Titel:
Coronavirus, SARS-CoV-2, Tarifvertrag, Arbeitsvertrag, Arbeitnehmer, Eingruppierung, Auslegung, Weihnachtsgeld, Leistungen, Manteltarifvertrag, Gewerkschaft, Zahlung, Anspruch, Bezugnahmeklausel, Vertragsschluss, Leistung, Zeitpunkt des Vertragsschlusses, positive Kenntnis, Wert des Beschwerdegegenstandes
Schlagworte:
Coronavirus, SARS-CoV-2, Tarifvertrag, Arbeitsvertrag, Arbeitnehmer, Eingruppierung, Auslegung, Weihnachtsgeld, Leistungen, Manteltarifvertrag, Gewerkschaft, Zahlung, Anspruch, Bezugnahmeklausel, Vertragsschluss, Leistung, Zeitpunkt des Vertragsschlusses, positive Kenntnis, Wert des Beschwerdegegenstandes
Rechtsmittelinstanz:
LArbG München, Urteil vom 22.11.2022 – 6 Sa 275/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 47784
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Der Streitwert wird auf € 4.606,56 festgesetzt.
4. Die Berufung wird nicht zugelassen, soweit nicht kraft Gesetzes statthaft ist.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um die Zahlung eines 13. Monatsgehalts.
2
Die Klägerin ist seit dem 01.10.1989 bei der Beklagten auf Basis des Arbeitsvertrags vom 18.09.1989 (Anlage K 2, Bl. 47 d.A.) beschäftigt. Das Bruttomonatsgehalt der Klägerin betrug zuletzt insgesamt € 3.071,04. Der Arbeitsvertrag enthält auszugsweise folgende Regelungen:
„3. Die Rechte und Pflichten des Mitarbeiters ergeben sich aus den jeweils gültigen Tarifverträgen, den Betriebsvereinbarungen und Dienstvorschriften der Firma C. AG. Im Hinblick auf die vorgesehene Tätigkeit erfolgt eine Eingruppierung in die Vergütungsgruppe 03. (…)
4. Entsprechend der in Ziffer 3 vorgenommenen Eingruppierung belaufen sich die monatlichen Bezüge auf:
5. Die Bezüge werden 13 mal jährlich bargeldlos gezahlt.“
3
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Manteltarifvertrag Nr. 14 für das Bodenpersonal in der Fassung vom 01.01.2007 – einschließlich des Änderungstarifvertrages Nr. 13 (im Folgenden: MTV Nr. 14 Boden, Anlage B 2, Bl. 123 ff d.A.) Anwendung.
4
Dieser enthält unter Ziffer V mit der Überschrift „Vergütung“ auszugsweise folgende Regelungen:
„§ 13 Anspruch auf Vergütung
(1) Der Mitarbeiter hat für die von ihm geleistete Arbeit Anspruch auf die tarifvertraglich vereinbarte Vergütung.
(2) Als Vergütung werden eine Grundvergütung und, sofern die Voraussetzungen vorliegen, folgende Aufschläge gezahlt:
(1) Die Grundvergütung wird, soweit dieser Tarifvertrag nichts anderes bestimmt, nach dem Wert der Leistung bemessen. Zu diesem Zweck ist jeder vom Tarifvertrag erfasste Mitarbeiter in eine Vergütungsgruppe einzuordnen (…).
§ 26 Auszahlung der Vergütung
(1) Die feststehenden monatlichen Vergütungsbestandteile (Grundvergütung und Zulagen, ausgenommen Schicht- und Nachtzulagen) werden für den laufenden Monat in der Weise bargeldlos gezahlt, dass sie am 27. eines jeden Monats dem Bank-, Sparkassen- oder Postgirokonto des Mitarbeiters gutgeschrieben werden können. (…)“
5
Unter der Ziffer VI mit der Überschrift „Sozialbezüge“ enthält der Manteltarifvertrag in § 30 in Auszügen folgende Regelung:
„§ 30 Urlaubs- und Weihnachtsgeld
(1) Alle Mitarbeiter erhalten jährlich Urlaubs- und Weihnachtsgeld in Höhe von je einer halben Grundvergütung zuzüglich des halben Betrages eventuell zustehender Lehr-, Fremdsprachen- und Schleppzulagen. Die Berechnung des Urlaubsgeldes richtet sich nach der für Monat Mai, des Weihnachtsgeldes nach der für Monat November des betreffenden Jahres zugrunde liegenden vollen Vergütung (Grundvergütung zuzüglich eventueller Lehr-, Fremdsprachen- und Schleppzulagen).
(4) Das Urlaubsgeld wird mit der Maivergütung, das Weihnachtsgeld mit der Novembervergütung gezahlt.“
6
Der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltende Manteltarifvertrag Nr. 13 in der Fassung vom 14.06.1988 (Anlage B 4, Bl. 192 ff. d.A.) enthielt entsprechende Regelungen.
7
Regelungen zu einem „13. Monatsgehalt“ enthalten die Tarifverträge nicht.
8
Die Klägerin erhielt in der Vergangenheit ab Beginn des Beschäftigungsverhältnisses bis Mai 2020 jeweils mit dem Gehaltslauf für Mai und mit dem Gehaltslauf für November zusätzlich eine Leistung, deren Höhe den Vorgaben nach § 30 Abs. 1 MTV Nr. 14 Boden bzw. Nr. 13 Boden entsprach.
9
Die Beklagte ist Mitglied des Arbeitgeberverbandes L. e.V., der sich vor dem Hintergrund der Auswirkungen der Corona-Pandemie seit April 2020 in Verhandlungen u.a. mit der Gewerkschaft ver.di über Maßnahmen zur Reduktion der Personalkosten befand. Am 10.11.2020 einigten sich der AGVL und die Gewerkschaft ver.di auf ein „Eckpunktepapier für eine Krisenvereinbarung („Kurzläufer“)“ (Anlage B 5, Bl. 235 ff. d.A.). Unter Ziffer 2 mit der Überschrift „Einsparmaßnahmen“ waren u.a. die Punkte „Streichung Weihnachtsgeld [mit Ausnahme Mitarbeiter in ATZ] gültig in 2020 und 2021“ und „Streichung Urlaubsgeld [mit Ausnahme Mitarbeiter in ATZ] gültig in 2021“ angeführt. Unter Ziffer 7 mit der Überschrift „Wirksamkeit“ war ein Inkrafttreten des Eckpunktepapiers erst nach positiver Erklärung binnen einer Erklärungsfrist zum 08.12.2020, 12.00 Uhr geregelt.
10
Am 16.12.2020 schlossen der AGVL und die Gewerkschaft ver.di den „Tarifvertrag zur Bewältigung des Corona-Krisenfalls“ für das Bodenpersonal (im Folgenden: TV CoronaKrise, Anlage K 5, Bl. 57 ff. d.A.). Dieser regelt in § 4 Abs. 1 unter der Überschrift „Urlaubs- und Weihnachtsgeld“ Folgendes:
„Das Urlaubs- und Weihnachtsgeld gem. § 30 MTV Nr. 14 (…) werden für die Laufzeit dieses Tarifvertrages nicht ausgezahlt. Der Anspruch besteht für die Dauer der Aussetzung nicht und die Auszahlung wird (…) nicht zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt.“
11
Der Tarifvertrag trat gemäß § 9 TV Corona-Krise am 10.11.2020 in Kraft und endete am 31.12.2021.
12
Im Zusammenhang mit den Verhandlungen zwischen der AGVL und der Gewerkschaft ver.di wurden im Intranet „E“, auf das alle Beschäftigten des Konzerns Zugriff hatten, am 12.05.2020 ein Artikel veröffentlicht, der über einen gemeinsamen Tarifgipfel am 30.04.2020 mit den beteiligten Gewerkschaften und die dort gefundene Einigung informierte, rasch an konkreten Lösungen zur Bewältigung der Krise zu arbeiten. Dieser Artikel trug die Überschrift „‘Trotz Kurzarbeit trägt das Unternehmen weiterhin hohe Personalkosten‘ Verhandlungen mit den Gewerkschaften sind mit dem Ziel gestartet, Personalkosten deutlich im zweistelligen Prozentbereich einzusparen“ (Anlagenkonvolut B 7, Bl. 269 ff. d. A.). Am 25.05.2020 wurde im Intranet „E“ in einem weiteren Artikel unter der Überschrift „Darum geht es in den Gesprächen mit ver.di“ (Anlagenkonvolut B 7, Bl. 274 ff. d.A.) u.a.
„Für wie lange müssen die Maßnahmen abgeschlossen werden?
Die zu verhandelnden Maßnahmen will das Unternehmen für den Zeitraum bis voraussichtlich Ende 2023 abschließen, bzw. bis zu dem Zeitpunkt, wenn sich das „New Normal“ einstellt. Je nach Verlauf der Krise kann sich dieser Zeitraum verändern.
Wie könnten solche Maßnahmen aussehen?
Die nötige erhebliche Einsparung von Personalkosten erfordert es, unvoreingenommen auch schwierige Themen anzusprechen. Folgende Maßnahmen hat Firma C. AG im Rahmen der Verhandlungen gefordert:
Verzicht auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld inkl. Zuschlägen (…)“
14
Im Mai 2020 zahlte die Beklagte der Klägerin eine Leistung in Höhe von einer halben monatlichen Grundvergütung (€ 1.402,87 brutto) sowie einer hälftigen monatlichen Überleitungszulage (€ 132,65 brutto), insgesamt einen Betrag in Höhe von € 1.535,52 brutto. Weder im November 2020 noch im Mai 2021 oder im November 2021 erhielt die Klägerin weitere zusätzliche Leistungen als „Weihnachts- oder Urlaubsgeld“ oder als (jeweils hälftiges) „13. Monatsgehalt“.
15
Mit ihrer am 14.12.2021 beim Arbeitsgericht München eingegangenen Klage begehrt die Klägerin die Zahlung eines 13. Monatsgehalts, zahlbar zu je 1/2 mit dem Gehaltslauf November 2020, Mai 2021 und November 2021. Diesen Anspruch stützt die Klägerin auf § 611a BGB i.V.m. Ziffern 4 und 5 des Arbeitsvertrages. Nach Auffassung der Klägerin handelt es sich hierbei nicht lediglich um eine deklaratorische, sondern um eine konstituierende Regelung. Dies ergebe sich aus einer Auslegung der arbeitsvertraglichen Regelungen: Der Wortlaut von Ziffer 5 des Arbeitsvertrages, insbesondere die Formulierung „werden … gezahlt“, spreche für eine eigene Anspruchsgrundlage.
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Auch aus der Gesamtsystematik des Vertrages ergebe sich nichts Anderes: Die in Ziffer 3 des Arbeitsvertrages enthaltene Bezugnahmeklausel sei der Ziffer 5 nicht prominent vorangestellt. Zudem enthalte Ziffer 5 nicht lediglich eine Wiederholung der tariflichen Regelung, denn im Manteltarifvertrag finde sich keine mit Ziffer 5 korrespondierende Regelung zu einem 13. Monatsgehalt. Auch wäre die Regelung als deklaratorische Bestimmung überflüssig, da dann allein die Bezugnahmeklausel in Ziffer 3 des Arbeitsvertrages ausreichend gewesen wäre. Das Argument, die Klausel mit einem Informationsbedürfnis hinsichtlich der wesentlichen Arbeitsbedingungen rechtfertigen zu wollen, sei unschlüssig.
17
Diese Argumentation würde dadurch widerlegt, dass die Beklagte die Klausel vergleichbar Ziffer 5 des vorliegenden Arbeitsvertrages bei zeitlich später verwendeten Formulararbeitsverträge ersatzlos habe entfallen lassen.
18
Auch sei nicht ersichtlich, warum es für den Empfänger erkennbar gewesen sein solle, dass eine konstitutive Regelung von der Beklagten nicht gewollt sei. Auch die jahrzehntelange gelebte Praxis belege nicht, dass die Parteien von derselben Anspruchsgrundlage ausgegangen seien.
19
Zumindest sei das Auslegungsergebnis „konstitutive Regelung“ mindestens ebenso gut vertretbar wie die Annahme einer deklaratorischen Bestimmung. Demnach wäre die Klausel mindestens mehrdeutig im Sinne des § 305c Abs. 2 BGB. Dies werde auch durch die bereits ergangenen unterschiedlichen erstinstanzlichen Urteile in Parallelverfahren belegt.
20
Soweit ein Anspruch nicht auf Basis von § 611a Abs. 2 BGB i.V.m. Ziffer 5 des Arbeitsvertrags begründet sei, folge ein entsprechender Zahlungsanspruch zumindest aus § 611a BGB i.V.m. § 30 MTV Nr. 14 Boden. Das schutzwürdige Vertrauen der Klägerin stehe der rückwirkenden Streichung des Weihnachtsgeldes 2020 durch den zum 10.11.2020 (rückwirkend) in Kraft getretenen TV Corona-Krise entgegen.
21
Die Klägerin beantragt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin brutto € 1.535,52 nebst Zinsen in Höhe von 5% Zinspunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.11.2020 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin brutto € 1.535,52 nebst Zinsen in Höhe von 5% Zinspunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.05.2021 zu zahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin brutto € 1.535,52 nebst Zinsen in Höhe von 5% Zinspunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.11.2021 zu zahlen.
22
Die Beklagte beantragt,
23
Die Beklagte ist der Auffassung, Ziffer 5 des Arbeitsvertrags stelle lediglich eine deklaratorische Regelung ohne anspruchsbegründenden Charakter und insbesondere kein vom Tarifvertrag losgelöster Anspruch dar. Bereits der Wortlaut der Vorschrift spreche dafür, dass dort lediglich die Auszahlungsmodalitäten deklaratorisch dargestellt seien.
24
Dieses Ergebnis bestätige sich durch die Betrachtung des gesamten Arbeitsvertrages: Wesentlich sei die in Ziffer 3 enthaltene uneingeschränkte zeitdynamische Tarifbezugnahmeklausel. Enthalte eine solche Bezugnahmeklausel wie vorliegend keine Einschränkung oder Klarstellung, belege dies, dass die nachfolgenden Vertragsklauseln keinen abweichenden Anspruch einräumen sollten. Umstände, die ausnahmsweise dennoch auf eine gewollte konstitutive Vertragsregelung schließen ließen, lägen nicht vor.
25
Die Regelung in Ziffer 5 sei insbesondere auch nicht überflüssig, da Arbeitnehmer – auch im Fall einer Tarifbindung ihres Arbeitgebers – ein Informationsbedürfnis hinsichtlich der wesentlichen Vertragsbedingungen hätten. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Beklagte in späteren Formulararbeitsverträgen die Klausel gestrichen habe. Es sei eine Wertungsentscheidung, welches Informationsbedürfnis bei den Mitarbeitern bestehe und wie dieses sinnvoll erfüllt werden könne. Diese Wertungsentscheidung sei im Laufe der Jahre anders getroffen worden.
26
Die vertraglichen Regelungen seien auch nicht mehrdeutig im Sinne des § 305c Abs. 2 BGB: Nach Wortlaut und Systematik der vertraglichen Regelungen sei lediglich die Auslegung vertretbar, dass das Arbeitsverhältnis insgesamt den tarifvertraglichen Regelungen unterworfen werden sollte.
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Im Unternehmen der Beklagten würden die Begriffe „13. Monatsgehalt“ sowie „Weihnachts- und Urlaubsgeld“ seit mehreren Jahrzehnten synonym verwendet. Sie gewähre der Klägerin keinen einzelvertraglichen Anspruch auf ein „Weihnachts- und Urlaubsgeld“ bzw. ein „13. (Grund-)Gehalt“ unabhängig von den tariflichen Regelungen. So sei es auch bei der Beklagten jahrzehntelange Praxis gewesen, neben den 12 Monatsgrundgehältern lediglich das tarifliche Urlaubsgeld im Mai und das tarifliche Weihnachtsgeld im November auszuzahlen. Es sei lebensfremd, dass die Klägerin diese Handhabung „hingenommen“ habe und trotzdem von einer eigenständigen Anspruchsgrundlage eines „echten 13. Gehalts“ in ihrem Arbeitsvertrag ausgegangen sei.
28
Dem Entfall des tarifvertraglichen Anspruchs aufgrund des TV Corona-Krise stehe auch kein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin entgegen. Durch die Kommunikation im Unternehmen, spätestens mit der Mitteilung im Intranet vom 25.05.2020, sei den Mitarbeitern hinreichend bekannt gewesen, dass auch über die Streichung des Urlaubs- und Weihnachtsgelds verhandelt werde.
29
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die Schriftsätze vom 14.12.2021, vom 21.12.2021, vom 23.12.2021, vom 04.02.2022, vom 17.03.2022, vom 21.03.2022, vom 25.03.2022 und vom 28.03.2022 – jeweils nebst Anlagen – sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.03.2022 Bezug genommen, §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 495, 313 Abs. 2 ZPO.
Entscheidungsgründe
30
Die zulässige Klage ist unbegründet.
31
Die Rechtswegzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG.
32
Die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts München folgt aus §§ 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, 17 ZPO, da die Beklagte ihren Sitz im Bereich des Arbeitsgerichts München hat.
33
Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen auch im Übrigen nicht.
34
Die Klage ist nicht begründet. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Zahlungsansprüche nicht zu. Aus dem Arbeitsvertrag ergibt sich kein tarifunabhängiger, selbständiger Anspruch auf Zahlung eines als „13. Gehalt“ bezeichneten Betrags. Der tarifvertragliche Anspruch nach § 30 MTV Nr. 14 Boden auf Zahlung eines „Urlaubs- und Weihnachtsgeldes“ ist für das Weihnachtsgeld 2020 wie auch das Urlaubs- und Weihnachtsgeld 2021 aufgrund von § 4 Abs. 1 TV Corona-Krise ausgeschlossen.
35
Die Kammer schließt sich im Ergebnis und in der Begründung ganz überwiegend den Rechtsausführungen der Kammer 23 des Arbeitsgerichts München in der Entscheidung vom 18.03.2022 (23 Ca 9984/21) sowie der Kammer 14 des Arbeitsgerichts Hamburg in der Entscheidung vom 25.01.2022 (14 Ca 65/21, Anlage B1, Bl. 100 ff. d.A.) an, die zu vergleichbaren Konstellationen und Vertragsgestaltungen ergangen sind.
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1. Aus dem Arbeitsvertrag vom 18.09.1989 lässt sich der geltend gemachte Anspruch nicht ableiten. Ziffer 5 des Arbeitsvertrags enthält keine konstitutive Regelung. Dies folgt aus der Auslegung des Arbeitsvertrags.
37
a. Der von der Beklagten formularmäßig verwendete, vorformulierte und mit der Klägerin geschlossene Arbeitsvertrag beinhaltet Allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.v. § 305 Abs. 1 BGB.
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Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von rechtsunkundigen, verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei nicht die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die des durchschnittlichen Vertragspartners zugrunde zu legen sind. Ansatzpunkt für die nicht am Willen der jeweiligen Vertragspartner zu orientierende Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist dabei in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist dieser nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist, wobei der Vertragswille verständiger und redlicher Vertragspartner beachtet werden muss (st. Rspr., vgl. BAG vom 23.03.2021 – 3 AZR 99/20, NZA 2021, 783, beck-online).
39
Diese Auslegungsgrundsätze sind auch für die Frage anzuwenden, ob der Verwender der AGB nur eine beschreibende Aussage gemacht oder eine Willenserklärung mit Rechtsbindungswillen abgegeben hat.
40
Erscheinen nach Ausschöpfung aller Auslegungsmethoden mindestens zwei Ergebnisse als vertretbar und verdient keines den klaren Vorzug, geht dieser nicht behebbare Zweifel gem. § 305c Abs. 2 BGB zulasten des Verwenders (BAG vom 02.06.2021 – 4 AZR 387/20, AP TV-L § 12 Nr. 7, beck-online). Dabei genügt jedoch die entfernte Möglichkeit, auch zu einem anderen Auslegungsergebnis zu kommen, für die Anwendung von § 305c Abs. 2 BGB nicht (BAG vom 25.08.2010 – 10 AZR 275/09, NZA 2010, 1355, beck-online).
41
b. Weder aus dem Wortlaut von Ziffer 5 des Arbeitsvertrags noch aus den übrigen Bestimmungen des Arbeitsvertrags lässt sich ein anspruchsbegründender Charakter von Ziffer 5 auf Zahlung eines „13. Gehalts“ entnehmen.
42
(1) Die Auslegung von Ziffer 5 des Arbeitsvertrags spricht nicht für eine konstitutive Regelung, die einen eigenständigen, auf Dauer angelegten tarifunabhängigen Anspruch der Klägerin auf Zahlung eines „13. Gehalts“ begründet.
43
So enthält Ziffer 5 gerade keine Formulierungen, die den Begriff eines „Anspruchs“ der Klägerin oder korrespondierend einer „Verpflichtung“ der Beklagten direkt oder in ähnlicher Form aufgreifen. Sie nimmt ihrem Wortlaut nach auch nicht Bezug auf eine spezifische Leistung, auf ein „13. Gehalt“, sondern ganz abstrakt auf „die Bezüge“ und beschreibt insoweit unmittelbar lediglich deren Zahlungsmodalitäten, nämlich 13mal im Jahr und das bargeldlos. Dabei wird auf „die Bezüge“ nach der Eingruppierung in der vorangehenden Ziffer 4 abgestellt. Damit setzt die Bestimmung die Existenz von Ansprüchen bereits voraus.
44
(2) Auch aus der Gesamtbetrachtung der vertraglichen Regelungen lässt sich der von der Klägerin angenommene konstitutive Charakter von Ziffer 5 nicht ableiten. Ziffer 3 des Arbeitsvertrages enthält eine zeitdynamische Bezugnahmeklausel auf die jeweils gültigen Tarifverträge bei der Firma C. AG. Diese umfassende Bezugnahmeklausel ist – nach der Angabe der persönlichen Daten der Klägerin, dem Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses und der Probezeit – den weiteren arbeitsvertraglichen Regelungen vorangestellt. Die Bezugnahmeklausel ist damit nach der vertraglichen Systematik gerade keine „Auffangregelung“, falls die Arbeitsvertragsparteien einen Regelungsgegenstand nicht individuell regeln, sondern bildet vielmehr die Basis für die vertragliche Beziehung.
45
Die Klausel enthält keinerlei Einschränkungen, wie z.B. „im Übrigen“ oder
„soweit nicht in diesem Vertrag anderes vereinbart ist“. Ist für die beteiligten Verkehrskreise erkennbar, dass das Arbeitsverhältnis umfassend nach den entsprechenden tariflichen Regelungen gestaltet werden soll, gibt es ohne besondere Anhaltspunkte keinen Anlass, von einer Besser- oder Schlechterstellung gegenüber den in Bezug genommenen tarifvertraglichen Regelungen durch den Arbeitsvertrag auszugehen (BAG vom 10.07.2013 – 10 AZR 898/11, NJOZ 2013, 1825, beck-online). Demzufolge gibt Ziffer 5 auch die sich aus dem Tarifvertrag ergebende Anzahl der Monatsgehälter mit 13 wieder.
46
Zudem macht es aus Sicht „redlicher“ und „verständiger“ Vertragspartner keinen Sinn, zunächst umfassend mittels einer uneingeschränkt formulierten Bezugnahmeklausel die Anwendung tariflicher Regelungen zu vereinbaren, um dann sogleich die umfassende Bezugnahme wieder abzubedingen (vgl. BAG vom 01.08.2001 – 4 AZR 7/01, BeckRS 2001, 30197280, beck-online).
47
Anhaltspunkte dafür, dass die Parteien durch die Fassung von Ziffer 5 des Arbeitsvertrags die Zahlung eines „13. Bezugs“ bewusst von den tarifvertraglichen Regelungen entkoppeln und mittels einer individualvertraglichen Absicherung die Klägerin bewusst besserstellen bzw. „doppelt“ absichern wollten, lassen sich dem Arbeitsvertrag nicht entnehmen.
48
Zudem enthalten die Ziffern 4 und 6 Hinweise auf zusätzliche, tarifunabhängige Leistungen wie z.B. „eine zu den derzeitigen Tarifbezügen gezahlte Ausgleichszulage“ (Ziffer 4) und „Zusatzversicherung“ (Ziffer 6). Eine vergleichbare Formulierung findet sich in Ziffer 5 des Arbeitsvertrages dagegen gerade nicht.
49
(3) Auch die unstreitige Vertragspraxis der Parteien seit Vertragsschluss spricht nicht dafür, dass Ziffer 5 eine besondere, zusätzlich zum Tarifvertrag geltende Anspruchsgrundlage darstellen sollte.
50
Zwar kann die tatsächliche Praxis des Vollzugs einer vertraglichen Regelung durch die vertragschließenden Parteien den bei Vertragsschluss zum Ausdruck gebrachten objektiven Gehalt der wechselseitigen Vertragserklärungen nicht mehr beeinflussen. Er kann aber Anhaltspunkte für den bei Vertragsschluss bestehenden, tatsächlichen Vertragswillen enthalten und somit für die Auslegung von Bedeutung sein (BAG vom 21.10.2015 – 4 AZR 649/14, NJOZ 2016, 1049, beck-online).
51
Es ist unstreitig, dass die Beklagte bis zu dem streitgegenständlichen Zeitraum jeweils im Mai und November eines Jahres zusätzliche Leistungen in Höhe eines halben monatlichen Grundbezugs gezahlt hat, wie es der tariflichen Regelung in § 30 MTV Nr. 13 bzw. Nr. 14 Boden entspricht. Eine jährlich einmalige Zahlung in Höhe eines weiteren vollen monatlichen Grundbezugs als 13. Zahlung hat es unstreitig nicht gegeben.
52
c. Die Zahlungsansprüche ergeben sich auch nicht aus der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB. Nach Auffassung der Kammer ist nur eine Auslegung von Ziffer 5 des Arbeitsvertrags im Sinne einer nicht konstitutiven Regelung vertretbar, mindestens jedoch absolut vorzugswürdig.
53
(1) Die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB kommt erst dann zur Anwendung, wenn die Auslegung einer einzelnen Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach Ausschöpfung aller Auslegungsmethoden mindestens zwei Ergebnisse als vertretbar erscheinen lässt und keines dieser Ergebnisse den klaren Vorzug verdient (BAG vom 23.03.3021, a.a.O.). Es müssen „erhebliche Zweifel“ an der richtigen Auslegung bestehen. Die entfernte Möglichkeit, zu einem anderen Ergebnis zu kommen, genügt für die Anwendung von § 305c Abs. 2 BGB nicht (BAG vom 19.11.2019 – 3 AZR 414/18, BeckRS 2019, 37114, beck-online).
54
(2) Derartige erhebliche Zweifel bestehen vorliegend nicht. Nach Ausschöpfung der Auslegungsmethoden bleibt hier kein unbehebbarer Zweifel daran, dass Ziffer 5 des Arbeitsvertrages keine anspruchsbegründende konstitutive Wirkung für ein „13. Gehalt“ zukommt. Dies folgt eindeutig aus der Auslegung von Wortlaut und Sinn und Zweck sowie Systematik des Arbeitsvertrags (siehe oben). Als Kehrseite ergibt sich daraus der rein deklaratorische, informative Charakter der Ziffer 5.
55
Ein solcher erheblicher Zweifel ergibt sich auch nicht daraus, dass nach Auffassung der Klägerin die Klausel als deklaratorische Bestimmung überflüssig wäre. So ist eine Klausel ist in einem Vertrag nicht „überflüssig“, wenn sie zumindest der Klarstellung dient (vgl. BAG vom 10.07.2013, a.a.O.). Zudem würde selbst das Aufnehmen einer überflüssigen Regelung in einen Vertrag nicht automatisch dazu führen, dass die Klausel als konstitutive Anspruchsgrundlage auszulegen ist.
56
Dass die Beklagte in späteren Formulararbeitsverträgen eine vergleichbare Klausel nicht mehr aufgenommen hat, kann für die Auslegung der streitgegenständlichen Klausel nicht von Bedeutung sein.
57
Auch aus der Tatsache, dass bereits divergierende erstinstanzliche Entscheidungen zu der Frage der konstitutiven oder deklaratorischen Wirkung der arbeitsvertraglichen Regelung vorliegen, führt nicht zur Anwendbarkeit der Unklarheitenregel. Maßgeblich ist die Auslegung durch das jeweilige Gericht (vgl. auch BAG vom 01.08.2001 – 4 AZR 7/01, NJOZ 2002, 599, beckonline).
58
2. Der sich aus dem Tarifvertrag ergebende Anspruch auf Zahlung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld ist anteilig für das Jahr 2020 sowie insgesamt für das Urlaubs- und Weihnachtsgeld 2021 wirksam durch § 4 Abs. 1 TV Corona-Krise ausgeschlossen worden.
59
Nach § 4 Abs. 1 i.V.m. § 9 TV Corona-Krise war das Urlaubs- und Weihnachtsgeld gemäß § 30 MTV Nr. 14 Boden für die Laufzeit des Tarifvertrags ab dem 10.11.2020 und damit für den mit dem Bezug für November 2020 fälligen Teilbetrag (Weihnachtsgeld 2020) sowie für Urlaubs- und Weihnachtsgeld 2021 nicht auszuzahlen. Die Regelung verstößt hinsichtlich der Zahlung des Weihnachtsgeldes 2020 auch nicht gegen das Rückwirkungsverbot.
60
a. Tarifvertragsparteien können die Regelungen des von ihnen abgeschlossenen Tarifvertrags während dessen Laufzeit rückwirkend ändern. Tarifvertragliche Regelungen tragen den immanenten Vorbehalt ihrer rückwirkenden Abänderbarkeit durch Tarifvertrag in sich; dies gilt selbst für bereits entstandene und fällig gewordene, noch nicht abgewickelte Ansprüche, sog. „wohlerworbene Rechte“ (BAG vom 24.10.2007 – 10 AZR 878/06, NZA 2008, 131, beck-online).
61
Diese Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien für eine rückwirkende Änderung tarifvertraglicher Regelungen ist allerdings durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes für die Normunterworfenen begrenzt. Insoweit gelten dieselben Regeln wie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der Rückwirkung von Gesetzen. Der Vertrauensschutz in den Fortbestand einer tariflichen Regelung entfällt, wenn und sobald die Normunterworfenen mit einer Änderung rechnen müssen. Maßgebend sind dabei die Umstände des jeweiligen Einzelfalls. Dabei hat der Wegfall des Vertrauensschutzes nicht zur Voraussetzung, dass der einzelne Tarifunterworfene positive Kenntnis von den zu Grunde liegenden Umständen hat; entscheidend und ausreichend ist vielmehr die Kenntnis der betroffenen Kreise (BAG vom 24.10.2007, a.a.O., m.w.N.).
62
b. In Anwendung dieser Grundsätze war bereits die Veröffentlichung im Intranet „E“ am 25.05.2020 ausreichend, um ein schützenswertes Vertrauen der Klägerin in den Fortbestand des Anspruchs auf das Weihnachtsgeld 2020 zu beseitigen. Die Klägerin gehörte unstreitig zum Kreis der Beschäftigten der Beklagten, die Zugriff auf diese Informationen im Intranet hatten. Mit Erscheinen des Artikels unter der Überschrift „Darum geht es in den Gesprächen mit ver.di“ und dem ausdrücklichen Hinweis, dass der Konzern in den Tarifverhandlungen u.a. den Verzicht auf „Urlaubs- und Weihnachtsgeld“ fordere, bestanden hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Tarifvertragsparteien den Anspruch auf das „Urlaubs- und Weihnachtsgeld“ zu Ungunsten der Arbeitnehmer ändern könnten.
63
3. Da die Klageforderung als Hauptforderung nicht besteht, scheidet dementsprechend auch ein Zinsanspruch als Nebenforderung aus.
64
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 91 Abs. 1 ZPO.
65
Die Streitwertfestsetzung im Urteil erfolgt auf Grundlage von §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, §§ 3 ff. ZPO und entspricht der Forderungssumme.
66
Die Berufung wurde gemäß § 64 Abs. 2 lit. a) ArbGG nicht zugelassen, da die Zulassungsgründe nach § 64 Abs. 3 ArbGG nicht gegeben sind. Die Statthaftigkeit der Berufung nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes gemäß § 64 Abs. 2 lit. b) ArbGG bleibt hiervon unberührt. Es wird auf die nachfolgende Rechtsmittelbelehrungverwiesen.