Titel:
Steuerbarkeit der Kapitalauszahlung einer Pensionskasse
Normenketten:
EStG § 3 Nr. 63, § 10a,§ 20 Abs. 1 Nr. 6, § 22 Nr. 5 S. 1, § 34 Abs. 2 Nr. 4,§ 79 f.
FGO § 105 Abs. 3 S. 2
Leitsatz:
Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten sind dann außerordentlich, wenn die Zusammenballung der Einkünfte nicht dem vertragsgemäßen oder typischen Ablauf der jeweiligen Einkünfteerzielung entspricht (vgl. BFH-Urteil vom 20. September 2016, X R 23/15, BStBl II 2017, 347, BeckRS 2017, 94032). (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Steuerbarkeit der Kapitalauszahlung einer Pensionskasse, wenn durch Entgeltumwandlung unter Anwendung von § 3 Nr. 63 EStG steuerbefreite Leistungen in der Ansparphase einbezahlt wurden, Bank, Kapitalauszahlung, Pensionskasse, Rentenanspruch, Steuerbefreiung, Steuerbarkeit, steuerliche Behandlung, Versicherungsschutz, Versicherung, Altersversorgung, Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten, Entgeltumwandlung, Einmalige Besteuerung, Einkommensteuerbescheid
Rechtsmittelinstanz:
BFH München, Beschluss vom 26.04.2023 – X B 102/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 47440
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten über die steuerliche Behandlung einer Kapitalauszahlung der Bank P. AG in Höhe von ... € im Jahr 2017.
2
Die Kläger wurden im Streitjahr 2017 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist am ... 1955 geboren. Die Kläger erzielten Einkünfte aus selbständiger Arbeit, nichtselbständiger Arbeit und sonstige Einkünfte in Form einer inländischen Leibrente und einer Leistung aus einer Pensionskasse, der Bank P. AG.
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Am 11. Oktober 2004 unterzeichneten der Kläger und sein Arbeitgeber eine Vereinbarung zur Entgeltumwandlung. Darin vereinbarten die Parteien mit Wirkung ab dem 1. Oktober 2004, dass der Anspruch des Klägers auf laufendes Gehalt und Sonderbezüge in einen Anspruch auf Versicherungsschutz in Form von Beiträgen zu einer Pensionskassenversorgung im Sinne des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung umgewandelt wird.
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Der vorgelegte Teilversicherungsschein über eine betriebliche Versorgung wies den Kläger als versicherte Person, den Arbeitgeber des Klägers als Versicherungsnehmer sowie eine steuerliche Förderung nach § 3 Nr. 63 des Einkommensteuergesetzes (EStG), einen monatlichen Betrag von … € insgesamt, den Beginn der Hauptversicherung zum 1. Oktober 2004 und den spätesten Beginn der Rentenzahlung zum 1. Januar 2021 aus. Die Tarifbeschreibung für die betriebliche Versorgung führt zur Kapitalabfindung u.a. folgendes aus: „Soweit keine steuerliche Förderung nach §§ 10a, 79 ff. EStG erfolgt, kann der Versicherungsnehmer im Einvernehmen mit der versicherten Person anstelle der Rente die Kapitalabfindung wählen.“
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Der Arbeitgeber des Klägers zahlte ab dem 1. Oktober 2004 durch Entgeltumwandlung monatlich unter Anwendung von § 3 Nr. 63 EStG steuerbefreite Leistungen von … € in der Ansparphase in den mit der Pensionskasse geschlossenen Altersvorsorgevertrag für den Kläger ein. Nachdem der Kläger im Jahr 2017 um eine Kapitalabfindung seines Altersvorsorgevertrages gebeten hatte, wurde der vorgesehene monatliche Rentenanspruch aus dem Altersvorsorgevertrag in eine Einmalauszahlung umgewandelt, die am 9. November 2017 in Höhe von .... € ausgezahlt wurde.
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Im Einkommensteuerbescheid 2017 vom 6. Mai 2019 wurden die Leistungen der Bank P. AG in Höhe von .... € in voller Höhe der Besteuerung zugrunde gelegt. Die Einkommensteuer wurde auf .... € festgesetzt.
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Dagegen legten die Kläger mit Schreiben vom 15. Mai 2019 Einspruch ein.
8
In einer von den Klägern während des Rechtsbehelfsverfahrens vorgelegten Mitteilung der Bank P. AG über steuerpflichtige Leistungen aus einem Altersvorsorgevertrag oder aus einer betrieblichen Altersversorgung für das Kalenderjahr 2017 bestätigte diese, dass ausschließlich einmalige Leistungen im Sinne des § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG von ....,... € an den Kläger ausgezahlt worden seien. Handschriftlich wurde dieser Betrag durchgestrichen und unter „Nr. 6 : § 22 Nr. 5 Satz 2 Buchst. b) i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG“ ein Betrag von 0 € eingetragen. Auf telefonische Nachfrage des Beklagten (das Finanzamt – FA –) erklärten die Kläger, dass sie die Mitteilung abgeändert hätten.
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In ihrer rechtlichen Beurteilung vom 21. August 2018, die während des Rechtsbehelfsverfahrens vorgelegt wurde, ging die Bank P. AG davon aus, dass der Abrechnungsbetrag nicht nach § 22 Nr. 5 Satz 2 Buchst. b) i. V. m. § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG zu versteuern sei, weil die Beiträge nicht in der Finanzierungsphase der Besteuerung unterworfen worden seien. Der Abrechnungsbetrag sei nach § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG in voller Höhe zu versteuern, weil die auf den Vertrag entrichteten Beiträge nach § 3 Nr. 63 EStG in der Finanzierungsphase des Vertrages vollständig lohnsteuerfrei gestellt worden seien. Leistungen einer Pensionskasse, die mit lohnsteuerfreien Beiträgen finanziert worden seien, unterlägen nach § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG der vollen Besteuerung. Eine völlige Steuerfreiheit der Beitragszahlungen und der daraus resultierenden Leistungen widerspräche der steuerrechtlichen Systematik.
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In der Einspruchsentscheidung vom 13. Juni 2022 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Eine Kapitalabfindung, die sich aus der Umwandlung eines monatlich vorgesehenen Rentenanspruchs eines Arbeitnehmers aus einem mit einer Pensionskasse geschlossenen Altersvorsorgevertrag, in den der Arbeitgeber durch Entgeltumwandlung monatlich nach § 3 Nr. 63 EStG steuerbefreite Leistungen eingezahlt habe, in eine Einmalzahlung ergebe, unterliege der Besteuerung nach § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG. § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG sei gegenüber anderen Vorschriften lex specialis für Leistungen aus Altersvorsorgeverträgen sowie für Leistungen aus Pensionsfonds, Pensionskassen und Direktversicherungen. Danach habe § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG Vorrang vor § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG.
11
Für die Steuerbarkeit der Leistungen aus dem Pensionsfonds komme es nicht darauf an, ob die Steuerbefreiung der früheren Beitragszahlungen gemäß § 3 Nr. 63 EStG materiell-rechtlich zu Recht gewährt worden sei. Nach seinem klaren Wortlaut stelle § 22 Nr. 5 Satz 2 EStG allein auf die tatsächliche Anwendung des § 3 Nr. 63 EStG ab, nicht aber darauf, ob auch bei objektiv zutreffender Betrachtung die Voraussetzungen dieser Norm vorgelegen hätten.
12
In ihrer dagegen durch Schriftsatz vom 12. Juli 2022 erhobenen Klage machen die Kläger geltend, dass sich die Besteuerung im Streitfall nach § 22 Nr. 5 Satz 2 Buchst. b) EStG i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG richte. Es sei strittig, ob die Förderung nach § 3 Nr. 63 EStG für diese Anlage rechtens gewesen sei. Der Teilversicherungsschein weise auf die steuerliche Förderung nach § 3 Nr. 63 EStG hin, nicht aber die Tarifbeschreibung für die betriebliche Versorgung im Punkt „Kapitalabfindung“. Dort sei ausdrücklich nur von steuerlicher Förderung nach §§ 10a, 79 ff. EStG die Rede. Eine Förderung nach § 3 Nr. 63 EStG sei ausdrücklich nicht vorgesehen gewesen. Die Versicherung sei als Kapitalversicherung gegen laufende Beiträge mit Sparanteil ausgestattet gewesen und erfülle folglich die in § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b) Doppelbuchst. dd) EStG genannten Voraussetzungen. Da der Vertrag im Oktober 2004 abgeschlossen worden sei und die Kapitalauszahlung im Jahr 2017 erfolgt sei, erfülle der Vertrag die Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG und sei deshalb steuerfrei. Soweit in der Vergangenheit fälschlicherweise nach § 3 Nr. 63 EStG eine Förderung erfolgt sei, könne dies nicht automatisch zu einer nachgelagerten Besteuerung bei Kapitalauszahlung führen.
13
Nach dem Gesetzeswortlaut müsse es sich um Beiträge des Arbeitgebers aus dem ersten Dienstverhältnis an eine Pensionskasse handeln. Auch dies sei nicht beachtet worden. Es habe sich damals um eine Gehaltsumwandlung gehandelt und somit um einen Lohnbestandteil, der steuerfrei ausbezahlt worden sei, indem man den Betrag an die Pensionskasse überwiesen habe. Der Vertrag erfülle alle Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG in der am 31. Dezember 2004 geltenden Fassung. Somit müsse die Auszahlung nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG steuerfrei erfolgen. Soweit der Arbeitgeber die Beitragsleistungen nicht versteuert habe, hafte er für die nichtabgeführte Lohnsteuer. Jedenfalls könne die Versteuerung der Altersvorsorge nicht willkürlich im Rahmen der nachgelagerten Besteuerung nachgeholt werden. Bei Abschluss des Vertrages zur betrieblichen Altersversorgung hätten die Voraussetzungen des § 3 Nr. 63 EStG nicht vorgelegen; aber unter Hinweis auf diese Vorschrift sei der entsprechende Teil des Gehalts lohnsteuerfrei und sozialversicherungsfrei einbehalten worden und in die Versicherung einbezahlt worden. Eine Kapitalauszahlung sei vom Sparvertrag her nur möglich gewesen, wenn der Steuerschaden – die pauschale Lohnsteuer – erstattet werde und somit die zutreffende Rechtslage hergestellt werde.
14
Die Kläger beantragen sinngemäß,
den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2017 vom 6. Mai 2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. Juni 2022 dahingehend abzuändern, dass sonstige Einkünfte in Höhe von .... € nicht der Besteuerung unterworfen werden.
16
Das FA verweist zur Begründung auf seine Einspruchsentscheidung.
17
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Akten des FA, die Gerichtsakte sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 8. September 2022 nach § 105 Abs. 3 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verwiesen.
Entscheidungsgründe
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1. Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Die Einmalzahlung der Bank P. AG ist nach § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung im Streitjahr steuerbar.
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a. Die Kapitalauszahlung ist nach § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG zu besteuern. Es handelt sich um Leistungen aus einer Pensionskasse, die nicht unter § 22 Nr. 5 Satz 2 Buchst. b) i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG fallen. Die Beiträge sind gemäß § 3 Nr. 63 EStG steuerbefreit gewesen. Für die Steuerbarkeit der Leistungen aus der Bank P. AG kommt es nicht darauf an, ob die Steuerbefreiung der früheren Beitragszahlungen gemäß § 3 Nr. 63 EStG materiell-rechtlich zu Recht gewährt worden ist.
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Daran bestehen in Bezug auf den Streitfall für die von dem Kläger ab dem 1. Oktober 2004 geleisteten Beiträge Zweifel. § 3 Nr. 63 EStG setzt voraus, dass die „Auszahlung der zugesagten Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgungsleistungen in Form einer Rente oder eines Auszahlungsplans…vorgesehen ist“. Demgegenüber hatte die Bank P. AG dem Versicherungsnehmer im Einvernehmen mit der versicherten Person ein Kapitalwahlrecht eingeräumt, das an die Voraussetzung geknüpft war, dass keine steuerliche Förderung nach den §§ 10a, 79 ff. EStG vorlag. Ein solches Kapitalwahlrecht steht außerhalb der in § 3 Nr. 63 EStG aufgeführten Auszahlungsformen (Rente oder qualifizierter Auszahlungsplan) und wirft daher zumindest Zweifel daran auf, ob die Voraussetzungen der Steuerbefreiung in einem derartigen Fall erfüllt sind.
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Diese Zweifel können aber auf sich beruhen. Nach seinem klaren Wortlaut stellt § 22 Nr. 5 Satz 2 EStG allein auf die (tatsächliche) Anwendung des § 3 Nr. 63 EStG ab und nicht darauf, ob auch bei objektiv zutreffender Betrachtung die Voraussetzungen dieser Norm vorgelegen hätten.
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Diese Gesetzesauslegung ist auch sinnvoll, um eine genau einmalige Besteuerung sicherzustellen. Ansonsten könnte es vorkommen, dass zwar während der Beitragsphase die Steuerbefreiung in Anspruch genommen wurde, sich aber bei der späteren Überprüfung der Steuerpflicht der Leistungen herausstellt, dass dies zu Unrecht geschehen war. Käme es dann zu einer Steuerfreistellung der Leistungen, obwohl die Steuerfreiheit der Beiträge in der entfernten Vergangenheit möglicherweise nicht mehr rückgängig zu machen wäre, widerspräche dies dem im Bereich der Besteuerung von Alterseinkünften geltenden Prinzip des genau einmaligen Steuerzugriffs – entweder auf der Beitrags- oder auf der Leistungsseite – und damit dem Leistungsfähigkeitsprinzip (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 20. September 2016 X R 23/15, BStBl II 2017, 347).
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b. Die Kapitalabfindung ist nicht als außerordentliche Einkunft in Gestalt einer Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten gemäß § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 EStG ermäßigt zu besteuern.
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§ 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG ist grundsätzlich auf alle Einkunftsarten anwendbar, sofern die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind und im Einzelfall keine Gründe für eine einschränkende Auslegung gegeben sind. Auch stellt die Kapitalabfindung eine „Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten“ dar. Es fehlt jedoch an der „Außerordentlichkeit“ dieser Einkünfte.
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Dieses Erfordernis wird sowohl vom Wortlaut des § 34 Abs. 1 EStG als auch von dem des Einleitungssatzes des § 34 Abs. 2 EStG vorausgesetzt. Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten sind nur dann außerordentlich, wenn die Zusammenballung der Einkünfte nicht dem vertragsgemäßen oder typischen Ablauf der jeweiligen Einkünfteerzielung entspricht (vgl. BFH-Urteil vom 20. September 2016 X R 23/15, BStBl II 2017, 347).
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Vorliegend war die Geltendmachung der Kapitalabfindung vertragsgemäß, weil sie ihre Rechtsgrundlage in der Tarifbeschreibung des Teilversicherungsscheins fand. Die Kapitalabfindung stellt vorliegend auch keinen atypischen Ablauf in Bezug auf die jeweilige Einkünfteerzielung dar. Das in der Tarifbeschreibung eingeräumte Kapitalwahlrecht ist weder eng begrenzt noch auslaufend und kann daher nicht als Ausnahmeregelung angesehen werden.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.