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VG München, Urteil v. 23.11.2022 – M 29 K 21.4867
Titel:

Gefährdung des Verkehrs durch Werbeanlage mit bewegten Bildern

Normenkette:
BayBO Art. 14 Abs. 2
Leitsätze:
1. Die Sicherheit des Verkehrs wird bereits dann gefährdet, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass durch Werbeanlagen ein Verkehrsunfall verursacht oder der Verkehr in seinem Ablauf behindert, insbesondere ein Durchschnittskraftfahrer durch sie abgelenkt wird. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine komplexe Verkehrssituation, die besondere Aufmerksamkeit des rechtsabbiegenden Verkehrsteilnehmers für Radfahrer und Fußgänger erfordert, führt in Verbindung mit einer in besonderem Maße Aufmerksamkeit erregenden Werbeanlage mit bewegten Bildern zu einer Gefährdung der Sicherheit des Verkehrs und damit zur Unzulässigkeit der Werbeanlage. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Werbeanlage mit teilbewegten Bildern und Cinemagrammen, Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, Rechtsabbiegesituation mit Fahrradweg, LED-Medienboard, Außenwerbung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 04.05.2023 – 2 ZB 22.2530
Fundstelle:
BeckRS 2022, 47881

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II.Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Genehmigung zur Errichtung eines LEDMedienboards.
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Die Klägerin ist ein Unternehmen der Außenwerbung. Mit Formblattantrag vom 25. Januar 2021 beantragte sie die Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung eines LED-Medienboards (4 m x 2,90 m) auf dem Grundstück …straße …, Fl.Nr. 508, Gemarkung … Nach den zur Genehmigung eingereichten Plänen soll das Medienboard freistehend in der nordwestlichen Ecke des Vorhabengrundstück errichtet werden. Nördlich an dieses Grundstück grenzt die V.straße an, westlich die M.straße. Der Kreuzungsbereich ist beampelt. Nach der dem Antrag beigefügten Betriebsbeschreibung soll das LED-Board während einer Betriebszeit von 6 bis 22 Uhr stehende Bilder mit bewegten Szenen oder Animationen ausschließlich in Form von sequenziell aufgebauten Bildern bzw. alternativ Cinemagramme abspielen. Bei Spot-Rubrikübergängen seien Bildstandzeiten von weniger als 8 Sekunden nicht vorgesehen. Das beantragte Medienboard sei außerdem mit einem automatischen Lichtsensor ausgestattet, der die Helligkeitsanpassung in Abhängigkeit von der Helligkeit des Tageslichts regele.
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Die Beklagte übersandte die Antragsunterlagen dem Polizeipräsidium M. verbunden mit der Bitte um Stellungnahme hinsichtlich etwaiger Bedenken. Mit E-Mail vom 4. März 2021 lehnte das Polizeipräsidium die Errichtung einer Werbeanlage am genannten Standort ab und führte zur Begründung aus, es handele sich bei der …straße um eine wichtige Ost-West-Tangente zur Autobahn A 8, die nahezu ganztägig stark frequentiert sei. Die M.straße stelle eine der wichtigsten Nord-SüdVerbindungen im Münchner Westen dar. Am Knoten V.-/M.straße sei die Radwegfurt rot eingefärbt, um abbiegende Kfz-Führer auf Radfahrer aufmerksam zu machen. Die Kreuzung diene ferner den Kindern der Grundschule an der G.straße als Schulweg. Aufgrund der komplexen Verkehrssituation und der Vielzahl von Verkehrsvorgängen müsse der Verkehrsteilnehmer bereits jetzt ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit aufwenden, um die Situation zu meistern und die Verkehrsflächen sicher zu befahren. Das Risiko für Radfahrer, von einem rechtsabbiegenden Kraftfahrer übersehen zu werden, sei grundsätzlich hoch. Eine Werbewechselanlage sei geeignet, die Aufmerksamkeit der Verkehrsteilnehmer vom Verkehrsgeschehen abzuwenden.
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Mit Schreiben der Beklagten vom 21. April 2021 wurde die Klägerin zur beabsichtigten Ablehnung des Genehmigungsantrags angehört. In dem Schreiben heißt es unter anderem, in einem allgemeinen Wohngebiet sei gemäß § 4 BauNVO nur in begründeten Ausnahmefällen eine Werbeanlage möglich. Die gewerbliche Nutzung beschränke sich in der maßgeblichen näheren Umgebung auf die Erdgeschosszone, wohingegen in Höhe der ersten Etage, in der sich die geplante Werbeanlage befinde, reine Wohnnutzung stattfinde. Zudem habe eine Zuleitung zur Polizei München ergeben, dass der Aufstellungsort für eine digitale Werbeanlage nicht geeignet sei. Es sei ferner eine Verunstaltung und störende Häufung von Werbeanlagen zu befürchten. Auch würde gegenüber neue Wohnbebauung errichtet, sodass geprüft werden müsse, ob eine Beeinträchtigung der neuen Nachbarn durch die Anlage zu erwarten sei.
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Die Klägerin nahm mit anwaltlichem Schreiben vom … Mai 2021 Stellung und führte aus, eine klare vertikale Gliederung des Gebiets liege nicht vor. Auch handele es sich bei der Kreuzung, an der die Werbeanlage errichtet werden solle, nicht um eine besonders komplexe Verkehrssituation. Ein Linksabbiegen sei dort nicht möglich, es gebe einen eigenen Fahrradweg und eine Ampel, die den Verkehr regele. Zudem sei das Board bereits von weitem gut einsehbar. Eine störende Häufung könne ebenfalls nicht befürchtet werden. Die Werbeanlagen am Zaun des Grundstücks würden entfernt, sodass der Betrachter nicht unzulässig viele Anlagen gleichzeitig wahrnehme. Das Board verfüge überdies über eine automatische Dimmung, die eine unzulässige Blendwirkung außerhalb der Grenzwerte ausschließe.
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Die Klägerin hat mit anwaltlichem Schriftsatz vom ... September 2021 Untätigkeitsklage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben. Zur Begründung lässt sie ausführen, es handele sich bei dem Vorhabenstandort nicht um ein allgemeines Wohngebiet, da sich im näheren Umfeld zahlreiche nicht störende Gewerbebetriebe und vor allem zahlreiche Werbeanlagen befänden. Die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs würde nicht beeinträchtigt. Es komme hierbei nicht auf die starke Frequentierung der Straße an, sondern auf die Komplexität der Verkehrssituation für die Verkehrsteilnehmer, die durch das Board abgelenkt werden könnten. Es gebe im Stadtgebiet der Beklagten zahlreiche Werbeanlagen, die an viel komplexeren Orten mit schwierigeren Verkehrssituationen angebracht seien. Auch eine störende Häufung liege nicht vor.
Eine Blendwirkung werde durch automatisches Dimmen verhindert.
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Mit Bescheid der Beklagten vom 28. September 2021 wurde der Antrag der Klägerin abgelehnt. In den Gründen des Bescheides heißt es, der geplante Standort der Werbeanlage sei außerhalb des Bauraumes. Er befinde sich ferner in einem allgemeinen Wohngebiet im Sinne von § 4 BauNVO, denn die tatsächliche Nutzung der maßgeblichen Umgebungsbebauung weise eine Nutzungsstruktur auf, nach der im Obergeschossbereich ausschließlich Wohnnutzung und im Erdgeschossbereich der Versorgung des Gebiets dienendes Gewerbe stattfinde. Das Vorhaben verunstalte das Straßen- und Landschaftsbild. Es sei bereits aufgrund seiner Lage im Vorgartenbereich des Grundstücks problematisch, da in diesem Bereich nach der Vorgartensatzung der Beklagten der Bepflanzung Vorrang gegeben werden solle. Auch sei ein Baumbestandsplan nicht eingereicht worden. Die Errichtung einer weiteren Werbeanlage führe zu einer unzulässigen störenden Häufung nach Art. 8 Satz 3 BayBO. Eine Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs sei zu befürchten.
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Mit Schriftsatz vom ... Oktober 2021 hat die Klägerin den ablehnenden Bescheid in das Klageverfahren einbezogen und beantragt zuletzt,
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den Bescheid der Beklagten vom 28. September 2021 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Baugenehmigung (Plan-Nr. …) antragsgemäß zu erteilen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wiederholt sie die Gründe des angefochtenen Bescheides.
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Das Gericht hat am 23. November 2022 über die örtlichen Verhältnisse auf dem Grundstück sowie in dessen Umgebung Beweis durch Einnahme eines Augenscheines erhoben. Hinsichtlich der Einzelheiten dieses Augenscheins und der mündlichen Verhandlung vom 23. November 2022, in der die Beteiligten ihre Anträge stellten, wird auf das Protokoll verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg.
16
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung. Der dies ablehnende Bescheid der Beklagten ist daher rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
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Dabei kann offenbleiben, ob das Bauvorhaben Vorschriften des Bauplanungsrechts widerspricht (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO, Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO). Denn das Vorhaben verstößt jedenfalls gegen sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften, auf die sich die Beklagte berufen hat (vgl. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO).
18
Dem von der Klägerin beantragten LED-Medienboard steht Art. 14 Abs. 2 BayBO entgegen, wonach die Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs durch bauliche Anlagen nicht gefährdet werden darf. Die Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs wird nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, B.v. 11.4.2017 – 2 ZB 16.1288 – Rn. 4; B.v. 27.10.2011 – 15 ZB 10.2409 – juris Rn. 6; B.v. 24.2.2003 – 2 CS 02.2730 – juris Rn. 16; vgl. ferner U.v. 30.5.2018 – 2 B 18.681 – juris Rn. 24) bereits dann – konkret – gefährdet, wenn nach den Erfahrungen des täglichen Lebens mit hinreichender oder – anders ausgedrückt – „bloßer“ Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass durch die Anlage ein Verkehrsunfall verursacht oder der Verkehr in seinem Ablauf behindert wird, insbesondere ein Durchschnittskraftfahrer durch sie abgelenkt wird. Der Nachweis, dass jederzeit mit einem Schadenseintritt zu rechnen ist oder eine hohe Wahrscheinlichkeit hierfür sind nicht erforderlich. Zur Annahme einer Gefahrenlage genügt daher die Feststellung, dass die konkrete Situation die Befürchtung nahelegt, dass – möglicherweise durch Zusammentreffen mehrerer gefahrenträchtiger Umstände – irgendwann in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die zu bekämpfende Gefahrenlage eintritt. Geht es dabei – wie hier – um die Gefährdung von Leben und Gesundheit, sind an die Feststellung der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts keine übermäßig hohen Anforderungen zu stellen.
19
Zwar gilt grundsätzlich, dass im innerstädtischen Bereich Werbeanlagen aller Formate und Größen im Umfeld von öffentlichen Straßen zur Normalität gehören und erwartet werden kann, dass verantwortungsbewusste Verkehrsteilnehmer in aller Regel ihre Aufmerksamkeit dem Straßenverkehr und nicht neben der Straße auf Privatgrundstücken errichteten Werbeanlagen widmen, sodass Werbeanlagen im Regelfall keine Quelle einer Ablenkung oder Beeinträchtigung für die erforderliche Konzentration auf das Verkehrsgeschehen bilden (vgl. BayVGH, U. v. 7.6.2021 – 9 B 18.1655 – juris Rn. 34, 36; B. v. 9.2.2021 – 9 ZB 19.1582 – juris Rn. 20). Entscheidend sind jedoch grundsätzlich die konkreten Umstände des Einzelfalls, ob also einerseits eine besonders komplexe Verkehrssituation gegeben ist oder andererseits die Werbeanlage in besonderer Weise geeignet ist, die Aufmerksamkeit der Verkehrsteilnehmer vom Verkehrsgeschehen abzulenken (vgl. Nolte/Robl, in: Busse/Kraus, BayBO, Stand August 2022, Art. 14 Rn. 23 m.w.N.).
20
Nach Überzeugung der erkennenden Kammer besteht durch das geplante LEDMedienboard mit teilbewegten Bilden bzw. Cinemagrammen in Zusammenschau mit den örtlichen Gegebenheiten am Standort der geplanten Werbeanlage die erkennbare Möglichkeit der Beeinträchtigung eines reibungslosen und ungehinderten Verkehrsablaufs.
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Ausweislich der gerichtlichen Inaugenscheinnahme handelt es sich bei der …straße um eine stark befahrene Verkehrsanlage. Die Verkehrssituation an der Kreuzung westlich des geplanten Standorts ist zwar beampelt, weist indes keine eigene Grünphase für Rechtsabbieger auf. Wenngleich der über den Kreuzungsbereich führende Radweg rot markiert ist, besteht für Radfahrer dennoch das hohe Risiko, von rechtsabbiegenden Kraftfahrern übersehen zu werden. Insoweit hat die Polizei nachvollziehbar dargelegt, dass etwa ein Viertel der Unfälle im Stadtgebiet zwischen Kraft- und Radfahrern im vergangenen Jahr auf eine solche Verkehrssituation zurückzuführen ist. Nach der Stellungnahme der Polizei handelt es sich zudem um einen Verkehrsbereich, der den Schülern der nahegelegenen Grundschule als Schulweg dient, sodass auch insoweit besondere Vorsicht und Aufmerksamkeit beim Abbiegevorgang erforderlich ist.
22
Hinzu kommt, dass es sich bei der geplanten Werbeanlage nicht um ein dem durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer vertrautes statisches Werbeplakat oder etwa eine Wechselanlage handelt, sondern um eine solche mit teilbewegten Bildern, die gerade darauf ausgerichtet ist, durch die Bewegung in nur einem Teil eines ansonsten fotografisch starren Werbebildes besondere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Aus Sicht der erkennenden Kammer besteht die Gefahr einer Ablenkungswirkung dieser Anlage insbesondere darin, dass das Auge zunächst ein vermeintlich statisches Werbeplakat erkennt und erst zeitversetzt realisiert, dass sich Teile des Plakats bewegen, wodurch die Aufmerksamkeit besonders erregt – und entsprechend vom Straßenverkehr abgelenkt – wird.
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Diese komplexe Verkehrssituation, die besondere Aufmerksamkeit des rechtsabbiegenden Verkehrsteilnehmers für Radfahrer und Fußgänger erfordert, führt in Verbindung mit einer in besonderem Maße Aufmerksamkeit erregenden Werbeanlage nach Überzeugung des Gerichts zu einer Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs und damit zur bauordnungsrechtlichen Unzulässigkeit des Bauvorhabens.
24
Der Bescheid der Beklagten vom 28. September 2021 ist daher rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, sodass die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen ist.