Inhalt

ArbG Rosenheim, Endurteil v. 25.05.2022 – 1 Ca 1284/21
Titel:

Elternzeit, Arbeitgeber, Aufhebungsvertrag, Urlaubsanspruch, Abfindung, Minderung, Urlaub, Urlaubsabgeltung, Beendigung, Urlaubsabgeltungsanspruch, Abgeltungsklausel, Anspruch, Zeitpunkt, Urlaubstage, Treu und Glauben, keinen Erfolg, vereinbarte Abfindung

Schlagworte:
Elternzeit, Arbeitgeber, Aufhebungsvertrag, Urlaubsanspruch, Abfindung, Minderung, Urlaub, Urlaubsabgeltung, Beendigung, Urlaubsabgeltungsanspruch, Abgeltungsklausel, Anspruch, Zeitpunkt, Urlaubstage, Treu und Glauben, keinen Erfolg, vereinbarte Abfindung
Rechtsmittelinstanz:
LArbG München, Urteil vom 12.01.2023 – 3 Sa 358/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 48318

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 11.536,80 Euro brutto zu zahlen, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 16.10.2021.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 35/100, die Beklagte hat 65/100 zu tragen.
4. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 17.689,48 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Zahlungsanspruch in Höhe von 17.689,48 Euro brutto in Bezug auf Urlaubsabgeltungsansprüche erhoben, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.10.2021.
2
Die Klägerin war seit dem 01.11.2016 bei der Beklagten beschäftigt, hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Arbeitsvertrag und die drei Ergänzungsverträge zum Arbeitsvertrag Bezug genommen. In der Zeit von Oktober 2019 bis zum 15.10.2021 nahm die Klägerin eine zweijährige Elternzeit, ohne in dieser Elternzeit teilweise die Arbeitsleistung zu erbringen. Das Kind der Klägerin wurde am 16.10.2019 geboren. Seit der Geburt ihres Kindes hat die daher Klägerin nicht mehr bei der Beklagten gearbeitet, auch nicht in Teilzeit während der Elternzeit.
3
Die Beklagte, welche einen Kleinbetrieb im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes führt, hat das Arbeitsverhältnis während der Elternzeit der Klägerin ordentlich gekündigt, ohne die vorherige Zustimmung durch die Gewerbeaufsicht einzuholen. Gegen diese Kündigung hat die Klägerin zum Arbeitsgericht München Kündigungsschutzklage erhoben und durch arbeitsgerichtlichen Vergleich vom 07.09.2021 haben die Parteien vereinbart, dass sie sich darüber einig sind, dass die während der Elternzeit erklärte Kündigung vom 25.05.2021 gegenstandslos ist.
4
Während der Elternzeit hat die Beklagte keine Kürzungserklärung hinsichtlich des Erholungsurlaubs für diesen Zeitraum vom 16.10.2019 bis einschließlich 15.10.2021 nach § 17 Abs. 1 BEEG ausgesprochen. Eine derartige Erklärung wurde von der Beklagten erstmals im Verlauf des Rechtsstreits im Rahmen eines Schriftsatzes des Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 01.02.2022 erklärt.
5
Mit beiderseits am 13.10.2021 erklärten Aufhebungsvertrags haben die Parteien geregelt, dass sie sich darüber einig sind, dass ihr Arbeitsverhältnis mit dem Ablauf der Elternzeit – mithin zum 15.10.2021 – sein Ende fand, dass Einigkeit dahingehend besteht, dass die Klägerin das ihr zustehende vertragliche Gehalt bereits vollständig erhalten hat, dass der Klägerin ein wohlwollend formuliertes, qualifiziertes Arbeitszeugnis erteilt wird und die Beklagte hat an die Klägerin für den Verlust des Arbeitsplatzes einen Abfindungsbetrag in Höhe von 6.000,00 Euro brutto gemäß §§ 9, 10 KSchG zugestanden, wobei der Abfindungsbetrag am 31.10.2021 fällig wurde.
6
In Ziff. 6 des Aufhebungsvertrags haben die Parteien folgende Regelung aufgenommen:
7
Hiermit sind alle gegenseitigen Forderungen der Parteien, gleichwohl aus welchem Rechtsgrund, abgegolten.
8
Die Klägerin vertritt den Standpunkt, dass ihr bei Vertragsende – mithin dem Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrags, am 15.10.2021 – ein Urlaubsanspruch in Höhe von 92 Tagen zugestanden hat, der mit dem Abschluss des Aufhebungsvertrags bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 15.10.2021 sich in einen Urlaubsabgeltungsanspruch gewandelt hat.
9
Für das Jahr 2016 geht die Klägerin davon aus, dass sie vom 25.12. bis zum 30.12. vier Tage Urlaub genommen hat und ein Resturlaubsanspruch von einem Tag besteht, für 2017 nimmt die Klägerin an, dass sie insgesamt 29 Tage in den Monaten Februar, März, April, Mai, Juni, Juli, August und Dezember eingebracht hat und ihr bei einem Gesamturlaubsanspruch von 31 Tagen noch zwei Tage zustehen, für das Jahr 2018 geht die Klägerin davon aus, dass sie insgesamt 28 Tage genommen hat, ihr 32 Tage zustehen, demzufolge noch vier Tage offen stehen und für die Jahre 2019, 2020 und 2021 macht sie den vertraglichen Urlaubsanspruch geltend. Bei Annahme einer Bruttomonatsvergütung von 4.166,00 Euro ergeben sich für 92 Tage Urlaub Urlaubsabgeltungsansprüche in Höhe von 17.689,48 Euro brutto, was den Klagebetrag darstellt.
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Die Klägerin hat sich darauf berufen, der Urlaubsabgeltungsanspruch würde nicht mehr an die Stelle des Urlaubsanspruchs treten, sondern er wäre allein ein Geldanspruch, der mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstehe; die Beklagte gehe bei ihrem Standpunkt nicht von der aktuellen Ansicht der Rechtsprechung und Literatur hinsichtlich der Rechtsnatur des Urlaubsabgeltungsanspruchs aus. Von der Höhe her gesehen müsse davon ausgegangen werden, dass die Beklagte die rechnerische Richtigkeit der geltend gemachten 92 Urlaubstage mit einem Betrag von 17.689,48 Euro brutto nicht substantiiert in Zweifel gezogen habe. Die Klägerin hat darauf abgestellt, dass die Urlaubsübersichten der Jahre 2016 bis 2019 ergeben müssten, dass ihr Ende 2019 ein Resturlaub von 32 Tagen zugestanden habe, die Geburt des Kindes sei am 16.10.2019 gewesen und der erste volle Kalendermonat der Elternzeit nach Ende der Mutterschutzfrist wäre der Monat Januar 2020 gewesen. Hierzu komme der volle Urlaub für 2020 in Höhe von 30 Tagen und der volle Urlaub für 2021 in Höhe von ebenfalls 30 Tagen, was insgesamt 92 Urlaubstage ergebe. Gegen dieses Urlaubsvolumen habe die Beklagte keine nachvollziehbaren, rechtlich überzeugenden Einwände getätigt.
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Soweit die Beklagte darauf abgestellt habe, dass im Übrigen die vertraglichen Urlaubstage bis einschließlich 2021 weggefallen wären, stellt die Klägerin darauf ab, dies wäre wohl so gemeint, dass gemäß § 11 Abs. 2 des Arbeitsvertrags der Urlaub zum 31.12. des jeweiligen Jahres verfalle, wenn dringende betriebliche Gründe oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe eine Übertragung in die ersten drei Kalendermonate des Folgejahrs nicht rechtfertigen könne. Allerding könne nicht davon ausgegangen werden, dass deshalb der vertragliche Mehrurlaub – mithin 10 Tage pro Jahr – jeweils zum 31.12. verfallen wären.
12
In Bezug auf den Urlaub während der Elternzeit hat die Klägerin darauf verwiesen, es bestehe hier grundsätzlich eine Kürzungsmöglichkeit für den Arbeitgeber gemäß § 17 Abs. 1 BEEG, allerdings wäre die gesetzgeberische Entscheidung in dieser Bestimmung eine gesetzliche Kürzungsoption, eine Möglichkeit, allerdings keine Pflicht. Der Arbeitgeber könne den Urlaub während der Elternzeit kürzen oder es auch lassen, wie er es für richtig halte. Solange der Urlaub nicht gekürzt werde, stehe der Arbeitnehmerin in der Elternzeit der volle Urlaub zu, den sie später, also nach dem Ende der Elternzeit, voll einbringen könne.
13
Was mit dem Urlaub in der Elternzeit bei Vertragsende rechtlich geschehe, regele das Gesetz in § 17 Abs. 3 BEEG. Gemeint wäre hier der Urlaub während der Elternzeit, somit wäre der gesamte Urlaub während der Elternzeit entsprechend für die Abgeltung vorzusehen; das Gesetz differenziere hier nicht zwischen dem Mindesturlaub nach dem Gesetz und dem vertraglichen Mehrurlaub. Während der Elternzeit könne weder der vertragliche Urlaub noch der gesetzliche Urlaub zum 31.12. oder zum 31.03. des Folgejahrs allein durch Zeitablauf verlorengehen, wie dies im laufenden Arbeitsverhältnis, soweit keine längere Arbeitsunfähigkeit vorliege, nach dem Bundesurlaubsgesetz vorgesehen werden könne. Dies gelte für den Urlaub vor der Elternzeit, mithin bis Januar 2020 und für den Urlaub aus der Elternzeit, also ab Februar 2020.
14
Soweit sie noch Urlaub aus der Zeit vor der Elternzeit geltend gemacht habe, gelte die gesetzliche Regelung in § 17 Abs. 2 BEEG; der vor Beginn der Elternzeit aufgelaufene, nicht vollständig eingebrachte Urlaub wäre nach dem Ende der Elternzeit zu gewähren, und zwar im Jahr der Rückkehr der Mitarbeiterin aus der Elternzeit oder im Folgejahr. Daher könne aufgrund des Vortrags der Beklagten keine rechnerische Kürzung des Urlaubsvolumens von 92 Tagen zum jeweiligen Jahresende vorgenommen werden.
15
Des Weiteren hat die Klägerin darauf abgestellt, die Beklagte wolle den Urlaub aus der Elternzeit noch nach dem rechtlichen Vertragsende am 15.10.2021 gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG kürzen und sie verweise hierauf auf eine Entscheidung des LAG Niedersachsen vom 16.09.2014. Das Bundesarbeitsgericht habe allerdings im Urteil vom 19.05.2015 entschieden, dass nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Kürzung des Erholungsurlaubs – ganz gleich, ob es um den gesetzlichen Mindesturlaub oder den vertraglichen Mehrurlaub gehe – ausgeschlossen wäre. Eine wirtschaftlich auf die Minderung des Urlaubsabgeltungsanspruchs ausgelegte, nach Vertragsende vorgesehene Kürzung des Urlaubsanspruchs nach § 17 Abs. 1 BEEG durch den Arbeitgeber müsse ins Leere gehen, der Urlaubsanspruch der Klägerin sei mit Vertragsende am 15.10.2021 um 24.00 Uhr weggewesen und er könne daher nicht mehr gekürzt werden. Mit Vertragsende wäre ein Urlaubsabgeltungsanspruch als reiner Geldanspruch entstanden, der keiner gesetzlichen Kürzungsregelung nach § 17 Abs. 1 BEEG unterworfen wäre. Dies bedeute, dass dann, wenn bei Vertragsende der Urlaub noch nicht voll eingebracht worden sein sollte, er abgegolten werden müsse.
16
Die Erwägung der Beklagten, dass zum Zeitpunkt bei Vertragsabschluss am 13.10.2021 kurz vor Vertragsende am 15.10. dieses Jahres der erhebliche offene Urlaubsanspruch ohnehin nicht mehr bis Vertragsende am 15.10.2021 voll eingebracht werden hätte können, gehe daher fehl. Zugunsten des Arbeitgebers gelte die gesetzliche Kürzungsmöglichkeit für das gesamte Urlaubsvolumen, auch wenn der Urlaub rechnerisch nicht mehr bis Vertragsende voll eingebracht werden könne; wegen laufender Elternzeit oder wegen nicht ausreichender Beendigungsfrist. Der Arbeitgeber könne auch zu diesem späteren Zeitpunkt des Mitarbeiters noch eine umfassende Kürzungserklärung aussprechen.
17
Wenn eine Kürzungserklärung, bezogen auf den Anspruch auf Urlaubsabgeltung, nach Vertragsende nicht mehr wirken könne, komme es nur mehr darauf an, ob die Beklagte bereits vor dem 15.10. eine wirksame Kürzungserklärung nach § 17 Abs. 1 BEEG abgegeben habe; zum Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrags am 13.10.2021 hätte vom Arbeitgeber allerdings noch gar kein Urlaubsabgeltungsanspruch gekürzt werden können, da es zu diesem Zeitpunkt noch keinen Abgeltungsanspruch gegeben habe, weil dieser erst nach Vertragsende am 15.10.2021 entstehen habe können. Durch den Aufhebungsvertrag könne auch kein auflaufender Urlaub aus der Zeit vor Beginn der Elternzeit gekürzt werden. Die gesetzliche Kürzungsoption des § 17 Abs. 1 BEEG beziehe sich nur auf den Urlaub aus der Elternzeit. Deshalb könne sich eine eventuelle Kürzungserklärung des Arbeitgebers nach § 17 Abs. 1 BEEG ohnehin nur auf die Zeit ab Januar 2020 bis Vertragsende am 15.10.2021 beziehen. Der aufgelaufene Urlaub aus der Zeit bis Dezember 2019 – also der Zeit vor der Elternzeit – unterliege ohnehin nicht der Kürzungsoption des Arbeitgebers nach § 17 Abs. 1 BEEG. Die Kürzung des aufgelaufenen Urlaubs aus den Jahren 2018 und 2019 durch die Beklagte wäre deshalb unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt eröffnet gewesen.
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Die Klägerin habe deshalb bis Vertragsende am 15.10.2021 auch nicht einseitig auf den Urlaub vor der Elternzeit oder den Urlaub aus der Elternzeit verzichten können, auch nicht durch einen Aufhebungsvertrag und einer Verzichtserklärung. Sie hätte allenfalls nach Vertragsende am 15.10.2021 auf einen Urlaubsabgeltungsanspruch den Verzicht erklären können, was sie allerdings nicht getan habe und was im Aufhebungsvertrag nicht geschehen wäre, da es zum Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrags keinen Urlaubsabgeltungsanspruch gegeben habe. Ein Vorabverzicht auf den Urlaubsabgeltungsanspruch im laufenden Arbeitsverhältnis wäre nicht möglich. Somit könne sich eine von der Beklagten zu Unrecht angenommene Kürzungserklärung des Arbeitgebers im Aufhebungsvertrag ohnehin nur auf Urlaub aus der Elternzeit beziehen.
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Des Weiteren vertritt die Klägerin den Standpunkt, im Aufhebungsvertrag vom 13.10.2021 liege keine wirksame Kürzungserklärung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG vor; sie habe zu keinem Zeitpunkt erkennen können, dass die Beklagte am 13.10.2021 von ihrem Gestaltungsrecht nach § 17 Abs. 1 BEEG durch eine klare einseitige Willenserklärung Gebrauch gemacht habe oder diese hätte tun wollen. Der Aufhebungsvertrag regele die Beendigung zum 15.10.2021. Auch die „maßvolle Abfindung“ von 6.000,00 Euro brutto lasse keinen Raum für die Vorstellung, dass die Parteien den Urlaub sozusagen in die Abfindung „eingerechnet“ hätten. Die Beklagte hätte nach Ablauf der Elternzeit und der Beendigung des Sonderkündigungsschutzes die Kündigung in ihrem Kleinbetrieb lediglich mit der vertraglichen Kündigungsfrist von drei Monaten aussprechen können, was bedeute, dass die Kündigung frühestens in der zweiten Oktoberhälfte 2021 mit Wirkung zum 31.01.2022 erfolgen hätte können. Unter Zugrundelegung eines Gehalts der Klägerin in Höhe von 4.166,00 Euro brutto monatlich lasse sich die vereinbarte Abfindung von 6.000,00 Euro brutto wirtschaftlich allenfalls als teilweise Kompensation des Verzichts beider Parteien auf die Kündigungsfrist und die dahinterstehende Vergütung erkennen. Ein „Urlaubswert“ wäre daher im Abfindungsbetrag nicht eingepreist worden. Es sei auch gar nicht die Intension der Parteien gewesen.
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Des Weiteren hat die Klägerin darauf abgestellt, auch Ziffer 2 des Aufhebungsvertrags enthalte keine klare Willenserklärung im Sinne des § 17 Abs. 1 BEEG zur Kürzung; der vorformulierte Passus in Ziffer 6 lasse für die Klägerin nicht erkennen, dass die Beklagte das Gestaltungsrecht nach § 17 Abs. 1 BEEG bezogen auf den Urlaub in der Elternzeit ausüben wolle; der Urlaub wäre in dieser Ziffer weder genannt noch angedeutet. Weil der ohnehin nicht der Kürzungsoption unterliegende Urlaub aus der Zeit vor Beginn der Elternzeit nicht durch Verzichtserklärung der Arbeitnehmerin beseitigt werden könne und in Ziffer 6 auch keine Differenzierung zwischen Urlaub vor der Elternzeit und Urlaub während der Elternzeit formuliert worden sei, wäre anzunehmen, dass in Ziffer 6 keine Erklärung in Bezug auf den Urlaub in der Elternzeit abgegeben worden wäre.
21
Bezüglich des weiteren Vorbringens der Klägerin wird auf ihre schriftsätzlichen Ausführungen vom 16.12.2021, 22.03.2021 und die mit diesen Schriftsätzen übergebenen Anlagen Bezug genommen.
22
Die Klägerin hat folgenden Antrag gestellt:
Die Beklagte wird verurteilt, an sie 17.689,48 Euro brutto zu zahlen, zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 16.10.2021.
23
Die Beklagte hat beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
24
Die Beklagte hat sich darauf berufen, weil die Parteien das Arbeitsverhältnis im Einvernehmen beenden hätten wollen, hätten sie sich am 13.10.2021 auf den Aufhebungsvertrag geeinigt; der Entwurf des Aufhebungsvertrags habe von der Klägerin bzw. ihrem Vertreter gestammt; die Geschäftsführung der Beklagten sei bei den Verhandlungen über den Aufhebungsvertrag bis nach dessen Abschluss nicht anwaltschaftlich vertreten oder beraten gewesen. Seitens der Beklagten wäre vorgeschlagen worden, eine Abgeltungsklausel in den Aufhebungsvertrag aufzunehmen, um die gesamte Angelegenheit endgültig abzuschließen, dies wäre dann in der Ziffer 6 des Vertrags so erfolgt.
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Die Beklagte vertritt den Standpunkt, der Klägerin würden keine Urlaubsabgeltungsansprüche mehr zustehen, sämtliche Geldansprüche und somit auch die Urlaubsabgeltungsansprüche wären durch die Abgeltungsklausel erfasst und somit erloschen. Zwar könne nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auf Urlaubsansprüche nicht verzichtet werden, insofern wären Urlaubsansprüche nicht von der Abgeltungsklausel erfasst, etwas Anderes gelte allerdings für Urlaubsabgeltungsansprüche, diese wären nicht – wie nach früherer Rechtsprechung – ein Surrogat des Urlaubsanspruchs und somit Ausdruck der Erholung, sondern eigenständige vom Erholungszweck unabhängige Geldansprüche; diese könnten mit einer Abgeltungsklausel erledigt werden.
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In der Klage wäre ausgeführt worden, dass im Zeitpunkt des Aufhebungsvertragsabschlusses – also am 13.10.2021 – der Urlaubsanspruch an sich noch bestanden habe und von der Abgeltungsklausel nicht erfasst wäre; diese rechtliche Einschätzung erweise sich als unzutreffend; etwaige Urlaubsansprüche hätten sich im Zeitpunkt des Aufhebungsvertragsabschlusses in Urlaubsabgeltungsansprüche umgewandelt und deshalb wären sie von der Abgeltungsklausel erfasst. Der Urlaubsanspruch werde zum Abgeltungsanspruch, weil die Gewährung von Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses unmöglich werde. Beim Abschluss des Vertrags habe daher festgestanden, dass das Arbeitsverhältnis am 15.10.2021 geendet habe, und zwar unmittelbar anschließend an die Elternzeit der Klägerin und der Klägerin hätte gar kein Urlaub in natura mehr gewährt werden können, deshalb wären die Urlaubsabgeltungsansprüche bereits am 13.10.2021 mit Abschluss des Aufhebungsvertrags entstanden. Insofern hätten die Urlaubsabgeltungsansprüche eine juristische Sekunde, bevor die Abgeltungsklausel des Vertrags ihre Wirkung entfaltet habe, bestanden; hierfür spreche auch die Bestimmung des § 17 Abs. 3 BEEG. Die Regelung stelle gerade nicht auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ab, sondern formuliere „wird nicht fortgesetzt“.
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Hilfsweise hat die Beklagte die Kürzung des Erholungsurlaubs für den gesamten Zeitraum vom 16.10.2019 bis einschließlich 15.10.2021 nach § 17 Abs. 1 BEEG im Rahmen eines Schriftsatzes vom 01.02.2022 erklärt und hieraus hergeleitet, dass damit maximal zwei Urlaubstage aus dem Jahr 2018, sieben Urlaubstage aus dem Jahr 2021, insgesamt daher maximal neun Urlaubstage übrigbleiben würden. Die Beklagte hat darauf Bezug genommen, dass gemäß einem Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 16.09.2014 die Kürzungserklärung nach § 17 Abs. 1 BEEG auch erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgegeben werden könne. Diese habe dann zur Folge, dass der Urlaubsanspruch rückwirkend zu dem Zeitpunkt, zu dem er entstanden wäre, wegfalle.
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Des Weiteren hat die Beklagte hilfsweise darauf abgestellt, dass in der Abgeltungsklausel eine konkludente Kürzungserklärung des Geschäftsführers gesehen werden könne; mit Aufnahme einer Klausel, dass alle gegenseitigen Ansprüche als abgegolten gelten sollten, werde zum Ausdruck gebracht worden, dass die Beklagte der Klägerin keine weiteren Ansprüche habe gewähren wollen. Konkret bedeutet dies, auch keine Urlaubstage mehr gegeben wären; in objektiver Hinsicht müsse diese Klausel im Aufhebungsvertrag so verstanden werden.
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Des Weiteren hat die Beklagte darauf hingewiesen, im Übrigen wären die vertraglichen Urlaubstage ohnehin bis zum Jahr 2021 verfallen; beim Urlaubsanspruch der Klägerin handele es sich jeweils um 20 Tage des gesetzlichen Urlaubs und 10 Tage des vertraglichen Zusatzurlaubs, gemäß § 11 Abs. 1 des Arbeitsvertrags werde der gesetzliche Urlaubsanspruch jeweils zuerst in Anspruch genommen, die beiden Resttage aus dem Jahr 2018 seien daher vertraglicher Urlaub, dieser verfalle nach § 11 Abs. 2 des Arbeitsvertrags am 31.12. des jeweiligen Jahres, wenn dringende betriebliche Gründe oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe eine Übertragung in die ersten drei Kalendermonate des Folgejahres nicht rechtfertigen würden. Ein derartiger Fall wäre nicht ersichtlich, somit wäre der Urlaub zum 31.12. des Jahres verfallen. Für die Jahre 2019, 2020 und 2021 vertritt die Beklagte den Standpunkt, dass der vertragliche Mehrurlaub von jeweils 10 Tagen ebenfalls mit Ablauf des 31.12. verfallen wäre, die Elternzeit der Klägerin würde keine Übertragung der Urlaubstage rechtfertigen. Daher müsse auf jeden Fall davon ausgegangen werden, dass 32 geltend gemachte vertragliche Urlaubstage vollständig weggefallen wären.
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Des Weiteren hat die Beklagte darauf abgestellt, zur Gewährung des vertraglichen Zusatzurlaubs wäre sie nicht verpflichtet, weshalb dieser Urlaub vertraglich gestaltbar wäre; diese Gestaltung habe in § 11 Abs. 2 des Arbeitsvertrags stattgefunden mit der Folge, dass der vertragliche Zusatzurlaub im laufenden Kalenderjahr zu gewähren und zu nehmen wäre, was bedeute, dass er nur dann auf das nächste Kalenderjahr übertragen werde, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen würden. Im Fall der Übertragung müsse der zusätzliche vertragliche Urlaub in den ersten drei Monaten des nächsten Kalenderjahres gewährt und genommen werden, ansonsten verfalle er mit Ablauf des 31.03. dieses nächsten Kalenderjahres. Dies habe auch für Fälle zu gelten, in welchen der Arbeitnehmer den zusätzlichen vertraglichen Urlaub wegen Krankheit nicht in Anspruch nehmen könne; die Elternzeit sei hier der Krankheit gleichzustellen. Die Beklagte vertritt den Standpunkt, die von der Klägerin vertretene Auffassung, dass § 17 Abs. 3 BEEG den Verfall auch von vertraglichen Zusatzurlaub verhindere, wäre nicht zutreffend und dies ergebe sich nicht aus dem Wortlaut der Bestimmung.
31
Fernerhin hat die Beklagte darauf abgestellt, der streitgegenständliche Anspruch hänge maßgeblich davon ab, wann sich der nicht von einer Abgeltungsklausel erfasste Urlaubsanspruch in einen reinen Abgeltungsanspruch als Geldanspruch wandele. Nach dem Standpunkt der Beklagten wäre dies nicht zwangsweise mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am letzten Tag des Arbeitsverhältnisses der Fall, vielmehr trete diese Umwandlung bereits mit dem Eintritt der Unmöglichkeit ein, den Urlaub vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses als bezahlte Freizeit zu gewähren. Das Bundesarbeitsgericht habe entschieden, dass die Bestimmung allein an die durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses verursachte Unmöglichkeit anknüpfe, den noch bestehenden Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers durch bezahlte Freistellung von der Arbeitspflicht zu realisieren, ohne bestimmte Beendigungstatbestände auszunehmen.
32
Wenn eine vertragliche Primärleistungspflicht – hier die Urlaubsgewährung – unmöglich werde, dann gehe dieser Primärleistungsanspruch nach § 275 Abs. 1 BGB mit dem Eintritt der Unmöglichkeit unter und an seine Stelle würde nach § 275 Abs. 4 BGB der Sekundärleistungsanspruch auf Zahlung der Vergütung treten. die Bestimmungen der §§ 280, 283 bis 285, 311 a und 326 BGB wären nach Auffassung der Beklagten direkt auf den Urlaubsanspruch anzuwenden, auf jeden Fall müsse die Bestimmung des § 17 Abs. 3 BEEG in diesem Sinne ausgelegt werden. Die Umwandlung des Anspruchs habe demzufolge bereits am 13.10.2021 stattgefunden, weil bereits zu diesem Zeitpunkt festgestanden hätte, dass über zwei Tage hinaus kein Urlaub mehr gewährt werden könne. Hieraus ergebe sich, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht durch einseitige Erklärung, sondern durch Ziffer 1 des Aufhebungsvertrags beendet worden wäre und die Klägerin könne sich nicht darauf berufen, den Aufhebungsvertrag in Unkenntnis dieser Situation unterschrieben zu haben.
33
Die Umwandlung des Urlaubsanspruchs als eines Anspruchs auf bezahlte Freistellung in einen Geldanspruch wäre nicht strikt an das Datum der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gebunden, sondern trete bereits vor dem Beendigungsdatum ein, wenn klar wäre, dass die Urlaubsgewährung ganz oder teilweise unmöglich wäre. Sofern beide Zeitpunkte auseinanderfallen würden, so wandele sich der Anspruch zum Zeitpunkt der Unmöglichkeit in einen Geldanspruch um. Dieser Geldanspruch sei nach der Rechtsprechung des EuGH ein Zahlungsanspruch wie jeder andere auch und werde von einer vereinbarten Abgeltungsklausel erfasst.
34
Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beklagten wird auf ihre schriftsätzlichen Ausführungen vom 01.02.2022, 01.03.2022 und auf die mit diesen Schriftsätzen übergebenen Anlagen Bezug genommen.
35
Verwiesen wird im Übrigen auf den Inhalt der Verhandlungsniederschriften vom 22.02.2022, 20.05.2022 und auf den gesamten Akteninhalt.

Entscheidungsgründe

I.
36
1. Die Klage ist zulässig; die Rechtswegzuständigkeit zum Arbeitsgericht ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG, weil es sich bei dem von der Klägerin geltend gemachten restlichen Urlaubsanspruch als Abgeltungsanspruch um eine finanzielle Streitigkeit aus einem vormals bestandenen und mittlerweile unstreitig beendeten Arbeitsverhältnis handelt. Die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Arbeitsgerichts ergibt sich sowohl aus §§ 12, 13 ZPO wie auch aus § 48 Abs. 1 a ArbGG, weil sich der Firmensitz und der Schwerpunkt der Erbringung der Arbeitsleistung innerhalb des örtlichen Zuständigkeitsbereichs des Arbeitsgerichts Rosenheim – Gerichtstag Mühldorf – befunden haben. Die weiteren Zulässigkeitskriterien sind bei der Klage gegeben.
37
2. Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Das erkennende Gericht vertritt den Standpunkt, dass der Klägerin hinsichtlich des gesetzlichen Mindestanspruchs des Urlaubs die Jahre 2020, 2021 und 2022 ein Anspruch von der Abgeltung von jeweils 20 Urlaubstagen – insgesamt mithin daher 60 Urlaubstage – zusteht. Zutreffend hat die Klägerin in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die Erklärung gemäß § 17 Abs. 1 BEEG im streitgegenständlichen Verfahren zumindest für den Urlaub derjenigen Zeit, zu welcher die Klägerin Elternzeit ohne vereinbarter Teilzeitarbeit eingebracht hat, nicht rechtzeitig abgegeben wurde. Da die Wertigkeit eines Urlaubstags zwischen den Parteien unstreitig war, kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass der restliche Urlaubsanspruch der Klägerin für insgesamt 60 Urlaubstage 11.536,80 Euro brutto beträgt. Im Übrigen konnte die Urlaubsabgeltungsklage keinen Erfolg haben, weil nach Auffassung des Gerichts die zusätzlichen vertraglich vereinbarten Urlaubstage der streitigen Jahre aufgrund der im Aufhebungsvertrag aufgenommenen Abgeltungsklausel sämtlicher Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis als nicht mehr mit Erfolg geltend machbar sind. Zwar findet diese arbeitsvertragliche Regelung, die im Aufhebungsvertrag verwendet wurde, auf den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch, da er unverzichtbar ist, keine Anwendung, die Relevanz der Abgeltungsklausel auf die zusätzlich vereinbarten vertraglichen Urlaubsansprüche ist allerdings nach Auffassung des Arbeitsgerichts gegeben, so dass die Klage nur teilweise begründet war.
II.
38
1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG wegen der zwischenzeitlich erfolgten Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Aufhebungsvertrag mit demjenigen Tag, zu dem das Arbeitsverhältnis enden sollte, einen Urlaubsabgeltungsanspruch für insgesamt 60 Arbeitstage. Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten kann zumindest für die Zeit, in welcher die Klägerin Elternzeit ohne erlaubter oder vereinbarter Teilzeitarbeit genommen hat, ein Anspruchsausschluss durch Erklärung des Arbeitgebers gemäß § 17 Abs. 1 BEEG nicht angenommen werden, weil die Erklärung, die im Verlauf des Rechtsstreits schriftsätzlich durch den Prozessbevollmächtigten der Beklagten erfolgte, nicht mehr als rechtzeitig im Sinne dieser Bestimmung anzunehmen ist und die anderen Punkte, aus welchem die Beklagte herleiten wollte, dass dennoch die Erklärung konkludent rechtzeitig abgegeben worden wäre, nicht überzeugen können.
39
2. Zwar wurde in der Rechtsprechung der Instanzgerichte die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt eine wirksame Erklärung der Kürzung des Urlaubsanspruchs oder des Urlaubsabgeltungsanspruchs in der Elternzeit gemäß § 17 Abs. 1 BUrlG erfolgen kann, sehr unterschiedlich gesehen, seit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 19.05.2015 (9 AZR 725/13, NZA 2015, 989) ist allerdings davon auszugehen, dass die Regelung des § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG voraussetzt, dass der Anspruch auf Erholungsurlaub noch besteht; daran fehlt es, wenn das Arbeitsverhältnis beendet ist und der Arbeitnehmer Anspruch auf Urlaubsabgeltung haben sollte. Unstreitig ist zwischen den Parteien, dass zumindest die erstmalige ausdrückliche Erklärung der Beklagten – erfolgt durch ihren Prozessbevollmächtigten – schriftsätzlich dargelegt wurde, als nach den Vereinbarungen des Aufhebungsvertrags das Arbeitsverhältnis der Klägerin bereits beendet war. Das Bundesarbeitsgericht geht davon aus, dass die Regelung in § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG, wonach der Arbeitgeber den Erholungsurlaub, der dem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin für das Urlaubsjahr zusteht, für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um 1/12 kürzen kann, voraussetzt, dass der Anspruch auf Erholungsurlaub noch besteht; daran fehlt es, wenn das Arbeitsverhältnis (bereits) beendet ist und der Arbeitnehmer demzufolge einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung hat. Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist in diesem Zusammenhang kein Äquivalent zum Urlaubsanspruch, sondern ein Aliud im Form eines selbständigen Geldanspruchs.
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Dass die frühere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts – mithin vor der Entscheidung vom 15.05.2015 – einen anderen Standpunkt vertreten hat, mag so sein, das Bundesarbeitsgericht ist in der Entscheidung vom 19.05.2015 allerdings davon ausgegangen, dass bereits im Jahr 2011 kein schutzwürdiges Vertrauen aufgrund der früheren Rechtsprechung, dass die Kürzungserklärung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch abgegeben werden konnte, bestanden hat.
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3. Die bisherige – anderslautende – Rechtsprechung zur Kürzungsbefugnis des Arbeitgebers, möglich auch (noch) nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, beruhte auf der vom Bundesarbeitsgericht mittlerweile vollständig aufgegebenen Surrogats-Theorie; nach dieser war der Urlaubsabgeltungsanspruch Erfüllungs-Surrogat des Urlaubsanspruchs, es bestand Zweckidentität zwischen Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen (BAG, 19.06.2012, 9 AZR 652/10, BAGE 142, 464). Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist der Anspruch auf Urlaubsabgeltung allerdings ein reiner Geldanspruch und nicht mehr Surrogat des Urlaubsanspruchs. Der Urlaubsabgeltungsanspruch verdankt seine Entstehung zwar urlaubsrechtlichen Vorschriften, entweder – was den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch betrifft – der anspruchsbegründenden Norm des Bundesurlaubsgesetzes oder – was die zusätzlichen Urlaubsansprüche betrifft – entweder einer vertraglichen oder auch tarifrechtlichen Regelung, welche jeweils einen höheren Urlaubsanspruch vorsehen als den gesetzlichen Mindestanspruch. Wenn der Urlaubsabgeltungsanspruch entstanden ist, bildet er jedoch einen Teil des Vermögens des Arbeitnehmers und unterscheidet sich in rechtlicher Hinsicht nicht von anderen Zahlungsansprüchen des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber (BAG, Urteil vom 14.05.2013, 9 AZR 844/11, BAGE 145, 107). Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist damit nicht mehr als ein Äquivalent zum Urlaubsanspruch anzusehen, sondern als ein Aliud in Form eines selbständigen Geldanspruchs zu betrachten. Sofern das Arbeitsverhältnis im Anschluss an die Elternzeit nicht fortgesetzt werden sollte – wie im hier zu entscheidenden Rechtsstreit, da ein Aufhebungsvertrag abgeschlossen wurde – können Arbeitgeber während der einzuhaltenden Kündigungsfristen oder vor Abschluss eines Aufhebungsvertrags immer noch von ihrer Kürzungsbefugnis Gebrauch machen. Ein schutzwürdiges Interesse von Arbeitgebern, nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstandene Zahlungsansprüche von Arbeitnehmern kürzen zu können, entfällt deshalb, wie das Bundesarbeitsgericht festgestellt hat. Auch die Bestimmung des § 17 Abs. 4 BEEG kommt zu keinem anderen Ergebnis; die Bestimmung regelt die Kürzung des nach dem Ende der Elternzeit zustehenden Urlaubs, also eines bestehenden oder entstehenden Urlaubsanspruchs des Arbeitnehmers. Die Kürzungsmöglichkeit entfällt immer dann, wenn das Arbeitsverhältnis nach der Elternzeit – so wie hier – beendet wird. Eine rückwirkende Kürzung des vor der Elternzeit erfüllten Urlaubsanspruchs und eine Rückforderung des gezahlten Urlaubsentgelts sieht § 17 Abs. 4 BEEG in dieser Situation nicht vor. Dies verdeutlicht, dass es sich bei der Verrechnungsmöglichkeit gerade nicht um ein Gestaltungsrecht mit Rückwirkung ausgestattet handeln sollte, sondern es stellt die Befugnis dar, bestehenden oder künftig entstehenden Urlaub zu kürzen.
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4. Zutreffend hat die Klägerin in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass bei § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG der Arbeitgeber eine gesetzliche Kürzungsoption innerhalb der vorgegebenen Zeit hat, was lediglich eine Möglichkeit zur Rechtsgestaltung darstellt, selbstverständlich ist dies keine Pflicht. Der Arbeitgeber kann in diesem Zusammenhang frei entscheiden, wie er während der Elternzeit, in der keine erlaubte oder vereinbarte Teilzeitarbeit ausgeübt wird, verfahren will. Dass sich in diesem Zusammenhang die meisten der Arbeitgeber dafür entscheiden, von der Kürzungsmöglichkeit des § 17 Abs. 1 BEEG Gebrauch zu machen, ist als Gegebenheit zu unterstellen, allerdings sind auch Situationen denkbar, wo insbesondere wegen der Bindungswirkung und der Aufwendungen in Bezug auf den Erhalt des Arbeitsplatzes, insbesondere bei höherqualifizierten Tätigkeiten und bei Facharbeiterarbeiten, bei welchen derzeit die Arbeitskräfte eher gesucht werden, die Möglichkeit in Betracht gezogen wird, als eine Art „Bindeprämie“ von der Kürzungsmöglichkeit keinen Gebrauch zu machen, damit erreicht werden kann, dass das Arbeitsverhältnis von Beschäftigten, auf welche der Arbeitgeber dringend angewiesen ist, fortgesetzt wird. Dass in der vorliegenden Situation der Klägerin diese Argumente keine Relevanz haben, ergibt sich von selbst, weil offenbar sowohl die Beklagte als auch die Klägerin zu dem Zeitpunkt, als sich die Elternzeit ihrem Ende zuneigte, den Standpunkt vertreten haben, das Arbeitsverhältnis sollte in „beiderseitigem Einvernehmen“ gelöst werden. Weil hier der Urlaub im Ergebnis nicht gekürzt wurde, steht der Arbeitnehmerin in der Elternzeit der volle gesetzliche Mindesturlaubsanspruch zu, den sie später – nach dem Ende der Elternzeit, wenn das Arbeitsverhältnis fortgesetzt werden sollte – vollinhaltlich einbringen hätte können. Zutreffend hat die Klägerin in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen, dass das Bundesarbeitsgericht dies so festgestellt hat, mithin den Umstand, dass sich aus § 17 Abs. 3 BEEG herleiten lässt, dass hier der Urlaub während der Elternzeit gemeint ist, auf jeden Fall der gesetzliche Urlaubsanspruch, der während der Elternzeit entstanden ist, ist abzugelten, grundsätzlich auch der vertragliche, es sei denn, die Parteien treffen – so wie hier – im Aufhebungsvertrag eine Regelung, die zur Folge hat, dass im Ergebnis nur der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch der letzten Jahre zur Abgeltung übrigbleibt.
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5. Soweit die Klägerin Urlaub aus der Zeit vor der Elternzeit geltend macht, hier mithin den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch des Jahres vor der Einbringung der Elternzeit, gilt die gesetzliche Regelung in § 17 Abs. 2 BEEG, dass der vor Beginn der Elternzeit (hier Januar 2020) auflaufende, nicht vollständig eingebrachte Urlaub regelmäßig nach Ende der Elternzeit zu gewähren ist, und zwar im Jahr der Rückkehr der Arbeitnehmerin aus der Elternzeit oder im Folgejahr, wie sich aus § 17 Abs. 2 BEEG ergibt. Daher ist davon auszugehen, dass die Beklagte keine wirksame rechnerische Kürzung des Urlaubsvolumens von 60 Urlaubstagen, was die letzten drei Jahre betrifft, vorgenommen hat, und zwar in dem Anteil, als die Klägerin für zwei Jahre Elternzeit genommen hat. Der davorliegende gesetzliche Mindesturlaubsanspruch ist ohnehin nicht von der Kürzungsmöglichkeit betroffen, sondern dieser findet seine Reglung in § 17 Abs. 2 BEEG.
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6. Was den Umstand betrifft, dass sich die Beklagte darauf berufen hat, dass der Urlaub aus der Elternzeit auch nach dem rechtlichen Ende des Arbeitsverhältnisses – durch Aufhebungsvertrag vereinbart zum 15.10.2021 – gekürzt werden könnte, ist dies, wie ausgeführt, nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 19.05.2015, 9 AZR 725/13) nicht möglich. Eine wirtschaftlich auf die Minderung des Urlaubsabgeltungsanspruchs angelegte, nach Vertragsende vorgesehene Kürzung des gesetzlichen Urlaubsanspruchs nach § 17 Abs. 1 BEEG durch den Arbeitgeber geht ins Leere, ebenso des vertraglichen Zusatzurlaubsanspruchs, es sei denn, dass – so wie hier – dieser aus anderen Gründen von der Anspruchstellerin nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden kann. Zutreffend hat die Klägerin in diesem Zusammenhang darauf abgestellt, dass mit dem Vertragsende, vereinbart im Aufhebungsvertrag – also zum 15.10.2021 um 24.00 Uhr – der Urlaubsgewährungsanspruch der Klägerin beendet war, daher konnte er nicht mehr gekürzt werden. Mit den im Aufhebungsvertrag festgelegten Vertragsende wurde der Urlaubsgewährungsanspruch zum Urlaubsabgeltungsanspruch und somit aus dem Erfüllungsanspruch der Arbeitnehmerin zustehenden Urlaubstage durch Einbringung ging er von der Rechtsnatur her gesehen in einen reinen Geldanspruch über. Der reine Geldanspruch kann der gesetzlichen Kürzungsregelung nach § 17 Abs. 1 BEEG nicht unterworfen werden, was bedeutet, dass dann, wenn beim Vertragsende des Arbeitsverhältnisses der Urlaub noch nicht vollständig eingebracht sein sollte, eine Abgeltung stattzufinden hat.
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7. Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten kann auch nicht angenommen werden, dass sie bereits vor dem 15.10.2021 eine wirksame Kürzungserklärung nach § 17 Abs. 1 BEEG abgegeben hätte, etwa durch Abschluss des Aufhebungsvertrags vom 13.10.2021. Zu diesem Zeitpunkt konnte von der Beklagten, worauf die Klägerin hingewiesen hat, noch kein Urlaubsabgeltungsanspruch gekürzt werden; zu diesem Zeitpunkt – mithin zum 13.10.2021, als der Aufhebungsvertrag abgeschlossen wurde – gab es von der Rechtsform her gesehen zwar einen Urlaubsgewährungsanspruch, aber keinen Urlaubsabgeltungsanspruch, weil dieser, wie bereits ausgeführt, erst zum Ablauf des Arbeitsverhältnisses am 15.10.2021 entstanden ist. Hieraus ist abzuleiten, dass durch den Aufhebungsvertrag vom 13.10.2021 kein aufgelaufener Urlaub aus der Zeit vor Beginn der Elternzeit gekürzt werden konnte und auch nicht ein Urlaub, der während der Elternzeit entstanden ist, da die Kürzungsoption aus § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG sich nur auf den Urlaub aus der Elternzeit bezieht.
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8. Grundsätzlich hatte die Klägerin sachgerecht darauf abgestellt, dass sie rechtlich bis zum vereinbarten Vertragsende am 15.10.2021 nicht einseitig auf den Urlaub vor der Elternzeit oder den Urlaub aus der Elternzeit verzichten hätte können, auch nicht durch den Aufhebungsvertrag vom 13.10.2021; allerdings mit der Einschränkung – wie noch auszuführen sein wird – dass sich dies lediglich auf den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch beziehen kann.
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a) Allenfalls nach Vertragsende am 15.10.2021 hätte die Klägerin ausdrücklich noch auf den gesetzlichen Urlaubsabgeltungsanspruch verzichten können, dies ist allerdings eindeutig nicht erfolgt. Ein Vorabverzicht der Klägerin zumindest auf den gesetzlichen Urlaubsabgeltungsanspruch im laufenden Arbeitsverhältnis ist aus rechtlichen Gründen nicht möglich. Gleiches gilt hinsichtlich der aufgeworfenen Rechtsfrage, ob durch die im Aufhebungsvertrag vereinbarte Abfindung von 6.000,00 Euro brutto als Ausgleichszahlung für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses konkludent darauf geschlossen werden müsste, ob dadurch möglicherweise der gesamte noch offene Urlaubsanspruch oder zumindest der gesetzliche Urlaubsanspruch beseitigt sein sollte. Unabhängig von den rechtlichen Argumenten, welche die Klägerin zu diesem Punkt vorgetragen hat, ist nach Auffassung des Gerichts darauf abzustellen, dass sich die nachträgliche Prüfung, in welcher Summe – von der Höhe her gesehen – einer Abfindung möglicherweise weitere Ansprüche sich als „darin mitenthalten“ darstellen, als unstatthaft anzusehen ist, da dies zu einer Vermengung zwischen der Abfindungszahlung für den Verlust des Arbeitsplatzes und sonstiger Leistungen, die als Bruttozahlung im Arbeitsverhältnis noch offenstehen, auftreten.
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b) Es entspricht zwar der vertraglichen Praxis der außergerichtlichen und gerichtlichen Streitbeilegung bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen, dass streitige Punkte, die mit der vereinbarten Höhe der Abfindung nichts zu tun haben, deren Bestand von den Parteien durchaus sehr unterschiedlich gesehen wird, mit einer umfassenden Abgeltungsklausel zumeist miterledigt werden, es verbietet sich in diesem Zusammenhang allerdings, eindeutig bestehende gesetzliche Ansprüche, wie etwa die Mindesturlaubsansprüche, in die Höhe einer vereinbarten Abfindung sozusagen „mit einzufügen“. Zwar kann in Bezug auf streitige Urlaubsansprüche ein Tatsachenvergleich dahingehend geschlossen werden, aus dem sich ergibt, dass die Parteien sich darüber einig sind, dass weitere Urlaubsansprüche nicht mehr bestehen, weil sie eingebracht sind, die Erhöhung einer vereinbarten Abfindungssumme oder die „Miteinkalkulierung“ von unstreitig (noch) bestehenden gesetzlichen, tariflichen -und auch vertraglichen – Urlaubsansprüchen in Form von Urlaubsabgeltungsansprüchen bei der Bemessung der Abfindung würde einen Verstoß dahingehend darstellen, dass sich die steuerrechtliche Situation der Abfindung und die steuerrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Situation bei Lohnleistungen und Urlaubsabgeltungszahlungen als durchaus unterschiedlich darstellt.
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c) Zutreffend hat die Klägerin in diesem Zusammenhang dargelegt, dass unter Würdigung der Dauer des Arbeitsverhältnisses die vereinbarte Abfindung bei Gegenüberstellung in Bezug auf denjenigen Betrag der dann anfallenden Gehaltszahlungen in Bezug auf die dann einzuhaltenden Kündigungsfrist aus Sicht der Arbeitgeberseite verglichen hätte werden können und die Annahme, in den Abfindungsbetrag wäre auch ein Urlaubsabgeltungsbetrag sozusagen „mit eingefügt“ worden, verbietet, unabhängig von der Frage, ob es hier nur um den gesetzlichen Urlaubsanspruch oder den gesamten Urlaubsanspruch einschließlich des vertraglichen gehen sollte. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen.
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8. Im Ergebnis war daher festzustellen, dass die Klägerin gegen die Beklagte für die Jahre 2019, 2020 und 2021, da in der zweiten Jahreshälfte das Arbeitsverhältnis durch Aufhebungsvertrag beendet wurde, jeweils einen Abgeltungsanspruch des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs von 20 Tagen hat, insgesamt daher einen Anspruch in Höhe von 60 Tagen. Weil die Beklagte Einwendungen in Bezug auf die Richtigkeit der Berechnung Klageforderung nicht erhoben hat, ist insofern das Vorbringen der Klägerin als zugestanden anzusehen, woraus folgt, dass der der Klägerin zustehende Abgeltungsanspruch beim gesetzlichen Urlaub für diese drei Jahre 11.536,80 Euro brutto beträgt. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 247 BGB.
III.
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1. Weitere von der Klägerin geltend gemachten Urlaubsansprüche – mithin die vertraglichen, die über dem gesetzlichen Mindesturlaub liegen – sind für die geltend gemachten Jahre nach Auffassung des Arbeitsgerichts aufgrund der Ziffer 6, die im Aufhebungsvertrag vom 13.10.2021 vereinbart wurde, verfallen. In dieser Ziffer 6 des Aufhebungsvertrags haben die Parteien geregelt, dass mit Abschluss dieses Vertrags alle gegenseitigen Forderungen der Parteien, gleichwohl aus welchem Rechtsgrund, abgegolten sein sollen. Wie bereits ausgeführt, kann sich diese Abgeltungsklausel wegen der gesetzlichen Unverzichtbarkeit nicht auf die gesetzlichen Mindesturlaubsansprüche beziehen, sondern lediglich auf vertragliche Zusatzansprüche, nämlich diejenigen Urlaubstage, welche in der arbeitsrechtlichen Vereinbarung der Parteien über dem Niveau des gesetzlichen Urlaubsanspruchs vom 24 Werktagen, was bei der Fünf-Tage-Woche 20 Arbeitstage im Kalenderjahr sind, liegen.
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2. Während der gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts so ausgestaltet ist, dass er grundsätzlich unverfallbar ist, auch über den 31.03. des Folgejahrs übertragbar, sofern der Arbeitgeber in einem bestehenden Arbeitsverhältnis nicht seine Mitwirkungspflichten dahingehend erfüllt, dass er im laufenden Urlaubsjahr, wenn es sich seinem Ende zuneigt, den Arbeitnehmer auffordert, den restlichen Urlaubsanspruch des Jahres bis zum Jahresende oder zumindest im Übertragungszeitraum zu nehmen und wenn dies nicht erfolgen sollte, der Urlaubsgewährungsanspruch auch über den 31.03. des Folgejahres hinaus fortbestehen kann (BAG, Urteil vom 29.09.2020, 9 AZR 266/20), ist beim zusätzlichen vertraglichen Anspruch dies nicht gegeben und dieser kann, je nach vertraglicher Regelung, entweder nach Ablauf des Urlaubsjahres oder zumindest im Übertragungszeitraum verfallen, wenn die vertraglichen Zusatzansprüche des Arbeitnehmers nicht innerhalb der vorgegebenen Zeiten genommen werden und beim vertraglichen Zusatzanspruch ist der Arbeitgeber grundsätzlich auch nicht – wie beim gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch – gehalten, den hierzu von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entwickelten Hinweispflichten nachzukommen; es kommt regelmäßig darauf an wie beim Zusatzurlaub die Verfallfristen aufzufassen sind. Dies hat zur Folge, dass grundsätzlich eine vertragliche Abgeltungsklausel bei vertraglichen Zusatzansprüchen die Wirkung entfalten kann, dass diese Urlaubsansprüche nicht mehr bestehen. Um zu dieser Folgerung zu kommen, erfordert allerdings die Auslegung der in einer Aufhebungsvereinbarung verwendeten Abgeltungsklausel, dass die klare Rechtsfolge sich dahingehend ergibt, dass nicht nur alle eventuell noch bestehenden finanziellen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, sondern auch solche, die sich aus den Urlaubsansprüchen ergeben, erfasst sein sollen. Die Ziffer 6 des Aufhebungsvertrags regelt eindeutig, dass mit Abschluss dieses Aufhebungsvertrags alle gegenseitigen Forderungen der Parteien, gleich aus welchem Rechtsgrund, abgegolten sein sollen. Aus der Formulierung der Ausgleichsklausel ergibt sich daher nach Auffassung des Gerichts, dass sie umfassend zu verstehen ist, also in dem Sinne, dass auch die zusätzlichen Urlaubsansprüche, die über den Gesetzlichen liegen, von der Abgeltungsklausel erfasst sein sollen. Anhaltspunkte dafür, dass diese Regelung nicht so zu verstehen wäre, sind nach Auffassung des erkennenden Gerichts nicht gegeben. Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Urlaubsabgeltung kann als reiner Geldanspruch arbeitsvertraglichen Ausschlussfristen unterliegen, wenn es um vertragliche Vereinbarungen von Ausschlussfristen gehen sollte, nach denen der Anspruch binnen der dort normierten Zeiten verfallen soll (BAG, Urteil vom 22.10.2019, 9 AZR 532/18, NZA 2020, 513). Dem steht weder der unabdingbare Schutz des gesetzlichen Mindesturlaubs nach §§ 1, 3 Abs. 1; § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG noch die vom Gerichtshof der Europäischen Union vorgenommene Auslegung der RL 2003/88/EG entgegen.
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3. Zwar haben sich die Parteien hier nicht näher dahingehend eingelassen, wer den Aufhebungsvertrag vom 13.10.2021 entworfen oder vorformuliert hat und in welchem Umfang die Klägerin auf den Inhalt des Wortlauts Einfluss nahmen hat können, wobei allerdings aufgrund der Gesamtsituation wohl davon auszugehen ist, dass die Höhe der Abfindung sicherlich ausgehandelt wurde und hier letztendlich dahingestellt bleiben kann, ob es sich möglicherweise um einen von der Arbeitgeberseite vorformulierten Vertrag handeln sollte oder um einen, bei dem die wesentlichen Punkte, die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, die Höhe der Abfindung und die sonstigen Regelungen zwischen den Parteien ausgehandelt wurden.
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a) Die Abgeltungsklausel, welche in Ziffer 6 vereinbart wurde, ist auch dann, wenn der Aufhebungsvertrag vollständig von der Beklagten vorgegeben gewesen sein sollte und eine inhaltliche Modifikation, also ein Aushandeln des Vertrag im Übrigen, bei Vertragsabschluss nicht in einigen der zentralen Punkten möglich gewesen sein sollte, die aufgenommene Abgeltungsklausel nicht als eine überraschende Klausel oder als eine unangemessene Benachteiligung der Klägerin im Sinne des AGB-Rechts, sofern das von Relevanz wäre, angesehen werden könnte. Vom Wortlaut her gesehen ist die Abgeltungsklausel klar und verständlich, der Klägerin – vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten – musste klar sein, dass mit Ziffer 6 zumindest alle rechtlich verzichtbaren Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, die im Aufhebungsvertrag nicht ausdrücklich erwähnt wurden, was deren mögliches Bestehen betreffen kann, erfasst sein sollen. Dass auch vertragliche Zusatzurlaubsansprüche, die über dem gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch liegen, von einer derartigen Abgeltungsklausel erfasst sein können, muss einer verständigen Person klar sein, insbesondere aufgrund des Umstands, dass für die Klägerin hier ihr Prozessbevollmächtigter bei der Unterzeichnung des Aufhebungsvertrags tätig war und dieser wohl die erforderlichen Informationen vorgenommen haben wird. Ausgleichsklauseln in einer gerichtlichen wie auch in einer außergerichtlichen Vereinbarung oder – wie hier – in einem Aufhebungsvertrag sind im Interesse klarer Verhältnisse grundsätzlich weit auszulegen; durch eine Ausgleichsklausel im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wollen die Parteien in der Regel das Arbeitsverhältnis abschließend bereinigen und alle Ansprüche erledigen, zumindest die verzichtbaren, bei denen eine gesetzlichen Unverzichtbarkeit nicht entgegenstehen sollte, gleichgültig, ob die Parteien beim Vertragsabschluss und der Unterzeichnung der Regelung an diese dachten oder nicht.
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b) Wenn daher eine Klausel in der vertraglichen Regelung verwendet wird, die den Wortlaut hat, dass damit sind alle Ansprüche der Parteien aus dem Arbeitsverhältnis erledigt oder sonst wie als nicht mehr bestehend bezeichnet werden sollten erfasst dies auch Ansprüche auf die vertraglichen Urlaubsabgeltungsansprüche (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 12.05.2020, 5 Sa 197/19, zitiert nach juris). Nach § 133, 157 BGB sind Willenserklärungen und Verträge so auszulegen, wie die Parteien sie nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten. Dabei ist vom Wortlaut auszugehen, zur Ermittlung des wirklichen Willens der Parteien sind jedoch die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Vor allem sind sowohl die bestehende Interessenlage und auch der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Im Zweifel ist der Auslegung der Vorzug zu geben, die zu einem vernünftigen, widerspruchsfreien und den Interessen beider Vertragspartner gerecht werdenden Ergebnis führt. Haben alle Beteiligten eine Erklärung übereinstimmend in demselben Sinn verstanden, so geht der wirkliche Wille dem Wortlaut des Vertrages und jeder anderweitigen Interpretation vor und setzt sich auch gegenüber einem völlig eindeutigen Vertragswortlaut durch (BAG, Urteil vom 18. 5.2010, 3 AZR 373/08, Rn. 36 mwN).
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4. Weil der vertragliche Zusatzurlaubsanspruch nicht den engen Voraussetzungen der Übertragung auf das Folgejahr und möglicherweise nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auf die weiteren Folgejahre, weil derzeit noch nicht abschließend geklärt ist, ob irgendwann die nationalen Verjährungsvorschriften oder Verwirkungsregelungen eingreifen sollten, bei dem Teil des Urlaubs eine relativ lange Übertragung in die Zukunft der nicht genommenen Ansprüche möglich ist. Dass die vertraglichen Zusatzurlaubsansprüche diesem Fristenregime nicht unterliegen und demzufolge auch unter eine Abgeltungsklausel in Bezug auf „alle sonstigen Ansprüche“ fallen können, musste bei Vertragsabschluss evident sein, zumal in der Abgeltungsklausel ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass es nicht darauf aufkomme, aus welchem Rechtsgrund die Ansprüche sich ableiten lassen sollten. Weil von der Verzichtbarkeit der zusätzlichen vertraglichen Ansprüche auszugehen ist, kam das Arbeitsgericht zu dem Ergebnis, dass insofern der Klägerin kein Anspruch mehr zustehen kann und diejenigen Bestandteile der Klage, die den vertraglichen Zusatzurlaub betreffen – mithin die Tage 21 bis 30 der streitigen Jahre – abzuweisen waren.
IV.
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1. Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO; § 46 Abs. 2 ArbGG; je nach dem Grad des Obsiegens und Unterliegens waren die Kosten des Rechtsstreits zwischen den Parteien zu verteilen.
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2. Die Streitwertfestsetzung ergeht gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit § 3 ZPO; als Streitwert ist festzusetzen der klageweise geltend gemachte Hauptsachebetrag.