Titel:
Erfolglose Klage auf Erteilung einer bauaufsichtlichen Erlaubnis zur Nutzungsänderung des Erdgeschosses eines Wohn- und Geschäftshauses in eine Wettannahmestelle
Normenketten:
BayBO Art. 6, Art. 59 S. 1 Nr. 1 b, Art. 64, Art. 65 Abs. 2
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1
BauVorlV § 1 Abs. 1 § 3, § 7
Leitsatz:
Ein Bauantrag muss bestimmt und eindeutig sein. Zur Auslegung des Inhalts können die Bauvorlagen herangezogen werden. Der Antrag muss so klar sein, dass auf ihn ein verständlicher, inhaltlich genau abgegrenzter, eindeutig bestimmter Verwaltungsakt ergehen kann, der Umfang und Bindung der Baugenehmigung regelt. Maßgebend ist der erklärte Wille, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unvollständige Bauvorlagen, unvollständige Bauvorlagen, Bauantragsformular, Auslegung des Bauantrages, nicht nur nachrichtliche Darstellung, einheitliches Vorhaben, Abstandsfläche
Fundstelle:
BeckRS 2022, 48430
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Klägerin begehrt die Erteilung einer bauaufsichtlichen Erlaubnis zur Nutzungsänderung des Erdgeschosses des Anwesens T … Straße 278, Fl.Nr. 276/0, Gem. … Die vorgenannte Fl.Nr. 276/0 ist gegenwärtig straßenseitig mit zwei Hauptgebäuden bebaut (T… Straße 276 und T… Straße 278).
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Mit Baugenehmigung vom 12. Mai 1971 (PlanNr. …70) und Tekturgenehmigung vom 25. November 1971 (PlanNr. …71) wurde auf dem vorgenannten Anwesen der Bau eines Wohn- und Geschäftshauses genehmigt. Vorgesehen war die Errichtung eines Baukörpers (E+I+D) mit einer Grundfläche von 26 m × 11,50 m unter Abbruch der sich auf dem Grundstück befindenden Bestandsgebäude, insbesondere des im Nordwesten des Grundstücks situierten Hauptgebäudes (heute: T… Straße 276). Der Baukörper war unterteilt in einen 1. und einen 2. Bauabschnitt, wobei der 1. Bauabschnitt eine Länge von 19,50 m und der 2. Bauabschnitt eine Länge von 10,50 m haben sollte. Im Erdgeschoss des 1. Bauabschnitts war eine Ladennutzung (120 m²) mit Büroeinheit (12 m²) vorgesehen, ferner sahen die genehmigten Pläne eine grenzständige Garage an der Westseite des Hauptbaukörpers vor (40 m², zwei Stellplätze). Mit Schreiben vom 13. Dezember 1972 teilte der damalige Bauherr der Beklagten mit, dass der 2. Bauabschnitt aus finanziellen Gründen nicht in Angriff genommen werden könne. In den in den Behördenakten befindlichen genehmigten Plänen ( …70 und …71) ist der mit „2. Bauabschnitt“ bezeichnete Gebäudeteil zum Teil mit Bleistift durchgestrichen.
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Das anschließend errichtete, in den Plänen mit „1. Bauabschnitt“ bezeichnete Gebäude trägt die Anschrift T… Str. 278, das in der Baugenehmigung vom 16. November 1971 (…71) mit „Abbruch Altbau“ bezeichnete Gebäude, welches dort belassen worden war, wo der 2. Bauabschnitt hätte realisiert werden sollen, die Anschrift T… Straße 276. Der Abstand zwischen den Gebäuden beträgt in etwa 3 m (abgegriffen).
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Das Grundstück liegt im Geltungsbereich eines einfachen, übergeleiteten Baulinienplans, welcher entlang der T… Straße in einem Abstand von ca. 5 m zur Straßenbegrenzungslinie eine Baugrenze unter Freihaltung eines Vorgartenbereichs festgesetzt. Die Hauptgebäude sind auf der Baugrenze errichtet.
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Mit Bauantrag vom 28. Mai 2020 (Eingangsdatum) nach PlanNr. …13 beantragte die Klägerin die Erteilung einer Nutzungsänderung für das Erdgeschoss im Anwesen T… Straße 278. Der Bauantrag bezeichnet das Vorhaben als „Antrag auf Nutzungsänderung in eine Wettannahmestelle im Teilbereich der früheren Geschäftsräume der W … H… im Erdgeschoss, rechter Bauteil“. In den zur Genehmigung gestellten Plänen ist das gesamte Erdgeschoss der T… Straße 278 dargestellt. In dem 1971 als „Garage“ genehmigten Anbau findet sich die Bezeichnung „W… T… H…, 39,37 m²“. Die genehmigte Ladeneinheit wurde unter Auflösung des Büros und Darstellung einer Zwischenwand in zwei Einheiten aufgeteilt. Die Einheit auf der Ostseite wurde als „Wettannahmestelle – 28,33 m²“ bezeichnet („… …“), die nicht mit einer Flächenangabe versehene Einheit auf der Westseite mit „Fläche untervermietet an: H… B. D., P…, Café T…, E…straße 28, … …“. Weiterhin finden sich in der Plandarstellung fünf Stellplätze (bezeichnet mit „Nrn. 9-13“) und mehrere Fahrradabstellplätze vor dem Hauptgebäude im Vorgartenbereich (vor der Baugrenze) sowie der Vermerk „Hof 7 Parkplätze“. Den Bauvorlagen beigefügt war ein Stellplatznachweis, wonach die „Garagen und Carports“ („Nrn. 1-4“) für die Wohnnutzung (Bestand Obergeschosse) benötigt würden. Für die Wettannahmestelle sei ein Stellplatz erforderlich, ebenso für die „Möbelboutique T… H…“. Vorgesehen seien hierfür die Stellplätze im Innenhof („Nrn. 5-8“) und auf dem Vorplatz („Nrn. 9-14“). Ferner wurde eine Betriebsbeschreibung vorgelegt, wonach keine Live-Wetten möglich seien.
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Mit Bescheid vom 14. Oktober 2020, der Klägerin zugestellt am 16. Oktober 2020, lehnte die Beklagte die begehrte Nutzungsänderung ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Antrag diverse formelle Mängel enthalte (1.). In dem Erdgeschoss-Grundriss sei nur die Wettannahmestelle dargestellt. Für den größeren Teil werde keine Nutzung angegeben (a.). Gebäudeklasse und Gebäudehöhe seien unzutreffend (b.). Eine Fahrradstellplatzberechnung fehle (c.), die Angaben in der Schnittzeichnung seien teilweise nicht lesbar (d.), die Unterschriften des Antragstellers im Antragsformular und auf dem Plan seien kopiert (e.), die Angaben zu den Nachbarn seien unvollständig (f.), es sei kein Freiflächengestaltungsplan vorgelegt worden (g.) und weder in der Vorhabensbezeichnung noch der Betriebsbeschreibung werde die Nutzungsänderung der bisher genehmigten Grenzgarage in die dargestellte „W… T… H…“ aufgeführt (h). Überdies verstoße die beantragte Nutzungsänderung gegen diverse Baurechtsvorschriften (2.). Es könne davon ausgegangen werden, dass es sich bei der sogenannten „Wettannahmestelle“ um eine wettbüroartige Vergnügungsstätte handele. Diese sei in dem vorhandenen Mischgebiet nicht allgemein zulässig. Eine Ausnahme könne nicht erteilt werden. Das bisher als Garage genehmigte Grenzgebäude halte die Abstandsflächen nicht ein (a). Die erforderlichen Stellplätze könnten nicht nachgewiesen werden. Die laut Baugenehmigung von 1971 in der Grenzgarage nachzuweisenden zwei Stellplätze stünden aufgrund der W… nicht mehr zur Verfügung. Die vor dem Gebäude dargestellten Stellplätze überschritten die Baugrenze und widersprächen § 30 Abs. 3 BauGB. Für die weiteren im Hof genannten Parkplätze fehle ein Nachweis, das gleiche gelte für die in der Stellplatzberechnung genannten vorhandenen Garagen und Carports, welche bisher nicht Bestandteil einer Genehmigung waren (b.). Das Vorhaben sei nicht barrierefrei (c.). Das grenzständige Gebäude mit der „W… T … H…“ widerspreche der im Quartier vorherrschenden offenen Bauweise (d.).
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Mit Schriftsatz vom … November 2020, bei Gericht eingegangen am selben Tag, erhob die Klägerin Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragt,
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Die Beklagte wird unter Aufhebung des ablehnenden Bescheids vom 14.10.2020, Aktenzeichen: …, verpflichtet, der Klägerin entsprechend dem Antrag vom 28.5.2020 die Baugenehmigung für das Bauvorhaben T… Straße 278, Fl.Nr. 276/0, Gem. … zu erteilen,
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hilfsweise den Antrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Bescheid rechtswidrig sei, soweit die Ablehnung auf formelle Mängel des Antrags gestützt werde. Das Vorgehen der Beklagten kollidiere mit Art. 65 Abs. 2 BayBO. Seitens der Beklagten wäre eine Mängelanzeige mit Behebungsfrist vorzunehmen gewesen. Soweit die Mängelrügen in der Sache zutreffen sollten, wäre daher vorliegend nach den Grundsätzen des „steckengebliebenen Verfahrens“ zu urteilen. Die Versagung wäre zu kassieren und das Verwaltungsverfahren betreffend das beantragte Vorhaben wieder aufzunehmen und unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden. Ohnehin sei die Versagung wegen des Anhörungsmangels zu kassieren und das Verwaltungsverfahren zumindest wieder aufzunehmen. Die Anhörungspflicht ergebe sich vorliegend nicht nur nach Art. 28 BayVwVfG, sondern auch aus dem Europarecht. Mit der Versagung sei die Rechtsposition der Klägerin als Inhaberin einer Wettvermittlungsstelle unmittelbar betroffen. Soweit die Beklagte die Ablehnung des Bauantrags auf materiellrechtliche Gründe stütze, sei der Bescheid ebenfalls rechtswidrig. Ausgehend von der Betriebsbeschreibung werde kein Wettbüro als Vergnügungsstätte beantragt. Der Umgriff der T… Straße 278 stelle sich als kerngebietstypisch dar, sodass dahinstehen könne, ob der Betrieb als kleine nicht kerngebietstypischen Vergnügungsstätte oder aber als sonstiger, nicht störender Gewerbebetrieb einzuordnen sei. Die „W … T … H …“ stelle lediglich das Nachbarvorhaben dar, das in Rede stehende Vorhaben sei unabhängig davon zu beurteilen und genehmigungsfähig. Es entstehe kein neuer Stellplatzbedarf, da der Ladenflächenteil lediglich einem neuen Sortimentangebot zugeführt werde. Die Besucher der Wettannahmestelle kämen zudem zu Fuß. Der Zugangsbereich sei barrierefrei. Am baulichen Bestandskörper würden überdies keine Änderungen vorgenommen. Ferner widerspreche das Vorhaben nicht „der offenen Bauweise“. Es sei unklar, wo das Gebäude grenzständig sein solle. Die Beklagte hätte ferner zunächst im Wege der Anhörung vorgehen müssen, die Klägerin hätte hier gegebenenfalls Anpassungen vornehmen oder in anderer Weise auf die Vorhaltungen reagieren können.
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Die Beklagte beantragt,
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Zur Begründung verweist sie auf die Ausführungen in der angefochtenen Verfügung.
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Mit Beschluss vom 7. April 2022 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Mit weiterem Schriftsatz vom … April 2022 erklärte die Klägerin ihr Einverständnis zu einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung. Die Beklagte verzichtete mit Schreiben vom 1. Juni 2022 ebenfalls auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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I. Gemäß § 101 Abs. 2 VwGO konnte über die Klage ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten ihr Einverständnis erklärt haben.
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II. Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin hat zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Ebenso wenig hat sie einen Anspruch auf Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO.
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1. Gegen die vollständige oder teilweise Versagung der Baugenehmigung kann der Bauherr gerichtlich mit der Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage vorgehen (vgl. § 42 Abs. 1, Alt. 2 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat den Streitfall bei der Entscheidung über eine Verpflichtungsklage grundsätzlich spruchreif zu machen (vgl. Bamberger in: Wysk, Verwaltungsgerichtsordnung, 3. Auflage 2020, Rn. 99). Dabei bedeutet „Spruchreife“, dass das Gericht aufgrund der von ihm getroffenen Feststellungen und Überlegungen eine abschließende Entscheidung über das Klagebegehren, mithin den geltend gemachten Anspruch, treffen kann (Decker in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand: Januar 2022, Art. 68 Rn. 594).
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Die Verpflichtungsklage i.S.d. § 42 Abs. 1, 2. Alt. VwGO ist begründet, wenn dem jeweiligen Kläger ein seinen Klageantrag deckender Anspruch zusteht. Das ist entscheidend, nicht aber, ob die Beklagte die Ablehnung des Antrages „richtig“ begründet hat. Die ablehnende Entscheidung der Beklagten ist im engeren Sinne überhaupt nicht Gegenstand des Verfahrens (BVerwG, B.v. 29.4.1981 – 8 B 14/81 – juris Rn. 6). Daher kommt es für den Erfolg der hier erhobenen Verpflichtungsklage weder auf die von der Beklagten zur Ablehnung des Bauantrags gegebene Begründung noch auf die Einhaltung von Verfahrensvorschriften bzw. auf einen von der Klägerin behaupteten Anhörungsmangel an.
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1.1. Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz BayBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Erst dann steht dem Bauherrn ein Anspruch auf die Baugenehmigung zu.
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Mit öffentlich-rechtlichen Vorschriften sind sowohl materiell-rechtliche als auch verfahrensrechtliche Vorschriften umfasst. Materiellrechtlich bestimmt sich das Prüfprogramm vorliegend nach Art. 59 BayBO (vereinfachtes Genehmigungsverfahren). Die verfahrensrechtlichen Anforderungen ergeben sich aus der Bayerischen Bauordnung. Zentral ist das Vorliegen eines rechtswirksamen, prüffähigen Bauantrages, Art. 64 Abs. 1 BayBO (vgl. Decker in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand: Januar 2022, Art. 68 Rn. 92).
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1.2. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Bauantrag vom 28. Mai 2020 nach PlanNr. …13. Dieser Bauantrag ist mangelhaft, da er gegen diverse Vorschriften der Bayerischen Bauordnung und der Bauvorlagenverordnung verstößt, Art. 64 Abs. 2 Satz 1 BayBO i.V.m. Art. 80 Abs. 4 BayBO i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1, § 3, §§ 7 f. BauVorlV. Er ist unbestimmt und nicht prüffähig und kann daher nicht positiv beschieden werden. Nach Aktenlage ist das Bestandsgebäude (T …str. 278) ferner nicht plangemäß ausgeführt, so dass eine Nutzungsänderungsgenehmigung schon deshalb ausscheidet.
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Darüber hinaus verstößt das beantragte Vorhaben gegen die Vorgaben des Abstandsflächenrechts, Art. 59 Satz 1 Nr. 1 b) BayBO i.V.m. Art. 6 BayBO.
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1.3. Mit dem Bauantrag sind alle für die Beurteilung des Bauvorhabens und die Bearbeitung des Bauantrags erforderlichen Unterlagen (Bauvorlagen) einzureichen, Art. 64 Abs. 2 BayBO. Der Bauantrag muss bestimmt und eindeutig sein. Zur Auslegung des Inhalts können die Bauvorlagen herangezogen werden. Der Antrag muss so klar sein, dass auf ihn ein verständlicher, inhaltlich genau abgegrenzter, eindeutig bestimmter Verwaltungsakt ergehen kann, der Umfang und Bindung der Baugenehmigung regelt; maßgebend ist der erklärte Wille, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte (Molodovsky/Famers/Waldmann, Bayerische Bauordnung, 144. EL, Art. 64 Rn. 10). Für die Auslegung des Antrags gilt § 133 BGB entsprechend (vgl. Gaßner/Reuber in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand: Januar 2022, Art. 64 Rn. 13 ff.).
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Gegenstand des Bauantrags ist – dieses berücksichtigend – nicht nur die mit „Wettannahmestelle“ bezeichnete Einheit, sondern das gesamte Erdgeschoss sowie die vor dem Gebäude dargestellten Stellplätze und die mit „Hof 7 Parkplätze“ bezeichneten Stellplätze.
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Zur Auslegung sind neben der im Bauantragsformular gewählten Bezeichnung auch die Bauzeichnungen und die weiteren Bauvorlagen heranzuziehen. Insbesondere aufgrund der gewählten Plandarstellung und der Stellplatzberechnung ist der Bauantrag so auszulegen, dass er die Nutzungsänderung des gesamten Erdgeschosses umfasst. In der Bauzeichnung (§ 3 Nr. 2 i.V.m. § 8 BauVorlV) sind neben der „Wettannahmestelle“ zwei weitere Einheiten dargestellt und mit Nutzungsbezeichnungen – „W… T… H …“ und „Fläche untervermietet an: H… B. D., P…, Café T…, E…straße 28, … …“ – und teilweise Quadratmeterangaben beschrieben. Diese Einheiten sind weder abgestrichen noch mit einem Vermerk – etwa „nicht Gegenstand des Bauantrags“ bzw. „nur nachrichtliche Darstellung“ – versehen. Darüber hinaus wurde in der dem Bauantrag beigefügten Stellplatzberechnung der Bedarf der „W… T … H…“ berechnet und ausgewiesen. Ferner enthält die Plandarstellung fünf Stellplätze sowie mehrere Fahrradabstellplätze vor dem Gebäude (außerhalb des Bauraumes) sowie die Erläuterung „Hof 7 Parkplätze“. Laut Stellplatznachweis sind diese vor dem Gebäude und im Innenhof bereits vorhandenen Stellplätze den beantragten Nutzungen zugeordnet („Nrn. 5-14 für Wettannahmestelle und T … H…“). Da diese Stellplätze bisher nach Aktenlage nicht Gegenstand einer bauaufsichtlichen Genehmigung waren, ist daher davon auszugehen, dass auch sie mit zur Genehmigung gestellt sind.
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Weil es sich um ein einheitliches Vorhaben handelt, kann dieses bauaufsichtlich nur einheitlich beurteilt werden. Den gewählten Bezeichnungen „W … T … H …“ und „Fläche untervermietet an: H… B. D., P …, Café …, E …straße 28, … …“ ist jedoch keine hinreichend bestimmte Nutzung zu entnehmen. Hinsichtlich der sieben Stellplätze im „Hof“ fehlt es darüber hinaus an der entsprechenden Darstellung in der Bauzeichnung. Der vorliegende Bauantrag bietet daher keine ausreichende Entscheidungsgrundlage hinsichtlich der bauaufsichtlichen Prüfung und kein hinreichend bestimmbares Bauvorhaben. Der beigefügte, nur schwer verständliche Stellplatznachweis ist ebenfalls insbesondere aufgrund der Unbestimmtheit der beantragten Nutzungen nicht prüfbar. Daher kann offen bleiben, ob es für die außerhalb des Bauraumes dargestellten Stellplätze zusätzlich eines ausdrücklichen Antrags auf Befreiung bedurft hätte (vgl. Art. 63 Abs. 2 BayBO, aber: BayVGH München, B.v. 2.8.2018 – 15 ZB 18.764 – juris Rn. 16).
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1.4. Das Gebäude „T… Straße 278“ ist nach Aktenlage ferner nicht plangemäß ausgeführt und damit nicht von den Baugenehmigungen vom 12. Mai 1971 und vom 25. November 1971 gedeckt. Vielmehr handelt es sich um einen unselbständigen „1. Bauabschnitt“ eines einheitlich zur Genehmigung gestellten Gesamtvorhabens, das unter anderem den bisher nicht erfolgten Abbruch des Bestandsgebäudes „T… Straße 276“ zum Gegenstand und zur Voraussetzung hatte. Eine Baugenehmigung ist jedoch regelmäßig nicht teilbar, da sie die einheitliche und deshalb grundsätzlich unteilbare Feststellung enthält, dass das im Bauantrag beschriebene und zur Genehmigung gestellte Bauvorhaben in seiner Gesamtheit nicht gegen zu prüfende öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt. Sie stellt mithin, sofern sie sich nicht ausnahmsweise auf mehrere selbständige Bauvorhaben bezieht, keine Zusammenfassung von Einzelbaugenehmigungen für die verschiedenen Bauteile eines Bauvorhabens dar (vgl. Decker in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand: Januar 2022, Art. 68 Rn. 50 m.w.N.). Dass es sich bei den zur Genehmigung gestellten beiden Bauabschnitten um in diesem Sinne selbstständige Bauvorhaben handeln könnte, ist nicht ersichtlich, zumal die beiden Gebäudeteile (Bauabschnitte) jeweils durch innenliegende Verbindungstüren zusammenhängen und der 2. Bauabschnitt durch ein im 1. Bauabschnitt liegendes Treppenhaus erschlossen werden sollte.
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Für Änderungen eines bestehenden Gebäudes, das selbst nicht genehmigt ist, kann kein selbständiger Bauantrag gestellt werden (Gaßner/Reuber in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand: Januar 2022, Art. 64 Rn. 54). Gleiches gilt für eine Nutzungsänderung. Vielmehr bedarf es eines einheitlichen Bauantrags für das Gesamtbauvorhaben, also des Bestands mit Änderungen (Gaßner/Reuber in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand: Januar 2022, Art. 64 Rn. 54).
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1.5. Selbst wenn man dem nicht folgen und das Bestandsgebäude „T … Straße 278“ als bauaufsichtlich genehmigt ansehen wollte, würde eine Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung der Baugenehmigung ferner daran scheitern, dass das Bauvorhaben mit der geänderten Nutzung gegen die Vorschriften des Abstandsflächenrechts verstößt.
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Nicht nur die Neuerrichtung eines Gebäudes löst die Abstandsflächenpflicht aus, sondern auch abstandsflächenrelevante Nutzungsänderungen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn etwa die Privilegierung eines Nebenraums, der als Grenzanbau von der Abstandsflächenpflicht ausgenommen war, aufgrund einer Nutzungsänderung zu einer Hauptnutzung diese abstandsflächenrechtliche Privilegierung verliert (vgl. hierzu: Kraus in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand: Januar 2022, Art. 6 RdNr. 26 ff.).
33
Die Bezeichnung „W… T … H …“ lässt darauf schließen, dass nunmehr eine Hauptnutzung in dem bisher als „Garage“ bezeichneten grenzständigen Anbau vorgesehen ist. Dies führt nach den oben dargestellten Grundsätzen zwingend zu einer abstandsflächenrechtlichen Neubetrachtung des Baukörpers.
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Die erforderlichen Abstandsflächen müssen grundsätzlich auf dem Grundstück selbst liegen, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO. Dies ist bei dem Grenzanbau offensichtlich nicht der Fall. Eine Abstandsfläche ist zwar nicht erforderlich vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder gebaut werden darf, Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO. Da das maßgebliche Gebiet (Geviert T… Straße, B …straße, R…weg, F…straße) – wie die Beklagte zutreffend ausführt – bauplanungsrechtlich offensichtlich von offener Bauweise geprägt ist, greift diese Vorschrift jedoch nicht.
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Die Abstandsflächen dürfen sich ferner nicht überdecken, Art. 6 Abs. 3 BayBO. Bei einem Abstand der auf dem Grundstück Fl.Nr. 276 befindlichen beiden Hauptbaukörper (T … Str. 276 und 278) von lediglich 3 m (abgegriffen) zueinander ist auch ein Verstoß gegen diese Vorschrift offensichtlich. Offen bleiben kann, ob eine Abweichung (Art. 63 BayBO) erteilt werden könnte, da ein entsprechender Antrag fehlt, Art. 63 Abs. 2 Satz 1 BayBO.
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2. Auch eine Neuverbescheidung nach den „Grundsätzen des steckengebliebenen Genehmigungsverfahrens“ kommt nicht in Betracht, da die Sache spruchreif ist. Die Voraussetzungen eines sog. Bescheidungsurteils, § 113 Abs. 5, Satz 2 VwGO, liegen nicht vor.
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Ein Bescheidungsurteil darf nur erlassen werden, wenn – wie insbesondere bei einer Ermessensentscheidung – von der zuständigen Verwaltungsbehörde eine Entscheidungsbildung nachgeholt werden muss und weil infolgedessen ohne diese Entscheidungsbildung die Sache nicht „spruchreif ist“ (BVerwG, B.v. 29.4.1981 – 8 B 14/81 – juris Rn. 6). Nur bei eng umrissenen Ausnahmen, etwa bei Ermessens- oder Beurteilungsspielräumen der Verwaltung, ferner, wenn eine bestimmte sachliche Prüfung besonderen Behörden übertragen ist, wenn es zur abschließenden Aufklärung einer mit den erforderlichen Mitteln ausgerüsteten Behörde bedarf oder wenn komplexe technische Sachverhalte vorliegen, ist mithin bei weitergehendem Verpflichtungsantrag eine bloße Bescheidungsverpflichtung im Urteilsausspruch zulässig (Bamberger in: Wysk, Verwaltungsgerichtsordnung, 3. Auflage 2020, § 113 Rn. 100 m.w.N.). Eine solche Ausnahme liegt hier nicht vor.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergeht gemäß § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.