Titel:
Ansprüche gegen Audi wegen des dort entwickelten, hergestellten und eingebauten 3,0-Liter-Motors (hier: Audi Q7 3.0 TDI)
Normenketten:
BGB § 31, § 195, § 199 Abs. 1, § 249 Abs. 1, § 826
ZPO § 138 Abs. 3, § 287
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2022, 21374; KG BeckRS 2023, 2608; OLG Bamberg BeckRS 2023, 10858; BeckRS 2023, 10853; OLG Brandenburg BeckRS 2022, 32170; OLG Braunschweig BeckRS 2022, 28824; BeckRS 2022, 27100; OLG Nürnberg BeckRS 2023, 5896; BeckRS 2023, 5895; BeckRS 2023, 8575; BeckRS 2023, 9333; OLG Zweibrücken BeckRS 2022, 39887; BeckRS 2022, 39888; BeckRS 2022, 18797; OLG München BeckRS 2022, 43580; BeckRS 2023, 7833; BeckRS 2022, 36080 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2022, 28703 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1) sowie OLG Brandenburg BeckRS 2021, 52227 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Der käuferseitige Vortrag, die Motorsteuerungssoftware des Fahrzeugs erkenne anhand bestimmter Parameter, ob sich das Fahrzeug im NEFZ befinde und richte das Emissionsverhalten des Fahrzeugs danach aus, indem der Abgasausstoß des Fahrzeugs reduziert und im Testbetrieb eingehalten, im realen Straßenverkehr jedoch um ein Vielfaches überschritten werde, wird nicht dadurch widerlegt, dass die Herstellerin vorträgt, der Motor verfüge nicht über die Umschaltlogik des Motors EA 189 und auf Anordnung des KBA sei eine Aktualisierung der Motorsteuerungssoftware vorgenommen worden. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Gesamtlaufleistung von 250.000 km erscheint bei einem neueren Dieselfahrzeug durchaus realistisch. (Rn. 75) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Verjährungsfrist hat nicht vor 2019 zu laufen begonnen, da die Medienberichterstattung des Jahres 2017 und 2018 nicht ausreichend war, um eine grob fahrlässige Unkenntnis des Käufers von Abschalteinrichtungen im 3,0 Liter-Motor zu unterstellen. (Rn. 88) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Audi AG, 3.0 l V6 Dieselmotor, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, Umschaltlogik, Motoraufwärmfunktion, geschwindigkeitsgesteuerte, fahrstreckengesteuerte und zeitgesteuerte Harnstoffdosierung im SCR-Katalysator, Rückrufbescheid des KBA, Verjährung
Rechtsmittelinstanz:
OLG Bamberg, Urteil vom 15.05.2023 – 4 U 250/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 47511
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 17.361,74 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 5. Februar 2022, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges Audi Q7 3.0 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ... zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Ziffer 1. genannten Fahrzeuges in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.295,43 EUR gegenüber der r. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH freizustellen.
4. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger zu 14 % und die Beklagte zu 86 %. 5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu 44 O 125/22 vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 21.749,24 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Pkws.
2
Der Kläger erwarb am 29.11.2016 bei einem nicht am Verfahren beteiligten Autohändler einen gebrauchten Pkw Audi Q7 3.0 TDI (EU6) (Rechnung = Anlage K 1) mit 3.0 Liter V6-Turbodieselmotor (180 kW) des Typs EA 897 zum Kaufpreis von 32.700, – €. Bei Erwerb hatte das Fahrzeug einen km-Stand von 63.800 km. Am 05.09.2022 hatte es einen Kilometerstand von 151.139 km.
3
Die Beklagte ist die Herstellerin des Fahrzeugs sowie des darin eingebauten Motors.
4
Der Kläger begehrt auf Grund behaupteter sittenwidriger Schädigung der Beklagten durch Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen Schadensersatz in Form der Rückzahlung des Kaufpreises abzgl. einer Nutzungsentschädigung.
5
Zu dem Fahrzeug existiert ein Rückrufbescheid des KBA.
6
Mit Schreiben vom 21.01.2022 hat die anwaltlich vertretene Klagepartei Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges bis 04.02.2022 von der Beklagten gefordert.
7
Die Klagepartei behauptet, in dem Fahrzeug seien unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut, die das Kraftfahrtbundesamt (KBA) dazu veranlasst hätten, die Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid dazu zu verpflichten, diese zu beseitigen.
8
Das Fahrzeug verfüge über eine illegale Motorsteuerungssoftware, die den Ausstoß von Stickoxid im Prüfstandsbetrieb optimiere. Insbesondere weise das Fahrzeug eine sog. „Akustikfunktion“ auf, die bewirke, dass Kraftfahrzeuge auf dem Prüfstand weniger emittieren als im Straßenverkehr. Die Software erkenne – etwa anhand von Lenkeinschlägen, Motorlaufzeit, Motordrehzahl und der Fahrzeugneigung –, ob das Fahrzeug einer Abgasprüfung auf dem Prüfstand unterzogen werde und reduziere in einem solchen Fall den Abgasausstoß des Fahrzeuges. Auf dem Rollenprüfstand rufe die Software ein Motorprogramm „Rollenprüfstandsmodus“ ab und im Straßenbetrieb den Normalbetrieb. Die Grenzwerte seien im Straßenbetrieb infolge dessen nicht eingehalten.
9
Sie behauptet, das streitgegenständliche Fahrzeug verfüge über eine Motorsteuerungssoftware, die über mindestens eine der sog. Strategien A, B, C (gemeinsam sog. „Motoraufwärmfunktion“), D, E, F (geschwindigkeitsgesteuerte, fahrstreckengesteuerte und zeitgesteuerte Harnstoffdosierung im SCR-Katalysator) enthalte, deren Funktionsweise näher ausgeführt wird (vgl. Bl. 14 ff. d. A.) und nimmt hierzu Bezug auf ein Konvolut mit verbindlichen Rückrufbescheiden des KBA betreffend Fahrzeuge der Beklagten mit 3,0 l-Dieselmotoren und eine Anklageschrift der Staatsanwaltschaft München II, die u.a. gegen den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten, Herrn R. S., erhoben wurde. Darüber hinaus beinhalte das Fahrzeug die seitens der Motorreihen EA189, die von der VW AG entwickelt und in den Verkehr gebracht wurden, bekannte „Umschaltlogik“.
10
Sie behauptet weiter, dass die Beklagte auf Vorstandsebene Kenntnis über die Manipulationssoftware vor dem Inverkehrbringen über die Motoren gehabt habe. Wäre sie über die Überschreitung der zulässigen Grenzwerte zum Schadstoffausstoß in bestimmten Fahrsituationen informiert worden, so hätte sie das streitgegenständliche Fahrzeug nicht erworben. Die Funktionen der Motorsteuerungssoftware seien den zuständigen Behörden, dem KBA und dem SNCH gegenüber, im Typengenehmigungsverfahren nicht offengelegt worden Die Klagepartei behauptet weiter, in dem Fahrzeug sei ein unzulässiges „Thermofenster“ eingebaut, das die Wirkung des Abgasrückführungssystems je nach Außentemperatur verringere, die Abgasrückrührung werde bereits bei einstelligen Temperaturen zurückgefahren oder ganz abgeschaltet, wodurch die Stickoxidemission erheblich ansteige.
11
Das Fahrzeug verfüge deshalb nicht über die Voraussetzungen für die EG-Typengenehmigung und habe einen erheblich höheren Schadstoffausstoß als von der Beklagten angegeben.
12
Die Klagepartei behauptet, hätte sie von der behaupteten Manipulation gewusst, hätte sie das Fahrzeug nicht erworben.
13
Vorstand und Mitarbeiter der Beklagten hätten von dem Einsatz der Manipulationssoftware Kenntnis gehabt.
14
Die Klagepartei meint, dass sie Schadensersatzansprüche aus § 826 BGB in Verbindung mit § 31 BGB analog, § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB bzw. in Verbindung mit §§ 6, 27 Abs. 1 EG-FGV habe.
15
Die Klagepartei beantragt unter Teilerledigungserklärung im übrigen zuletzt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 20.608,96 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 5. Februar 2022, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges Audi Q7 3.0 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Ziffer 1. genannten Fahrzeuges in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.295,43 EUR gegenüber der r. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH freizustellen.
16
Die Beklagte widerspricht der Teilerledigungserklärung und beantragt,
17
Die Beklagte bestreitet die Kaufmotivation der Klagepartei. Angesichts eines Leergewichts des Fahrzeugs von 2 Tonnen bei 245 PS sei das Emissionsverhalten des Fahrzeugs offenbar nicht kaufentscheidend gewesen. Auch bestehe keine Kausalität zwischen einer etwaigen Täuschungshandlung der Beklagten und der Kaufentscheidung der Klägerseite. Der Vortrag der Klägerseite zu den Umständen des Vertragsschlusses sei nicht einlassungsfähig.
18
Das Fahrzeug sei nicht von der im September 2015 bei Motoren des Typs EA 189 bekannt gewordenen Umschaltlogik der Abgasrückführung betroffen. Nach Auffassung des KBA sei die Bedatung der vom KBA beanstandeten Softwarebestandteile zu ändern bzw. aufzuweiten, um einen breiteren Anwendungsbereich im Straßenbetrieb zu gewährleisten. Dies werde durch eine entsprechende Anpassung der Motorsteuerungssoftware sichergestellt. Unzutreffend sei hingegen, dass das KBA das Vorliegen von vier oder mehr unzulässigen Abschalteinrichtungen im Fahrzeug festgestellt habe. Der Lenkwinkel sei kein bestimmender Parameter für die eingesetzten, vom KBA als unzulässig eingestuften Strategien. Das Emissionskontrollsystem werde durch die Erkennung des Lenkwinkels nicht abgeschaltet. Eine erhöhte Ad-Blue-Einspritzung während des NEFZ finde nicht statt. Ein AECD-Steuergerät sei nicht verbaut. Ein erhöhter CO₂-Ausstoß außerhalb des NEFZ sei nicht gegeben. Das Software-Update zur Beseitigung der beanstandeten Softwarefunktionalität sei vom KBA am 13.09.2019 freigegeben worden (vgl. Bl. 106 ff. d. A.).
19
Sie erhebt überdies die Einrede der Verjährung (vgl. im Einzelnen: Bl. 81 ff., 86ff. d. A.).
20
Das Fahrzeug verfüge über eine wirksame Typengenehmigung und könne im Straßenverkehr uneingeschränkt genutzt werden. Deshalb fehle es auch an einem Schaden.
21
Das Thermofenster stelle keine unzulässige Abschalteinrichtung dar. Denn es werde zum Bauteilschutz verwendet und sei daher zulässig. Auch das KBA sei nicht davon ausgegangen, dass es sich bei dem Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung gehandelt habe.
22
Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 05.09.2022 (Bl. 192 ff. d. A.) wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
23
Die zulässige Klage hat überwiegend Erfolg.
24
Die Klage ist zulässig.
25
Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Bamberg folgt aus § 32 ZPO.
26
Der Kläger begehrt Schadensersatz gestützt auf deliktische Normen, wobei zum zuständigkeitsbegründenden Begehungsort im Sinne von § 32 ZPO auch der Ort gehört, wo der schädigende Erfolg eingetreten ist, wenn der Schaden Tatbestandsmerkmal der Anspruchsnorm ist (vgl. etwa Zöller – Schultzky, 33. Aufl. 2018, § 32 Rn. 19). Dies ist jedenfalls bei § 826 BGB – auf den sich der Kläger berufen hat – der Fall.
27
Der schädigende Erfolg ist dabei hier am Wohnsitz des Klägers eingetreten (vgl. BeckOK – ZPO / Touissant, 24. Edition, § 32 Rn. 12.1) – mithin im Bezirk des Landgerichts Bamberg.
28
Die Klage ist überwiegend begründet.
29
Dem Kläger stehen gegen die Beklagte Ansprüche auf Schadensersatz in tenorierter Höhe nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu (§ 826 BGB).
30
Die Voraussetzungen dieser Norm – wonach derjenige, der durch ein als sittenwidrig zu qualifizierendes, vorsätzliches Verhalten eines anderen einen Schaden erlitten hat, Anspruch auf Ersatz dieses Schadens hat – liegen vor (so im Ergebnis – mit in Einzelheiten divergierenden Begründungen – auch vier aktuelle Hinweise von Oberlandesgerichten: OLG Oldenburg, Hinweis vom 19.06.2018 – 2 U 9/18; OLG Karlsruhe, Hinweis vom 06.07.2018 – 13 U 17/18; OLG Köln, Beschluss vom 03.01.2019 – 18 U 70/18; OLG Karlsruhe – 13 U 142/18 sowie eine Vielzahl anderer aktueller landgerichtlicher Entscheidungen, etwa: LG Heilbronn, Urteil vom 22.05.2018 – 6 O 35/18; LG Kiel, Urteil vom 18.05.2018 – 12 O 371/17; LG Hamburg, Urteil vom 18.05.2018 – 308 O 308/17; LG Bonn, Urteil vom 07.03.2018 – 19 O 327/17; LG Krefeld, Urteil vom 28.02.2018 – 7 O 10/17; LG Köln, Urteil vom 26.02.2018 – 19 O 109/17; LG Duisburg, Urteil vom 19.02.2018 – 1 O 178/17; LG Düsseldorf, Urteil vom 09.02.2018 – 7 O 212/16; LG Stuttgart, Urteil vom 08.02.2018 – 19 O 68/17; LG Wuppertal, Urteil vom 16.01.2018 – 4 O 295/17; LG Arnsberg, Urteil vom 12.01.2018 – 2 O 134/17; LG Bochum, Urteil vom 29.12.2017 – 6 O 96/17; LG Essen, Urteil vom 19.10.2017 – 9 O 33/17; LG Bielefeld, Urteil vom 16.10.2017 – 6 O 149/16; LG Mainz, Urteil vom 27.07.2017 – 4 O 196/16; LG Mönchengladbach, Urteil vom 11.07.2017 – 1 O 320/16; LG Lüneburg, Urteil vom 29.06.2017 – 3 O 204/16, die in der Folge vielfach in Bezug genommen und zum Teil wörtlich zitiert werden).
31
I. Dem Kläger ist durch den Erwerb des streitgegenständlichen Pkws ein Schaden im Sinne von § 826 BGB entstanden.
32
1. Ein Schaden im Sinne von § 826 BGB ist nicht nur jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage, in dem Sinne, dass sich bei dem vorzunehmenden Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre, ein rechnerisches Minus ergibt.
33
Der Schadensbegriff des § 826 BGB ist vielmehr subjektbezogen, so dass bei wertender Betrachtung Vermögensminderungen oder nachteilige Einwirkungen auf die Vermögenslage umfasst sind, wie – bei Eingriff in die Dispositionsfreiheit – die Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung oder die Vermögensgefährdung durch Eingehung eines nachteiligen Geschäfts (BGH, Urteil vom 19.07.2004 – II ZR 402/02 = zitiert nach juris; BGH, Urteil vom 21. Dezember 2004 – VI ZR 306/03 = BGHZ 161, 361 BGH, Urteil vom 28. Oktober 2014 – VI ZR 15/14 = zitiert nach juris; Münchener Kommentar zum BGB / Wagner, 7. Aufl., § 826 Rn. 41ff.). Dabei ist bei dem Abschluss von Verträgen unter Eingriff in die Dispositionsfreiheit maßgeblich auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen, nicht auf die tatsächliche Realisierung eines Schadens zu einem späteren Zeitpunkt (vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 2011 – XI ZR 51/10 = BGHZ 192, 90).
34
2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze – denen das Gericht folgt – stellt bereits die Tatsache, dass der Kläger aufgrund des Verschweigens der Beklagten über den Einsatz der Umschaltlogik bzw. der Motorsteuerungssoftware einen für ihn ungewollten wirtschaftlich nachteiligen Vertrag (Anlage K 1) mit dem Verkäufer geschlossen hat, einen derartigen Schaden dar, da sein Vermögen bereits dadurch – unabhängig von einem messbaren Vermögensnachteil durch einen entstehenden Wertverlust – mit einer ungewollten Verbindlichkeit negativ belastet ist. a)
35
Die wirtschaftliche Nachteiligkeit des Vertrages für den Kläger ergibt sich dabei schon daraus, dass der Kläger nicht das erhalten hat, was ihm nach dem Kaufvertrag zustand, nämlich ein technisch einwandfreies, den gesetzlichen Bestimmungen entsprechendes Fahrzeug.
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Stattdessen hat der Kläger einen Vertrag über einen Pkw geschlossen, der zwar formal über eine erteilte EG-Typgenehmigung verfügte, in den aber gleichzeitig eine unzulässige Abschaltvorrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007 i.V.m. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 eingebaut war, die einer Zulassung objektiv entgegenstand.
37
(1) Die objektiven Zulassungsvoraussetzungen in Bezug auf Abschaltvorrichtungen ergeben sich aus folgenden Normen:
38
Gemäß Art. 10 Abs. 1 EG-VO 715/2007 erteilt die nationale Zulassungsbehörde die Typgenehmigung, wenn das betreffende Fahrzeug den Vorschriften der Verordnung und ihrer Durchführungsbestimmungen entspricht.
39
Gemäß § 4 Abs. 4 der Verordnung über die EG-Genehmigung für Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger sowie für Systeme, Bauteile und selbstständige technische Einheiten für diese Fahrzeuge (EG-FGV) darf eine EG-Typgenehmigung nur erteilt werden, wenn die erforderlichen Prüfverfahren ordnungsgemäß und mit zufriedenstellenden Ergebnis durchgeführt wurden.
40
Nach Art. 5 Abs. 1 EG-VO 715/2007 hat der Hersteller das Fahrzeug so auszurüsten, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht.
41
Gemäß Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Nach Art. 3 Nr. 10 EG-VO 715/2007 ist eine „Abschalteinrichtung“ ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
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(2) Das streitgegenständliche Fahrzeug verfügte nach Auffassung des Gerichts über eine unzulässige Abschalteinrichtung im derartigen Sinne, so dass die Voraussetzungen für die Erteilung der EG-Typgenehmigung nicht vorliegen.
43
Die Klagepartei hat vorgetragen, die Motorsteuerung Software ihres Fahrzeugs erkenne anhand bestimmter Parameter, ob sich das Fahrzeug im NEFZ befinde und richte das Emissionsverhalten des Fahrzeugs danach aus. In diesem Fall werde der Abgasausstoß des Fahrzeugs reduziert und im Testbetrieb eingehalten, im realen Straßenverkehr jedoch um ein Vielfaches überschritten. Hierauf ging die Beklagtenseite nur insoweit ein, als sie erwiderte, dass der streitgegenständliche Motor nicht über die Umschaltlogik des Motors EA 189 verfüge und auf Anordnung des KBA eine Aktualisierung der Motorsteuerungssoftware vorgenommen worden sei. Aus welchem Grund die Anpassung der Steuerungssoftware erfolgen musste und zur vom KBA beanstandeten Funktionsweise hat die Beklagte nicht vorgetragen. Im übrigen bestritt sie nur, dass der Lenkwinkeleinschlag ein bestimmender Parameter gewesen sei.
44
Damit hat die Beklagte den hinreichend substantiierten Vortrag der Klägerseite zur Funktionsweise der in ihrem Fahrzeug verbauten Abschalteinrichtungen nicht bestritten. Das Gericht hat daher davon auszugehen (vgl. auch Urteil des OLG Bamberg vom 30.05.2022, Az. 4 U 332/21), dass in dem Fahrzeug des Klägers zum Zeitpunkt des Erwerbs eine Technik zum Einsatz kam, die planmäßig, systematisch und zielgerichtet zu einer Verminderung der Emissionen im Prüfstandsbetrieb führte, was im normalen Fahrbetrieb nicht der Fall war. Insbesondere blieb die von Klägerseite behauptete Akustikfunktion sowie schnelle Aufwärmfunktion unwidersprochen. Das Gericht hat daher davon auszugehen, dass Parameter für die schnelle Aufwärmfunktion vorgegeben waren, die auf den Prüfstand zugeschnitten waren und gewährleisteten, dass die Funktion dort wirkte, wohingegen diesem realen Straßenbetrieb nur dann der Fall war, wenn zufällig der Ausnahmefall eintrat, dass die engen Parameter dort ebenfalls erfüllt waren.
45
Das Gericht wertet das Vorbringen der Beklagtenseite daher als überwiegendes Zugestehen im Sinne des § 138 Abs. 3 ZPO und nimmt auf Grundlage dessen eine unzulässige Abschalteinrichtung an.
46
b) Die durch den wirtschaftlich nachteiligen Vertrag begründete Verbindlichkeit war für den Kläger ersichtlich auch ungewollt:
47
Dies folgt schon daraus, dass bei verständiger Würdigung und unter lebensnaher Betrachtung kein durchschnittlich informierter und wirtschaftlich vernünftig denkender Kunde ein Fahrzeug mit dieser Motorsteuerungssoftware erwerben würde, wenn die Beklagte (oder der Verkäufer) ihn vor dem Kauf darauf hinweisen würde, dass die Software nicht gesetzeskonform ist und er deshalb jedenfalls für den Fall der Entdeckung der Manipulation durch das KBA (wenn auch erst in einigen Jahren) mit Problemen bis hin zum Entzug der Zulassung rechnen muss.
48
Ein Durchschnittskäufer kann und muss nicht davon ausgehen, dass die gesetzlich vorgegebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte nur deshalb eingehalten und entsprechend attestiert werden, weil eine Software installiert worden ist, die dafür sorgt, dass der Prüfstandslauf erkannt wird und über eine entsprechende Programmierung der Motorsteuerung in gesetzlich unzulässiger Weise insbesondere der Stickoxidausstoß reduziert wird.
49
Insoweit kann auch zwanglos davon ausgegangen werden, dass die Gesetzmäßigkeit des Fahrzeugs schon allein wegen des Einflusses der Manipulation auf die Schadstoffklasseneingruppierung – mit den damit verbundenen steuerlichen und sonstigen Folgen – und die Zulassung des Fahrzeugs für die Kaufentscheidung immer von Bedeutung ist, ohne dass es auf konkrete Äußerungen im Verkaufsgespräch ankäme (so auch LG Arnsberg, Urteil vom 14.06.2017 – 1 O 227/16 = zitiert nach juris; LG Kleve, Urteil vom 31.03.2017 – 3 O 252/16 = zitiert nach juris).
50
Bei gehöriger Aufklärung hätte er vielmehr erkannt, dass sich aus der geschilderten Problematik die Gefahr der Stilllegung des Fahrzeugs sowie zumindest die Gefahr eines massiven Wertverlustes der Kaufsache ergeben und vom Kauf abgesehen (wofür nach Auffassung des LG Duisburg, Urteil vom 19.02.2018 – 1 O 178/17= zitiert nach juris bereits ein Anscheinsbeweis spricht), zumal zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses nicht absehbar gewesen wäre, dass die Beklagte kurzfristig in der Lage ist, ein Software-Update zu entwickeln, dass tatsächlich die Zulassungsfähigkeit herstellt ohne negative Auswirkungen für das Fahrzeug mit sich zu bringen. Selbst das jetzt vorliegende Update berücksichtigt nach dem Vortrag der Beklagten die Erkenntnisse aus der Weiterentwicklung des Diesel-Brennverfahrens der letzten zehn Jahre, die damals noch gar nicht vorlagen.
51
Der Käufer eines Neufahrzeuges – aber auch eines Gebrauchtwagens – erwartet regelmäßig, dass er sein Fahrzeug dauerhaft und uneingeschränkt nutzen kann und er sich nicht zu einem ungewissen Zeitpunkt in der Zukunft damit konfrontiert sieht, dass ein Entzug der Zulassung und bei Weiterveräußerung des Fahrzeugs ein massiver Wertverlust droht.
52
Objektive Anhaltspunkte dafür, dass dies im konkreten Fall ausnahmsweise anders war – der Kläger das Fahrzeug mithin auch in Kenntnis der Umschaltlogik zu den vereinbarten Konditionen erworben hätte – sind weder vorgetragen, noch ersichtlich.
53
II. Der Schaden des Klägers beruht auch auf einem Verhalten der Beklagten.
54
Diese hat das streitgegenständliche Fahrzeug, insbesondere den Motor mit Abschalteinrichtung produziert, sich durch das Vorspiegeln scheinbar zulässiger Emissionswerte gegenüber dem KBA die EG-Typgenehmigung erschlichen und das Fahrzeug schließlich so vertreiben lassen, dass es in den Verkehr gelangt.
55
Dieses Verhalten war für den Schadenseintritt (Eingehung des wirtschaftlich nachteiligen und ungewollten Vertrages) auch unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der Norm adäquat kausal, wobei dies ausdrücklich auch im Falle eines Gebrauchtwagenkaufs anzunehmen ist, denn Fahrzeuge werden häufig vom Ersterwerber an Zweit- und Folgeerwerber weiterveräußert. Dabei knüpft jeder Erwerber unabhängig von der Person des Verkäufers an das Fahrzeug die Erwartung, dass er dieses dauerhaft und ohne Gefahr des Widerrufs der Typengenehmigung und der Stilllegung nutzen – diese geradezu selbstverständliche Erwartung prägt geradezu den Wert des Fahrzeugs und stellt ein offenbar wesentliches Kriterium für die Anschaffungsentscheidung dar (so auch LG Stuttgart, Urteil vom 08.02.2018 – 19 O 68/17 = zitiert nach juris).
56
III. Das Verhalten der Beklagten ist als sittenwidrig zu qualifizieren.
57
1. Ein Verhalten ist sittenwidrig, wenn es gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (st. Rspr. seit RGZ 48, 114, 124). In diese rechtliche Beurteilung ist einzubeziehen, ob die Handlung nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist (vgl. BGH, Urteil vom 06.05.1999 – VII ZR 132/97, BGHZ 141, 357, 361 Urteil vom 19.07.2004 – II ZR 402/02, BGHZ 160, 149, 157; Urteil vom 03.12.2013 – XI ZR 295/12, WM 2014, 71, Rn. 23 m. w. N.). Für die Annahme einer Sittenwidrigkeit genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde vertragliche Pflichten oder das Gesetz verletzt oder bei einem anderen einen Vermögensschaden hervorruft (vgl. BGH, Urteil vom 15.10.2013 – VI ZR 124/12, NJW 2014, 1380, Rn. 8 m. w. N.). Ein Unterlassen verletzt die guten Sitten nur dann, wenn das geforderte Tun einem sittlichen Gebot entspricht. Hierfür reicht die Nichterfüllung einer allgemeinen Rechtspflicht, aber auch einer vertraglichen Pflicht nicht aus. Es müssen besondere Umstände hinzutreten, die das schädigende Verhalten wegen seines Zwecks oder wegen des angewandten Mittels oder mit Rücksicht auf die dabei gezeigte Gesinnung nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als „anständig“ Geltenden verwerflich machen (vgl. BGH, Urteil vom 19.10.2010 – VI ZR 124/09, WM 2010, 2256, Rn. 12 Urteil vom 20.11.2012 – VI ZR 268/11, WM 2012, 2377, Rn. 25 jeweils m. w. N.). Dabei kann es auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Sie kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH, Urteil vom 28. Juni 2016 – VI ZR 536/15 –, Rn. 16, juris). Bezüglich des Anstandsgefühls aller billig und gerecht Denkenden kommt es wesentlich auf die berechtigten Verhaltenserwartungen im Verkehr an (Staudinger/Oechsler BGB [2014] § 826, Rn. 31).
58
2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze – denen das Gericht folgt – ist das Verhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren:
59
Die berechtigten Verkehrserwartungen gehen dahin, dass ein Autohersteller sich gewissenhaft an die Regeln hält, denen er im Rahmen des Zulassungsverfahrens unterliegt, und er sich nicht durch falsche Angaben zu wichtigen zulassungsrelevanten Eigenschaften eine Typgenehmigung erschleicht. Dabei wird eine sehr hohe Sorgfalt erwartet, weil das Handeln von einer großen Tragweite sowohl für die Mobilität als auch das Vermögen der einzelnen (zigtausend bis Millionen) Kunden, als auch für die Umwelt (bei in großer Stückzahl produzierten Fahrzeugen hohen Auswirkungen auf die Umweltbelastung und damit wiederum für die Gesundheit der Allgemeinheit) ist und Verstöße zu hohen Schäden führen können.
60
Sachliche Gründe für die entsprechende Programmierung sind nicht ersichtlich und die Beklagte ist dem Vortrag der Klagepartei insoweit nicht substantiiert entgegengetreten, dass sie auf der Grundlage einer strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung systematisch Fahrzeug in Verkehr gebracht hat, deren Steuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Auch dieser Vortrag der Klägerseite wurde seitens der Beklagten nicht substantiiert bestritten. Beweggründe der Beklagten, die ihr Verhalten nicht als besonders verwerflich erscheinen lassen könnten, sind nicht ersichtlich.
61
Die subjektive Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände war bei den handelnden Personen unzweifelhaft gegeben.
62
IV. Die Beklagte hat dabei auch vorsätzlich gehandelt, wobei sie sich das Wissen und Verhalten ihrer Repräsentanten zurechnen lassen muss.
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1. Die schädigende Handlung ist der Beklagten nach § 31 BGB (analog) zuzurechnen. a)
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Die Haftung einer juristischen Person setzt voraus, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter im Sinne des § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht (BGH, Urteil vom 28.06.2016 – VI ZR 536/16 = zitiert nach juris).
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Darüber hinaus wird der Anwendungsbereich des § 31 BGB bei Organisationsmängeln erweitert (Palandt – Ellenberger, BGB – Kommentar, 77. Aufl. 2018, § 31 Rn. 7), denn juristische Personen sind verpflichtet, den Gesamtbereich ihrer Tätigkeit so zu organisieren, dass für alle wichtigen Aufgabengebiete ein verfassungsmäßiger Vertreter zuständig ist, der die wesentlichen Entscheidungen selbst trifft. Entspricht die Organisation diesen Anforderungen nicht, muss sich die juristische Person so behandeln lassen, als wäre der tatsächlich eingesetzte Verrichtungsgehilfe ein verfassungsmäßiger Vertreter (vgl. BGH, Urteil vom 08.07.1980 – VI ZR 158/78 = NJW 1980, 2810).
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b) Hier hat die Beklagte jedenfalls entgegen der sie treffenden sekundären Darlegungslast nicht dargelegt, dass sie den Organisationsanforderungen gerecht geworden ist.
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Bei dem Einbau einer manipulierten Motorsteuerungssoftware – die zudem noch von einem Drittunternehmen entwickelt wird – handelt es sich offensichtlich nicht um das Augenblicksversagen eines einzelnen Mitarbeiters, sondern um eine wesentliche strategische Entscheidung mit enormer wirtschaftlicher Bedeutung – wie insbesondere die finanziellen Folgen des Abgasskandals zeigen – und Risiken, bei der millionenfach in den Motor (das „Herzstück“ des Fahrzeuges) eingegriffen wird.
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Selbst wenn – wie die Beklagte vorträgt (zur Frage einer direkten Zurechnung unter einer sekundären Darlegungslast der Beklagten insoweit etwa LG Düsseldorf, Urteil vom 09.02.2018 – 7 O 212/16 = zitiert nach juris; LG Stuttgart, Urteil vom 08.02.2018 = zitiert nach juris; LG Bonn, Urteil vom 07.03.2018 – 19 O 327/17 = zitiert nach juris) – kein Vorstandsmitglied Kenntnis von dieser Entscheidung hatte, sondern diese weitreichende Entscheidung tatsächlich von Mitarbeitern unterhalb der Vorstandsebene auf nachgeordneter Arbeitsebene getroffen worden sein sollte, läge insoweit offenbar ein massives Organisationsdefizit vor, so dass sich die Beklagte so behandeln lassen muss, als wären die handelnden Mitarbeiter ihre verfassungsmäßigen Vertreter (so auch LG Essen, Urteil vom 28.08.2017 – 4 O 114/17 = zitiert nach juris; LG Düsseldorf, Urteil vom 09.02.2018 – 7 O 212/16 = zitiert nach juris).
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2. Die der Beklagten zuzurechnende Handlung war auch vorsätzlich, da die handelnden Personen jedenfalls Art und Richtung des Schadens (massenhafter Abschluss von Kaufverträgen über Fahrzeuge, deren EG-Typgenehmigung erschlichen war) und die Schadensfolgen (Begehr auf Rückgängigmachung des Kaufvertrages) vorausgesehen und zumindest billigend in Kauf genommen haben.
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V. Als Rechtsfolge kann der Kläger Schadensersatz nach § 249 Abs. 1 BGB fordern – er hat mithin Anspruch darauf, so gestellt zu werden, als ob das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre.
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1. Nachdem davon auszugehen ist, dass der Kläger bei Kenntnis des Sachverhalts und der damit verbundenen Risiken für den Fortbestand der Betriebserlaubnis einerseits und des Wertes des Fahrzeugs andererseits den Kaufvertrag über den streitgegenständlichen Pkw nicht geschlossen hätte und damit der Schaden bereits bei Eingehung des Vertrages bzw. mit Vertragsschluss entstanden ist, ist er so zu stellen, als hätte er den Vertrag nicht geschlossen.
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Er hat folglich Anspruch auf Zahlung des unstreitigen Kaufpreises in Höhe von 24.450, – €, muss jedoch gleichzeitig im Wege des Vorteilsausgleichs das streitgegenständliche Fahrzeug an die Beklagte herausgeben und übereignen (dem ist in Form einer Zug um Zug Verurteilung Rechnung zu tragen) sowie sich die gezogenen Nutzungen anrechnen lassen.
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2. Dass die Möglichkeit besteht, ein in Abstimmung mit dem KBA entwickeltes Software-Update aufspielen zu lassen, ist für die Schadensbeurteilung ohne Relevanz. Der Geschädigte muss sich vom Schädiger nicht das Festhalten an dem Vertrag aufdrängen lassen, zumal die (etwaig nachteiligen) Folgen des Software-Updates möglicherweise erst nach einem längeren Dauerbetrieb auftreten und nur mittels kostspieligen Sachverständigengutachtens geklärt werden können (so auch LG Stuttgart, Urteil vom 08.02.2018, 19 O 68/17 = zitiert nach juris).
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3. Die Höhe des Nutzungsvorteils beim Gebrauchtwagenkauf berechnet sich auf Grundlage der Formel Bruttokaufpreis / voraussichtliche Gesamtlaufleistung im Zeitpunkt der Übergabe des Fahrzeugs an den Käufer multipliziert mit der Anzahl der vom Käufer tatsächlich gefahrenen Kilometer (vgl. BGH, Beschluss vom 09.12.2014 – VIII ZR 196/14 = zitiert nach juris).
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Hierbei geht das Gericht nach § 287 ZPO von einer voraussichtlichen Gesamtlaufleistung im Zeitpunkt der Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger von 186.200 km aus, weil eine Gesamtlaufleistung von 250.000 km bei einem neueren Dieselfahrzeug durchaus realistisch erscheint und bereits 63.800 km gefahren waren.
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Die tatsächlich gefahrenen Kilometer bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung (87.339 km) entnimmt das Gericht den unstreitigen Angaben des Klägers – der insgesamt eine Laufleistung von 151.139 km angegeben und nachgewiesen hat.
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Dies ergibt eine Nutzungsentschädigung von 15.338,26 €, die mit dem Kaufpreis – ohne dass es einer Gestaltungserklärung oder Einrede des Schädigers bedarf (vgl. BGH, NJW 2015, 3160) – zu verrechnen ist (12.707,55 €).
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Nachdem die Nutzung während der gesamten Besitzzeit des Klägers – trotz der Umschaltlogik – nicht beeinträchtigt war, kann aus dem bloßen Umstand der Mangelhaftigkeit nicht abgeleitet werden, dass Nutzungsentschädigung nicht geschuldet ist (so auch LG Hamburg, Urteil vom 18.05.2018 – 308 O 308/17 = zitiert nach juris). Soweit das LG Augsburg (Az.: 021 O 4310/16) kürzlich nach Presseberichten einer Klage ohne Anrechnung von Nutzungsentschädigung stattgegeben hat, weil dies dem Gedanken des Schadensersatzes nach sittenwidriger Schädigung widerspräche, teilt das Gericht diese Auffassung nicht. Die Schadensberechnung im Falle sittenwidriger Schädigung richtet sich ebenfalls nach den in §§ 249 ff. BGB verankerten Grundsätzen und nicht nach Sonderregeln.
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Gleiches gilt für die Erwägung des Klägers, wonach – so anscheinend vom LG Nürnberg – Fürth vertreten – Nutzungsentschädigung nur bis zum Zeitpunkt der Klageerhebung zu berücksichtigen sei. Auch insoweit ist keine gesetzliche Grundlage dafür zu sehen, dass der Vorteilsausgleich zu beschränken ist, denn der Kläger erhält bei fortdauernder Nutzung auch nach Klageerhebung Vorteile aus dem Besitz des Fahrzeugs und ihm ist ohne weiteres die Möglichkeit gegeben, durch Unterlassen einer Nutzung des Pkws diese Vorteile nicht in Anspruch zu nehmen.
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Insgesamt ergibt sich danach ein Zahlungsanspruch von 17.361,74 €, der Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu erfüllen ist.
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VI. Der Kläger hat Anspruch auf Verzinsung der Geldschuld ab 05.02.2022 aus den §§ 286 Abs. 1, 288 BGB.
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Verzug ist vorgerichtlich eingetreten. Der Kläger hat die Herausgabe des Fahrzeugs außergerichlich gegen Zahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung angeboten und der Beklagten den Kilometerstand des Fahrzeugs mit der Übersendung des Entwurfes der Klageschrift (Bl. 6 der Klageschrift: 142.900 km) mitgeteilt.
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Voraussetzung für einen Anspruch auf Verzugszinsen ist jedoch, dass die geltend gemachte Forderung fällig ist. Diese ist beim vorliegenden Zug um Zug-Antrag des Klägers, welcher auch im Schreiben vom 11.11.2019 (K3) angedeutet war, nicht der Fall, da der Beklagten ein Zurückbehaltungsrecht aus § 320 BGB zusteht. Hierbei genügt das bloße Bestehen von § 320 BGB (vgl. Palandt/Grüneberg, 77. Auflage 2018, § 320 Randnr. 12).
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Etwas anderes würde nur dann anzunehmen sein, wenn sich der Gläubiger bereits mit der Leistung in Annahmeverzug befindet. Dies ist hier jedoch nicht der Fall (vgl. sogleich unten).
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VII. Ein Anspruch auf Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gemäß §§ 826 Abs. 1, 249 Abs. 1 BGB steht dem Kläger ebenfalls zu. Durch das Schreiben der Klägerseite vom 21.02.2022 mit Fristsetzung zum 04.02.2022 ist Verzug eingetreten.
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VIII. Der Anspruch ist auch nicht verjährt.
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Die Verjährungsfrist beträgt gemäß § 195 BGB drei Jahre und beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.
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Die von Beklagtenseite zitierte Medienberichterstattung des Jahres 2017 und 2018 ist jedenfalls unzureichend, um eine grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von den hier gegenständlichen Abschalteinrichtungen zu unterstellen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Frage des Bestehens einer Abschalteinrichtung nicht zwingend mit dem Ausspruch eines Rückrufes durch das Kraftfahrtbundesamt einhergeht. Auch ergibt sich aus der zitierten Medienberichterstattung jedenfalls nicht in hinreichend hoher Klarheit, dass etwa die Beklagte das Bestehen einer Abschalteinrichtung zugestehen würde. Derartiges wurde auch durch die Beklagtenseite nicht vorgetragen.
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Gleiches gilt auch für die von Beklagtenseite zitierten Pressemitteilungen des Kraftfahrbundesamtes sowie der Beklagten und der P. AG. Vielmehr ist dieses gerade nicht darauf ausgerichtet, das Bestehen einer Schalteinrichtung einzugestehen. Dies zeigt sich bereits an Formulierungen wie etwa der von Beklagtenseite zitierten: „Hierdurch wird das Emissionsverhalten im realen Fahrbetrieb jenseits der bisherigen gesetzlichen Anforderungen weiter verbessert“.
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Auch die von Beklagtenseite zitierte Abfragemöglichkeit über eine Internetseite der Beklagten ist hierbei nicht ausreichend, um „grob fahrlässige“ Unkenntnis der Beklagte Klägerseite zu unterstellen.
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In der Gesamtschau aller vorgetragenen Faktoren und Umstände kann jedenfalls nicht mit der erforderlichen Sicherheit und Klarheit davon ausgegangen werden, dass der Kläger von der individuellen Betroffenheit seines Fahrzeuges wusste oder hat wissen müssen, weder 2017, noch in den Folgejahren.
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Der Antrag des Klägers auf Feststellung des Annahmeverzuges war auch begründet (§ 256 Abs. 1, 293 f. BGB).
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Das wörtliche Angebot in Gestalt des Schreibens vom 21.02.2022 ist inhaltlich hinreichend.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO und den Anteilen am Obsiegen und Unterliegen. Hierbei wurde insbesondere auch berücksichtigt, dass die Klägerseite durch Zugrundelegung des Nutzungsvorteils auf Basis von 300.000 km teilweise unterliegt.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 11, 709 S. 1, 2, 711 ZPO.
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Der Streitwert ergibt sich aus folgenden Ansätzen:
- Antrag zu 1) 21.749,24 €
- Antrag zu 2) 0,00 € (vgl. BGH, Beschluss vom 20.06.2017 – XI ZR 109/17)
- Antrag zu 3) 0,00 € (§ 4 ZPO)