Inhalt

LG Regensburg, Endurteil v. 09.03.2022 – 31 O 901/19
Titel:

Abgrenzung durch das Gericht bei Grenzverwirrung

Normenkette:
BGB § 920 Abs. 2, § 891
Leitsätze:
1. Eine Grenzverwirrung liegt dann vor, wenn die richtige Grenze objektiv nicht ermittelt werden kann, weil diese nicht anhand des Grundbuchs in Verbindung mit der Vermutung des § 891 BGB und dem Liegenschaftskataster, einer Grenzniederschrift bzw. eines anderen anerkannten Grenzzeichens feststellbar ist und von keiner Partei anderweitig nachgewiesen werden kann. (Rn. 1) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Abgrenzung erfolgt durch das Gericht nicht nach dem derzeitigen Besitzstand, wenn die derzeitigen Bewirtschaftungsgrenzen von den sachverständigen Ermittlungen des vermutlichen Verlaufs der Grenze erheblich abweichen. (Rn. 14 – 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Grenzverwirrung, Billigkeit, Abgrenzung durch das Gericht
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Nürnberg, Urteil vom 09.05.2023 – 6 U 1035/22
BGH Karlsruhe, Urteil vom 23.02.2024 – V ZR 111/23
Fundstelle:
BeckRS 2022, 48384

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die im Eigentum der Klägerin stehenden Grundstücke der Gemarkung … Flur-Nr. … und … und das im Eigentum der Beklagten stehende Grundstück der Gemarkung … Flur-Nr. … und … entlang der im Sachverständigen-Gutachten Prof. Dr. … vom 23.2.2021, BI. 35, Abbildung 22, dargestellten Messpunkte geschieden werden. Auf BI. 35 des Gutachtens wird als Anlage zu diesem Endurteil wird Bezug genommen.
2. Es wird festgestellt, dass die im Eigentum der Klägerin stehenden Grundstücke der Gemarkung … Flur-Nr. … und … und die im Eigentum der Beklagten stehenden Grundstücke der Gemarkung … Flur-Nr. … und … entlang der im Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. … vom 23.2.2021, BI. 35, Abbildung 23, dargestellten Messpunkte geschieden werden. Auf BI. 35 des Gutachtens wird als Anlage zu diesem Endurteil Bezug genommen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten.
4. Das Urteil ist für den Kläger vorläufig vollstreckbar bezüglich des Kostenausspruches gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 7.144,50 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien sind Grundstücksnachbarn im … im Bereich der Gemeinde …
2
Sie streiten über den Grenzverlauf zwischen Grundstücken.
3
Die Klagepartei ist Eigentümerin der Grundstücke der Gemarkung … mit den Flur-Nr. … und … sowie … und …. Diese Grundstücke grenzen an die Grundstücke der Gemarkung … mit der Flur-Nr. … und … sowie …, die im Eigentum der Beklagten stehen. Das Amt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung … hat betreffend den streitgegenständlichen Grenzverläufen Vermessungen durchgeführt. Deren Ergebnisse gemäß den als Anlagen K 2 und 3 vorgelegten Abmarkungsprotokollen mit den Nr. … und … jeweils datierend vom 6.11.2018, werden von den Beklagten nicht anerkannt. Die Ermittlungen des Amtes für Digitalisierung, Breitband und Vermessung … erfolgten jeweils anhand der Katasterkarten. Es wurde jeweils keine Abmarkung vorgefunden. Die ermittelte Grenze wurde bezüglich des Grundstücks mit der Flur-Nr. … mit 8 Markierungsstäben gekennzeichnet. Bezüglich der Grenzen der Flurstücke mit der Nr. … und … sind 13 Granitsteine vorhanden, die im Jahr 2004 gesetzt worden waren. Auch diese Grenzsteine werden von den Beklagten nicht anerkannt. Die Abmarkungsprotokolle wurden von den Beklagten jeweils nicht unterschrieben. Ein Abmarkungsbescheid ist jeweils nicht ergangen. Die aktuellen Bewirtschaftungsgrenzen stimmen mit den vom Amt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung … ermittelten Grenzpunkten nicht überein.
4
Die Klagepartei behauptet, die Beklagten bewirtschafteten mit Blick auf das Grundstück mit der Flur-Nr. … und die angrenzenden Grundstücke der Klagepartei 88 qm sowie 783 qm fremden Grundes. Bezüglich der Grundstücke … und … bewirtschafteten die Beklagten 1.727 qm fremden Grundes. Sie ist der Meinung, dass der Verlauf der jeweiligen Grundstücksgrenzen anhand des Ergebnisses der Vermessungen des Amtes für Digitalisierung, Breitband und Vermessung … gemäß den Abmarkungsprotokollen … und … sowie unter Rückgriff auf Uraufnahmeblätter eindeutig festgestellt werden könne und insoweit eine Kennzeichnung der Grenzen durch Errichtung fester Grenzzeichen mit Grenzsteinen begehrt werden könne.
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Sie beantragt zuletzt:
1. Es wird festgestellt, dass die im Eigentum der Klägerin stehenden Grundstücke der Gemarkung … Flur-Nr. … und … und das im Eigentum der Beklagten stehende Grundstück der Gemarkung … entlang der von der Sachverständigen Prof. Dr. … im Gutachten vom 23.2.2021 auf S. 35 ausgewiesenen Grenzpunkt geschieden werden.
2. Es wird festgestellt, dass die im Eigentum der Klägerin stehenden Grundstücke der Gemarkung … Flur-Nr. … und … und die im Eigentum der Beklagten stehenden Grundstücke der Gemarkung … und … entlang der im Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. … vom 23.3.2021 auf BI. 35 ausgewiesenen Grenzpunkte geschieden werden.
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Die Beklagten beantragen:
Klageabweisung.
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Sie behaupten, es bestehe Grenzverwirrung, da die streitgegenständlichen Grenzen nicht exakt bestimmbar seien. Sie hielten sich an die Bewirtschaftungsgrenzen, die schon seit jeher bestünden. Der Vater des Beklagten zu 1) habe die streitgegenständlichen Grundstücke im Jahr 1977 erworben. Die Bewirtschaftungsgrenzen, wie sie heute stünden, hätten bereits bei Erwerb bestanden und würden bis dato unverändert fortgeführt. Die Bewirtschaftungsgrenzen fänden auch ihre tatsächliche Entsprechung in natürlichen Grenzen, wie angedeuteten Gräben und Böschungen. Ein Messpunkt hinsichtlich des Grundstücks … (von der Sachverständigen als Messpunkt … bezeichnet) befände sich seit jeher an der Grenze des Bachlaufes und nicht einige Meter davon entfernt. Deshalb würden auch die Feststellungen der Sachverständigen gänzlich in Frage gestellt.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Erholung eines schriftlichen Gutachtens durch die Sachverständige Prof. Dr. Ing …. Auf das schriftliche Sachverständigen-Gutachten vom 23.2.2021 wird Bezug genommen. Im Übrigen wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 02.02.2022 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist wie tenoriert begründet.
I.
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Die Feststellung der streitgegenständlichen Grenzverläufe wie tenoriert, beruht auf § 920 Abs. 2 BGB. In der Sache liegt zwischen den Parteien Grenzverwirrung i.S.d. § 920 Abs. 1 BGB vor. Vorliegend war eine Bestimmung des Grenzverlaufes unter Berücksichtigung der festgestellten Umstände nach Billigkeit geboten. Eine Grenzscheidung nach dem aktuellen Besitzstand kam aufgrund der im Verfahren getroffenen Feststellungen, insbesondere des Ergebnisses des erholten Sachverständigengutachtens, nicht in Betracht, da dessen Feststellungen dem aktuellen Besitzstand deutlich widerspricht.
Im Einzelnen:
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1. Eine Grenzverwirrung liegt dann vor, wenn die richtige Grenze objektiv nicht ermittelt werden kann, weil diese nicht anhand des Grundbuchs in Verbindung mit der Vermutung des § 891 BGB und dem Liegenschaftskataster, einer Grenzniederschrift bzw. eines anderen anerkannten Grenzzeichens feststellbar ist und von keiner Partei anderweitig nachgewiesen werden kann (BGH Rechtspfleger 2006, 181 ff.; OLG Hamm, Beck RS 2012, 2856).
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a. Zwar behauptet die Klagepartei hier durch die Abmarkungsprotokolle des Amtes für Digitalisierung, Breitband und Vermessung … einen exakten Grenzverlauf jeweils vortragen zu können. Diese Vermessungsergebnisse werden jedoch von der beklagten Partei nicht anerkannt. Ebenso ergibt sich weder aus dem Grundbuch noch aus den Liegenschaftskataster ein klarer Grenzverlauf. Nach der für das Gericht nachvollziehbaren Feststellung der Sachverständigen ist vorliegend ein Fall der Grenzermittlung gegeben, da die Katastergrenzen nicht mit der heute geforderten Genauigkeit für Grenzdefinition als exakter Zahlennachweis vorliegen. Ebenso liegen nach sachverständiger Feststellung keine aussagekräftigen Naturgrenzen in der Örtlichkeit vor. Diese Feststellung korrespondiert mit den Feststellungen, die das Amt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung in ihren Abmarkungsprotokollen wiedergegeben hat, die der Kläger als Anlagen vorgelegt hat. Das Gericht erachtet insoweit die Behauptung der Beklagten als widerlegt, als die aktuellen Bewirtschaftungsgrenzen ihre Entsprechung in natürlichen Grenzen fänden. Der an die streitgegenständlichen Flurstücke angrenzende Bachlauf ist ein Bachlauf, der natürlichen Veränderungen unterliegt und insoweit ebenso nicht als natürliche Grenze angesehen werden kann.
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b. Auch die Tatsache, dass nun Feststellungen der Sachverständigen zum Verlauf der streitgegenständlichen Grenzen vorliegen, führen nicht dazu, dass keine Grenzverwirrung i.S.d. § 920 BGB mehr vorliegt. Denn diese Feststellungen leiden, wie die Sachverständige ausführt, angesichts der Standardabweichung der Passpunkte von ca. 1 m an einer relevanten Ungenauigkeit. Der tatsächliche Grenzverlauf bleibt insoweit objektiv nicht nachgewiesen.
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2. Das Gericht erachtet die Feststellung des Grenzverlaufes gemäß den von der Sachverständigen in ihrem Gutachten vom 23.2.2021 auf BI. 35 festgestellten Grenzpunkte für der Billigkeit entsprechend gem. § 920 Abs. 2 BGB.
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Rechtsfolge der festgestellten Grenzverwirrung ist gem. § 920 Abs. 1 Satz 1 BGB eine Abgrenzung durch das Gericht nach dem Besitzstand zur Zeit des Urteils bzw. der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung (Palandt/Herrler, BGB, § 920 RdNr. 3), es sei denn, diese Bestimmung widerspricht den ermittelten Umständen. Dann hat die vom Gericht vorzunehmende Grenzscheidung unter Berücksichtigung dieser Umstände nach Billigkeit zu erfolgen, § 920 Abs. 2 BGB.
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So liegt der Fall hier.
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a. Nach unstreitigem Vorbringen beider Parteien liegen die aktuellen Bewirtschaftungsgrenzen und somit der aktuelle Besitzstand weit außerhalb der von Seiten des Amtes für Digitalisierung, Breitband und Vermessung … und der seitens der Sachverständigen festgestellten Grenzverläufe. Deren Feststellungen weichen hinsichtlich des Grundstücks mit der Flur-Nr. … mit 3,2 m, 1,5 m und 2,5 m und bezüglich des Grundstücks … mit 4,2 m bzw. 4,6 m entlang der Grundstücksgrenze voon den Feststellungen des Amt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung ab. Die im Sachverständigen-Gutachten auf BI. 28 und 30 dargestellte jeweilige Bewirtschaftungsgrenze der beklagten Partei weicht jedoch von beiden Feststellungen erheblich zu Ungunsten des Klägers ab. Auf die Abbildungen 17 und 18 des Gutachtens wird insoweit Bezug genommen.
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b. Der Vortrag der Beklagten, diese für sie günstigen Bewirtschaftungsgrenzen bestünden seit alters her, ist von der Klagepartei einerseits bestritten; ein Beweisantritt der Beklagten dazu ist nicht erfolgt. Andererseits kommt es hierauf nach Auffassung des Gerichts auch nicht mehr an, nachdem nunmehr mit dem Ergebnis des erholten Sachverständigengutachtens und den Feststellungen des Amtes für Digitalisierung, Breitband und Vermessung zwei Umstände gegeben sind, die den Verlauf der Grenzen abweichend von den geltend gemachten Bewirtschaftungsgrenzen darstellen.
19
c. Nach Überzeugung des Gerichts entspricht es der Billigkeit die Grenzen anhand der seitens der Sachverständigen getroffenen Feststellungen zu scheiden. Dabei hat es berücksichtigt, dass, wie vorstehend erörtert, keine natürlichen, aussagekräftigen Grenzmarkierungen vorhanden sind und die Abmarkung durch das Amt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung durch die Beklagten nicht anerkannt worden sind. Zudem erachtet das Gericht das ausführliche und in sich schlüssige Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. … Entscheidung deshalb als maßgebend, da sowohl die Herleitung der Ergebnisse, insbesondere die Feststellung entsprechender Messpunkte als auch die Ableitung der Messergebnisse ausführlich, für das Gericht schlüssig und nachvollziehbar dargestellt worden sind. Die festzustellende Abweichung der sachverständig festgestellten Messpunkte zu den vom Amt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung … in den jeweiligen Vermessungen festgestellten Grenzpunkte stellen sich nicht als so wesentlich dar, dass das Ergebnis der Sachverständigen gänzlich in Frage zu stellen wäre. Der Einwand der Beklagten, der Messpunkt … müsse an der Bachgrenze liegen und schon von daher werde das Ergebnis des Gutachtens in Frage gestellt, greift nach Auffassung des Gerichts nicht durch, da nicht angenommen werden kann, dass dieser Messpunkt tatsächlich genau an der Bachgrenze zu verorten ist. Aus der von der Klagepartei als Anlage K5a vorgelegten historischen Karte, auf die Bezug genommen wird, ist ersichtlich, dass das Grundstück … (damals …) im Bereich des heutigen Grenzpunktes … nicht exakt an den Bachlauf angegrenzt hat.
III.
20
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO, die Entscheidung zum Streitwert auf §3 ZPO.