Inhalt

LG München II, Urteil v. 16.11.2022 – 8 Ns 4 Js 47777/21
Titel:

Vorlage des Falsifikates einer COVID-19-Schutzimpfung in einer Apotheke als Urkundenfälschung 

Normenkette:
StGB § 267
Leitsatz:
Die Vorlage eines Impfpasses, in dem ein Falsifikat einer Schutzimpfung  gegen COVID-19 eingetragen ist, in einer Apotheke zum Erhalt des digitalen Impfnachweises kann eine Urkundenfälschung darstellen (Ergänzung zu BayObLG BeckRS 2023, 13344). (Rn. 11 – 12 und 17 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
COVID-19, Impfpass, Impfnachweis, Fälschung, Urkundenfälschung, Apotheke
Fundstelle:
BeckRS 2022, 48514

Tenor

I. Die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Miesbach vom 28.04.2022 wird als unbegründet verworfen
II. Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, einschließlich die seiner Berufung.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang
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Am 11.02.2022 erließ das Amtsgericht Miesbach einen Strafbefehl gegen den Angeklagten wegen Urkundenfälschung in 4 tateinheitlichen Fällen gemäß § 267 Abs. 1 StGB, der eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 50 € vorsah.
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Hiergegen legte der Angeklagte über seinen Verteidiger mit Schriftsatz vom 24.02.2022 Einspruch ein, der am gleichen Tag einging. Im darauf bestimmten Hauptverhandlungstermin vor dem Amtsgericht Miesbach vom 28.04.2022 wurde der Angeklagte der Urkundenfälschung in 4 tateinheitlichen Fällen schuldig gesprochen und zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 25 € verurteilt.
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Gegen dieses Urteil legte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 05.05.2022 Berufung ein, eingegangen am gleichen Tag.
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Die zulässige Berufung blieb in der Sache ohne Erfolg.
II. Persönliche Verhältnisse
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Der Angeklagte ist in Polen geboren und aufgewachsen. Er ist sowohl deutscher als auch polnischer Staatsangehöriger. Nach der Berufsschule machte er in Polen eine Ausbildung zum Maler und arbeitete dann in diesem Beruf in einem Meisterbetrieb. Vor 27 Jahren fing er an, in Deutschland zu arbeiten, während seine Familie in Polen verblieb. Seine Ehefrau ist nicht berufstätig und wohnt zusammen mit den beiden nunmehr erwachsenen Kindern. Der Sohn des Angeklagten ist 24 Jahre alt und studiert an der Universität, seine 21-jährige Tochter befindet sich in Ausbildung.
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Der Angeklagte verdient als angestellter Maler 1927 € netto. Der Angeklagte unterhält eine Wohnung in Berlin, weil er ursprünglich von einer Leiharbeitsfirma von Berlin aus in den Münchner Raum geschickt wurde. Überwiegend schläft der Angeklagte jedoch in einer Wohnung in Bad Wiessee, die ihm von seinem Arbeitgeber gestellt wird. Er hat lediglich die Betriebskosten zu bezahlen. In Berlin befindet sich der Angeklagte kurzzeitig etwa alle 3 Monate. Die Wohnung dort gibt er nicht auf, weil er dorthin mittelfristig wieder zurück möchte, um näher an seiner Familie zu sein. Für die Miete in Berlin bringt er 400-450 € auf. Beide, sich in Ausbildung bzw. Studium befindliche Kinder unterstützt der Angeklagte mit insgesamt ca. 400 € monatlich. Seine Familie in Polen besucht der Angeklagte etwa alle 6 Wochen.
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Die Familie des Angeklagten bewohnt in Polen ein von ihm selbst gebautes Haus, was schuldenfrei ist. Auch im Übrigen hat der Angeklagte keine Schulden.
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Am 14.04.2021 wurde der Angeklagte auf Corona positiv getestet. Er bekam starkes Fieber und die Sauerstoffsättigung in seinem Blut nahm ab, sodass er Ende April 2021 mit dem Krankenwagen in das Klinikum … eingeliefert wurde. Von dort wurde er zunächst in das Krankenhaus nach … und dann nach … verlegt, wo er am 25.05.2021 aus einem mehrwöchigen künstlichen Koma erwachte. Von dort wurde der Angeklagte wieder nach … verlegt. Am 30.07.2021 begab er sich in eine stationäre Rehamaßnahme für die Dauer von 4 Wochen. Im Anschluss war er wieder zu Hause.
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Seine Atmung und seine Muskulatur haben sich noch nicht vollends erholt. Abgesehen hiervon ist der Angeklagte bis auf 3 Operationen wegen Leistenbruchs gesund.
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Der Angeklagte ist nicht vorgeahndet.
III. Sachverhalt zur Tat
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Am 30.11.2021 überreichte der Angeklagte gegen 9:30 Uhr in der … Apotheke, …, Rottach-Egern, der Apothekerin … vier gelbe Impfpässe, die auf ihn und seine drei Familienmitglieder ausgestellt waren. Die Impfpässe wiesen unter der Rubrik „Schutzimpfung gegen COVID-19“ Aufkleber mit dem Hinweis auf den Impfstoff Comirnaty und Chargennummern auf. Hinsichtlich der angeblich am 01.10.2021 verabreichten Erstimpfung war die Chargennummer … auf dem Aufkleber zu sehen, hinsichtlich der angeblich am 10.09.2021 verimpften Zweitimpfung die Chargennummer …. Verabreichender Arzt und Aussteller der Bescheinigung über die Impfung war laut der Eintragung „…“ in Remscheid.
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Wie der Angeklagte wusste, handelte es sich bei den vorgezeigten Impfausweisen um Falsifikate, welche er sich zuvor auf nicht näher feststellbare Weise verschafft hatte. Tatsächlich hatten weder der Angeklagte noch seine Familienmitglieder die bescheinigten Impfungen erhalten. Hiermit wollte der Angeklagte die Apothekerin … über das Vorliegen der Voraussetzungen für den Erhalt der digitalen Impfnachweise täuschen.
IV. Beweiswürdigung
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1. Die Feststellungen unter II. beruhen auf den eigenen glaubhaften Einlassungen des Angeklagten, die durch Arztberichte bestätigt wurden, sowie der Auskunft aus dem Bundeszentralregister.
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2. Die Feststellungen unter III. beruhen auf dem glaubhaften Geständnis des Angeklagten. Der Angeklagte hat erklärt, der von dem Amtsgericht Miesbach festgestellte Sachverhalt sei richtig. Er habe so gehandelt, um seine Familie vor Schaden zu bewahren, da er während seiner langen Rekonvaleszenz viel Zeit gehabt und gelesen habe, dass es in Schlesien nach Impfungen gegen Covid-19 zu vielen Todesfällen gekommen sei. Normalerweise dauere die Entwicklung von Impfstoffen mehrere Jahre, so dass er kein Vertrauen in den Impfstoff gehabt habe. Weitere Angaben zu seiner Motivation, einen digitalen Impfausweis zu erhalten zu wollen, machte der Angeklagte nicht.
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Das Geständnis des Angeklagten ist glaubhaft und wurde durch die Verlesung des „ChargenCheckers“ in Zusammenschau mit den Impfpässen bestätigt. Die Impfpässe waren jeweils auf den Angeklagten und seine engsten Familienangehörigen ausgestellt und enthielten lediglich die vorgebliche, in Remscheid von einem … verabreichte Impfung.
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Die Ängste des Angeklagten gegenüber dem Impfstoff hat auch der Hausarzt des Angeklagten in seiner ärztlichen Stellungnahme vom 30.03.2022 bestätigt.
V. Rechtliche Würdigung
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Der Angeklagte hat sich damit der Urkundenfälschung in vier tateinheitlichen Fällen schuldig gemacht gem. §§ 267 Abs. 1 3. Alt., 52 StGB. Auf die durch den BGH am 10.11.2022 entschiedenen Frage, ob die §§ 277-279 StGB gegenüber § 267 StGB speziell sind, kam es vorliegend nicht an, da der Angeklagte zu einem Zeitpunkt handelte, als bereits die neue Gesetzesfassung in Kraft getreten war, und diese der Vorschrift des § 267 StGB den Vorrang einräumen.
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Dem vollständig ausgefüllten Impfpass ist die zum Beweis geeignete und bestimmte Gedankenerklärung zu entnehmen, dass der Angeklagte als die im Impfpass bezeichnete Person zu den genannten Zeitpunkten jeweils mit einem Impfstoff einer bestimmten Charge geimpft worden ist. Scheinbarer Aussteller der im Impfpass dokumentierten Impfungen war hier angeblich …, Remscheid. Der Angeklagte hat von dieser unechten Urkunde Gebrauch gemacht, als er sie in der Apotheke vorlegte, um einen digitalen Impfnachweis zu erhalten.
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Der Angeklagte handelte vorsätzlich, denn er wusste, dass weder er noch seine Familienangehörigen gegen Covid-19 geimpft worden waren. Der Vorsatz des Angeklagten war auch nicht durch einen etwaigen Erlaubnistatbestandsirrtum ausgeschlossen. Einem Erlaubnistatbestandsirrtum unterliegt, wer irrig Umstände annimmt, die, lägen sie vor, einen rechtlich anerkannten Rechtfertigungsgrund erfüllen würden. Ein solcher Irrtum lag jedoch nicht vor, denn es stand dem Angeklagten frei, sich nicht impfen zu lassen; eine Impfpflicht bestand zu keiner Zeit. Ohne Impfung war der Angeklagte lediglich gehindert, in vollem Umfang am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Ein Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes schied deshalb aus.
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Mangels einer Impfpflicht kommt auch von vornherein kein rechtfertigender Notstand gemäß § 34 StGB in Betracht.
VI. Strafzumessung
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Bei der Bemessung der Strafe hat die Kammer den Strafrahmen des § 267 Abs. 1 StGB zugrunde gelegt, der von Geldstrafe bis zu Freiheitsstrafe von 5 Jahren reicht.
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Innerhalb dieses Strafrahmens hat die Kammer zugunsten des Angeklagten sein Geständnis und sein strafloses Vorleben berücksichtigt. Die Kammer hat auch gesehen, dass der Angeklagte stark unter seiner Corona-Erkrankung gelitten hat und er hierdurch beeindruckt handelte, um Schaden von sich und seiner Familie abzuhalten. Dabei hat die Kammer jedoch insoweit auch berücksichtigt, dass ein digitales Impfzertifikat zum Schutz seiner Familie untunlich gewesen wäre, denn es hätte gerade dazu geführt, dass der Angeklagte und seine Familie ohne größere Einschränkungen am gesellschaftlichen Leben teil hätten haben können, ohne durch eine Impfung geschützt zu sein.
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Strafschärfend hat die Kammer die tateinheitliche Begehungsweise berücksichtigt, da hierdurch die Möglichkeit bestanden hätte, dass andere, die sich auf die Richtigkeit der bescheinigten Impfung und die digitalen Zertifikate verlassen, unnötig gefährdet würden und diese Gefahr von vier verschiedenen Personen ausgegangen wäre.
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Nach Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte waren deshalb 120 Tagessätze tat- und schuldangemessen. Die Tagessatzhöhe war entsprechend der wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten mit 25 € festzusetzen.
VII. Kosten
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.