Inhalt

LG Aschaffenburg, Endurteil v. 14.11.2022 – 14 O 420/21
Titel:

Darlegungslast in Dieselfall zur unzulässigen Abschalteinrichtung und wiederholte Fahrzeugüberprüfungen durch das KraftfahrtbundesAMT

Normenkette:
BGB § 826
Leitsatz:
Angesichts innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren wiederholter Überprüfungen von Fahrzeugen mit dem Motor EA 288 des VW Konzerns durch das Kraftfahrtbundesamt sind Ausführungen der Klagepartei dazu erforderlich, warum diese jetzt noch erwartet, von Nachteilen, wie der Stilllegung des Fahrzeugs, einem Fahrverbot und anderen wirtschaftlichen Nachteilen betroffen zu sein. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, sittenwidrige Schädigung, Kfz-Hersteller, Dieselskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, EA 288, Kraftfahrtbundesamt, wiederholte Überprüfungen, drohender Schaden
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 04.05.2023 – 10 U 123/22
OLG Bamberg, Beschluss vom 31.05.2023 – 10 U 123/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 48097

Tenor

1.    Die Klage wird abgewiesen.
2.    Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3.    Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4.    Der Streitwert wird auf 31.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Schadensersatz im Zusammenhang mit dem sogenannten VW-DieselSkandal.
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Der Kläger kaufte am 02.08.2017 einen Pkw Seat Ateca bei der Fa. Autohaus … als Neuwagen zum Preis von 36.661,45 €, Fahrgestellnummer … (vgl. Anlage K1A, Blatt 44 der Akte). In dem Fahrzeug ist ein Motor EA 288, Abgasnorm EU6, der von der Beklagten hergestellt wurde, eingebaut.
3
Die Beklagte hatte vom Inhalt des Vertrages keine Kenntnis und war auch in den Vertrag nicht eingebunden. Zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung hatte das Fahrzeug einen Kilometerstand von 69.371.
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Der Klägervertreter hat am 16.12.2021 von der Beklagten Schadensersatz zum 30.12.2021 gefordert (Blatt 45 ff der Akten). Der Kläger behauptet, die Beklagte habe in dem streitgegenständlichen Fahrzeug parallel zu dem Motor EA189 eine Reihe von Täuschungen installiert und unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut. Es handele sich dabei insbesondere um den Einbau eines Thermofensters, der Manipulation durch die softwaregesteuerte Zudosierung von AddBlue und die Manipulation des SCR-Katalysators. Um dies zu vertuschen sei auch das Onbord-Diagnosesystem manipuliert worden. Die Folgen der Abgasmanipulation seien nicht berechenbar. Dem Fahrzeug des Klägers drohe eine Stilllegung. Die Beurteilung, ob eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliege, sei nicht von einer Entscheidung des Kraftfahrtbundesamtes abhängig, es könne eine unzulässige Abschalteinrichtung auch dann vorliegen, wenn das Kraftfahrbundesamt noch keinen Rückruf angeordnet habe.
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Der Kläger ist der Auffassung, ihm stehe gegen die Beklagte Schadensersatz auf Grundlage einer deliktischen Haftung zu, insbesondere habe die Beklagte den Kläger erheblich geschädigt indem sie das Kraftfahrtbundesamt zum Erlangen der Typengenehmigung getäuscht habe. Insoweit seien bei Motoren mit der Nummer EA288 auch Erkennungen eingebaut, sodass das Fahrzeug in der Lage sei, den Prüfzyklus des NEFZ sicher zu erkennen. Der Kläger lässt sich Nutzungsentschädigung anrechnen, wobei er von einer Gesamtlaufleistung von 350.000 km ausgeht.
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Er beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 36.661,45 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeuges Seat Ateca XCellence (Motortyp EA288), Fahrgestellnummer: …, abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 0,0104747 EUR pro gefahrenem Kilometer seit Übergabe des Fahrzeuges (km-Stand bei Erwerb: 0 km), die sich nach folgender Formel berechnet: (36.661,45 EUR x gefahrene Kilometer) : 350.000 km;
2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des in Ziffer 1. genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet;
3. die Beklagte zu verurteilen, der Kläger von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.626,49 EUR freizustellen;
4. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche weiteren Schäden, die aus dem Erwerb des in Ziffer 1. genannten Fahrzeuges resultieren, zu ersetzen.
Der Kläger beantragt des Weiteren, für den Fall, dass das erkennende Gericht zu der Auffassung erlangen sollte, dass die Klage nicht nach § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinien 2007/46 i.V. m. Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nummer 715/2007 begründet sei, das Verfahren bis zu einer Entscheidung des EUGH entsprechend § 148 ZPO auszusetzen.
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Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
8
Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, dass im streitgegenständlichen Motor keine unzulässige Abschalteinrichtung enthalten sei. Dies ergebe sich aus den umfangreichen Untersuchungen des Kraftfahrtbundesamtes. Bereits im April 2016 habe das Kraftfahrtbundesamt angegeben, Motoren der Baureihe EA288 EU6 seien von Abgasmanipulationen nicht betroffen. Dies habe das Bundesministerium für Verkehr und Infrastruktur u. a. am 12.09.2019 erneut bestätigt. Nichts anderes ergebe sich aus dem Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen (Blatt 295 der Akte). Im Übrigen sei es so, dass der streitgegenständliche Motor keine unzulässige Abschalteinrichtung erhalte. Wenn jedoch die klägerische Behauptung zutreffe, dass eine zulässige Abschalteinrichtung vorläge, so läge jedenfalls keine sittenwidrige Schädigung vor. Darüber hinaus war der klägerische Vortrag nicht hinreichend dargelegt, sodass die Klage insich unschlüssig sei.
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Das Gericht hat am 24.03.2022 beschlossen, eine dienstliche Auskunft des Kraftfahrtbundesamtes einzuholen (Blatt 298 der Akte). Diese wurde am 13.06.2022 erteilt (Blatt 955 der Akte).
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Das Gericht hat am 14.11.2022 mündlich verhandelt. Es wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Parteien samt Anlagen, das Protokoll und die Auskunft des Kraftfahrtbundesamtes.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
I.
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Das Gericht ist gem. § 32 ZPO örtlich zuständig. Der Prüfung ist insoweit der klägerische Sachvortrag zugrunde zu legen. Der Kläger hat unter anderem einen Anspruch aus § 826 BGB vorgetragen. Da bei § 826 BGB der Eintritt eines Schadens zum Tatbestand gehört, nicht lediglich zur Rechtsfolge, ist auch der Ort des Schadenseintritts Begehungsort im Sinne des § 32 ZPO. Der Kläger trägt vor, dass der Schaden im Abschluss eines ungewollten Kaufvertrages bestand. Der Kläger hat das Fahrzeug bei der Fa Brass in Aschaffenburg, also im Bezirk des hiesigen Landgerichts gekauft.
II.
13
Dem Kläger stehen gegen die Beklagte aus keinem rechtlichen Gesichtspunkte Schadensersatzansprüche zu (§ 826 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. § 263, § 823 Abs. 2 BGB i.V. m § 6, 27 EG-FGV, § 31 BGB). In der Folge dessen sind auch die Nebenforderungen unbegründet.
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Die Klage ist unbegründet, da zu etwaigen Schadensersatzansprüchen lediglich unsubstantiiert vorgetragen wird und ein Schaden nicht zu erkennen ist.
15
Der Klägervortrag zu den Umständen, die einen Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte gem. §§ 826, 823 BGB auslosen können, erfolgt unsubstantiiert.
16
Die Beklagte hat den Motor für das streitgegenständliche Fahrzeug hergestellt und in Verkehr gebracht. Die vom Kläger behaupteten Nachteile, die mit den von der Klägerseite als unzulässig eingestuften Abschalteinrichtungen und -systemen einhergehen, können dahinstehen. Der Vortrag der Klagepartei ist nicht geeignet, das Vorliegen eines sittenwidrigen Verhaltens ist gem. 826 BGB zu begründen.
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Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharaktar, der nach umfassender Würdigung von Inhalt, Beweggründen und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und ein Vermögenschaden hervorruft. Für Sittenwidrigkeit muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (ständige Rechtsprechung des BGH vgl. z. B. NJW 2017, 250). Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründen des Handelnden ankommen, welche die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (vgl. BGH NJW 17, 250). Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädigern das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch im Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, zitiert nach Juris).
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Nach den allgemeinen Grundsätzen trägt derjenige, der einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen, das heißt sowohl für Umstände, welche die Schädigung und deren Sittenwidrigkeit in objektiver Hinsicht begründen, als auch für den zumindest bedingten Vorsatz des Schädigers hinsichtlich des Vorliegens dieser Umstände. Der Anspruchsteller hat daher auch dazulegen und zu beweisen, dass der Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßiger Vertreter (§ 31 BGB) des in Anspruch genommenen Unternehmens die objektiven und subjektiven Tatbestandsvorausetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat. In bestimmten Fällen ist es Sache der Gegenpartei, sich im Rahmen der ihr nach § 338 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungspflicht zu den Behauptungen der beweispflichtigen Partei substantiiert zu äußern. Dabei hängen die Anforderungen an die Substantiierungslast des Bestreitenden zunächst davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner, also hier der Kläger, vorgetragen hat. In der Regel genügt gegenüber einer Tatsachenbehauptung des darlegungspflichtigen Klägers das einfache Bestreiten des Beklagten. Ob und inwieweit die nicht darlegungsbelastete Partei ihren Sachvortrag substantiieren muss, lässt sich nur aus dem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag bestimmen, wobei die Ergänzung und Aufklärung des Sachvortrags bei hinreichendem Gegenvortrag immer zunächst Sache der darlegungs- und beweispflichtigen Partei ist (vgl. BGH aaO). Nach diesen Maßstäben kann das Verhalten eines Fahrzeugherstellers eine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung begründen, wenn diese auf Grund einer grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des Kraftfahrtbundesamtes systematisch in großer Stückzahl Fahrzeuge in den Verkehr gebracht hat, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgaswerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf den Prüfstand eingehalten wurden (vgl. BGH aaO Rn. 16)
19
Ein solches Verhalten ist jedoch nicht feststellbar. Es ist unstreitig und durch die Auskunft des KBA vom 13.6.2022 bestätigt, dass das Kraftfahrtbundesamt im Hinblick auf die hier streitgegenständlichen Motorenreihe EA 288 keinen Rückruf angeordnet hat oder eine Androhung auch nur als möglich in Aussicht gestellt hat.
20
Insbesondere hat das Kraftfahrtbundesamt auch angegeben, dass es den Motor mehrfach überprüft hat und keine weiteren Überprüfungen plant.
21
Angesichts der innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren wiederholten Überprüfung von Fahrzeugen mit dem Motor EA 288 des VW Konzerns durch das Kraftfahrtbundesamt wären Ausführungen der Klagepartei dazu erforderlich, warum diese jetzt noch erwartet, von Nachteilen, wie der Stilllegung des Fahrzeugs, einem Fahrverbot und anderen wirtschaftlichen Nachteilen betroffen zu sein (vgl. OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 13.08.2021, 17 U 9/21). Der Hinweis der Klagepartei, dass eine Prüfung des Kraftfahrtbundesamtes insoweit irrelevant sei und auch ohne Rüge des Kraftfahrtbundesamtes eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegen könnte, ist nicht überzeugend. Das Kraftfahrtbundesamt ist gerade die Behörde, von der die klägerseits behauptete Stillegungsandrohung bzw. Stilllegungsanordnung kommen würde. Wenn das Kraftfahrtbundesamt eine solche nicht in Aussicht stellt, sondern im Gegenteil davon ausgeht, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung nicht vorliegt, fehlt es nicht nur an der Sittenwidrigkeit, sondern es liegt insbesondere auch kein Schaden vor. Der Kläger hat den Kaufvertrag über genau das Fahrzeug abgeschlossen, dass er abschließen wollte. Er hat exakt das bekommen, was er gekauft hat; eine Stilllegungsandrohung hat er nicht zu befürchten. Dies ergibt sich auch aus der eingeholten Auskunft des Kraftfahrtbundesamtes. Allein die Tatsache, dass es sich um ein Dieselfahrzeug handelt, ist kein Makel, der dem Fahrzeug anhaftet, sondern vom Kläger bewusst so ausgesucht.
22
Da insoweit weder hinreichende Anhaltspunkte für eine unzulässige Abschalteinrichtung vorgelegt wurden, noch ein auf den Kaufvertragsschluss zurückzuführender Schaden des Klägers zu erkennen ist, war die Klage abzuweisen.
III
23
Der Antrag der Klagepartei auf Aussetzung des Verfahrens war abzulehnen. Die Voraussetzungen des § 148 ZPO liegen nicht vor. Der Bundesgerichtshof hat den Schutzgesetzcharakter der europäischen Vorschriften im Sinne eines acte clair bereits verneint. Dem schließt sich das Gericht an.
24
Mit den tragenden Erwägungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BGH setzten sich die Landgerichte, die ein Vorabentscheidungsgesuch an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtet haben, nicht auseinander.
25
Die Stellungnahme der Kommission sowie der Schlussantrag des Generalstaatsanwalts besagen für die hier allein interessierende Frage, ob auch der Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts und damit der Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrages erfasst sein soll, nichts. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber mit den genannten Vorschriften (auch) einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der einzelnen Käufer bezweckte und an die (auch fahrlässige) Erteilung einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung einen gegen den Hersteller gerichteten Anspruch auf (Rück) Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrages hätte knüpfen wollen (vergleiche OLG Bamberg, Beschluss 11 U 78/22; ständige Rechtssprechung des OLG Bamberg).
IV
26
Die Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderungen.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit gem. § 709 ZPO und die Höhe des Streitwertes ergibt sich aus § 3 ZPO. Insoweit ist anzuführen, dass der Kläger den Streitwert zu Ziff 1 mit € 30.537,94 angegeben hat und keine Erledigung erklärt hat, so dass es bei dem Streitwert verbleibt. Der Streitwert für Ziff 4 war allerdings mit maximal € 462,06 festzusetzen, da weitere Schäden nicht substantiiert dargelegt wurden.