Titel:
Vollzug einer Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung in Bayern: Ausführungen eines Gefangenen zum Erhalt der Lebenstüchtigkeit
Normenketten:
BaySvVollzG Art. 54 Ab. 3
StVollzG § 109, § 138
Leitsätze:
1. Das Gebot, die Lebenstüchtigkeit des Gefangenen zu erhalten und zu festigen, hat ein umso höheres Gewicht, je länger die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe bereits andauert und greift nicht erst dann ein, wenn er bereits Anzeichen einer haftbedingten Depravation aufweist bzw. Einschränkungen in lebenspraktischen Fähigkeiten unter den Bedingungen der Haft konkret drohen. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist zu berücksichtigen, dass die Art und Weise der Durchführung einer Ausführung (etwa Kleidung, Fesselung, Durchsuchung, Ankündigung, Ziel) als auch die Anzahl im Ermessen der Anstalt steht. Bei der Prüfung der Notwendigkeit der Ausführungen sind auch die personellen und organisatorischen Möglichkeiten der Anstalt zu berücksichtigen. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bezüglich der Frage, ob Sicherungsverwahrte Anspruch auf mehr als die in Art. 54 Abs. 3 S. 2 BaySvVollzG vorgeschriebenen vier Ausführungen pro Jahr haben, steht der Vollzugsbehörde ein Ermessensspielraum zu. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
4. Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung sind die durch weitere Ausführungen erreichbaren Fortschritte hinsichtlich der Entwicklung des Sicherungsverwahrten einerseits und die organisatorischen Bedürfnisse der Einrichtung für Sicherungsverwahrung andererseits zu berücksichtigen. Bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass durch weitere Ausführungen derartige Fortschritte erreichbar sind, sind nach der gesetzlichen Wertung die vorgesehenen jährlich vier Ausführungen regelmäßig ausreichend. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Freiheitsstrafe, Sicherungsverwahrung, Ausführungen, langjährige Inhaftierung, schädliche Folgen, Erhalt der Lebenstüchtigkeit, Ermessensentscheidung, Abstandsgebot, organisatorische Bedürfnisse
Rechtsmittelinstanz:
BayObLG, Beschluss vom 26.01.2023 – 203 StObWs 502/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 48390
Tenor
1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 06.03.2022 wird zurückgewiesen.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen selbst.
3. Der Verfahrenswert wird auf 250,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller ist seit 08.04.2014 inhaftiert, seit 10.06.2015 in der JVA HHEr verbüßt dort eine zehnjährige Freiheitsstrafe mit anschließender angeordneter Unterbringung in der Sicherungsverwahrung. Im Zeitraum 17.05.2016 – 12.05.2018 wurde eine Reststrafe aus einer anderen Verurteilung vollstreckt.
2
Im Jahr 2021 wurden dem Antragsteller zwei Ausführungen zum Erhalt der Lebenstüchtigkeit gewährt, am 26.01.2021 und am 11.11.2021, wobei eine dieser Ausführungen der Nachholung einer Ausführung für das Jahr 2020 diente.
3
Am 22.09.2021 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin die Gewährung einer weiteren Ausführung zum Erhalt der Lebenstüchtigkeit für das Jahr 2021. Dieser Antrag wurde am 10.11.2021 abgelehnt, wogegen der Antragsteller am 15.11.2021 Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellte im laufenden Verfahren wurde der Bescheid vom 10.11.2021 aufgehoben und mit Bescheid vom 02.03.2021 der Antrag erneut abgelehnt. Hinsichtlich des Inhalts des Bescheids vom 02.03.2021 wird auf diesen Bezug genommen (BI. 17/28 d.A.).
4
Bei der JVA handelt es sich um eine Hochsicherheits-Justizvollzugsanstalt.
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Der zulässige Antrag ist unbegründet.
6
Ausführungen zum Erhalt der Lebenstüchtigkeit dienen dazu, aktiv den schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzugs entgegenzuwirken und die Lebenstüchtigkeit der Gefangenen zu erhalten und zu festigen. Das Gebot, die Lebenstüchtigkeit des Gefangenen zu erhalten und zu festigen, hat ein umso höheres Gewicht, je länger die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe bereits andauert und greift nicht erst dann ein, wenn er bereits Anzeichen einer haftbedingten Depravation aufweist bzw. Einschränkungen in lebenspraktischen Fähigkeiten unter den Bedingungen der Haft konkret drohen (BVerfG, Beschluss vom 18.9.2019 – 2 BvR 1165/19). Damit steht die Grundlage der Gewährung derartiger Ausführungen zu Gunsten langjähriger Gefangener fest. Dem Antragsteller werden bereits solche Ausführungen gewährt. Im Jahr 2021 im Januar und am 11.11.2021, wobei eine dieser Ausführungen der Nachholung einer Ausführung zum Erhalt der Lebenstüchtigkeit für das Jahr 2020 diente.Gefangene haben aber hinsichtlich der Art und Weise einer Ausführung als auch der konkreten Anzahl und des konkreten Zeitpunkts keinen individuellen Anspruch. Es besteht lediglich ein Anspruch aufermessensfehlerfreie Entscheidung (Arloth/Krä. 5. AufL, § 11 StVollzG, Rn. 5). Da der Vollzugsbehörde bei der Beurteilung ein Ermessensspielraum zusteht, kann das Gericht die Entscheidung nur eingeschränkt überprüfen und hat der Antragsteller deswegen nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Das von der Vollzugsbehörde ausgeübte und auszuübende Ermessen hat das Gericht nur dahin zu überprüfen, ob die Entscheidung der Behörde rechtswidrig ist, weil sie die gesetzlichen Grenzen des zustehenden Ermessensspielraums überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 115 Abs. 5 StVollzG) oder sie ihre Entscheidung nur einen unvollständigen Sachverhalt zu Grunde gelegt hat. Das Gericht darf dabei sein Ermessen nicht an die Stelle des Ermessens der Vollzugsbehörde setzen. Bei der Prüfung der Notwendigkeit der Ausführung sind auch die personellen und organisatorischen Möglichkeiten der Anstalt zu berücksichtigen (Arloth/Krä, a.a.O.).
7
Das Interesse des Gefangenen, vor den schädlichen Folgen aus der langjährigen Inhaftierung bewahrt zu werden und seine Lebenstüchtigkeit im Falle der Entlassung aus der Haft zu behalten, hat ein umso höheres Gewicht, je länger die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe bereits andauert (BVerfG, a.a.O.). Bei langjährig Inhaftierten kann es daher, selbst wenn noch keine konkrete Entlassungsperspektive besteht, jedenfalls geboten sein, zumindest Lockerungen in Gestalt von Ausführungen zu ermöglichen. Der damit verbundene personelle Aufwand ist dann hinzunehmen (BVerfG, a.a.O.). Im Übrigen ist eine Vollzugsanstalt von Verfassungswegen nicht gehalten dem Strafgefangenen die Erreichung eines von ihm erstrebten Zieles auf einem Wege zu ermöglichen, der für sie außerordentliche Schwierigkeiten mit sich bringt und die Gewährleistung des Vollzugszweckes oder der Ordnung der Anstalt ernsthaft in Frage steht, wenn der Gefangene das gleiche Ziel ganz oder doch weitgehend auf einem ihm zumutbaren und für die Vollzugsanstalt mit wesentlich weniger Aufwand verbundenen Wege erreichen kann (BVerfG, 2 BvR 1753/14). Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die Art und Weise der Durchführung einer Ausführung (z. B. Kleidung, Fesselung, Durchsuchung, Ankündigung, Ziel) als auch die Anzahl im Ermessen der Anstalt steht. Bei der Prüfung der Notwendigkeit der Ausführungen sind auch die personellen und organisatorischen Möglichkeiten der Anstalt zu berücksichtigen (Arloth/Krä, StVollzG, 4. Aufl., § 11 StVollzG, Rnr. 5 m. w. N.). Zwar kann die Personallage der Anstalt der Gewährung von Ausführungen zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit nicht grundsätzlich entgegensetzt werden, jedoch können Gefangene andererseits nicht verlangen, dass unbegrenzt personelle Mittel und sonstige Mittel aufgewendet werden, um Beschränkungen der grundrechtlichen Freiheiten zu vermeiden (BVerfG, 2 BvR 1753/14). Gerade im Fall der Justizvollzugsanstalt Straubing, einer bekanntermaßen hochgesicherten Justizvollzugsanstalt, in welcher sich ca. 800 zumeist langjährig inhaftierte Strafgefangene und Sicherungsverwahrte befinden, sind bei der Art und Weise sowie dem Umfang der Gewährung von Ausführungen Gründe der Vollzugsorganisation zu berücksichtigen. Gerade bei der bestehenden Charakteristik der JVA HH mit der Vielzahl langjährig Inhaftierter sowie unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgrundsatzes, welcher die Ausführung einer Vielzahl von Gefangenen erforderlich macht, kann der Vollzugsorganisation sowie der Berücksichtigung des personellen Aufwands bei der Frage des Umfangs der zu gewährenden Ausführungen ein erhebliches Gewicht nicht abgesprochen werden.
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Darüber hinaus wird das Abstandsgebot gegenüber dem Vollzug der privilegierten Sicherungsverwahrten zu berücksichtigen sein, denen bereits gesetzlich vier Ausführungen im Jahr zustehen Art. 54 Abs. 3 BaySvVollzG. In Abs. 3 Satz 1 wird eine Ausführung als ein Verlassen der Einrichtung unter ständiger und unmittelbarer Aufsicht von Vollzugsbediensteten definiert. Um die Lebenstüchtigkeit der Sicherungsverwahrten zu erhalten und einer Isolierung von der Außenwelt entgegenzuwirken, erhalten Sicherungsverwahrte, auch wenn sie noch nicht für eine vollzugsöffnende Maßnahme nach Abs. 1 geeignet sind, nach Abs. 3 Satz 2 mindestens vier Ausführungen pro Jahr. Die Funktion der Ausführungen ist hier nicht auf die Vorbereitung einer konkret bevorstehenden Entlassung beschränkt; bei langjährig Untergebrachten erscheinen insbesondere Ausführungen auch ohne eine konkrete Entlassungsperspektive geboten (vgl. BVerfG, Beschluss v. 05.08.2010, 2 BvR 729/08). Die Regelung stellt eine Ausprägung der in Art. 3 Abs. 1 bis 3 genannten Grundsätze dar, indem sie einer Hospitalisierung entgegenwirkt und den Bezug der Sicherungsverwahrten zur Gesellschaft zu erhalten sucht. Die Sicherungsverwahrten haben unter den Voraussetzungen nach Abs. 3 Sätze 3 und 4 einen Rechtsanspruch auf vier Ausführungen im Jahr; darüber hinaus lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Die Ausführungen dienen neben der möglichen Vorbereitung weiterer vollzugsöffnender Maßnahmen oder der Erhaltung der Lebenstüchtigkeit auch der Motivierung der Sicherungsverwahrten und so der Förderung ihrer Bereitschaft zur Mitwirkung an Behandlungsmaßnahmen' (Drucksache des Bayerischen Landtags 16/13834, S. 48). Bezüglich der Frage, ob Sicherungsverwahrte Anspruch auf mehr als die gesetzlich vorgeschriebenen vier Ausführungen pro Jahr haben, steht der Vollzugsbehörde ein Ermessensspielraum zu. Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung sind die durch weitere Ausführungen erreichbaren Fortschritte hinsichtlich der Entwicklung des Sicherungsverwahrten einerseits und die organisatorischen Bedürfnisse der Einrichtung für Sicherungsverwahrung andererseits zu berücksichtigen. Bestehen allerdings keine Anhaltspunkte dafür, dass durch weitere Ausführungen derartige Fortschritte erreichbar sind, sind nach der gesetzlichen Wertung die vorgesehenen jährlich vier Ausführungen regelmäßig ausreichend (bayerisches oberstes Landesgericht vom 26.03.2021,203 StObWs 12/21).
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Diesen Grundsätzen folgend, die sich im Wesentlichen auch auf langjährig inhaftiertesr stVK 301/22 – Seite 5 – Strafgefangene übertragen lassen, ergibt sich indes keine konkrete Höchstanzahl von Ausführungen zum Erhalt der Lebenstüchtigkeit zu Gunsten grundsätzlich sonst nicht lockerungsfähiger langjähriger Gefangener. Andererseits lässt sich sowohl der gesetzgeberischen Intention als auch der Wertung der Obergerichte (für den Bereich der Sicherungsverwahrung) entnehmen, dass zum Erhalt der Lebenstüchtigkeit jedenfalls grundsätzlich vier Ausführungen im Jahr zu diesem Zweck als ausreichend zu erachten sind. Dieser Grundsatz lässt – zumindest bedingt – ebenso auf den Bereich des Strafvollzuges, indes nicht auf alle Gefangene in gleicher Art übertragen. Anders als privilegierte Sicherungsverwahrte haben Strafgefangene nämlich keinen gesetzlichen Anspruch auf eine bestimmte Anzahl von Ausführungen im Jahr. Auch hat es das Bundesverfassungsgericht ersichtlich bewusst unterlassen, eine bestimmte Anzahl vorzugeben. Bei dieser (Höchst) Anzahl im Jahr ist jeweils der individuelle Gefangene und seine konkreten Verhältnisse in den Blick zu nehmen. Dabei werden neben der bereits vollzogenen und der noch verbleibenden Haftdauer, u. a. der Gesundheitszustand, der Vollzugsstand, der Vollzugsverlauf, die Mitwirkung im Vollzug, die sozialen Kontakte und die Einbindung in Arbeit, Therapie und Freizeitmaßnahmen zu berücksichtigen sein. Gerade mit zunehmender Vollzugsdauer kann sich ein erhöhter Bedarf an Maßnahmen zu Erhalt der Lebenstüchtigkeit ergeben. Dies entbindend die Anstalt jedoch nicht von einer Prüfung im Einzelfall.
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Eine analoge Übertragung von Art. 54 Abs. 3 BaySvVollzG hinsichtlich der Anzahl der zu gewährenden Ausführungen zum Erhalt der Lebenstüchtigkeit auf Strafgefangene mit angeordneter anschließender Sicherungsverwahrung scheidet aus. Eine Analogie ist dann geboten, wenn hinsichtlich eines nicht geregelten Lebenssachverhalts eine vergleichbare Interessenlage zu dem geregelten Lebenssachverhalt besteht und die Regelungslücke planwidrig ist.
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Insoweit lässt sich bereits an der Vergleichbarkeit der Lebenssachverhalte, namentlich in der Sicherungsverwahrung untergebrachte Verurteilte und in Strafhaft befindliche Verurteilte, bei denen die Sicherungsverwahrung angeordnet ist, zweifeln. Denn der in Strafhaft befindliche kann durch entsprechendes Arbeiten an sich und der für die Anordnung der Sicherungsverwahrung notwendigen, auf einem Hang beruhenden, Gefährlichkeit verhindern, dass er nach dem Ablauf der zu vollstreckenden Freiheitsstrafe in der Sicherungsverwahrung untergebracht wird. Demgegenüber kann der bereits in der Sicherungsverwahrung Untergebrachte dies nicht mehr verhindern. Er kann nur noch daran arbeiten, nicht lebenslang in der Sicherungsverwahrung untergebracht zu sein. Darüber hinaus ist die Zeit, in der sich ein in der Sicherungsverwahrter bereits in Gefangenschaft befindet, nicht mit der Zeit vergleichbar, in der sich ein Gefangener bei dem die Sicherungsverwahrung angeordnet ist, in Gefangenschaft befindet. Bei einem Gefangenen, bei dem Sicherungsverwahrung angeordnet ist, reicht diese sr stvK 301/22 – Seite 6 – Zeit von wenigen Tagen bis zu mehreren Jahren. Ein Sicherungsverwahrter ist hingegen zwangsläufig bereits mehrere Jahre in Gefangenschaft. Jemand, der sich nur wenige Tage bis Monate in Gefangenschaft befindet, bedarf nicht zur Verhinderung von Haftschäden von Anfang an vier Ausführungen im Jahr. Vielmehr ist insoweit der Einzelfall in Betracht zu ziehen.
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Jedenfalls aber fehlt es an der Planwidrigkeit der Regelungslücke. Der Gesetzgeber des Art. 54 Abs. 3 BaySvVollzG aus dem Jahr 2013 wusste um den Umstand, dass es Strafgefangene gibt, bei denen die Sicherungsverwahrung angeordnet ist. Eine Regelung dieses Falls entsprechend Art. 54 Abs. 3 BaySvVollzG im BayStVollzG hat der Gesetzgeber jedoch unterlassen.
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Nicht zu beanstanden ist der ermessensleitende Gesichtspunkt, dass der Antragsteller im Jahr 2021 bereits tatsächlich zwei Ausführungen erhalten hat. Eine davon erst am 11.11.2021. Nicht erheblich ist dabei, dass eine dieser Ausführungen rechtlich eine Ausführung für das Jahr 2020 nachholen sollte.
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Der Antragsteller macht keine gravierenden Haftschäden geltend, sondern lediglich das bereits Haftschäden eingetreten seien. Er schildert insoweit Zukunftsängste aufgrund des fehlenden Einzahlens von Rentenversicherungsbeiträgen, Isolierung von der Außenwelt, Ungewissheiten hinsichtlich der angeordneten Sicherungsverwahrung über die Dauer des Freiheitsentzugs und Schwierigkeiten mit der Bewältigung von Alltagshektik. Es ist insoweit nicht ermessensfehlerhaft, anzunehmen, dass unter Zugrundelegung der Sozialkontakte des Antragstellers außerhalb der Haft, des Umstands, dass er in der Haft einer Arbeit nachgeht, dass der Antragsteller bereits im Zeitraum 2008 bis 2013 inhaftiert war und während dieser Zeit keine Hospitalisierungsschäden erlitten hat, dass der Antragsteller regelmäßigen Kontakt mit Personen außerhalb der JVA hat, insbesondere Familienmitgliedern, aber auch anderen Bekannten, eine weitere Ausführung zum Erhalt der Lebenstüchtigkeit im Jahr 2021 nicht erforderlich ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht die Ausführungen zum Erhalt der Lebenstüchtigkeit an sich abgelehnt wurden, sondern die Durchführung einer zweiten Ausführung zum Erhalt der Lebenstüchtigkeit für das Jahr 2021. Für die Ablehnung der Ausführungen zum Erhalt der Lebenstüchtigkeit an sich wären diese Ermessenserwägungen nicht alleine tragfähig. Hierauf kommt es im vorliegenden Verfahren jedoch nicht an. Umstände, die eine zweite Ausführung für das Jahr 2021 erforderlich machen würden, trägt der Antragsteller nicht vor. Insbesondere sind auch solche Umstände angesichts des Umstands, dass Ausführungen am 26.01.2021 und am 11.11.2021 stattgefunden haben – auch wenn eine dieser Ausführungen eine Ausführung für das Jahr 2020 nachholen sollte – nicht ersichtlich. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass nach der Ausführung im November 2021 bereits im Dezember 2021 erneut ein Bedarf für eine weitere Ausführung bestand. Die regenerativen Umstände einer Ausführung zum Erhalt der Lebenstüchtigkeit warenzu diesem Zeitpunkt noch aktuell.
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Der Aspekt, dass der Antragsteller beim Besuch von einer Metzgerei bei der Ausführung im Mai 2022 eine Überreaktion auf Stress durch mehrere Personen in dem Verkaufsraum erlitten hat, ist bei der Beurteilung von Ermessensfehlern unberücksichtigt zu lassen. Dieser Aspekt war bei der Entscheidungsfindung im März 2022 noch nicht bekannt. Er war auch nicht absehbar.
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Auch der weitere ermessensleitende Gesichtspunkt, dass die personellen und organisatorischen Möglichkeiten der Anstalt zu berücksichtigen sind und nicht verlangt werden kann, dass unbegrenzt Mittel aufgewandt werden, ist nicht zu beanstanden. Gleiches gilt für den Umstand, dass aus Gleichheitsgesichtspunkten der Entscheidung ein Konzept zu Grunde gelegt wird, wobei im Einzelfall geprüft wird, ob aufgrund der individuellen Gesichtspunkte eine Abweichung von dem Konzept erforderlich ist. Auf die Frage, ob nun 440 oder 700 Berechtigte vorhanden sind, kommt es insoweit nicht an. Jedenfalls darf dieser Aspekt in die Ermessensabwägung hinsichtlich einer zweiten Ausführung eingestellt werden. Insbesondere ist aus dem Umstand, dass die Antragsgegnerin mitgeteilt hat, dass bis November 2021 27 Ausführungen geplant gewesen seien, nicht zu schließen, dass für Dezember 2021 keine Ausführungen geplant gewesen seien. Es ist aus anderen Verfahren nach § 109 StVollzG gerichtsbekannt, dass im Dezember 20021 mehrere Ausführungen zum Erhalt der Lebenstüchtigkeit durchgeführt wurden.
17
Die Antragsgegnerin setzt sich auch nicht in Widerspruch zu ihrer Stellungnahme, dass keine gravierenden Haftschäden zu befürchten seien. Hiermit hat die Antragsgegnerin gerade nicht zu erkennen gegeben, dass bei dem Antragsteller leichte Haftschäden bereits vorhanden seien. Der von dem Antragsteller gezogene Umkehrschluss ist weder zwingend noch zulässig. Bei grammatikalischer Auswertung der beanstandeten Passage in der Stellungnahme sind zwar nicht gravierenden Haftschäden zu befürchten, zu befürchten seien jedoch Haftschäden, die nicht als gravierend anzusehen sind. Ein Schluss von der Befürchtung künftig eintretender gravierender Schäden in einer Stellungnahme auf bereits vorhandene Haftschäden ist weder grammatikalisch noch logisch zwingend.
18
Der von dem Antragsteller mitverfolgte Zweck der Ausführungen zum Erhalt der Lebenstüchtigkeit, namentlich der Nachweis für die Eignung höherer Lockerungsstufen, um über die Lockerungen eine günstige Legalprognose nachzuweisen, ist nicht geeignet, eine andere Bewertung zu generieren. Die Ausführungen zum Erhalt der Lebenstüchtigkeit haben nicht den Sinn und Zweck, weitergehende Lockerungen zu ermöglichen, sondern lediglich bei Inhaftierten, die keine Lockerungen erhalten würden, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen, Haftschäden vorzubeugen und einer Hospitalisierung entgegenzuwirken. Die Begründung einer günstigen Legalprognose bzw. der Nachweis der Eignung für höhere Lockerungsstufen kann über die Ausführungen zum Erhalt der Lebenstüchtigkeit nicht erfolgen und auch nicht begehrt werden. Unerheblich ist dabei auch, dass die Sicherheitsmaßnahmen bei den Ausführungen zum Erhalt der Lebenstüchtigkeit bei jeder Durchführung aus rechtlichen Gründen weiter zurückgeschraubt wurden.
19
Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 StVollzG.
20
Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf §§ 52, 60 GKG.