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OLG München, Endurteil v. 19.10.2022 – 10 U 8254/21 e
Titel:

Alleinhaftung bei Rutschen auf die Gegenfahrbahn

Normenketten:
StVG § 7, § 17
StVO § 2 Abs. 2, § 3 Abs. 1
Leitsatz:
Volle Eigenhaftung eines Kraftrades, welches in einer Kurve wegen zu starken Bremsens kippt und auf die Gegenfahrbahn rutscht. (Rn. 13 – 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kraftrad, Kurve, Gegenfahrbahn
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Endurteil vom 18.11.2021 – 74 O 1473/20
Fundstellen:
BeckRS 2022, 48174
SVR 2023, 226
LSK 2022, 48174

Tenor

1. Die Berufung des Klägers vom 18.11.2021 gegen das Endurteil des LG Ingolstadt vom 22.10.2021 (Az. 74 O 1473/20 V) wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das vorgenannte Urteil des Landgerichts sowie dieses Urteil sind jeweils ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leisten.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
5. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 69.300,- € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

A.
1
Der Kläger macht gegen die Beklagten Ansprüche auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 13.10.2018 gegen 16:00 Uhr auf der Kreisstraße EI 15, W., Abschnitt 120, km 2.650, Landkreis E., geltend. Hinsichtlich des Parteivortrags und der tatsächlichen Feststellungen erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil vom 22.10.2021 (Bl. 34/40 d. LG-A.) Bezug genommen (§ 540 I 1 Nr. 1 ZPO).
2
Das LG Ingolstadt hat die Klage abgewiesen.
3
Hinsichtlich der Erwägungen des Landgerichts wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
4
Gegen dieses dem Kläger am 25.10.2021 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem beim Oberlandesgericht München am 18.11.2021 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt (zu Bl. 2 d. OLG-A.) und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist mit einem beim Oberlandesgericht München am 25.01.2022 eingegangenen Schriftsatz (zu Bl. 12 d. OLG-A.) begründet. Der Kläger rügt, dass das Erstgericht eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung zu Lasten des Klägers vorgenommen habe und ohne Beweisaufnahme, insbesondere ohne ein unfallanalytisches Sachverständigengutachten zu erholen, von der alleinigen Haftung des Klägers ausgegangen ist.
5
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils
I. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an den Kläger 30.350,- € nebst Zinsen i.H.v. 5%-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem
11.12.2019 zu zahlen.
II. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche weiteren Schäden zu ersetzen zu 25%, die dem Kläger aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall vom 13.10.2018 auf der Kreisstraße EI15 noch entstehen werden, soweit sie nicht auf Dritte übergegangen sind.
III. die Beklagten samtschuldnerisch zu verurteilen, an den Kläger 3.236,47 € nebst Zinsen aus einem Betrag von 59,18 € seit dem 01.12.2018 sowie aus einem Betrag von jeweils weiteren 253,60 € jeweils monatlich ab dem 01.01.2019 bis zum
01.03.2020 zu zahlen.
IV. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.054,88 € nebst Zinsen in Höhe von 5%Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.
6
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
7
Der Senat hat gemäß Beweisbeschluss vom 09.03.2022 (Bl. 22/24 d. OLG-A.) Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen unfallanalytischen Gutachtens des Sachverständigen Dipl.Ing. (FH) R.
8
Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 18.07.2022 (Bl. 35/79 d. OLG-A.) verwiesen.
9
Ergänzend wird auf die vorgenannte Berufungsbegründungsschrift, die Berufungserwiderung vom 02.03.2022 (Bl. 19/21 d. OLG-A.) sowie auf die weiteren Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
B.
10
Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
11
I. Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf Schadensersatz verneint. Der Senat ist aufgrund der in zweiter Instanz durchgeführten Beweisaufnahme der Überzeugung, dass eine Haftung der Beklagten für die dem Kläger aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall entstandenen materiellen und immateriellen Schäden gemäß §§ 7 I, 17 I, 18 I StVG i.V.m. § 115 I 1 VVG, §§ 249 ff. BGB nicht gegeben ist.
12
1. Aufgrund der nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH) R., dessen herausragende Sachkunde dem Senat aufgrund einer Vielzahl von Verfahren und Gutachten bekannt ist und gegen dessen Feststellungen die Parteien keine Einwände erhoben bzw. Ergänzungsfragen gestellt haben, geht der Senat davon aus, dass das streitgegenständliche Unfallgeschehen allein durch den Kläger aufgrund einer zu starken Abbremsung vor der Rechtskurve verursacht worden ist, sowie dass ein hierfür unfallkausaler Verkehrsverstoß des Beklagten zu 2) nicht gegeben ist.
13
a) Die Schadensersatzpflicht nach §§ 17 I, 18 III StVG hängt dabei im Verhältnis des Klägers zu dem Beklagten zu 2) von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Die Beteiligten haben dabei jeweils die Umstände zu beweisen, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus denen sie die nach der Abwägung für sich günstigen Rechtsfolgen herleiten wollen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.12.2017 - I-1 U 84/17 –, Rn. 16, juris mit Verweis auf BGH, Urteile vom 15. November 1960 – VI ZR 30/60 – VersR 1961, 249, 250; vom 8. Januar 1963 – VI ZR 35/62 – VersR 1963, 285, 286; vom 23. November 1965 a.a.O S. 165; vom 29. November 1977 – VI ZR 51/76 – VersR 1978, 183, 185).
14
b) Gemäß den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen geht der Senat davon aus, dass der Kläger sich mit seinem Kraftrad zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Kollision auf der Gegenfahrbahn (also auf der Fahrbahn des Beklagtenfahrzeuges) befunden hatte, sowie dass der Kläger mit seinem Kraftrad zum Kollisionszeitpunkt bereits gestürzt und auf der linken Fahrzeuglängsseite in die Kollisionsposition geschlittert war (vgl. S. 11 des schriftlichen Gutachtens vom 18.07.2022, Bl. 45 d. OLG-A.).
15
c) Dem insoweit beweisbelasteten Kläger ist der Nachweis für einen unfallkausalen Verkehrsverstoß des Beklagten zu 2) nicht gelungen. Denn entsprechend den auch insoweit überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen kann das Beklagtenfahrzeug zu dem Reaktionszeitpunkt des Klägers, zu dem dieser eine Vollbremsung eingeleitet hatte, nicht so weit auf seiner Fahrbahn links orientiert gefahren sein, als dass es damit Reaktionsanlass für die abrupt eingeleitete Vollbremsung seitens des Klägers hätte gewesen sein können (vgl. Ziffer 4.6, S. 13 ff., 16 des schriftlichen Gutachtens vom 18.07.2022, Bl. 47 ff., 50 d. OLG-A.). Ein Verstoß des Beklagten zu 2) gegen das Rechtsfahrgebot gemäß § 2 II StVO ist somit nicht gegeben. Auch sonst hat der Beklagten zu 1) keinen unfallkausalen Verursachungsbeitrag am Unfallgeschehen gesetzt, da weder eine unfallkausal überhöhte Annäherungsgeschwindigkeit noch ein unfallkausaler Reaktionsverzug des Beklagten zu 2) gegeben ist (vgl. S. 17 des schriftlichen Gutachtens vom 18.07.2022, Bl. 51 d. OLG-A.).
16
d) Im Gegensatz dazu wäre der Unfall für den Kläger entsprechend den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen vermeidbar gewesen, wenn er mit dem von ihm gesteuerten Kraftrad rechtsorientiert durch die Rechtskurve gefahren wäre und er sein Kraftrad in Annäherung auf die Rechtskurve nicht abrupt abgebremst hätte (vgl. S. 17 des schriftlichen Gutachtens vom 18.07.2022, Bl. 51 d. OLG-A.). Somit ist ein Verstoß des Klägers gegen die Vorschriften der §§ 2 II, 3 I StVO gegeben.
17
2. Im Rahmen der gesamtschauenden Abwägung der jeweiligen Verursachungsbeiträge ist es sachgerecht und angemessen, dass der Kläger vorliegend alleine haftet. Angesichts der Schwere des Verstoßes des Klägers gegen die Vorschriften der §§ 2 II, 3 I StVO tritt die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeuges vollständig hinter den schuldhaften Verkehrsverstoß des Klägers zurück. Demgemäß kann es vorliegend dahin gestellt bleiben, ob der streitgegenständliche Verkehrsunfall für den Beklagten zu 1) ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 III StVG war.
18
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO.
19
III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Ersturteils und dieses Urteils beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
20
IV. Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.
21
V. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 II 1, 47 I 1, 40, 48 I 1 GKG, 3 ff. ZPO.