Titel:
Verjährung von Schadensersatzansprüchen wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen
Normenkette:
BGB § 195, 199 Abs. 1 Nr. 2, § 826, § 852
Leitsätze:
1. Der Beginn der Verjährungsfrist tritt bereits dann ein, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form einer Feststellungsklage, erfolgversprechend, wenn auch nicht risikolos möglich ist. Weder ist es erforderlich, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der in den sogenannten Dieselfällen grundsätzlich in Betracht kommende Anspruch aus § 852 BGB gegen den Hersteller besteht dann nicht, wenn der klagende Käufer das Fahrzeug als Gebrauchtwagen von einem Dritten erworben hat, weil dann kein mit einem Nachteil beim Geschädigten korrespondierender Zufluss beim Hersteller vorliegt. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, 3,0 Liter V-TDI Motor, Verjährung, Berichterstattung
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 09.08.2023 – 27 U 565/23 e
OLG München, Hinweisbeschluss vom 12.05.2023 – 27 U 565/23 e
Fundstelle:
BeckRS 2022, 47507
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche im Rahmen des sog. „Diesel-Abgasskandals“ geltend.
2
Der Kläger erwarb am 17.05.2017 von der (…) GmbH in (…) den Pkw (…) als Gebrauchtwagen mit einem Kilometerstand von 41.150 km zu einem Preis von 36.950,00 EUR. Das Fahrzeug wurde fremdfinanziert (Anlagen K1 ff.). Das Fahrzeug verfügt über einen 3,0 Liter V-TDI Motor, Abgasnorm Euro 6.
3
Die Beklagte ist Herstellerin des streitgegenständlichen Motors.
4
Für das Fahrzeug wurde ein verbindlicher Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt (im Folgenden: KBA) wegen nicht näher bekannter „unzulässiger Abschalteinrichtungen bzw. der unzulässigen Reduzierung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems“, jedenfalls aber wegen einer Aufheizstrategie, die eine Optimierung des Emissionsverhaltens nur auf dem Prüfstand bewirke, erlassen (vgl. Anlagen K2, K3). Die Klagepartei ließ das von der Beklagten angebotene Software-Update aufspielen.
5
Das Fahrzeug verfügt über ein sog. „Thermofenster“ und einen SCR-Katalysator (AdBlue).
6
Nachdem ab September 2015 zunächst die (…)-Thematik sämtliche deutschen und internationalen Medien beherrschte, stand ab Mitte des Jahres 2017 auch die (…) Thematik im Fokus der öffentlichen Berichterstattung. Im Juni 2017 wurde der streitgegenständliche Rückruf von diversen großen Medien thematisiert. Auch im Jahr 2018 folgte weitere umfangreiche Berichterstattung über Beanstandungen des KBA wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen an (…)-Dieselmotoren der Abgasnormen Euro 5 und Euro 6. Gegen die Beklagte wurde ferner ein Bußgeldbescheid über 800 Mio. Euro im Zusammenhang mit dem Diesel-Abgasskandal erlassen, was ebenfalls Gegenstand der öffentlichen Berichterstattung war. Sowohl das KBA als auch Hersteller wie die Beklagte veröffentlichten zudem in den Jahren 2017 und 2018 Pressemitteilungen zu den erlassenen Rückrufen für verschiedene Modelle mit (…)-Motoren und den vorgesehenen Softwareupdates. In der Pressemitteilung des KBA vom 23.01.2018 heißt es auszugsweise:
„Bei der Überprüfung der (…), durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) wurden unzulässige Abschalteinrichtungen nachgewiesen. […] Das KBA hat deshalb in den vergangenen Wochen verpflichtende Rückrufe dieser Fahrzeuge angeordnet, um die Vorschriftsmäßigkeit der produzierten Fahrzeuge wiederherzustellen.“.
7
Auch die Presse und landesweite Medien berichteten in der Folge zum Rückruf unter Nennung des betroffenen Fahrzeugtyps. Die Beklagte stellte eine Website zur Verfügung, auf welcher jedermann durch Eingabe der FIN überprüfen konnte, ob ein konkretes Fahrzeug von einem Rückruf betroffen ist.
8
Der Kläger erhob mit Anwaltsschriftsatz vom 09.05.2022 diese Klage.
9
Am 16.12.2022 betrug der Kilometerstand 124.111 km.
10
Der Kläger behauptet, es wären insgesamt vier Strategien zur Verfälschung der Abgaswerte vorhanden gewesen (Anlage K3). Aufgrund der Abschalteinrichtungen drohe die Stilllegung des Fahrzeugs. Die EU-Typengenehmigung sei von Gesetzes wegen entfallen. Die Vorstände der Beklagten hätten Kenntnis von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung gehabt und aus eigenem Gewinnstreben gehandelt. Hätte er hiervon gewusst, hätte er das Fahrzeug nicht gekauft. Von der Betroffenheit seines Fahrzeugs habe er erst im September 2019 Kenntnis erlangt. Insbesondere habe er vor dem Kauf beim Verkäufer nachgefragt, ob das Fahrzeug vom Abgasskandal betroffen sei, was dieser verneint habe.
11
Der Kläger beantragt zuletzt,
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 20.597,76 EUR aus dem bereits abgeschlossenen Darlehensvertrag mit der Vertragsnummer (…) sowie 6.334,74 EUR abzgl. einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 10.676,02 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen und die Klagepartei von sämtlichen Verpflichtungen gegenüber der (…) aus dem als Anlage K1c beigefügten Darlehensvertrag mit der Vertragsnummer (…) freizustellen Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs der Marke (…), mit der Fahrgestellnummer (…) sowie Übertragung der Anwartschaftsrechte an dem Fahrzeug, Abtretung etwaiger Herausgabeansprüche an dem Fahrzeug und dem Fahrzeugbrief gegenüber der (…) aus dem Darlehensvertrag mit der Vertragsnummer (…).
12
Die Beklagte beantragt
13
Die Beklagte meint, eine Unzulässigkeit des Thermofensters läge nicht vor, da es zum Motor- und Bauteileschutz erforderlich sei. Jedenfalls sei der Klagepartei kein Schaden entstanden, weil das Fahrzeug in seiner Brauchbarkeit nicht beeinträchtigt gewesen sei und die Klagepartei keine wirtschaftlichen Nachteile erlitten habe. Vor allem, weil die Klagepartei das Fahrzeug nach Bekanntwerden der „Diesel-Thematik“ erworben habe, fehle es an einer Kausalität eines etwaigen deliktischen Verhaltens für den Abschluss des Kaufvertrages.
14
Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung und ist der Auffassung, dem Kläger sei angesichts der auch im Jahr 2018 noch anhaltenden Berichterstattung, auch über einen Bußgeldbescheid gegen die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen, jedenfalls grob fahrlässige Unkenntnis von der Betroffenheit seines Fahrzeugs vom Diesel-Abgasskandal vorzuwerfen.
15
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die wechselseitigen Schriftsätze samt Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift vom 16.12.2022.
Entscheidungsgründe
16
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
17
I. Die Zuständigkeit des Landgerichts Augsburg ergibt sich aus §§ 23, 71 GVG, § 32 ZPO.
18
II. 1. Die Klage ist unbegründet, da etwaige Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung – solche aus Gewährleistungsrecht kommen nicht in Betracht – jedenfalls verjährt wären, §§ 195, 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB.
19
Die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren gemäß § 195 BGB war im Zeitpunkt der Erhebung der Klage bereits abgelaufen.
20
Diese beginnt mit dem Schluss des Jahres zu laufen, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste, § 199 Abs. 1 BGB.
21
Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger spätestens im Lauf des Jahres 2018 von der individuellen Betroffenheit seines Fahrzeugs erfahren hat bzw. diesbezüglich jedenfalls grob fahrlässig in Unkenntnis war, sodass die Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres 2021 endete und die Klage aus dem Jahr 2022 daher in verjährter Zeit erhoben wurde.
22
Der Kläger räumte ein, dass ihm der Diesel-Abgasskandal im Allgemeinen bereits vor dem Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeugs bekannt war. Er behauptete allerdings, von der individuellen Betroffenheit seines Fahrzeugs erst mit dem Erhalt der Aufforderung zur Durchführung des Softwareupdates etwa im September 2019 Kenntnis erlangt zu haben. Auf nähere Befragung führte der Kläger im Rahmen seiner informatorischen Anhörung aus, sich durchaus mit der Diesel-Thematik beschäftigt und hierbei auch zwischen verschiedenen Herstellern und Ausstattungsmerkmalen unterschieden zu haben. So erklärte er, der Presse entnommen zu haben, dass in erster Linie Vierzylindermotoren betroffen gewesen wären. Hingegen wären seiner Erinnerung nach Fahrzeuge der Beklagten mit AdBlue-Technik nicht betroffen gewesen. Generell habe er nicht wahrgenommen, dass die Beklagte, anders als beispielsweise (…), im Zusammenhang mit dem Abgasskandal in Erscheinung getreten sei. Er habe seine Informationen in erster Linie aus dem Fernsehen, beziehe aber auch ein Wochenendabonnement der (…), das auch im Zeitpunkt des Kaufs bereits bestanden habe. Kurz vor Abschluss des Kaufvertrages habe er bei seinem Verkäufer nachgefragt, ob das Fahrzeug vom Diesel-Abgasskandal betroffen sei, was dieser verneint habe.
23
Aus diesem Vorbringen ergibt sich, dass der Kläger sich intensiv und differenziert mittels verschiedener Medien über den Abgasskandal informiert hat. Dass er hierbei von der Betroffenheit von Fahrzeugen der Beklagten im Allgemeinen und auch von der Betroffenheit von Fahrzeugen mit V6-Motor keine Kenntnis erlangt haben will, ist vor dem Hintergrund der unstreitigen umfangreichen öffentlichen Berichterstattung auch zur Betroffenheit von Fahrzeugen der Beklagten, insbesondere solchen mit (…)-Motor wie dem streitgegenständlichen Pkw, nicht glaubhaft.
24
Es kann auch dahinstehen, ob sein Verkäufer ihm im Zeitpunkt des Kaufvertrages noch erklärte, dass das Fahrzeug nicht betroffen sei, da der Kauf im Mai 2017 stattfand, die umfangreiche Berichterstattung – insbesondere auch zu Fahrzeugen der Beklagten mit (…)-Motor unter Nennung der jeweiligen Motortypen – allerdings erst danach begann und vor allem im Jahr 2018 die Medien beherrschte.
25
Vor diesem Hintergrund hat sich die individuelle Betroffenheit auch seines Fahrzeugs geradezu aufgedrängt, sodass ein besonnener Gläubiger jedenfalls gehalten gewesen wäre, entsprechende Ermittlungen – beispielsweise unter Verwendung der von der Beklagten bereitgestellten Website – anzustellen, um dies zu überprüfen. Dass der Kläger dies nicht getan hat, stellt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt dar, der jedenfalls eine grob fahrlässige Unkenntnis i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB begründet.
26
Eine Klageerhebung war dem Kläger zu diesem Zeitpunkt auch bereits möglich und zumutbar. Der Beginn der Verjährungsfrist tritt bereits dann ein, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form einer Feststellungsklage, erfolgversprechend, wenn auch nicht risikolos möglich ist. Weder ist es erforderlich, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können (OLG München, Hinweisbeschluss vom 05.02.2020, Aktenzeichen 3 U 7392/19; BGH, Urteil vom 17.12.2020, Aktenzeichen VI ZR 739/20).
27
2. Der dann noch grundsätzlich in Betracht kommende Anspruch aus § 852 BGB besteht allerdings schon deshalb nicht, weil der Kläger das Fahrzeug als Gebrauchtwagen von einem Dritten erworben hat, wodurch regelmäßig kein mit einem Nachteil beim Geschädigten korrespondierender Zufluss beim Hersteller vorliegt (BGH, Urteil vom 10.02.2022 – Az. VII ZR 365/21). Hierzu hat die Klagepartei auch nicht vorgetragen.
28
3. Mangels Bestehens eines Hauptanspruchs besteht auch kein Anspruch auf Verzinsung und Freistellung.
29
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.
30
IV. Die Streitwertfestsetzung basiert auf §§ 63 Abs. 2 S. 1, 48 Abs. 1 S. 1 GKG i.V.m. §§ 3 ff. ZPO.