagten ausschließen könnten. Entsprechende Geschehensabläufe erschienen allerdings zum einen abwegig, zum anderen bestanden hierfür keinerlei konkrete Anhaltspunkte.
177
Insbesondere hält es die Kammer für fernliegend, dass A. ihr T-Shirt im Wald ausgezogen und der Angeklagte im Wald – in Abwesenheit von A. – darauf ejakuliert hat. Für einen entsprechenden Geschehensablauf gibt es keinen Anhalt und keine sinnvolle Erklärung.
178
Zusammenfassend stellt es einen nicht anders als mit der Tatbegehung erklärbaren Zufall dar, dass der Angeklagte sich an diesem Tag ohne nachvollziehbaren sonstigen Grund 22 Minuten mit A. allein im Wald aufhielt und kurze Zeit danach auf dem Brustbereich von A. s T-Shirt seine Spermaspuren waren.
179
Die Kammer hat diese belastenden Indizien den Umständen gegenübergestellt, die gegen eine mögliche Tatbegehung sprechen können. Diese entlastenden Umstände vermögen jedoch weder für sich gesehen noch in ihrer Gesamtschau die Überzeugung der Kammer zu erschüttern:
180
Zu würdigen war vorrangig die zur eigenen Entlastung vorgebrachte Einlassung des Angeklagten, wonach er im Badezimmer auf das auf einem Wäschehaufen liegende TShirt ejakuliert habe (D.II.1.b) und d)). Diese Einlassung war jedoch ohne zureichende objektive Anhaltspunkte und wurde zudem teilweise durch die glaubhaften Angaben der Zeugin S3. N. widerlegt (D.II.3.c) aa)). Die Kammer hat deswegen die Einlassung als abwegige Schutzbehauptung verworfen.
181
Weitere gegen eine Tatbegehung sprechende Umstände hatten weder für sich gesehen noch in der Gesamtschau solches Gewicht, dass sie die Überzeugung der Kammer hätten erschüttern können. Zwar konnte die Kammer nicht ausschließen, dass A. im Wald eine Jacke trug, was allerdings aufgrund der Witterung und Temperatur am Tattag wenig naheliegend erscheint (D.II.3.c) bb)). Die Kammer hat auch berücksichtigt und gewürdigt, dass an den Ejakulatspuren keine Verwischungen durch einen Sicherheitsgurt zu erkennen waren (D.II.3.c) cc)). Eher gegen eine Tatbegehung sprach, dass die Spermaspuren Sa. N. nicht aufgefallen sind (D.II.3.c) ee)). Schließlich sprach zugunsten des Angeklagten, dass ein entsprechendes Verhalten persönlichkeitsfremd für den Angeklagten erscheint (D.II.3.c) dd)).
182
In der Zusammenschau sämtlicher vorstehender Indizien ist die Kammer von der Schuld des Angeklagten zweifelsfrei überzeugt: Die belastenden Indizien greifen schlüssig ineinander und sind in ihrer Gesamtheit derart gewichtig, dass demgegenüber andere isolierte Erklärungsmöglichkeiten einzelner Indizien ebenso wie die entlastenden Indizien keine vernünftigen Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten zulassen.
183
Im Ergebnis ist die Kammer der sicheren Überzeugung, dass der Angeklagte am 06.07.2018 in einem Waldstück jedenfalls auf seine fünfjährige Tochter ejakuliert hat.
184
Zugunsten des Angeklagten ist die Kammer dabei davon ausgegangen, dass das Onanieren ohne Körperkontakt vor A. stattgefunden hat. Andere denkbare Tathandlungen wie ein orales oder manuelles Befriedigen durch A. konnten ohne A. s Aussage nicht angenommen werden.
e) Kein Nachweis für schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern
185
S6. die Anklage dem Angeklagten einen schweren sexuellen Missbrauch von Kindern durch Eindringen in den Körper zur Last legte (§§ 176 Abs. 1,176a Abs. 2 Nr. 1 StGB in der zur Tatzeit gültigen Fassung) konnte sich die Kammer für eine Verurteilung keine ausreichende Überzeugung bilden.
186
Anhaltspunkte dafür, dass A. bei der Tat vom 06.07.2018 auch den Penis des Angeklagten in den Mund genommen hat, ergaben sich wie oben dargestellt ausschließlich aus den entsprechenden Äußerungen von A. . Diese konnte die Kammer jedoch aus den oben dargestellten Gründen nicht für die Überzeugungsbildung heranziehen.
f) Subjektive Tatseite
187
Die Kammer ist davon überzeugt, dass dem Angeklagten das Alter von A. zum Tatzeitpunkt bekannt war, da er der leibliche Vater von A. ist.
188
Zur Überzeugung der Kammer war dem Angeklagten bewusst, dass A. bei der Tatbegehung anwesend war und dass A. seine Selbstbefriedigung bis zum Samenerguss wahrnehmen konnte. Dies ergibt sich daraus, dass der Angeklagte aus unmittelbarer Nähe auf A. s zum Tatzeitpunkt getragenes T-Shirt ejakuliert hat.
189
Die Kammer ist weiter davon überzeugt, dass die Wahrnehmung durch A. für den Angeklagten handlungsbestimmend war. Bei Begehung der Tat kam es dem Angeklagten für seine sexuelle Erregung maßgeblich darauf an, dass A. die Tat wahrnehmen konnte. Andernfalls hätte der Angeklagte A2. allein im Auto zurücklassen und sich allein zum Onanieren in den Wald begeben können.
4. Feststellungen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten
190
A4. für eine zum Tatzeitpunkt fehlende Einsichtsfähigkeit oder eine eingeschränkte oder aufgehobene Steuerungsfähigkeit waren nicht ersichtlich. Auch bestanden schon keine Anzeichen für eine gefestigte pädophile Veranlagung des Angeklagten.
5. Feststellungen zum Nachtatgeschehen
191
Die Feststellungen zum Nachtatgeschehen beruhen auf den insoweit übereinstimmenden Angaben von Sa. N. und den Einlassungen des Angeklagten. Beide gaben dazu an, gemeinsam den restlichen Nachmittag mit A. und Z. verbracht zu haben. A. sei dann am späteren Nachmittag in der Badewanne gebadet worden. Kurze Zeit darauf habe der Angeklagte A2. zu ihrer Mutter L. K. zurückgefahren.
192
Letzteres bestätigt die Auslesung des elektronischen Fahrtenbuchs (C. C.-App) durch den Sachverständigen G2. H2. (siehe unter D.II.3.b) bb) (1)). Hieraus ergibt sich eine Fahrt von 18.25 Uhr bis 18.37 Uhr von M. nach We….
193
Hinweise für eine Traumatisierung von A. infolge der Tat konnte die Kammer nicht erkennen. Zwar zeigte A. deutliche Verhaltensauffälligkeiten, Entwicklungsverzögerungen und gelegentliches Einnässen. Darüber berichteten A. s Förderlehrerin Al. Se., die für A. zuständige Jugendamtsmitarbeiterin K. vom Jugendamt Pf. a.d. Ilm und A. s behandelnde Ärztin der Kinder- und Jugendpsychiatrie N. a.d. Donau Dr. K3.. Diese Auffälligkeiten bestanden aber nach übereinstimmenden Aussagen der genannten Zeuginnen jedenfalls schon vor dem Tatzeitpunkt, wodurch eine kausale Verursachung durch die Tat ausscheidet.
E. Rechtliche Würdigung
194
In rechtlicher Hinsicht war das Ejakulieren auf A. s Oberkörper am 06.07.2018 im Wald zwischen En... und M. als sexuelle Handlung vor einem Kind ohne Körperkontakt, mithin als sexueller Missbrauch im Sinne von § 176 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 1 StGB in der in der Fassung vom 27.01.2015 bis 12.03.2020 zu werten.
195
Da der Angeklagte der leibliche Vater von A. ist, war darüber hinaus auch tateinheitlich ein sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen gemäß § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 1 StGB in der Fassung vom 27.01.2015 bis 30.06.2021 erfüllt.
F. Rechtsfolgen
I. Strafzumessung
1. Strafrahmen
196
Der Strafrahmen ergibt sich aus § 176 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 1 StGB in der Fassung vom 27.01.2015 bis 12.03.2020 und beträgt Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.
197
Maßgeblich ist gemäß § 2 Abs. 3 StGB das zur Tatzeit geltende Strafgesetz. Dies ist das mildeste Gesetz im Sinne von § 2 Abs. 3 StGB. Der Strafrahmen für sexuelle Handlungen vor einem Kind ohne Körperkontakt wurde seither verschärft und beträgt aktuell seit 01.07.2021 Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, § 176a Abs. 1 Nr. 1 StGB in der aktuellen Fassung.
198
Eine Verschiebung des Strafrahmens kam nicht in Betracht. Ein minder schwerer Fall war vom anzuwendenden Strafgesetz nicht vorgesehen.
2. Konkrete Strafzumessung
199
a) Strafzumessungsgesichtspunkte zugunsten des Angeklagten I2. des Strafrahmens Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wertete die Kammer folgende Umstände zugunsten des Angeklagten:
200
Zugunsten hat die Kammer berücksichtigt, dass die Tat zu keinen feststellbaren kausalen Folgen bei A. geführt hat.
201
Außerdem liegt die Tat bereits über vier Jahre zurück. In diesem Zusammenhang war auch die entsprechend lange Verfahrensdauer zugunsten des Angeklagten zu werten. So wurde der Angeklagte erstmalig bereits am 07.07.2018 mit den Tatvorwürfen konfrontiert. Auch wirkten sich die Ermittlungen mit dem Scheitern seiner Ehe und dem Kontaktabbruch seiner Geschwister und zu seiner Tochter Z. äußerst belastend auf den Angeklagten aus.
202
Zu seinen Gunsten war schließlich auch zu werten, dass er aufgrund der Tatvorwürfe zweimal festgenommen wurde und Untersuchungshaft von etwa drei Monaten erlitten hat. Diese war besonders erschwert zum einen durch die langwierige Überstellung von Nordrhein-Westphalen in die JVA A.-G. und zum anderen dadurch, dass der erstmalig inhaftierte Angeklagte durch die Untersuchungshaft aus geregelten sozialen Verhältnissen gerissen wurde; so verlor er durch die Inhaftierung seine Arbeit bei der A3. AG.
203
Im Hinblick auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe gegen den Angeklagten war sich die Kammer bewusst, dass ein Haftantritt den Angeklagten erneut aus einem gesicherten sozialen Umfeld reißen wird.
b) Strafzumessungsgesichtspunkte zulasten des Angeklagten G4. den Angeklagten sprachen indes folgende Gesichtspunkte:
204
Zulasten des Angeklagten sprach das Gewicht der sexuellen Handlung des Angeklagten in ihrer konkreten Begehungsweise (vgl. Fischer, 64. Auflage 2017, § 176 Rn. 36a). Der Angeklagte hat zur Tatbegehung seinen Penis entkleidet, stimuliert und auf A. ejakuliert. Die Erheblichkeitsschwelle für sexuelle Handlungen war durch die konkrete Tatbegehung deutlich überschritten.
205
Weiter war das Alter der Geschädigten von fünf Jahren im Tatzeitpunkt innerhalb der Schutzaltersgrenze bis 14 Jahren zulasten des Angeklagten zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteil vom 29.04.2015 – 2 StR 405/14 Rn. 19; BGH, Beschluss vom 23.11.2021 – 2 StR 373/21 Rn. 5; BGH, Urteil vom 04.05.2022 – 6 StR 542/21, Rn. 7; Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 176 Rn. 36a).
206
Außerdem verwirklicht die Tat mehrere Straftatbestände. So ist neben dem sexuellen Missbrauch von Kindern auch ein sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen erfüllt (§ 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 1 StGB). Insoweit war jedoch einschränkend zu sehen, dass der Angeklagte zwar der leibliche Vater von A. war (§ 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB), sich sein Kontakt zu A. aber auf gelegentliche Besuche beschränkte und er daher keine Erziehungsaufgaben innehatte.
207
Zudem sprach gegen den Angeklagten, dass dieser bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Einschränkend waren in diesem Zusammenhang jedoch folgende Aspekte zu berücksichtigen: Zum einen lagen insoweit sowohl Tat als auch Verurteilung bereits lange zurück; insbesondere lag die Verurteilung kurz vor der Tilgungsreife gemäß §§ 46 Abs. 1 Nr. 1a), 51 Abs. 1 BZRG. Zum anderen war diese Vorstrafe nicht einschlägig.
208
Außerdem handelte es sich um eine relativ geringfügige Geldstrafe von nur 20 Tagessätzen. Schließlich beruhte diese Vorstrafe auf einem (rechtskräftigen) Strafbefehl, d. h. der Angeklagte stand noch nie vor Gericht.
c) Gesamtabwägung zur Strafzumessung
209
Unter Abwägung der für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände hält die Kammer daher eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten für tat- und schuldangemessen.
II. Kompensation wegen überlanger Verfahrensdauer
210
Von dieser Freiheitsstrafe sind gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK drei Monate wegen der überlangen Verfahrensdauer als vollstreckt anzusehen.
1. Ausmaß der Verfahrensverzögerung
211
Die Kammer nahm eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung von zwei Jahren an.
212
Das Verfahren begann mit der erstmaligen Bekanntgabe der Tatvorwürfe gegenüber dem Angeklagten am 07.07.2018 (vgl. BGH, Beschluss vom 30.04.2019 – 4 StR 405/18 Rn. 9 ff.). Die gesamte Verfahrensdauer betrug daher bis zum Urteil der Kammer am 28.10.2022 rund vier Jahre und vier Monate.
213
Allerdings war nicht diese gesamte Verfahrensdauer pauschal als rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung anzusehen. Denn unberücksichtigt bleiben insoweit notwendige und verfahrensfördernde Maßnahmen, deren Erledigung jeweils eine angemessene Zeit beanspruchen darf (vgl. BGH, Urteil vom 21.04. 2011 – 3 StR 50/11). Zu beachten ist ferner, dass besonders zügige Verfahrensbearbeitung an anderer Stelle eine Verzögerung bei einem Verfahrensschritt ausgleichen kann (vgl. BGH, Urteil vom 18.06. 2009 – 3 StR 89/09 Rn. 33; BGH, Urteil vom 21.04. 2011 – 3 StR 50/11).
214
Die umfangreichen polizeilichen und staatsanwaltlichen Ermittlungen waren erst mit Eingang des letzten Gutachtens vom 18.02.2019 vollständig abgeschlossen und dauerten mithin über sechs Monate. Sie umfassten insbesondere mehrere Spurengutachten des Bayerischen Landeskriminalamtes sowie eine aussagepsychologische Begutachtung von A. .
215
Die von der Kammer angestoßenen weiteren umfangreichen Nachermittlungen dauerten vom 06.04.2020 bis zum 27.07.2020 (drei Monate) sowie vom 03.03.2021 bis zum 03.12.2021 (neun Monate) und damit insgesamt über zwölf Monate. Hierbei handelte es sich unter anderem um eine erneute aussagepsychologische Begutachtung von A. , die sich infolge eines Unfalls von A. verzögerte.
216
Aufgrund der nicht einfachen Beweislage – so konnte ein Tatnachweis letztlich nur anhand von Indizien geführt werden – war die Dauer der Ermittlungen und Nachermittlungen nicht rechtsstaatswidrig überzogen.
217
Schließlich war selbst bei zeitlich angemessener Verfahrensgestaltung jeder der beiden Instanzen ein Bearbeitungszeitraum von insgesamt jeweils fünf Monaten zur Vorbereitung, Terminierung und Durchführung der jeweils mehrtätigen Hauptverhandlungen zuzubilligen; hinsichtlich der ersten Instanz ist in diesem Zusammenhang auch an die fünfwöchige Urteilsabsetzungsfrist zu denken (§ 275 Abs. 1 StPO).
218
Insgesamt wäre daher selbst bei zügiger und zeitangemessener Verfahrensgestaltung von einer rechtsstaatskonformen Gesamtverfahrensdauer von mindestens zwei Jahren und vier Monaten auszugehen.
219
Entsprechend der tatsächlichen Verfahrensdauer von vier Jahren und vier Monaten ist daher eine rechtsstaatswidrige Verzögerung von zwei Jahren anzunehmen.
2. Ursachen dieser Verfahrensverzögerung
220
Diese Verzögerung von zwei Jahren ergibt sich im Wesentlichen daraus, dass eine zeitnähere Terminierung der Kammer aufgrund der Vielzahl von vorrangig zu bearbeitenden Haftsachen nicht möglich war.
221
Der Vorrang von Haftsachen ergibt sich aus dem aus Art. 2 Abs. 2 GG abgeleiteten Beschleunigungsgebot für Haftsachen (vgl. auch Nr. 56 Abs. 2 Satz 2 RiStBV). Demnach sind Verfahren gegen Beschuldigte in Untersuchungshaft grundsätzlich vorrangig zu terminieren. Diese Verfahrensverzögerung war der Sphäre der Strafverfolgungsbehörden zuzurechnen (BGH, Beschluss vom 12.01.2022 – 6 StR 590/21). Der Angeklagte befand sich seit 13.11.2018 nicht mehr in Untersuchungshaft. Damit waren Verfahren mit inhaftierten Beschuldigten grundsätzlich gegenüber diesem Verfahren vorrangig.
3. Kompensation
222
Aufgrund dieser rechtsstaatswidrigen Verzögerung sind drei Monate der gegen den Angeklagten verhängten Freiheitsstrafe als vollstreckt anzusehen.
223
Art und Höhe der Kompensation sind an der Intensität der Beeinträchtigung des subjektiven Rechts des Betroffenen aus Art. 6 Abs. 1 EMRK auszurichten. Dabei sind die Umstände des Einzelfalls, wie der Umfang der staatlich zu verantwortenden Verzögerung, das Maß des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane sowie die Auswirkungen all dessen auf den Angeklagten entscheidend (BGH – Großer Senat, Beschluss vom 17.01.2008 – GSSt 1/07; BGH, Beschluss vom 16.04.2015 – 2 StR 48/15; BGH, Urteil vom 12.02.2014 2 StR 308/13 Rn. 30 ff.). In den Blick zu nehmen ist, dass die Verfahrensdauer als solche sowie die damit verbundenen Belastungen des Angeklagten bereits strafmildernd im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt wurden. Folglich zielt die Kompensation nur mehr auf einen Ausgleich gerade der rechtsstaatswidrigen Verursachung der Verzögerung ab (BGH, Beschluss vom 16.04.2015 – 2 StR 48/15 Rn. 12 ff.).
224
In der Regel ist eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung schon durch ihre bloße Feststellung ausgeglichen (BGH, Urteil vom 11.08.2016 – 1 StR 196/16). Einer weitergehenden Kompensation als derjenigen, dass die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung festgestellt wird, bedarf es nicht, wenn der Angeklagte während der Verfahrensverzögerung nicht inhaftiert und auch sonst eine besondere Belastung nicht erkennbar ist (BGH, Beschluss vom 05.08.2009 – 1 StR 363/09; BGH, Beschluss vom 16.04.2015 – 2 StR 48/15 Rn. 12 ff.). Lediglich in schwerwiegenden Fällen ist zum Ausgleich erforderlich, dass ein – allerdings eher „geringer“ (so BGH, Beschluss vom 26.05.2021 – 2 StR 80/21) – Bruchteil der Strafe für vollstreckt erklärt wird.
225
Bei der konkreten Bemessung der Kompensation behielt die Kammer im Blick, dass die Verzögerung mit zwei Jahren einen im Verhältnis zur gesamten Verfahrensdauer langen Zeitraum umfasste. Die entsprechende Unsicherheit stellte eine hohe Belastung für den Angeklagten dar, der in diesem Zeitraum aufgrund der Tatvorwürfe mehrfache Festnahmen, den Verlust seines Arbeitsplatzes, das Scheitern seiner Ehe und den Kontaktabbruch seitens seiner Geschwister erleiden musste. Schließlich war in diesem Zusammenhang zu sehen, dass eine Verurteilung nicht wie angeklagt wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern, sondern nur wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern ergangen ist.
226
In der Gesamtschau ist daher ein Zeitraum von drei Monaten der gegen den Angeklagten verhängten Freiheitsstrafe als vollstreckt anzusehen.
G. Keine Maßregeln der Sicherung und Besserung
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Maßregeln der Besserung und Sicherung waren gegen den Angeklagten daneben nicht anzuordnen.
228
Für die Unterbringung des Angeklagten in eine Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB ergab sich schon kein Anhalt. Anzeichen für einen „Hang“ im Sinne von § 64 StGB des Angeklagten, Rauschmittel im Übermaß zu konsumieren, waren für die Kammer nicht ersichtlich.
229
Auch die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB kam nicht in Betracht. Einschränkungen an der Schuldfähigkeit des Angeklagten bei der Tatbegehung waren nicht ersichtlich.
H. Freispruch im Übrigen
230
Im Übrigen war der Angeklagte freizusprechen vom Vorwurf des Besitzes kinderpornographischer Schriften in Tateinheit mit Besitz jugendpornographischer Schriften.
I. Tatvorwurf
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Die Staatsanwaltschaft legte dem Angeklagten mit Anklageschrift vom 07.11.2018 folgenden Sachverhalt zur Last:
232
Am 07.07.2018 befanden sich auf der Festplatte des Rechners „MidiTower Custom“ in der Wohnung des Angeklagten in der H1. straße 7 in 9… M1., insgesamt 263 vom Angeklagten wissentlich und willentlich gespeicherte unterschiedliche kinderpornographische Bilddateien, die sexuelle Handlungen an bzw. von Kindern zeigen. Ferner befanden sich auf dem Rechner „MidiTower Custom“ 13 vom Angeklagten wissentlich und willentlich gespeicherte jugendpornographische Bilddateien, die sexuelle Handlungen an bzw. von Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 17 Jahren zeigen.
233
Die Dateien haben die Vornahme sexueller Handlungen von und an Kindern bzw. Jugendlichen zum Gegenstand. Sie zeigen den Vollzug des Anal-, Oral- oder Vaginalverkehrs an Personen im Alter ab etwa 4 Jahren. Bei den Bilddateien handelt es sich überwiegend um die Aufnahmen von Mädchen im Vorschul- oder Grundschulalter dieser kinderpornographischen Bilddateien sowie 8 dieser jugendpornographischen Bilddateien befanden sich im „Browser-Cache“ der PCAnwendung „G. Ch.“ des Windows-Benutzers „S.“. Hierbei werden die Bilder, die im Internet aufgerufen werden, wissentlich und willentlich als temporäre Dateien abgelegt. Alle Bilder stammen dabei aus einer Internetsitzung am Rechner „MidiTower-Custom“, die am 07.07.2018 zwischen 01.12 Uhr und 01:50 Uhr stattfand. Im Laufe der 38-minütigen Internetsitzung wurden hunderte pornographische Webseiten vom Angeschuldigten aufgerufen und dabei mehr als 3.000 Bilddateien in dem temporären Ablageordner der Browser-Anwendung „Google-Chrome“ wissentlich und willentlich gespeichert.
234
Die Staatsanwaltschaft bewertete dies in rechtlicher Hinsicht als Besitz kinderpornographischer Schriften in Tateinheit mit Besitz jugendpornographischer Schriften gemäß §§ 184b Abs. 3, Abs. 6, 184c Abs. 3, Abs. 6 StGB.
II. Feststellungen zum Freispruch
1. Feststellungen zu gelöschten Bilddateien
235
Ein Teil der auf dem Rechner des Angeklagten aufgefundenen inkriminierten Dateien war zum Zeitpunkt der polizeilichen Beschlagnahme bereits gelöscht. Hinsichtlich der gelöschten Bilddateien konnten keine weiteren konkreten für eine Verurteilung erforderlichen Feststellungen getroffen werden.
236
Wie der IT-Sachverständige in der Hauptverhandlung ausführte, fanden sich auf dem vom Angeklagten genutzten Rechner „MidiTower Custom“ eine Reihe von kinder- und jugendpornographischen Bilddateien, die bei Beschlagnahme des Rechners bereits gelöscht waren. Zu diesen gelöschten kinder- und jugendpornografischen Dateien konnte der Sachverständige keinerlei weiteren Angaben machen. Insbesondere war ihm eine eindeutige Aussage zur Herkunft der Bilder – wann, auf welche Weise und von wem diese Bilder heruntergeladen wurden – nicht möglich.
237
Insoweit kam folglich keine Verurteilung in Betracht.
2. Feststellungen zu Bilddateien im Browser-Cache
238
Hinsichtlich der Bilddateien im Browser-Cache des Angeklagten konnte sich die Kammer keine sichere Überzeugung dafür bilden, dass der Angeklagte bewusst nach kinderpornographischem Material gesucht hat oder dieses zumindest bewusst wahrgenommen hat.
239
Laut dem IT-Sachverständigen H2. befanden sich im Ablageverzeichnis der Browseranwendung „Google Chrome“ 254 kinderpornographische und acht jugendpornographische Bilddateien, die aus der Internetsitzung vom 07.07.2018 stammten. Dazu machte der Sachverständige in der Hauptverhandlung folgende Ausführungen: Die inkriminierten Dateien waren demnach im Ordner „Users\s.\AppData\L.G.\Chrome\UserDatafaultCache“. Bei diesem Verzeichnis handele es sich um den Standard-Speicherort der Browseranwendung „G. Ch.“ für temporäre Dateien (Browser-Cache) des Windows-Benutzers „S.“. Beim Aufruf von Webseiten würden moderne Browseranwendungen die heruntergeladenen Dateien automatisch in entsprechenden temporären Ablageverzeichnissen speichern (sog. Browser-Cache), um sie bei erneutem Aufruf nicht nochmals herunterladen zu müssen. Dies diene dem beschleunigten Aufruf von mehrmals besuchten Webseiten.
240
Dabei konnte dahinstehen, ob dem Angeklagten dieser Umstand technisch bewusst war. Jedenfalls sprachen aus Sicht der Kammer die Gesamtschau der be- und entlastenden Umstände gegen ein bewusstes Suchen bzw. ein bewusstes Wahrnehmen des Angeklagten von kinderpornographischen Inhalten.
a) Belastende Umstände
241
Die Kammer übersieht dabei nicht, dass es eher ungewöhnlich erschiene, dass der Angeklagte 254 Bilddateien vollständig übersehen konnte. Nach Einschätzung des Sachverständigen stehe diese Menge an kinderpornographischen Dateien auch in einem auffälligen Verhältnis zur Menge der konsumierten Erwachsenenpornographie.
b) Entlastende Umstände
242
In der Gesamtschau sprachen jedoch mehrere gewichtige Aspekte gegen ein bewusstes Wahrnehmen der kinder- und jugendpornographischen Inhalte:
243
So fand der Sachverständige H2. keine eindeutigen einschlägigen Suchbegriffe, die auf eine gezielte Suche nach Kinderpornographie hindeuten könnten.
244
Wie der IT-Sachverständige in der Hauptverhandlung weiter ausführte, wurde die letzte Internetseite um 01:36 Uhr aufgerufen. Dabei ist zu sehen, dass der Angeklagte innerhalb von 24 Minuten (zwischen 01:12 Uhr und 01:36 Uhr) insgesamt 719 Webseiten aufrief; dies entspricht rund 30 Webseiten pro Minute. Daraus errechnet sich eine durchschnittliche Betrachtungszeit pro Webseite von circa zwei Sekunden. Außerdem wurden im selben Zeitraum von 24 Minuten (zwischen 01:12 Uhr und 01:36 Uhr) insgesamt 1.700 Bilddateien im Browser-Cache gespeichert (davon 254 kinderpornographische, 8 jugendpornographische und 1.337 erwachsenenpornographische Bilder sowie 101 Kinderaufnahmen, die nicht als pornographisch zu werten waren). Dies ergibt eine durchschnittliche Betrachtungszeit von rund 0,85 Sekunden pro Bilddatei. Unter diesen Voraussetzungen ist von einem wahllosen Durchklicken der Webseitenangebote auszugehen. Von einem bewussten Wahrnehmen in Bezug auf einzelne Bilddateien konnte die Kammer nicht sicher ausgehen.
245
Schließlich werden bei moderne Webseiten laut Sachverständigem die darin enthaltenen Bilddateien erst heruntergeladen, wenn der User z.B. durch Herunterscrollen tatsächlich zur jeweiligen Bilddatei gelangt. In diesem Fall lasse der Umstand, dass die Bilddatei im Browser-Cache abgespeichert ist, den Schluss zu, dass der User die Bilddatei tatsächlich auf seinem Bildschirm wahrnehmen konnte. Bei älteren Webseiten sei dies hingegen nicht der Fall: Bei diesen werden sofort mit Aufruf der Webseite sämtliche dort enthaltenen Bilddateien heruntergeladen unabhängig davon, ob sie der User z.B. durch entsprechendes Herunterscrollen überhaupt auf seinem Bildschirm wahrnehmen konnte.
246
Bei welchen der vom Angeklagten aufgerufenen Webseiten dies der Fall war, konnte der Sachverständige nicht mit Sicherheit ermitteln.
247
Im Ergebnis war daher nicht feststellbar, dass der Angeklagte bewusst nach kinder- und jugendpornographischen Inhalten gesucht hat bzw. diese bewusst wahrgenommen hat.
J. Entscheidung der Berufungskammer und Kosten
248
Das Urteil des Amtsgerichts Ingolstadt war aufzuheben. Das Amtsgericht hat den Angeklagten in erster Instanz wegen aller Anklagepunkte freigesprochen. Führt die Berufungshauptverhandlung zu dem Ergebnis, dass die Sache ganz oder teilweise anders zu entscheiden ist, hat das Berufungsgericht nach § 328 Abs. 1 StPO unter Aufhebung des Ersturteils eine neue Sachentscheidung mit entsprechender Urteilsformel zu treffen.
249
Gemäß §§ 464 Abs. 1, 465 Abs. 1, 472 Abs. 1 StPO hat der Angeklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen, soweit er verurteilt wurde. Soweit er freigesprochen wurde, fallen die Kosten der Staatskasse zur Last.
250
Die notwendigen Auslagen der Nebenklage hat der Angeklagte voll zu tragen, da der Angeklagte in Bezug auf eine Tat verurteilte wurde, auf die sich die Nebenklage bezog, § 472 Abs. 1 StPO.
251
Die Kosten des zurückgenommenen Adhäsionsantrags waren gemäß § 472a Abs. 2 StPO nach billigem Ermessen der Nebenklägerin aufzuerlegen. Hat der Verletzte den Adhäsionsantrag zurückgenommen, kommt regelmäßig eines Belastung des Angeklagten mit den angefallenen Auslagen in entsprechender Anwendung von § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO nicht in Betracht (vgl. BeckOK StPO/Weiner, 45. Aufl. 01.10.2022, § 472a Rn. 2).